Prophylaxe


Karies vorbeugen: Zähneputzen oder die richtige Ernährung? Was ist wichtiger?

Für den Erhalt der Homöostase im dentalen Biofilm ist ein geringes Level an kariogenen Bakterien und deren Stoffwechselaktivität entscheidend. Um einen Anstieg zu vermeiden, sollten nicht zu viele fermentierbare Kohlenhydrate zugeführt werden. Der vorliegende Artikel betont die Rolle der Ernährung und verdeutlicht ihren Einfluss auf die Entstehung von Karies. Der Autor plädiert für eine bessere Kariesprophylaxe, die verstärkt die Ernährungsberatung berücksichtigt.

Karies ist heute die weltweit häufigste chronische Erkrankung des Menschen und betrifft etwa 2,3 Milliarden Erwachsene und 560.000 Kinder [1]. In Deutschland sind derzeit etwa 98% der Bevölkerung betroffen. Karies ist die häufigste Ursache für den Verlust von Zähnen und für Schmerzen in der Mundhöhle [2,3]. Epidemiologische Studien fanden unterschiedliche Häufigkeiten für das Auftreten von Karies in verschiedenen Regionen: In Westeuropa, Nordamerika, Australien, Brasilien, Chile und Peru ist die Kariesinzidenz hoch, in Afrika, Süd- und Ostasien ist sie eher gering [4]. Die unterschiedliche Ernährung in diesen Regionen scheint ein wesentlicher Faktor für das heterogene Auftreten von Karies zu sein [5]; v.a. steige die Kariesinzidenz allgemein mit steigendem Alter stark an [6,7].

Treten bei einem Kleinkind kariöse Initialläsionen bzw. offene kariöse Läsionen auf, ist das der eindeutigste Risikofaktor für die Entwicklung weiterer kariöser Läsionen. Die Entstehung von Karies wird durch viele Faktoren beeinflusst. Als frühe Risikofaktoren für die Kariesentstehung gelten: kariöse und ungepflegte Zähne der Mutter, wodurch kariogene Mikroorganismen auf den Säugling oder das Kleinkind übertragen werden können; Beläge auf den Frontzähnen des Oberkiefers und schlechte Gewohnheiten (Habits), wie dauerndes Nuckeln an Saugerflaschen mit zuckerhaltigen Getränken, Säften oder Saftschorlen (z.B. auch zum Einschlafen) sowie häufige Zwischenmahlzeiten, die fermentierbare Kohlenhydrate enthalten. Weiterhin ist ein niedriger Sozial- und Bildungsstatus der Familien ebenfalls mit erhöhtem Kariesrisiko assoziiert. Verminderte Speichelfließrate, Zahnfehlbildungen, kieferorthopädische Behandlung, Behinderungen, die eine normale Mundhygiene nicht zulassen, unzureichende Häufigkeit des

  • Abb. 1: Schema zur Pathogenese der Karies, welches sich an der ökologischen Plaquehypothese orientiert [8].. ...(weitere Erlaeuterung am Artikelende)

  • Abb. 1: Schema zur Pathogenese der Karies, welches sich an der ökologischen Plaquehypothese orientiert [8].. ...(weitere Erlaeuterung am Artikelende)
    © Priv.-Doz. Dr. C. Tennert
Zahnarztbesuchs usw. sind weitere Faktoren, die für die rasche Kariesentstehung eine zusätzliche Rolle spielen. Die Entstehung von Karies ist aber in hohem Maße durch die Ernährung bedingt (Abb. 1).

Nach der ökologischen Plaquehypothese wird das vermehrte Auftreten potenziell pathogener Keime, wie Streptokokken und Laktobazillen, nicht als primäre Ursache, sondern bereits als Teil des Kariesprozesses, also als ökologische Veränderung, verstanden. Das Auftreten von Plaque wird hiernach, zumindest in einem gewissen Rahmen, als physiologisch akzeptiert. Die Hauptursache für Karies ist demnach der regelmäßige Konsum fermentierbarer Kohlenhydrate. Andere Faktoren, wie z.B. Mundhygiene und Fluoride, wirken der Pathogenese der Karies entgegen und sind somit als protektiv zu verstehen [8].

Laut des 12. Ernährungsberichtes liegt der derzeitige durchschnittliche Zuckerkonsum in Deutschland sehr hoch, bei rund 30 kg im Jahr bzw. etwa 80 g pro Tag [9]. Ein Großteil des Zuckers steckt aber gar nicht in den Süßigkeiten allein. Zwei Drittel dieser Menge Zucker verbergen sich in industriell hergestellten Produkten, wie zuckerhaltigen Getränken, Backwaren, Brotaufstrichen und Milchprodukten.

Gab es Karies bereits vor der Entdeckung des Zuckers?

  • Abb. 2: Karies eines Steinzeitmenschen vor ca. 15.000 Jahren.

  • Abb. 2: Karies eines Steinzeitmenschen vor ca. 15.000 Jahren.
    (Quelle: dpa/Isabelle De Groote/National Academy of Sciences/jai tba)
Kariöse Defekte sind bereits in den Zähnen von Steinzeitmenschen nachweisbar. So wurden in einer Grotte in Marokko insgesamt 52 Skelette einer Population gefunden, die vor 15.000 Jahren lebte. Von diesen zeigten nur 3 kariesfreie Gebisse, über die Hälfte der Steinzeitzähne dieser Population hatte kariöse Defekte (Abb. 2) [10]. Unter diesen Jägern und Sammlern kam Karies also bereits häufig vor. Zu dieser Zeit gab es aber keinen Zucker und keinen Ackerbau – wie kam es dann zu Karies? Die Antwort liegt darin: Diese Steinzeitmenschen kannten zwar noch keinen Zucker, sie sammelten aber in großen Mengen Eicheln, die sie v.a. für Zeiten der Nahrungsknappheit wie z.B. für den Winter bevorrateten. Sie schälten, kochten und zerstampften diese Früchte. Durch diesen Prozess wurden die in den Eicheln enthaltene Stärke und der Zucker für Bakterien in der Mundhöhle leicht zugänglich gemacht und die Kariesentstehung somit begünstigt.

Das Team um Jean-Jacques Hublin vom Institut für evolutionäre Anthropologie der Universität Leipzig entdeckte kürzlich in Marokko Skelette des Homo sapiens, welche 300.000 Jahre alt waren. Die Zähne dieser Skelette wiesen keine kariösen Läsionen auf. Also scheint eine Ernährung möglich zu sein, die keine Karies verursacht [11]. Eine weitere Population von Hominiden, den vor ca. 1,6 Millionen Jahren lebenden Australopithecus, hatte eine sehr geringe Karieshäufigkeit von 3% der Approximalflächen der Zähne [12]. Wahrscheinlich ernährten sich diese Steinzeitmenschen von eher unprozessierter Nahrung, wie Obst, Gemüse, Nüsse und Samen. Diese archäologischen Funde zeigen, dass es auch damals in kohlenhydratreichen Nahrungsumgebungen mit wahrscheinlich häufigem kariogenem Nahrungskonsum möglich war, Karies zu entwickeln [13].

Kariesentstehung

Klinische Untersuchungen konnten zeigen, dass das Auftreten von Karies mit einer erhöhten Anzahl von säurebildenden und säureausscheidenden Bakterien, v.a. Streptokokken (Mutans- und Non-Mutans-Gruppe) und Laktobazillen, daneben aber auch Actinomyzeten, Bifidobakterien, Propionibakterien und Veilonellen assoziiert ist [14–18]. Eine Übersichtsarbeit von Karpinski aus dem Jahr 2013 identifizierte etwa ein Dutzend Spezies, die solche kariogenen Eigenschaften haben [19].

  • Abb. 3: Stephan-Kurven. Typischer Verlauf des pH-Wertes auf der Zahnoberfläche nach Spülung mit einer 10%igen Glukoselösung. Der kritische pH-Wert für die Demineralisation des Zahnschmelzes liegt bei ca. 5,5 (rot), für Dentin bei 6 bis 6,9 (orange) [22,23].

  • Abb. 3: Stephan-Kurven. Typischer Verlauf des pH-Wertes auf der Zahnoberfläche nach Spülung mit einer 10%igen Glukoselösung. Der kritische pH-Wert für die Demineralisation des Zahnschmelzes liegt bei ca. 5,5 (rot), für Dentin bei 6 bis 6,9 (orange) [22,23].
    © Priv.-Doz. Dr. C. Tennert
Stephan und Miller veröffentlichten 1944 die sogenannte Stephan- Kurve, die zeigt, wie sich der pH-Wert auf der Zahnoberfläche bei Anweseneheit des entprechenden Substrats verhält (20). Die Probanden dieser Studie spülten für 2 Minuten mit einer 10%igen Glukoselösung. Diese Lösung entspricht ungefähr dem Zuckergehalt bekannter Softdrinks, wie z.B. Cola, Fanta, Sprite. Industriell hergestellter Eistee enthält meist sogar mehr als 10% Zucker. Kariogene Bakterienspezies verstoffwechseln den Zucker zu organischen Säuren (azidogen) wie Laktat, Formiat und Acetaten [20,21], wodurch der pH-Wert auf der Zahnoberfläche unmittelbar stark abfiel und bereits nach etwa 5 bis 10 Minuten Werte zwischen pH 4 und 5 erreichte. Danach stieg der pH-Wert langsam über etwa 30 bis 60 Minuten auf den Ausgangs-pH-Wert an (Abb. 3). Der kritische pH-Wert für Zahnschmelz liegt bei etwa 5 bis 5,5, für Dentin jedoch höher: 6 bis 6,9 [22,23]. Unterhalb dieser pH-Werte kommt es zur Demineralisation.

Die kritischen pH-Werte für Schmelz und Dentin sind individuell sehr unterschiedlich und werden v.a. über die Puffersysteme und deren Kapazität im Speichel und der Zusammensetzung der Zahnhartsubstanz bestimmt [24,25].

  • Zucker begünstigt die Entstehung von Karies.

  • Zucker begünstigt die Entstehung von Karies.
    ©ollo/istock
Die Vipeholm-Studie stellte eindrucksvoll den Zusammenhang zwischen Zuckerkonsum (bzw. dem Konsum prozessierter kohlenhydrathaltiger Nahrungsmittel) und der Entstehung kariöser Defekte dar. Diese Studie wurde 1945 bis 1953 an der Vipeholm- Klinik in Lund/Schweden durchgeführt. Probanden waren über 400 Patienten mit geistiger Behinderung, die in verschiedene Gruppen eingeteilt wurden und Zucker in unterschiedlichen Mengen, variierender Häufigkeit und in unterschiedlicher Darreichungsform bekamen – in Form von reinem Zucker, Schokolade, Karamell oder speziell hergestellten Toffees. Alle diese Nahrungsmittel führten zu einem deutlich vermehrten Auftreten von Karies im Vergleich zur Kontrollgruppe, wobei der Verzehr von Zuckern als Schokolade, im Brot verbacken oder als Getränk im zeitlichen Zusammenhang mit den Hauptmahlzeiten weniger Karies verursachte als klebrige Süßigkeiten über den Tag verteilt [26]. Die Studie wird heute aufgrund der ethisch sehr zweifelhaften („ethisch inakzeptablen“) Studienbedingungen kritisch gesehen, zeigt aber unter klinischen Bedingungen, dass ein hochfrequenter Konsum von Zucker bzw. stark prozessierter kohlenhydrathaltiger Nahrungsmittel die Entstehung von Karies begünstigt [27].

Substrate für kariogene Bakterien sind in erster Linie niedermolekulare Kohlenhydrate, v.a. Zucker; sie bilden daraus organische Säuren. In einer Laborstudie wurde die Säurebildung verschiedener Streptokokken-Spezies mit Kohlenhydratmolekülen verschiedener Größe als Substrat untersucht [28]. Die Autoren fanden, dass Streptokokken Transportsysteme besitzen, die neben Ein- und Zweifachzuckern Kohlenhydratmoleküle bis zu einer Größe von 6 Glukosemolekülen (Maltohexaose) in die Bakterienzelle transportieren und zu Säuren verstoffwechseln können. Weiterhin besitzen manche Streptokokken, wie z.B. Streptococcus sanguis, extrazelluläre ?-Amylase, die große Stärkemoleküle in kleine Fragmente spaltet, analog der ?-Amylase des Speichels [28]. Stärke und deren Spaltprodukte sind somit auch Substrate für die kariogenen Bakterienspezies [28]. Es fehlen aber noch klinische Untersuchungen, um das kariogene Potenzial von stärkehaltigen Nahrungsmitteln hinreichend zu sichern. Weiterhin konnte in dieser Studie und der Vipeholm-Studie ein Zusammenhang zwischen der Klebrigkeit und der Kariogenität kohlenhydrathaltiger Nahrungsmittel gefunden werden. Stärkehaltige Nahrungsmittel sind in der Regel sehr klebrig und verbleiben deshalb lange Zeit auf der Zahnoberfläche und haben damit ein hohes kariogenes Potenzial [29,30].

Guter oder schädlicher Biofilm?

Der dentale Biofilm gilt generell als schädlich, und wir alle sind täglich bemüht, ihn möglichst effektiv zu beseitigen. Entgegen dieser Annahme fand eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2017, dass ein gesunder dentaler Biofilm ein wichtiger und schützender Bestandteil einer gesunden Mundhöhle sei [71]. Danach schützt er die Zahnhartsubstanz vor mechanischen Reizen wie Kaubelastung und chemischen Reizen wie Säuren aus der Nahrung und Getränken. Der Biofilm enthält Immunkomponenten aus dem Speichel, wie Immunglobuline, Lysozym, Fluoride, und dient damit der Immunantwort [31]. Außerdem ist er ein Reservoir für remineralisierend wirkende Substanzen aus dem Speichel, wie Fluoride, Kalzium und Phosphat [32,33].

In der Mundhöhle wurden bislang über 700 verschiedene Bakterienspezies gefunden, aber nur wenige von ihnen sind an der Entstehung einer Karies beteiligt [34]. Bislang konnte etwa ein Dutzend kariogene Spezies identifiziert werden, von denen Streptokokken und Laktobazillen am häufigsten auftreten [19].

Biofilm entsteht, indem sich auf der Zahnoberfläche ein aus Komponenten des Speichels aufgebauter filmartiger Niederschlag bildet: die Pellikel. Sie besteht aus Teilen des Speichels (Kohlenhydrate, Fette und Proteine), die auf der Zahnoberfläche adsorbieren. Auf diesem Film können nun Bakterien binden [35]. Die gebundenen Bakterien vermehren sich und bilden Mikrokolonien. Diese organisieren sich in einem Biofilm, eingebettet in einer von den Bakterien gebildeten Matrix aus extrazellulären polymeren Substanzen, wie Polysaccharide, Proteine, Enzyme, Glykoproteine, Glykolipide, Lipide und extrazellulärer DNA [36]. Auf diese Weise entsteht ein Biofilm mit hoher mechanischer Stabilität gegenüber Scherkräften. Er dient als Nährstoffreservoir, als Diffusionsbarriere und fördert die Interaktion der Bakterienzellen [37]. Dieser dentale Biofilm wird auch als Plaque oder Zahnbelag bezeichnet. In diesem Biofilm organisiert, sind die Bakterien sehr resistent gegen äußere Einflüsse. Antimikrobielle Substanzen haben auf Bakterien in Biofilmen nur geringe Wirkung [38].

Der dentale Biofilm befindet sich physiologisch in Homöostase, also einem ökologischen Gleichgewicht. Virulente (kariogene) und nicht virulente Bakterien stehen in ständigem Wettbewerb, wobei die nicht virulenten überwiegen, da sie physiologisch auch den weitaus größten Anteil ausmachen, nämlich 97 bis 98%. Die kariogenen Spezies haben nur etwa einen Anteil von 2 bis 3%. Dieses mikrobielle Gleichgewicht kann jedoch durch die Veränderung verschiedener Parameter zusammenbrechen. Die wichtigsten Parameter sind die Zusammensetzung der Ernährung und die Integrität des Immunsystems, v.a. Immunkomponenten aus dem Speichel [31].

Der häufige Konsum fermentierbarer Kohlenhydrate führt zu günstigen ökologischen Bedingungen für säurebildende und säureausscheidende (azidogene) Bakterien, da für diese so ein günstiges Nährstoffangebot besteht [15]. Im Biofilm entsteht daraufhin ein saures Milieu; kariogene Bakterien vermehren sich verstärkt und verdrängen andere mikrobielle Spezies. Diese Erkenntnisse führten zur ökologischen Plaquehypothese, die der britische Mikrobiologe Philip Marsh in den 1990er-Jahren postulierte [39]. Karies ist demnach das Ergebnis einer Veränderung der Ökologie in der Mundhöhle. Es kommt zur Verschiebung des ökologischen Gleichgewichts von der Homöostase (physiologisch) hin zur Dysbiose (pathologisch) mit vermehrtem Vorkommen azidurischer und azidogener Bakterienspezies. Die primäre Ursache für die Kariesentstehung ist nicht der hohe Anteil kariogener Bakterienspezies, sondern der häufige Konsum fermentierbarer Kohlenhydrate, da diese Bakterienspezies auch unter physiologischen Bedingungen (Homöostase) in der Mundhöhle, jedoch in viel geringerer Menge, vorhanden sind. Um Karies vorzubeugen, ist die Aufrechterhaltung der Homöostase im Biofilm essenziell. Der häufige Konsum von Zucker und anderen fermentierbaren Kohlenhydraten kann zum Zusammenbrechen der Homöostase und somit in der Folge zu Karies führen.

Nichtkariogene Ernährung erscheint möglich

  • Zuckerhaltige Getränke fördern die kariogene Bakterienansiedlung.

  • Zuckerhaltige Getränke fördern die kariogene Bakterienansiedlung.
    © PhototThodos/istock
Für den Erhalt der Homöostase im dentalen Biofilm ist es entscheidend, dass das Level an pathogenen/kariogenen Bakterien und deren Stoffwechselaktivität möglichst gering ist. Unter physiologischen Bedingungen sind im dentalen Biofilm nur etwa 2 bis 3% kariogene Bakterien vorhanden. Viele Laborstudien und zahlreiche klinische Studien weisen deutlich darauf hin, dass zuckerhaltige Nahrungsmittel und Getränke sowie stärkehaltige Nahrungsmittel zur vermehrten Proliferation der kariogenen Bakterien führen und es damit zu einem Zusammenbruch der Homöostase im dentalen Biofilm kommen kann [19,40]. Wie schon bei den Steinzeitmenschen, führt das Prozessieren kohlenhydrathaltiger Nahrungsmittel zur Steigerung des kariogenen Potenzials, da die Kohlenhydratmoleküle den kariogenen Bakterien so besser zugänglich sind. Zucker, Fertigprodukte, Fast Food, Süßspeisen, Mehlprodukte wie Nudeln, Brot und andere Backwaren sind solche stark prozessierten kohlenhydrathaltigen Nahrungsmittel. Stärkehaltige Nahrungsmittel gelten im Vergleich zu Zucker generell als niedriger kariogen. Bei stärkehaltigen Nahrungsmitteln spielt v.a. die Prozessierung eine große Rolle. In In-vivo-Studien führten gekochte stärkehaltige Nahrungsmittel (z.B. Reis, Getreide) zu einem stärkeren Abfall des pH-Wertes im dentalen Biofilm als gebackene (z.B. Brot) [30,41]. Auch die mechanische Prozessierung, wie das Mahlen von Getreide zu Mehl oder das Herstellen von Auszugsmehlen, erhöht das kariogene Potenzial stärkehaltiger Nahrungsmittel [42]. Ein weiterer kritischer Punkt ist, dass solche Nahrungsmittel auch nur sehr wenige bis keine essenziellen Nährstoffe enthalten.

Salat, Gemüse, Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen sind hingegen nicht kariogene Nahrungsmittel. Sie enthalten in geringen Mengen verschiedene Zucker. Dieser ist aber in Ballaststoffen gut verpackt und den kariogenen Bakterienspezies schlecht zugänglich. Sie enthalten außerdem viele essenzielle Nährstoffe.

Obst und Früchte enthalten Glukose, Fruktose und Saccharose und können dadurch auch kariogen sein. Laut einer klinischen Studie und früherer klinischer Studien scheint ein mäßiger Konsum aus kariologischer Sicht aber unbedenklich zu sein [43]. Sie haben einen hohen Ballaststoffanteil und regen die Speichelsekretion stark an, wodurch sie durch den Speichel schnell aus der Mundhöhle ausgewaschen werden [44,45]. Zudem wirkt die erhöhte Speichelsekretion stärker remineralisierend. Tierische Produkte wie rotes Fleisch, Geflügel und Fisch enthalten keine Kohlenhydrate. Milch und Milchprodukte enthalten Milchzucker, Laktose. Die in Milch und Milchprodukten enthaltenen Caseine, Kalzium und Phosphat wirken aber kariesprotektiv und somit sind tierische Produkte nicht kariogen [46]. Anders ist das allerdings bei der Muttermilch: Sie enthält fast 40% mehr Laktose als Kuh-, Ziegen- oder Schafsmilch und weniger Casein und Phosphat. Eine Übersichtsarbeit von König aus dem Jahr 2000 zeigte, dass Muttermilch in einigen In-vivo-Studien zu Karies bei Kleinkindern führte [47].

Dass Zucker und zuckerhaltige Nahrungsmittel und Getränke nicht nur Karies begünstigen, sondern generell ungesund sind, ist eine weit verbreitete Erkenntnis. Trotzdem werden weltweit täglich große Mengen konsumiert. In Deutschland sind es im Durchschnitt pro Kopf etwa 26 Teelöffel Zucker pro Tag. Warum fällt es so schwer, den Zuckerkonsum zu reduzieren oder gar auf Zucker zu verzichten? Einige Studien mit Mäusen lieferten die Antwort. In einem Experiment hatten kokainabhängige Mäuse per Tastschalter die Wahl zwischen Kokain und Zucker. Obwohl sie bereits kokainabhängig waren, dauerte es nur wenige Tage und die Mäuse wählten nur noch den Tastschalter für Zucker. Zucker scheint also ähnliche neurobiologische Effekte zu haben wie Drogen – in diesem Fall Kokain [48]. Es ist bereits bekannt, dass Zucker und Süßes zur Ausschüttung von Dopamin im Gehirn führen und die Belohnungskaskade aktivieren. Stark prozessierte Nahrungsmittel, wie Weißmehlprodukte, Fast Food und Fertigprodukte, haben ähnliche, wenn auch weniger ausgeprägte Effekte [49]. Generell stellen Kohlenhydrate keine essenziellen Nährstoffe für den menschlichen Organismus dar und müssen nicht täglich oder mit jeder Mahlzeit konsumiert werden. Eine Reduktion prozessierter Getreideprodukte, Stärke und Zucker in der Ernährung reduziert nicht nur das Risiko für Karies, sondern auch für Gingivitis, Parodontitis und für Herz-Kreislauf- Erkrankungen [50–53]. In den westlichen Industrienationen machen industriell prozessierte Nahrungsmittel, wie Süßigkeiten, Nudeln, Brot und andere Backwaren, insgesamt einen hohen Anteil aus. Laut nationaler Verzehrstudien liegt der Anteil von Kohlenhydraten in der Ernährung in Deutschland bei über 40%. Zudem sind in über 75% aller Lebensmittel im Supermarkt Zucker zugesetzt.

Das Wissen über Karies für präventive Strategien

Bestehen Hauptmahlzeiten und Snacks aus eher prozessierten, kohlenhydrathaltigen Nahrungsmitteln bzw. werden häufig zuckerhaltige Getränke konsumiert, dann wird der pH-Wert auf den Zahnoberflächen stetig in die kritischen Bereiche absinken und es kann schnell zur Entstehung von Karies kommen. Hier ist eine gute häusliche Mundhygiene notwendig, um den pathogenen dentalen Biofilm möglichst vollständig zu entfernen. Durch Mundhygienemaßnahmen kann Plaque jedoch selbst bei sehr motivierten Patienten nie vollständig entfernt werden. Für die Entfernung des bakteriellen Biofilms sind manuelle und elektrische Zahnbürsten gleichermaßen geeignet.

Zahnseide und Zahnzwischenraumbürsten werden oft empfohlen, weil sie die Interdentalräume erreichen und Plaque somit effektiver entfernen als die Zahnbürste allein. Jedoch gibt es keinen Beweis aus klinischen Studien, dass diese Hilfsmittel allein, wenn sie im häuslichen Alltag angewendet werden, das Risiko für Approximalkaries vermindern. Zudem gibt es in vielen klinischen Studien keine Angaben über die Ernährung der Studienteilnehmer. Es ist hinreichend nachgewiesen, dass Zähneputzen zweimal täglich mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta das Kariesvorkommen reduziert und dass mehrfach täglich durchgeführtes Zähneputzen mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta eine bessere kariespräventive Wirkung zeigt als ein einmal tägliches Putzen [54]. Klinische Studien fanden jedoch, dass der kariesprophylaktische Effekt wahrscheinlich allein auf Fluoriden beruht und nicht primär auf der mechanischen Entfernung des Biofilms [55–57]. Die bisher verfügbaren Studien liefern keine klare Evidenz, dass Zähneputzen ohne Fluoride für die Kariesprophylaxe bzw. Kariesreduktion effektiv sei. Zähneputzen mit fluoridhaltiger Zahnpasta ist jedoch eine wirksame Methode zur Kariesprävention bzw. -reduktion. Fluoride sowie Kalzium- und Phosphatverbindungen in Zahnpasten und anderen Mundhygieneprodukten unterstützen die remineralisierende Wirkung des Speichels auf den Zahnschmelz und hemmen die demineralisierenden Effekte der von den kariogenen Bakterien gebildeten organischen Säuren [58]. Diese Maßnahmen werden auch als noninvasive Therapien im Rahmen der Kariesprävention bezeichnet.

  • Abb. 4: Ansatzpunkte verschiedener „präventiver“ und „therapeutischer“ Interventionen. Non-invasive Maßnahmen sind grün, mikro-invasive Maßnahmen gelb und (minimal-)invasive Maßnahmen rot dargestellt [8].

  • Abb. 4: Ansatzpunkte verschiedener „präventiver“ und „therapeutischer“ Interventionen. Non-invasive Maßnahmen sind grün, mikro-invasive Maßnahmen gelb und (minimal-)invasive Maßnahmen rot dargestellt [8].
    © Priv.-Doz. Dr. C. Tennert
Sind initialkariöse Läsionen, also weiße oder bräunliche Demineralisierungen der Zahnhartsubstanz („white spots“ bzw. „brown spots“), vorhanden und bleiben diese auf den Schmelz bzw. die oberflächliche Dentinschicht beschränkt, können Monomere eingesetzt werden, die in diese demineralisierten Areale eindringen (infiltrieren) und diese intern versiegeln [59,60]. Hierdurch wird eine Diffusionsbarriere für die kariogenen Bakterien sowie für Substrate für vereinzelt im Schmelz befindliche kariogene Bakterien geschaffen. So kann ein weiteres rasches Fortschreiten der Demineralisation verhindert werden. Diese Maßnahmen werden als mikro-invasive Therapie bezeichnet. Eine invasive Therapie wird dann notwendig, wenn eine Karies eine Kavitation aufweist bzw. auf tiefere Dentinschichten ausgedehnt ist. In diesem Fall wird der kariöse Defekt mit einer Füllung restauriert, um ein weiteres Fortschreiten der Karies zu verhindern, den Zahn in Form und Funktion wiederherzustellen und im Falle von Schmerzen diese Symptome zu beseitigen (Abb. 4).

Karies als Anzeichen einer Fehlernährung

Werden häufig Nahrungsmittel, die Zucker oder fermentierbare Kohlenhydrate enthalten, bzw. zuckerhaltige Getränke konsumiert, dann kann es ohne adäquate Mundhygiene schnell zur Entstehung von Karies kommen. In diesem Fall ist eine konsequente und sehr gute Mundhygiene erforderlich, um die Entstehung einer Karies zu verhindern. Doch welche andere Spezies auf unserem Planeten reinigt ihre Zähne so akribisch wie der Homo sapiens? In klinischen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Kohlenhydrate zudem systemisch Entzündungen fördern können. Sie erhöhen den oxidativen Stress und hemmen die Funktionen des Immunsystems [61–63]. Sie erhöhen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (wie Bluthochdruck, Schlaganfall, Herzinfarkt), Diabetes, Übergewicht und das metabolische Syndrom [64]. Das lokale Problem Karies, was durch Fluoride und Zähneputzen ja kontrollierbar scheint, ist nur ein erstes Symptom für eine Fehlernährung. Sie kann im weiteren Verlauf im Körper noch andere negative Konsequenzen mit sich bringen. Eine interventionelle Pilotstudie an der Uniklinik Freiburg konnte zeigen, dass Probanden unter einer antientzündlichen, kohlenhydratarmen Ernährung signifikant weniger gingivale und parodontale Entzündungen aufwiesen im Vergleich zu Probanden, die sich reich an prozessierten Kohlenhydraten und gesättigten Fettsäuren ernährten [53]. Diese Ergebnisse haben nicht nur einen kurzfristigen Einfluss auf orale Entzündungsparameter, sondern gehen auch signifikant mit einem geringeren Risiko an Zahnverlust einher [65].

Karies kausal vorbeugen – Empfehlungen für die Praxis

In der zahnärztlichen Praxis besteht die Prophylaxe bezüglich Karies zumeist in regelmäßiger, meist halbjährlicher oder jährlicher Kontrolle der Zähne. Die klassischen Therapiekonzepte bei Karies bestehen aus Mundhygieneinstruktionen zur intensiveren Entfernung des dentalen Biofilms bzw. der professionellen Zahnreinigung in der Zahnarztpraxis durch das Prophylaxepersonal (Prophylaxeassistentin oder Dentalhygienikerin). Im Falle kariöser Defekte sind folglich zahnärztliche Therapien erforderlich. Die Ernährung hingegen wird in zahnärztlichen Praxen nur selten thematisiert. Eine Untersuchung konnte zeigen, dass Zahnärzte ihren Patienten kaum Ernährungsempfehlungen geben, wofür 3 wesentliche Gründe dargestellt wurden: finanzielle Belange, Zeitmangel und nur eine geringe ernährungswissenschaftliche Ausbildung [66]. Eine Befragung unter 879 britischen Zahnärzten und Dentalhygienikerinnen ergab ähnliche Ergebnisse über das Thema Ernährungsberatung in der zahnärztlichen Praxis. Auch hier zeigte sich häufig ein fehlendes Wissen über Ernährungsfaktoren als Grund für die Nichtberatung von Patienten [67].

Ernährungsanamnesen und Ernährungsprotokolle sind sehr wichtige Hilfsmittel zur kausalen Vorbeugung von Karies. Ernährungsberatungen sind mit der IP2 (BEMA) halbjährlich für Kinder und Jugendliche bzw. der GOZ 1000 abrechenbar. Den Patienten können vorgefertigte Ernährungstagebücher zum Ausfüllen mitgegeben werden. Zur Erfassung der Ernährungsgewohnheiten eignet sich ein Ernährungsprotokoll über eine komplette Woche oder – in kürzerer Form – ein 4-Tage-Protokoll aus einer Woche, das aus 2 Wochentagen und 2 Wochenendtagen besteht. Wichtig dabei ist, dass Wochentage und Wochenendtage erfasst werden, da die Ernährung in einer Arbeitswoche von der am Wochenende häufig abweicht. Der Patient kann diese Protokolle zum nächsten Zahnarzttermin mitbringen, damit diese ausgewertet werden können. So kann eine Fehlernährung mit dem Patienten besprochen werden. Weiterhin stellen einige Ernährungsgesellschaften detaillierte Bögen zur Erhebung einer Ernährungsanamnese zur Verfügung, die sämtliche Bestandteile der Ernährung retrospektiv abfragen (Robert Koch-Institut, DEGS). Bei der Auswertung der Bögen ist aus kariologischer Sicht auf die Menge und Häufigkeit des Konsums prozessierter, kohlenhydratreicher Nahrungsmittel und Getränke zu achten. Zusammen mit dem Patienten können Strategien zur Reduktion des Konsums von Zucker und anderen prozessierten kohlenhydrathaltigen Nahrungsmittel erarbeitet werden. Bei weiteren Konsultationen können der Patient erneut motiviert und weitere Schritte zur nichtkariogenen Ernährung in Angriff genommen werden.  

 

Ergaenzung zu Abbildung 1: ...Es zeigt Karies als einen dynamischen Prozess mit verschiedenen direkten (lokalen) und indirekten Einflussfaktoren: Der bakterielle Biofilm in der Mundhöhle wird hierbei zunächst als physiologisch betrachtet. Erst durch den regelmäßigen und übermäßigen Konsum fermentierbarer Kohlenhydrate (Zucker) kommt es zu einer Veränderung in der Ökologie der oralen Mikroflora unter Bevorzugung potenziell pathogener Spezies wie S. mutans (Biofilm mit pathogener Flora). Dieser ist im Gegensatz zu einem Biofilm mit physiologischer Flora vermehrt in der Lage, in nennenswertem Ausmaß fermentierbare Kohlenhydrate zu verstoffwechseln und dabei Säuren als Stoffwechselendprodukte zu produzieren. Die Säuren führen über einen pH-Abfall innerhalb des Biofilms zu einer Demineralisation von Zahnhartsubstanzen und so zu den für Karies typischen Symptomen (Mineralverlust, Kavitation, Schmerzen). Dem pathogenen Faktor fermentierbare Kohlenhydrate (rot dargestellt) wirken einige protektive Faktoren (grün dargestellt) entgegen. Hierzu zählt die Wirtsabwehr, aber v.a. durch Mundhygiene kann das Wachstum des Biofilms kontrolliert und so zumindest lokal die Bildung von Säuren vermieden werden. Der Speichel sowie von außen zugeführte Fluoride fördern die Remineralisation von Zahnhartsubstanzen und wirken somit ebenfalls protektiv. Neben den lokalen pathogenen und protektiven Faktoren spielt auch eine Reihe von indirekten Faktoren eine Rolle im Kariesprozess. Diese sind zwar nicht direkt kausal mit dem Kariesprozess verbunden, beeinflussen diesen aber über die lokalen Faktoren und zeigen eine Assoziation mit der Karieserfahrung. 

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. Christian Tennert


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