Endodontie


Erfolgreiche Endodontie im Praxisalltag


Die letzten Entwicklungen auf dem Gebiet der Instrumentierung/Aufbereitung kommen von der rotierenden Arbeitsweise der NiTi-Instrumente weg zu einer oszillierenden – reziproken – Bewegungsart. Diese neuartigen Instrumente sollen dem endodontisch Tätigen eine sicherere und einfachere Aufbereitung der Wurzelkanäle ermöglichen. Nachfolgend erläutert der Autor das Prinzip dieser Bewegungsart und die Bedeutung eines standardisierten Behandlungskonzeptes. Anhand eines klinischen Falls stellt er die Anwendung eines auf dem Markt erhältlichen Systems der reziproken Feilenbewegung vor.

Die Erhaltung vitaler Zähne stellt das primäre Ziel zahnärztlicher Maßnahmen dar und hat einen hohen Stellenwert in der allgemeinzahnärztlichen Praxis. Die Maßnahmen zum Erreichen dieses Zieles reichen von der Prophylaxe bis zur extrem aufwendigen rekonstruktiv-restaurativen Therapie und decken somit fast das gesamte zahnärztliche Tätigkeitsspektrum ab.

Im Praxisalltag können ausgedehnte kariöse Prozesse, Zahntraumata oder andere pathologische Veränderungen der Zähne zu irreversiblen Schäden des pulpalen Gewebes führen. Das Ziel der endodontischen Therapie besteht darin, pulpale und periapikale Infektionen zur Heilung zu bringen, sowie der Reinfektion oder der Ausbreitung dieser Infektionen im periradikulären Raum vorzubeugen. Ein wichtiger Bestandteil der endodontischen Sprechstunde im Praxisalltag wird durch die Schmerzbeseitigung dargestellt.

Die endodontische Therapie unter Einsatz moderner Geräte – hochflexible NiTi-Instrumente, rotierend oder neuerdings reziprok bewegend eingesetzt, elektrometrische Arbeitslängenbestimmung, ultraschallunterstützte Spülprotokolle oder die vertikale Kondensationstechnik mit thermoplastifizierter Guttapercha bringt reproduzierbar bessere Behandlungsergebnisse und kann eine wertvolle Entlastung für alle Beteiligten, Patienten, Behandler und das zahnärztliche Team gleichermaßen darstellen. Die letzten Entwicklungen auf dem Gebiet der Instrumentierung/Aufbereitung kommen von der rotierenden Arbeitsweise der NiTi-Instrumente weg zu einer oszillierenden – reziproken – Bewegungsart. Diese neuartigen Instrumente sollen den endodontisch tätigen Kolleginnen und Kollegen eine sicherere und einfachere Aufbereitung der Wurzelkanäle ermöglichen. Trotzdem, und vielleicht gerade jetzt, ist ein standardisiertes Behandlungskonzept – Aufbereitung/ mechanische Desinfektion/ Spülung/chemische Desinfektion/Füllung/ bakteriendichte Versiegelung des endodontischen Systems – notwendig, um die genannten Ziele der endodontischen Therapie zu erreichen.

Das Prinzip reziproke Aufbereitung

Einer der wichtigsten Arbeitsschritte während der endodontischen Behandlung ist die mechanische Aufbereitung und Desinfektion des gesamten Kanalsystems1. Dazu steht eine breite Palette an Wurzelkanalinstrumenten zur Verfügung – Stahlwie auch hochflexible NiTi-Instrumente –, die durch eine abtragende Arbeitsweise das infizierte Dentin aus dem Kanalsystem entfernen können. In den letzten Jahren wurden unzählige Instrumentensysteme auf den Markt gebracht mit dem Ziel, diese zeitaufwendige Arbeitsetappe zu vereinfachen und eine effizientere Arbeitsweise zu ermöglichen. Die klassische Anwendung von NiTi- Instrumenten erfolgt in einer rotierenden Arbeitsweise, idealerweise in Kombination mit einem drehmomentbegrenzten Endodontie-Motor. Auf dem Markt befinden sich unzählige NiTi-Instrumentensets, welche sich durch die Geometrie, Anzahl und Anwendungssequenz der Instrumente unterscheiden. Dabei spielen im praktischen Alltag zwei Parameter eine wichtige Rolle bei der Auswahl des geeigneten Instrumentensystems: die Anwendungssicherheit (Frakturrisiko und Flexibilität) und die Übersichtlichkeit des Instrumentensystems.

Die Einführung der reziprok arbeitenden NiTi-Instrumente hat die Instrumentenlandschaft dahingehend verändert, dass man es hier mit einem Paradigmenwechsel in der Wurzelkanalaufbereitung zu tun hat – ein einziges Instrument soll ausreichend sein, um eine komplette Aufbereitung des Wurzelkanales zu erreichen2. Dabei werden komplexe Arbeitsabläufe, seit jeher bekannt, irrelevant – kann denn so etwas funktionieren?

Die Schwachstelle der sonst hochflexiblen NiTi-Instrumente liegt in deren Frakturanfälligkeit. Diese Instrumente können unvermittelt, bei unsachgemäßer Anwendung im Wurzelkanal frakturieren und beeinflussen negativ die Erfolgsaussicht der Wurzelbehandlung. Als Frakturmechanismen werden der sogenannte Torsionsbruch (torsional load) und der Ermüdungsbruch (cyclic fatigue) genannt3. Während der Torsionsbruch durch Überschreitung eines legierungsspezifischen Drehmomentes im Wurzelkanal entsteht, kann der Ermüdungsbruch in gekrümmten Kanälen durch eine prolongierte Anwendung der Instrumente in solchen anatomisch anspruchsvollen Kanalanteilen entstehen. Die Anwendung eines drehmomentbegrenzten Endodontie-Motors kann das Risiko der Torsionsfraktur praktisch eliminieren4. Dem Ermüdungsbruch wird durch die kurze Verweildauer der Instrumente im Wurzelkanal und noch besser durch eine reduzierte Anzahl von Anwendungsund Sterilisationszyklen vorgebeugt5. Man stelle sich ein Wurzelkanalinstrument mit fixierter Spitze vor, auf welches eine Rotationskraft übertragen wird – aufgrund der Flexibilität der NiTi-Legierung wird das Instrument eine Drehung bis zur Fraktur mitmachen. Studien belegen6, dass eine Drehung des Instrumentes bis ca. 200° ohne Folgen für die Stabilität des Instrumentes ist; bis ca. 400° befindet sich die Legierung in einer elastischen Phase. Nach Beenden der Krafteinwirkung kehrt das Material in seine Ursprungsform zurück; zwischen 400° bis ca. 1.000° befindet sich die Legierung in einer sogenannten plastischen Deformationsphase, makroskopisch kann man Entwindungen und Deformationen des Instrumentes erkennen. Bei ca. 1.000° kommt es zur Spontanfraktur des Ni- Ti-Instrumentes. Dieses Materialverhalten ist allen auf dem Markt vorhandenen NiTi-Instrumenten gleich. Das reziproke Bewegungsmuster erfolgt in einem Links-rechts-Wechsels und bis zu einem Rotationswinkel von 120°. Dadurch entstehen, auch im Falle einer stärkeren Beanspruchung des Instrumentes im Wurzelkanal, keine Schäden an der Instrumentengeometrie. Drei reziproke Zyklen sind somit notwendig, bis das Instrument eine volle 360°-Drehung beschreibt.

Das RECIPROC®-System …

Unter dem Begriff RECIPROC®-System (VDW, München) versteht man die Instrumente selber, die darauf abgestimmten Papierspitzen und Guttapercha- Stifte. Alle RECIPROC®-Instrumente wurden aus der hochflexiblen M-wire-NiTi-Legierung hergestellt und haben eine „doppel-S“-Querschnittsform. Die neue Legierung zeigt optimierte elastische Eigenschaften und ein besseres zyklisches Ermüdungsverhalten, verglichen mit der herkömmlichen NiTiNOL-Legierung. Dies ist wahrscheinlich dadurch zu erklären, dass die Vickers-Härte der M-wire-Legierung viel höher als die im Vergleich zur NiTi-Legierung ist7.

Die RECIPROC®-Instrumente sind in Längen von 21, 25 und 31 mm erhältlich.

  • Abb. 1: Das RECIPROC®-Instrumentenset.

  • Abb. 1: Das RECIPROC®-Instrumentenset.
Alle Instrumente sind ISOkonform am Schaft farblich kenngezeichnet und haben zur Erleichterung der Arbeitslängenbestimmung während der Aufbereitungsphase Tiefenmarkierungen bei 18, 19 und 20 mm (Instrumente mit 21 mm Länge), 18, 19, 20 und 22 mm (Instrumente mit 25 mm Länge) und 18, 19, 20, 22 und 24 mm (Instrumente mit 31 mm Länge). Das RECIPROC®-Instrumentensystem besteht aus drei Instrumenten (Abb. 1) mit unterschiedlichen geometrischen Merkmalen: R25: das Instrument hat einen apikalen Durchmesser von 0,25 mm (ISO 25) und eine Konizität (Taper) von 8% in der ersten 3 mm apikal. Der Durchmesser D16 beträgt 1,05 mm. R40: das Instrument hat einen apikalen Durchmesser von 0,40 mm (ISO 40) und eine Konizität (Taper) von 6% in der ersten 3 mm apikal. Der Durchmesser D16 beträgt 1,10 mm. R50: das Instrument hat einen apikalen Durchmesser von 0,50 mm (ISO 50) und eine Konizität (Taper) von 5% in der ersten 3 mm apikal. Der Durchmesser D16 beträgt 1,17 mm.

… und seine Anwendung

Auf präoperativen Röntgenübersichtsaufnahmen werden Befunde, wie Kanaldurchmesser, Kanalkrümmungen oder Unterbrechungen der Kanalkontur erfasst. Nach dem Anlegen von Kofferdam, der Schaffung eines geradlinigen Zuganges zum Wurzelkanal und der übersichtlichen Darstellung des Kanaleinganges wird eine initiale Kanalsondierung mit einem Stahlhandinstrument ISO 006, 008 oder 010 durchgeführt. In Wurzelkanälen mit weitem Durchmesser wird das erste apikal klemmende Instrument ein- und anschließend eine erste elektrometrische Erfassung der Arbeitslänge durchgeführt. Eine koronale Kanalerweiterung („preflaring“) ist nicht erforderlich, die Instrumentengeometrie ermöglicht die apikale Progression.

  • Abb. 2: Instrument R25, Papier- und Guttaperchaspitze gleicher Geometrie.

  • Abb. 2: Instrument R25, Papier- und Guttaperchaspitze gleicher Geometrie.
Wenn das Handinstrument ISO 010 als letztes passiv die Wurzelkanalspitze erreicht, kann die reziproke Wurzelkanalaufbereitung mit der RECIPROC®-Feile mit 0,25 mm Durchmesser erfolgen. Diese wird von koronal nach apikal in den Kanal eingesetzt, nach ca. 3 Auf- Ab-Bewegungen wird die Feile aus dem Kanal entfernt. Dieser wird anschließend ultraschallunterstützt gespült und mithilfe des Handinstrumentes ISO 010 die Kanalgängigkeit überprüft. Dieses Prozedere wird wiederholt, bis die RECIPROC®-Feile den elektrometrisch erfassten und röntgenologisch dargestellten apikalen Referenzpunkt erreicht. Weite Kanäle können in ähnlicher Weise direkt mit dem RECIPROC®-Instrument 040 oder 050 aufbereitet werden. In manchen Fällen kann der Durchmesser des apikalen Foramens größer als ISO #50 sein, wobei geeignete Instrumente zum Einsatz kommen müssen, um dieser anatomischen Spezialkonfiguration gerecht zu werden. In den allermeisten Fällen aber wird die Aufbereitung bis ISO 50 genügen, um eine effektive Bakterienreduktion zu erreichen und den Kanal anschließend hermetisch füllen zu können. RECIPROC®-Papierspitzen und Guttapercha- Stifte (Abb. 2) sind auf die Instrumentengeometrie abgestimmt (Länge und Konizität), um einerseits die effektive Trocknung der während der Aufbereitungsphase gespülten Kanäle und andererseits die dreidimensional stabile bakteriendichte Füllung der aufbereiteten Wurzelkanäle bis zur apikalen Konstriktion zu ermöglichen.

Der Endodontie-Motor (Abb. 3) kann sowohl für die reziproke als auch für die klassische rotierende Aufbereitung vorprogrammiert werden. Die Instrumentendatenbank umfasst das RECIPROC®- und das WaveOne®- System, rotierende Systeme wie Mtwo®, FlexMaster®, ProTaper® oder K3® sind bereits vorprogrammiert. Für die Anwendung von Gates Bohrern sind ebenfalls fest gespeicherte Werte vorhanden. Der Anwender kann auch über die Option „Dr’s Choice“ eigene Werte – Rotationsgeschwindigkeit und Torque – vorprogrammieren und somit die Aufbereitung mittels der Hybridtechnik durchführen. Die zwei Motorausführungen SILBER oder GOLD unterscheiden sich durch das Vorhandensein der integrierten elektrometrischen Längenmesstechnik und weiterführenden programmierbaren Menüfunktionen.

  • Abb. 3a: RECIPROC® Silver Endodontiemotor.
  • Abb. 3b: RECIPROC® Gold Endodontiemotor.
  • Abb. 3a: RECIPROC® Silver Endodontiemotor.
  • Abb. 3b: RECIPROC® Gold Endodontiemotor.

Die Arbeitslängenbestimmung

Die Festlegung der apikalen Aufbereitungs- und Füllungsgrenze hängt von der präoperativen Ausgangssituation ab. Ist der endodontische Behandlungsbedarf als Folge einer irreversiblen Pulpitis oder einer bereits im periapikalen Bereich vorgedrungenen bakteriellen Besiedlung entstanden, erfolgt die Arbeitslängenbestimmung in der Regel mithilfe röntgenologischer Verfahren und zunehmend mit modernen elektrometrischen Messmethoden8. Aktuelle Elektrometriegeräte, wie z. B. das Raypex 6 (VDW, München), beruhen auf dem Prinzip der Impedanzdifferenz zwischen der Mundschleimhaut und dem Desmodont (6,5 kOhm). Unzählige Studien bescheinigen der elektrometrischen Arbeitslängenbestimmung eine hohe Genauigkeit der Messung von 0,5 mm in > 90 % der Messfälle. Vor allem in Situationen, wo röntgenologisch die apikale Region nicht eindeutig darstellbar oder die Wurzelkontur nicht perfekt erkennbar ist (Superposition von weiteren ossären Strukturen, z. B. Oberkiefermolaren, etc.) vermag die elektrometrische Längenbestimmung die Position der apikalen Referenz eindeutig zu lokalisieren. Durch die Anwendung dieser Messverfahren kann somit die Anzahl der Röntgenaufnahmen zur genauen Bestimmung der Arbeitslänge reduziert werden9. Ebenso kann dadurch ei- ne endodontische Behandlung bei schwangeren Patientinnen oder bei Kindern problemlos und sicher durchgeführt werden.

Das Spülprotokoll

Studien10 belegen eindrucksvoll, dass mit rein mechanischer Aufbereitung nur etwa 65 % des Kanalwandareals erreicht werden, für eine effektive Bakterienelimination ist eine intensive Spülung entscheidend. Die Wurzelkanalspülung ergänzt die mechanische Aufbereitung und unterstützt die Entfernung von infizierten Gewebsresten, nekrotischem Material oder infizierten Dentins11. Infizierte und mechanisch nicht gereinigte Kanalwandareale können durch die Anwendung rigoroser ultraschallunterstützter Spülprotokolle gründlich gereinigt und desinfiziert werden.

Die Effektivität der Wurzelkanalspülung beruht einerseits auf den gewebsauflösenden Eigenschaften der Irrigantien, andererseits auf der Penetrationskraft dieser Agentien in das gesamte Kanalsystem. Die am meisten verwendete Spüllösung in der Endodontie ist die NaOCl Lösung in Konzentrationen zwischen 0,5–5,25 %. Es konnte gezeigt werden, dass die einfache Spülung mithilfe einer Spritze eine reduzierte Penetrationskraft in allen Bereichen des endodontischen Systems besitzt12. Die Spülwirkung kann aber mittels Ultraschallschwingungen erheblich gesteigert werden.

  • Abb. 4: Ultraschallquelle.

  • Abb. 4: Ultraschallquelle.
Studien belegen eindrucksvoll, dass die Ultraschallaktivierung eine signifikante Erhöhung der antibakteriellen Wirkung der Spülmittel erreicht. Glatte, nicht abtragende Ultraschallansätze wie der IRRI S-Ansatz (VDW, München) aus geglättetem Draht, welche passiv in den aufbereiteten Kanal eingeführt werden, eignen sich am besten zur Aktivierung der Spüllösung im Wurzelkanal. Die Ultraschallquelle kann auf eine niedrige Energiestufe eingestellt werden um sicher zu stellen, dass keine unbeabsichtigte Abtragung von Kanalwanddentin erfolgt. Da die Ultrasschallschwingung die größte Amplitude an der Instrumentenspitze zeigt, wird ein Spülstrom von apikal nach koronal erzeugt, welcher den Kanalinhalt nach koronal transportiert (Abb. 4). Während der ultraschallaktivierten Kanalspülung kann man – am besten unter Zuhilfenahme des Dentalmikroskopes – die Eintrübung der sonst klaren Spüllösung durch Dentindebris und Restgewebe erkennen. Auch andere Arbeitsschritte der endodontischen Therapie können mithilfe der Ultraschalltechnik durchgeführt werden, darunter kann man folgende erwähnen:

  1. Feinpräparation der Zugangskavität, Auffinden von Wurzelkanälen, Entfernen von Kalzifikationen aus dem Pulpenkavum
  2. Entfernen von Hindernissen, wie frakturierte Instrumente, Wurzelstifte oder insuffizienten Füllungen aus dem Wurzelkanal
  3. Wurzelkanalaufbereitung (Feinpräparation graziler Strukturen wie Isthmen oder Furkationen)
  4. Thermomechanische Plastifizierung von Guttapercha mit entsprechender Wurzelfüllungstechnik
  5. Applikationshilfe für MTA®
  6. Chirurgische Endodontie – Präparation von retrograden Kavitäten und Applikationshilfe für retrogrades Füllungsmaterial.

Die Wurzelkanalfüllung

Die Wurzelkanalfüllung stellt eine wichtige Etappe der endodontischen Therapie dar und hat als Ziel die dreidimensional stabile und bakteriendichte Versiegelung des zuvor aufbereiteten und desinfizierten Kanalsystemes1. Durch die Adaptation des Wurzelfüllmateriales an die innere Geometrie des aufbereiteten Wurzelkanals erfüllt die Wurzelkanalfüllung eine wichtige Barrierefunktion – sie verhindert den Zutritt von Bakterien und bakteriellen Stoffwechselprodukten von koronal nach apikal (coronal leakage) und verhindert die Penetration von Gewebsflüssigkeit von apikal in das endodontische System (apical leakage). Wichtige Materialeigenschaften, welche die Qualität der späteren Wurzelkanalfüllung beeinflussen können, sind u. a.:

  1. die Adaptation an die Geometrie des aufbereiteten Wurzelkanales
  2. die Möglichkeit der apikalen Längenkontrolle – um Überfüllungen und Extrusion von Füllungsmaterial über dem apikalen Endpunkt hinaus zu verhindern.
  3. die Biokompatibilität – um keine Fremdkörperreaktion im periapikalen Raum zu verursachen
  4. die Stabilität – die lange Liegedauer und der mögliche Kontakt zu verschiedenen Gewebsflüssigkeiten sollen nicht zum Auflösen der Füllung führen
  5. Entfernbarkeit – um im Fall einer notwendigen Revisionsbehandlung die vorhandene Wurzelkanalfüllung leicht und sicher entfernen zu können.

Diesen Anforderungen wird in erster Linie Guttapercha als Wurzelkanalfüllmaterial gerecht. Neuerdings wurden auch andere Materialien, z. B. auf Kunststoffbasis, als Alternative zur Guttapercha entwickelt. Durch Applikation eines vertikal orientierten Druckes auf die im Kanal plastifizerte Guttapercha erhöht man den Adaptationsgrad an die Kanalwände. Die dadurch resultierenden Füllungen sind extrem dicht und erfüllen somit die erwähnten Hauptforderungen an die Wurzelkanalfüllung. Die Wurzelkanalfülltechnik mit thermisch plastifizierter Guttapercha wurde erstmalig 1967 von Herbert Schilder beschrieben und ist unter dem Begriff „Schilder-Technik“ bekannt geworden. Ein passender Guttaperchastift wird bis 1 mm vor Erreichen der Arbeitslänge eingeführt und hat nur in den apexnahen 3–5 mm Kontakt mit der Wurzelkanalwand („tug back“-Effekt). Der Guttaperchastift wird durch Erwärmung mithilfe eines geeigneten Wärmeträgers („heatcarrier“ oder Plugger) plastifiziert, portionsweise gekürzt und mit passenden Stopfern nach apikal vertikal kompaktiert. Die thermoplastifizierte Guttapercha füllt dabei den apikalen Kanalanteil und etwaige Ramifikationen, Isthmen oder Lateralkanälchen in der apexnahen Region. Nach dieser apikal gerichteten Füllungsphase (downfill, downpack) werden anschließend Portionen von Guttapercha in den Kanal eingebracht, plastifiziert und mit geeigneten Stopfern vertikal kondensiert bis der gesamte Wurzelkanal gefüllt ist (backfill, backpack). Die wohl bekannteste, gleichzeitig einfachere Technikvariante zur Wurzelkanalfüllung mit thermoplastifizierter Guttapercha wurde von Buchanan im Sinne der „continuous wave-Technik“ beschrieben13. Diese Technik erlaubt es in der downpack- Phase mit einem Kombinationsgerät mit Spreader- und Pluggerfunktion, die thermoplastifizierte Guttapercha im apikalen Kanalanteil zu kompaktieren. Der mittlere und koronale Kanalanteil können dann mittels der Injektionstechnik mit thermoplastifizierter Guttapercha gefüllt werden. Die „continuous wave“–Technik ist weniger zeitintensiv im Vergleich zur „Schilder“-Technik.

Da die Technik einen hohen apparativen Aufwand verursacht und auch aus ergonomischer Sicht das Behandlungsteam stark beansprucht, wurden in letzter Zeit Kombinationsgeräte entwickelt, welche beide Funktionen in einem Gerät vereinen. Ein Beispiel ist BeeFill2in1® (Abb. 5.), bei dem in einem Gerät beide Funktionen für die downpack- und für die backfill-Phase vereint sind.

  • Abb. 5: 2in1-Gerät für die Wurzelkanalfüllung mit thermoplastifizierter Guttapercha.

  • Abb. 5: 2in1-Gerät für die Wurzelkanalfüllung mit thermoplastifizierter Guttapercha.
Das gut lesbare Display zeigt auf der linken Hälfte die Bedienungstasten für das Downpack (Wärmequelle) und auf der rechten Hälfte die Bedienungstasten für das Backfill zum Injizieren des thermoplastifizierten Füllungsmaterials. Im oberen Bereich ist eine Temperaturanzeige vorhanden, Einstellungen können für zwei Behandler individuell gespeichert werden (Memory-Funktion). Ebenso vorhanden ist eine Taste zur Aktivierung einer akustischen Signalisierung bei Erreichen der Betriebstemperatur. Mit einem passenden Arbeitsende (thermische Sonde) kann die Reaktion der Zähne auf Wärme getestet werden („TR“-Taste = thermic response). Bei der downpack-Phase wird ein der präparierten Kanalgeometrie kongruenter Guttaperchastift (RECIPROC®- Guttaperchastift) auf Arbeitslänge eingeführt und die apikale Passgenauigkeit/ Klemmwirkung (tug back Effekt) kontrolliert. Der Hitzeplugger der Wärmequelle (linkes Gerät der BeeFill2in1® Einheit) wird ebenfalls kontrolliert: er soll bis 3–5 mm vor Erreichen der Arbeitslänge eingeführt werden können, ohne an der Kanalwand zu klemmen. Der trockene Wurzelkanal wird mit einer sehr geringen Menge Sealer benetzt und der Guttaperchastift wird bis auf Arbeitslänge minus 1 mm eingeführt. Durch Druck auf den grauen Gummiring des Handstückes wird der Plugger erhitzt und mit einem konstanten Druck nach apikal bis auf Arbeitslänge minus 3–5 mm eingeführt. Die Wärmeapplikation wird unterbrochen, der Plugger wird unter leichtem, nach apikal gerichtetem Druck für ca. 10 Sekunden auf dieser Eindringtiefe gehalten. Durch nochmaliges Aktivieren des Wärmepluggers wird dieser mit einer schnellen Bewegung aus dem Wurzelkanal herausgezogen, dabei bleibt ein apikaler Guttaperchastopp im Kanal zurück. Dieser wird anschließend mit einem entsprechenden Plugger (z. B. Machtou- Plugger oder NiTi-Plugger) vertikal kondensiert, sodass der Wurzelkanal auf Arbeitslänge gefüllt wird. Die backfill-Phase wird mit dem Applikationsgerät auf der rechten Seite der Einheit durchgeführt. Die Applikationskanüle wird bis auf Kontakt mit dem apikalen Guttaperchastopp eingeführt. Das Auffüllen des mittleren und koronalen Kanalanteiles kann in einer oder mehreren Etappen erfolgen, dies hat keine Konsequenz auf die Adaptation der Füllung an die Kanalgeometrie14. Die injizierte Guttaperchamasse wird mit passenden Pluggern bis zum Abkühlen vertikal kondensiert, um einer thermischen Schrumpfung der Guttapercha vorzubeugen. Nach Auffüllen aller Wurzelkanäle werden die Kanaleingänge mit einem Feinhybridkomposit abgedeckt. In Fällen, in denen die Applikation eines intraradikulären Stiftes im Rahmen der postendodontischen Versorgung notwendig ist, wird nur der apikale Kanalanteil nach der oben beschriebenen Technik gefüllt. Im koronalen Anteil kann dann der Stift z. B. im Falle der Glasfaserstifte nach dem Adhäsivverfahren eingesetzt und befestigt werden.

Fallbeschreibung

Aufgrund einer starken Schmerzempfindung regio 46–48, vor allem nach thermischer Reizung bei kalt, suchte die 50-jährige Patientin zunächst ihre Hauszahnärztin auf, welche im Rahmen der Schmerzdiagnostik Zahn 47 als Ursache der Symptomatik erkannte. Daraufhin wurde die vorhandene insuffiziente Krone des Zahns 47 unter Leitungsanästhesie entfernt und der Zahn trepaniert. Aufgrund extremer Obliteration der Wurzelkanäle waren diese nicht lokalisierbar, die Patientin wurde mit der Bitte zur endodontischen Weiterbehandlung überwiesen.

  • Abb. 6: Zahn 47 Übersichtsaufnahme.

  • Abb. 6: Zahn 47 Übersichtsaufnahme.
Die präoperative Röntgenaufnahme (Abb. 6) zeigt die Position der alio loco durchgeführten Trepanation (Zugangskavität mit röntgenopakem Material verschlossen), extrem enge Wurzelkanäle (distal ist die Kanalkontur nicht, mesial nur im koronalen Drittel erkennbar) und eine apikale Transluzenz. Die klinischen und röntgenologischen Befunde führten zur Diagnosestellung: akute Exazerbation einer chronisch apikalen Parodontitis. Die Patientin wurde über die durchzuführende Behandlung aufgeklärt und wünschte die Behandlung mit dem Ziel, Zahn 47 zu erhalten. Da der Zahn parallelwandig präpariert vorlag, wurde der Kofferdam durch Fixierung der Klammern an 48 und 46 angebracht. Unter Zuhilfenahme des Dentalmikroskopes wurden die Trepanation durchgeführt, die Kanaleingänge lokalisiert und mithilfe von RECIPROC® Handinstrumenten aus Stahl in den ISO-Größen 006, 008 und 010 sondiert. In den mesialen Wurzelkanälen konnte das Instrument ISO 008 gerade noch den apikalen Terminus (durch elektrometrische Messung wiederholt reproduzierbar) passiv erreichen, das nächst größere Instrument ISO 010 musste aktiv bis auf Arbeitslänge eingeführt werden. Diese Aspekte begründeten die Entscheidung, die mesialen Kanäle mit dem RECIPROC®-Instrument R25 aufzubereiten. Auf eine Gleitpfaderstellung kann verzichtet werden, das Instrument verfolgt den „Weg des geringsten Widerstandes“ entsprechend dem Kanallumen bis auf Arbeitslänge. Das Instrument R25 wurde unter reziproken Bewegungen im Kanal eingeführt, und mit leich- ten Auf/Ab-Bewegungen in apikaler Richtung geführt. Nach drei solchen Zyklen wurde das Instrument aus dem Kanal entfernt und im Interimsstand gereinigt, der Kanal wurde ultraschallunterstützt gespült. In der nächsten Etappe wurde das Instrument weiter apikalwärts geführt und das Prozedere solange wiederholt, bis die Arbeitslänge erreicht und der Kanal komplett gereinigt wurde (meistens 4–6 Zyklen). Im distalen Wurzelkanal konnte eine ISO 20 Handfeile passiv auf Arbeitslänge eingeführt werden, daher kam hier das RECIPROC®-Instrument R40 in gleicher Weise zur Anwendung. Die Messaufnahme wurde mit Guttapercha-Masterstiften (RECIPROC®-Guttapercha) durchgeführt (Abb. 7 u. 8).
  • Abb. 7: Röntgenmessaufnahme/Masterpointaufnahme.
  • Abb. 8: Klinische Ansicht der Guttaperchastifte in den Wurzelkanälen.
  • Abb. 7: Röntgenmessaufnahme/Masterpointaufnahme.
  • Abb. 8: Klinische Ansicht der Guttaperchastifte in den Wurzelkanälen.

Nach der Formgebung (Erweiterung) aller Kanäle erfolgten eine letzte Wurzelkanalspülung und die anschließende dreidimensional stabile und bakteriendichte Wurzelkanalfüllung mit thermoplastifizierter Guttapercha in vertikaler Kompaktionstechnik. Eine orthoradiale und mesial-exzentrische Röntgenkontrolle erfolgte nach Durchführung der Behandlung (Abb. 9 u. 10). Der Zahn wurde mit einer provisorischen Krone versorgt und die Patientin zur Durchführung der definitiven prothetischen Versorgung an ihre Hauszahnärztin zurück überwiesen.
  • Abb. 9: Röntgenkontrollaufnahme orthoradial.
  • Abb. 10: Röntgenkontrollaufnahme mesial-exzentrisch.
  • Abb. 9: Röntgenkontrollaufnahme orthoradial.
  • Abb. 10: Röntgenkontrollaufnahme mesial-exzentrisch.

Fazit

Die Aufbereitungstechnik mithilfe der reziprok arbeitenden NiTi-Instrumente stellt eine Vereinfachung der sonst so komplexen Instrumentenanwendung während der Wurzelkanalaufbereitung dar. Auch wenn die ersten Eindrücke des Anwenders hinsichtlich Effizienz und Sicherheit der Instrumente positiv ausfallen, sind weitere Studien notwendig, um die Effektivität der mechanischen Kanalreinigung durch dieses Verfahren zu untersuchen.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. Peter Kiefner

Bilder soweit nicht anders deklariert: Dr. Peter Kiefner