Viele prothetische Arbeiten erfordern nach wie vor ein hohes Maß an handwerklichem Geschick und individueller Veredelung. Mag eine Einzelkrone im Seitenzahnbereich heute monolithisch in Maltechnik komplett im digitalen Workflow (modellfrei) umsetzbar sein, erfordern größere festsitzende Arbeiten und abnehmbare Prothetik häufig noch ein analoges Arbeitsmodell. Auf diesem wird keramisch verblendet, Kontaktpunkte werden adjustiert und die Okklusion wird geprüft. Es ist die erwähnte Schnittstellenthematik zwischen digitaler Datenerfassung und teils analoger Weiterverarbeitung, die den effizienten Gesamtworkflow meist noch unterbricht. In diese Lücke greifen die flexiblen Einsatzmöglichkeiten des 3D-Druckes und erweitern die Fertigungskette der digitalen Zahnmedizin.
3D-Druck in der Zahnmedizin
3D-Drucker finden seit einigen Jahren Anwendung in der Zahnmedizin zur Herstellung von Modellen, Prototypen, Provisorien, Bohrschablonen [23,24], individuellen Löffeln, Schienen und vielem mehr. Die Abbildungen 1a bis c zeigen einige Fallbeispiele aus der täglichen Praxis unter Verwendung verschiedener Drucktechnologien. Auf diesem Wege können digitale Oberflächendaten in ein reales, analoges Modell transferiert werden. Viele Intraoralscanner ermöglichen heute den direkten Export der Datensätze aus der Scansoftware. Diese können anschließend mit speziellen Software-Programmen in druckfähige Dateien umgewandelt werden.
Mittlerweile haben sich 3 verschiedene Drucktechnologien in der Zahnmedizin und Zahntechnik durchgesetzt:
- DLP (Digital Light Processing)
- SLA (Stereolithografie)
- FDM (Fused Deposition Modeling/Filament)
Die Vorteile des DLP- und SLA-Druckes liegen im Bereich der Präzision, deren Nachteile in zum Teil aufwendigen Nachbearbeitungsprozessen (Reinigung und Lichthärtung). Es existieren inzwischen bereits druckfähige Materialien, die sterilisiert werden können oder für den zeitlich begrenzten Einsatz intraoral zugelassen sind. Bei den sogenannten Filamentdruckern gibt es eine Vielzahl von Materialien. Meist kommt ein Kunststofffilament aus PLA (polylactid acid, Milchsäure) zum Einsatz, welches kompostierbar und biologisch abbaubar ist. Eine zeitaufwendige Nachbearbeitung der gedruckten Modelle entfällt. Zudem sind die Druckkosten bei diesem Verfahren sehr gering.
Ob sich die Investition in einen 3D-Drucker zum jetzigen Zeitpunkt bereits wirtschaftlich lohnt, muss auf Grundlage der individuellen Praxisgegebenheiten analysiert werden. Unbestritten ist hingegen die zukünftige Bedeutung des 3D-Druckes in der Zahnmedizin.
Digitale Strategien am Beispiel einer konventionellen Brückenversorgung
Auch am Beispiel eines rein digitalen Workflows in der konventionellen Prothetik eröffnen sich uns heute neue Wege in der Vorgehensweise (Abb. 2a bis f). Dies wird im Folgenden am Beispiel einer vollkeramischen mehrgliedrigen Brückenrekonstruktion im Oberkiefer-Seitenzahnbereich erläutert. Nach der Darstellung der Präparationsränder und der abschließenden Feinpräparation erfolgten der intraorale Scan (Cerec Primescan) beider Kiefer und das bukkale Registrat in zentrischer Okklusion. Dies ist mit Intraoralscannern der neuesten Generation in ca. 2 bis 4 Minuten mit hoher Präzision möglich. Eine wissenschaftlich erprobte Scanstrategie? hilft dabei, die Präzision des Scans zu erhöhen und gleichzeitig die Scanzeit zu reduzieren [11,12, 13,14].
Mehrgliedrige Brückenrekonstruktionen sind meist nicht für ein Single-Visit-Konzept geeignet (v.a. lange Zeiten im Sinterofen etc.). In diesen Situationen bietet sich der digitale Datenversand zum Zahntechniker (z.B. Cerec Connect Case Center) oder externen CAD/CAM-Dienstleister an, der in wenigen Minuten direkt von der Aufnahmeeinheit aus realisiert werden kann.
An dieser Stelle der Behandlung ergibt sich nun ein weiterer Vorteil: Der Zahntechniker hat die Möglichkeit, die digitale Abformung zu prüfen und mögliche Rückmeldungen sofort an den Behandler weiterzugeben, während der Patient noch im Behandlungsstuhl sitzt. Zusätzliche aufwendige Korrekturtermine? können somit effektiv vermieden werden – eine Sicherung der Effizienz des Behandlungsablaufes.
Zahntechnisch kann der Datensatz gleich in der digitalen Prozesskette im CAD weiterverarbeitet werden. Unser Praxiskonzept sieht es vor, im nächsten Schritt eine Funktions- und Ästhetikeinprobe mit einem PMMA-Prototyp durchzuführen. Dieser kann kostengünstig aus einer Ronde geschliffen werden und dient zur Überprüfung der Form (bukkaler Korridor), der Auflage des Pontic, der Kontaktpunkte und des okklusalen Konzeptes. Im Gegensatz zu einer Rohbrandeinprobe (aus ZrO2) können mit dieser Materialklasse ganz einfach und rasch Korrekturen durch Addition oder Subtraktion durchgeführt werden, ohne das definitive keramische Brückenmaterial zu schädigen.
Ein weiterer Vorteil ergibt sich nun an dieser Stelle durch den digitalen Workflow: Über die eingesetzte und angepasste Prototypbrücke wird ein Biokopiescan angefertigt. Diesen kann der Zahntechniker mit dem Originaldesign der Brückenrekonstruktion überlagern (matchen) und erhält somit ein digitales Korrekturmodell, das der intraoral angepassten Situation der Patientin entspricht. Abschließend erfolgt der CAM-Prozess zur Herstellung einer monolithischen, bukkal verblendeten (Cut-back-Technik) ZrO2-Rekonstruktion mit einer sehr hohen Passgenauigkeit (Labor Nicola Lanfranconi; Zürich, Schweiz) [18,19].
Digitale Strategien am Beispiel einer Schienentherapie
Zur funktionsorientierten Einbindung der individuellen Lagebeziehung des Oberkiefers kommen traditionell Gesichtsbogenregistrate zum Einsatz. Diese sollen die Oberkiefermodelle passend zur terminalen Scharnierachse in den Artikulator übertragen. Asymmetrien führen jedoch nicht selten zu Ungenauigkeiten in der Registrierung. Die Folge: ein häufig in der Okklusion nicht passender Zahnersatz, der korrigiert werden muss.
Das PlaneFinder System [20] (nach U. Plaster) in Kombination mit einem Gesichtsscan (Face Hunter, Zirkonzahn) ermöglicht die Referenzierung und Beibehaltung der Ala-Tragus-Ebene, die parallel zur Kauebene verläuft und durch die Natural Head Position (NHP) des Patienten reproduzierbar bleibt (Abb. 3). Asymmetrien können durch die bilaterale Bestimmung der Neigungswinkel definiert werden. Dadurch wird es möglich, die Referenzebene im Wechselspiel des analog-digitalen Workflows in der Prothetik immer beizubehalten.
Der Gesichtsscan dient dem Zahntechniker als ästhetisch-funktionelle Orientierung bei der Gestaltung des Zahnersatzes. Dem Zahnarzt ermöglicht er eine optimale Visualisierung des definitiven Ergebnisses und kann hervorragend zur Patientenkommunikation eingesetzt werden. Dabei wird der Oberkiefer mithilfe der TransferFork-Übertragungsgabel zum 3D-Gesichtsscan (und schädelbezogen) referenziert. In der Software können dann alle Modellscans, die TransferFork sowie der Gesichtsscan zueinander gematcht werden und dienen dem Zahntechniker als virtuelles Patientenmodell am Arbeitsplatz. Die Abbildungen 4a bis h zeigen den digitalen Workflow an Beispiel der Herstellung einer adjustierten Okklusionsschiene (mit freundlichen Unterstützung von Graf Dentaltechnik; Zürich, Schweiz).
Digitale Strategien am Beispiel des Single-Visit-Dentistry-Konzeptes
Im 1. Teil des Beitrages sprachen wir über die Effizienz und Effektivität des volldigitalen Workflows in der Zahnmedizin, die zu einer optimierten Ergebnisqualität für den Patienten im Sinne einer angenehmeren Behandlung ohne Abdrucknahme, einer Zeit- und Terminersparnis sowie einer Kostenreduktion der Behandlung führen kann. Die digitale Chairside- bzw. Single-Visit- Dentistry gewinnt mit ihrer Termineffizienz auch im Sinne der Hygiene und des Patientenschutzes eine neue Bedeutung. Viele Behandlungen können in nur einer Sitzung durchgeführt werden, ein zweiter Besuch in der zahnärztlichen Praxis entfällt.
Heute haben sich die Indikationen von reinen Einzelzahnrekonstruktionen (Inlay, Onlay, Overlay, Teilkrone, Krone) – nicht zuletzt durch die neue Vielfalt der CAD/CAM-Materialien und verbesserter intraoraler, puderfreier Scantechnologien – bedeutend weiterentwickelt:
- Adhäsivbrücken und konventionelle Brückenrekonstruktionen
- festsitzende Implantatrekonstruktionen (verschraubt bzw. individuelle Abutments)
- Cerec „Endokrone“
- Veneerversorgungen in der ästhetischen Zone mit „Smile Design“
- Okklusionsanalysen und „Virtueller Artikulator“
- kieferorthopädische Analysen (Cerec Ortho)
- Verlaufskontrollen und Analysen (Oracheck)
Das folgende Fallbeispiel aus der Praxis beschreibt das Single-Visit- Dentistry-Konzept am Beispiel einer Chairside-Veneerversorgung in der ästhetischen Zone aus dem Jahr 2014.
Veneerversorgungen werden in der Regel aus einer ästhetischen Indikation heraus gestellt und erfordern ein besonderes Maß an Fallanalyse und Planung, um ein hochwertiges Behandlungsergebnis zu erzielen. Längst nicht alle Indikationen sind geeignete Fälle, die direkt in einer Sitzung chairside gelöst werden können. Der vorliegende Fall stellt somit eher eine Ausnahme als die Regel dar, er soll aber exemplarisch die Möglichkeiten des Verfahrens darstellen.
Die Abbildungen 5a und b zeigen die intraorale Ausgangssituation des Patienten aus dem Jahre 2014 und verdeutlichen den patientenseitigen Wunsch nach einem ästhetischen Lückenschluss. Anspruchsvolle Ausgangssituationen lassen sich vorhersagbar nur durch eine entsprechende Simulation der prothetischen (oder kieferorthopädischen) Zielsituation erfassen und analysieren. Dies kann heute volldigital simuliert und visualisiert werden.
Zum damaligen Zeitpunkt wurde im Vorfeld ein Mock-up auf Grundlage eines analoges Wax-up erstellt und intraoral einprobiert (Abb. 5c und d). Nach Aufklärung des Patienten über mögliche Alternativtherapien (KFO), Risiken und mögliche Komplikationen wurden die Zähne 13 bis 23 unter maximaler Schonung der Hartsubstanz minimalinvasiv präpariert. Nach dem intraoralen Scan mit der Cerec Omnicam erfolgte das CAD im virtuellen Umfeld des Smile Designer [25] anhand der Vorlage des Cerec-Bio-kopiescans der Wax-up-Simulation (oder alternativ anhand des intraoral gescannten Mock-up).
Ein Portraitfoto des Patienten wird in die Cerec-Software importiert und anhand definierter Referenzpunkte sowie einer dimensionsgetreuen Kalibrierung durch Bestimmung des lateralen Augenwinkelabstandes in ein 3D-Bild umgerechnet. Anschließend wird eine Deckungsgleichheit zwischen den Zähnen im 3D-Modell und den Zähnen auf dem 2D-Foto erreicht. Nun ist eine Gestaltung der Frontzähne nach ästhetischen Richtlinien im virtuellen Umfeld des Patientengesichtes möglich (Abb. 5e und f).
Zudem liefern der virtuelle Artikulator und der okklusale Kompass anhand vordefinierter Werte (hier Mittelwerte) wichtige Analysen zur funktionellen Gestaltung der Rekonstruktionen, z.B. in Abbildung 5g als gelb markierte Protrusionspfade – ein wichtiges Kriterium für die langfristige Reduktion eines möglichen Chipping-Risikos der Keramik.
Als Material wurden IPS Empress Multi-CAD-Blöcke mit einem transluzenten Farbverlauf gewählt (Abb. 5h). Diese wurden nach dem CAM-Prozess direkt im Sinne einer Rohbrand- und Ästhetikeinprobe mit Variolink Try-in-Paste eingesetzt (Abb. 5i).
Anschließend erfolgten die Feinstrukturgebung sowie der abschließende Mal- und Glanzbrand (Abb. 5j und k). Die definitiven Rekonstruktionen wurden nach Protokoll unter Kofferdam mit Variolink Veneer (heute Variolink esthetic/Ivoclar Vivadent) eingesetzt. Die Abbildungen 5l und m zeigen die Situation direkt nach der Eingliederung.
Die Verlaufskontrolle 1 Jahr nach Eingliederung vor erfolgter Prophylaxesitzung (Abb. 5n und o) sowie die Dokumentation nach 6 Jahren (Abb. 5p und q) zeigen eine stabile Rot-WeißÄsthetik und das Lächeln des glücklichen Patienten. Die Gesamttherapie wurde in nur einer Behandlungssitzung realisiert.
Fazit
Digitale Strategien ermöglichen es, in der konventionellen Prothetik zunehmend neue Wege zu beschreiten. Intraorale Scantechnologien der neuesten Generation ermöglichen materialunabhängige Ganzkieferaufnahmen in wenigen Minuten. Softwareprogramme mit künstlicher Intelligenz (AI) sowie maschinellem und tiefem Lernalgorithmus (ML/DL) ermöglichen das CAD (Design) sowie weiterführende Therapiesimulationen (z.B. in der Kieferorthopädie). Zur Einbindung der patientenindividuellen Funktion und Ästhetik können weitere Schnittstellen, wie die digital gestützte Funktionsanalyse, oder ein 3DGesichtsscan, genutzt werden.
Längst halten wir nicht nur eine reine Alternative zum analogen Arbeitsprozess in unseren Händen, sondern effiziente Möglichkeiten in der Analyse, Visualisierung und Simulation der Behandlungsabläufe und prothetischen Zielvorgaben. Vor allem die prätherapeutische Visualisierung ist ein zentraler Bestandteil einer verständlichen Patientenaufklärung und erleichtert eine Therapieentscheidung. Eine Chairside-Behandlung wird somit gar zum „erlebten“ und „transparenten“ Zahnarztbesuch. Dies stärkt das Vertrauen der Patienten in Behandler und Praxis.
Wir müssen uns jedoch bewusst sein, dass die digitalen Technologien in der Zukunft einer rasanten Entwicklung unterliegen werden. Dies setzt ein hohes Maß an wohlüberlegter Investitionsbereitschaft und eine hohe Bereitschaft für die Weiterbildung in diesem Fachbereich der Zahnmedizin voraus.
Fortsetzung:
Im Teil 3 werden die digitalen Strategien auf dem Gebiet der Implantologie aufgezeigt.
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