Allgemeine Zahnheilkunde


Freiliegende und hypersensible Zahnhälse: Was kann wie gelöst werden?


Sowohl ein beobachteter Rückgang des Zahnfleisches als auch überempfindliche Zahnhälse sind ein häufiges Anliegen besorgter Patienten. Bei anderen Patienten liegen keine Beschwerden vor und die Diagnose der gingivalen Rezession wird allein durch den Zahnarzt gestellt. In der Praxis ergibt sich somit immer wieder die Frage, ob und wenn ja, mit welchen Mitteln eine Therapie freiliegender und gegebenenfalls hypersensibler Zahnhälse möglich ist. Der folgende Beitrag stellt anhand eines Stufenkonzeptes ein minimalinvasives Vorgehen vor, angefangen von der Beseitigung prädisponierender Faktoren, über Optimierung häuslicher Maßnahmen, die Rekonstruktion des Hart- und/oder Weichgewebes, bis hin zur Pulpotomie.

Die Ursachen für dieses klinische Erscheinungsbild sind vielfältig. Sie zu erkennen ist der erste entscheidende Schritt vor Einleitung jeglicher Therapie. Rezessionen der Gingiva sind multifaktoriell bedingt und ein komplexes Zusammenspiel anatomischer und funktioneller Faktoren. In der Regel sind sie Folge parodontaler Erkrankungen oder eines mechanischen Traumas. Somit können sie als Anzeichen für eine Parodontitis ausschlaggebend für eine genauere Diagnostik und daraufhin gegebenenfalls erforderlichen Parodontitistherapie sein. Weiterhin sind Rezessionen eine Voraussetzung für überempfindliche Zahnhälse. Die daraus resultierenden Beschwerden, die der Patient als kurzen spitzen Schmerz empfindet, können stark beeinträchtigend sein. Freiliegende Zahnhälse führen zudem zu einer erhöhten Kariesanfälligkeit und zu einem erhöhten Risiko für nicht kariöse Zahnhartsubstanzdefekte. Einige unserer Patienten, insbesondere bei hoher Lachlinie und zusätzlichem Auftreten von interdentalen schwarzen Dreiecken, fühlen sich in der Ästhetik beeinträchtigt. Über die Notwendigkeit der Therapie sollte entsprechend der Ursache und des Beschwerdebildes entschieden werden.

Was sind parodontale Rezessionen?

Bei parodontal gesunden Verhältnissen ist die Zahnwurzel komplett von Gingiva bedeckt. Der Gingivarand verläuft bis zu 2 mm koronal der Schmelz-Zement-Grenze. Liegt dieser Rand apikal der physiologischen Position, spricht man von einer parodontalen Rezession. Diese kann rein bukkal und/oder oral vorliegen, aber auch zirkulär vorhanden sein. Im Zusammenhang mit gingivalen Rezessionen tritt häufig eine Überempfindlichkeit der Zahnhälse auf [9]. Sie ist hauptsächlich durch den Konsum kalter Getränke, durch das Einatmen kalter Luft und durch Zähnebürsten auslösbar [26] und wird als kurzer spitzer Schmerz beschrieben. Parodontal erkrankte Patienten leiden besonders häufig an Überempfindlichkeiten (9–23 %) [26,29].

 

Wie entstehen parodontale Rezessionen und Hypersensibilitäten?

Entstehung von Rezessionen

Sowohl mechanisch traumatische als auch entzündliche Prozesse können zur Bildung von gingivalen Rezessionen führen. Je nachdem, ob die Rezessionen rein vestibulär bzw. oral liegen oder eher zirkulär, kann man von unterschiedlichen Ursachen ausgehen.

Bei Bevölkerungen mit einem niedrigen Mundhygienestandard sind vermehrt zirkuläre Läsionen, bei hohem Standard dagegen überwiegend rein vestibuläre oder orale Läsionen zu beobachten [18]. Somit scheinen zirkuläre Rezessionen eher die Folge einer Entzündung, also Parodontitis, und bukkale/orale Läsionen eher Auswirkungen eines mechanischen Traumas zu sein. Doch lassen sich diese beiden Formen nicht immer klar voneinander abgrenzen. So können beispielsweise Patienten mit Rezessionen nach erfolgter Parodontitistherapie durch übermotiviertes Putzen mit falscher Technik zusätzlich mechanisch bedingte Läsionen entwickeln, wobei sich diese Defekte im Weichgewebe bei Korrektur der Bürstentechnik teilweise wieder zurückbilden können.

Zur Entstehung einer mechanisch bedingten Rezession bedarf es des gemeinsamen Auftretens verschiedener primärer und sekundärer Faktoren. Zu den primären Faktoren gehören Alveolarknochendehiszenzen sowie eine dünne Gingiva und einstrahlende Lippen- bzw. Wangenbändchen (Abb. 1). Rezessionen treten in der Regel nur durch zusätzliche Einwirkung weiterer Faktoren, wie eine falsche Zahnputztechnik, Zahnfehlstellungen, möglicherweise eine spezielle kieferorthopädische Behandlung oder die Belastung durch Piercings, auf. Klinisch fällt auf, dass Rezessionen an prominent stehenden Zähnen wie den Eckzähnen, an denen der Zahnbürstendruck am größten ist, häufig besonders ausgeprägt auftreten (Abb. 2). Eine schmale oder fehlende befestigte Gingiva scheint hingegen keinen Einfluss auf die Entstehung von Rezessionen zu haben. Hierzu wurden beispielsweise Studierende der Zahnmedizin mit schmaler befestigter Gingiva 18 Jahre lang nachuntersucht. Im Vergleich zu breiter befestigter Gingiva konnte kein Unterschied bezüglich der Veränderung von Rezessionen gefunden werden [11]. Zudem war bei Patienten ohne befestigte Gingiva nach Verbreiterung der Gingiva mit einem freien Schleimhauttransplantat im Verlauf von 6 Jahren keine Veränderung der Rezession und des klinischen Attachments zu beobachten [16].

  • Abb. 1a: Rezession an 31 mit einstrahlendem Lippenbändchen.
  • Abb. 1b: Intraoperativ Dehiszenzen sind erkennbar.
  • Abb. 1a: Rezession an 31 mit einstrahlendem Lippenbändchen.
  • Abb. 1b: Intraoperativ Dehiszenzen sind erkennbar.

  • Abb. 2: Horizontale Schleifspuren an 23 durch Schrubb-Technik.
  • Abb. 2: Horizontale Schleifspuren an 23 durch Schrubb-Technik.

Entstehung von Hypersensibilitäten

Durch die Entstehung von Rezessionen wird Wurzelzement exponiert, welches sich leicht durch chemische und/oder mechanische Einflüsse wie Erosion bzw. Abrasion abtragen lässt. Auch ein okklusales Trauma kann zu Zahnhartsubstanzdefekten führen. Diese Defekte werden als nicht kariöse zervikale Läsionen bezeichnet. Wirtsbedingte Risikofaktoren für die Entstehung von Überempfindlichkeiten sind Reflux, Regurgitation, psychogene Essstörungen, geringe Pufferkapazität des Speichels, eine hohe Konsumtionsrate säurehaltiger Getränke und Nahrungsmittel, eine traumatisierende Zahnputztechnik sowie Parafunktionen, die zu nichtkariösen Läsionen führen. Hinzu kommen nahrungsbedingte Risikofaktoren wie deren pH-Wert, Stärke der Säure (pk) und deren Pufferung sowie eine niedrige Ca++- und F--Konzentration und die Eigenschaft der Adhäsion auf der Zahnoberfläche.

  • Abb. 3: Dentin-Pulpakomplex. Der Odontoblast setzt sich mit seinen Fortsätzen in den Tubuli bis an die Dentinoberfläche fort. Durch Dentinabtrag kommt es zur Freilegung der Kanälchen und somit zu einer Verbindung zwischen Mundhöhle und Pulpa (Zeichnung [28]).

  • Abb. 3: Dentin-Pulpakomplex. Der Odontoblast setzt sich mit seinen Fortsätzen in den Tubuli bis an die Dentinoberfläche fort. Durch Dentinabtrag kommt es zur Freilegung der Kanälchen und somit zu einer Verbindung zwischen Mundhöhle und Pulpa (Zeichnung [28]).
Durch den Abtrag von Zement bzw. Schmelz liegt Dentin frei. Dentin ist aufgrund seiner Anatomie und Physiologie sehr sensitiv. Es bildet mit den Odontoblastenfortsätzen einen Dentin-Pulpa-Komplex [23] (Abb. 3). Diese Fortsätze befinden sich in Mikrokanälen, die durch die gesamte Dicke des Dentins von der Pulpa bis hin zur Dentinoberfläche ausstrahlen können. Zusätzlich befindet sich in den Kanälchen Dentinflüssigkeit.

Das Auftreten einer Dentinhypersensibilität lässt sich mittels der hydrodynamischen Theorie erklären [6]. Durch die Exposition von Dentin bzw. Dentintubuli kommt es zu einer hydraulischen Verbindung zwischen Pulpa und Zahnoberfläche. Wenn nun thermische, taktile oder chemische Reize zu einem Flüssigkeitsstrom führen, werden Schmerzrezeptoren, sog. Nozizeptoren, der Pulpa stimuliert. Dementsprechend sind an hypersensitiven Zähnen deutlich (8 x) mehr und weiter geöffnete Dentintubuli zu erkennen als im nicht sensitiven Dentin [2]. Die Abnahme der Dentinhypersensitivität mit zunehmendem Lebensalter wird durch verschiedene Faktoren wie Dentinsklerose, Bildung von Sekundärdentin, Reduktion des Pulpavolumens sowie weniger Nervenfasern und Kapillaren erklärt.

Entstehung von Überempfindlichkeiten nach zahnärztlicher Behandlung

Ungefähr die Hälfte der Patienten weisen nach Parodontitistherapie überempfindliche Zahnhälse auf. Sowohl die Prävalenz als auch die Intensität von Hypersensibilitäten nehmen nach erfolgter Behandlung zu [29]. Die größte Intensität besteht nach einer Woche; innerhalb von 4 Wochen nimmt sie in der Regel schnell ab bzw. ist nach diesem Zeitraum kaum noch festzustellen. Weitere Behandlungsmaßnahmen, die zu einer Überempfindlichkeit führen können, sind überextendierte Ätzung, Ausarbeitung oder Politur von Füllungen sowie dentales Bleaching.

Wie sind Rezessionen und Hyperästhesien zu diagnostizieren und was ist die klinische Relevanz?

Bei der Untersuchung von freiliegenden und überempfindlichen Zahnhälsen sollte neben der klinischen Untersuchung zum einen eine ausführliche Anamnese zur Bestimmung von prädisponierenden Faktoren erhoben werden, zum anderen sollte der Patient bezüglich des Ausmaßes der Beeinträchtigung befragt werden. Somit lässt sich der Umfang der notwendigen Therapie bestimmen.

Klinische Diagnostik

Bei gingivalen Rezessionen sollte neben der Bestimmung der Rezession auch das umliegende Gewebe untersucht werden. Zu den Untersuchungen gehören die folgenden Aspekte:

  • Höhe der Rezession: Abstand der Margo gingivae zur Schmelz-Zement-Grenze
  • Taschensondierungstiefe/klinischer Attachmentverlust
  • Breite der Rezession auf Höhe der Schmelz-Zement-Grenze
  • Dicke der Gingiva
  • Vorhandensein von befestigter Gingiva (Roll- oder Verschiebetest)
  • Stillman-Spalten
  • McCall’sche Girlanden
  • einstrahlende Lippen-/Wangenbändchen (Ausmaß durch Zug an der Lippe/Wange bestimmen)
  • Zahnfehlstellung
  • Veränderungen der oberflächlichen Zahnsubstanz, z. B. horizontale Schleifspuren durch zu kräftiges Schrubben

Ein Anfärben der beweglichen Schleimhaut mit Schiller’scher oder Lugol’scher Lösung ist heute aufgrund der geringen klinischen Relevanz kaum noch von Bedeutung.

Verschiedene Klassifikationen zur Einteilung von Rezessionen wurden in der Literatur erwähnt. Die gängigste Einteilung ist die Klassifikation nach Miller (Tab. 1) [20]. Da mit ihrer Hilfe anhand des klinischen Erscheinungsbildes (Abb. 4) direkte Rückschlüsse auf die therapeutischen Möglichkeiten gezogen werden können, hat sich diese Klassifikation klinisch gut bewährt.

  • Tab. 1: Klassifikation nach Miller (Zeichnung aus Arbeitshandbuch für Paradontologie [14].
  • Abb. 4: Ästhetische Beeinträchtigung bei Millerklasse IV.
  • Tab. 1: Klassifikation nach Miller (Zeichnung aus Arbeitshandbuch für Paradontologie [14].
  • Abb. 4: Ästhetische Beeinträchtigung bei Millerklasse IV.

Bei einer Dentinhypersensibilität handelt es sich entsprechend der Definition um eine Ausschlussdiagnose. Vor Stellung der Diagnose müssen weitere Ursachen für die Beschwerden ausgeschlossen werden. Hierzu zählen zum einen Beschwerden, die von der Pulpa ausgehen, wie Karies, defekte Restaurationen, okklusales Trauma, Zahnfrakturen/Chipping, und solche, die von der Gingiva ausgehen, wie akute gingivale Entzündungen. Zudem sollte auch an neurologische Ursachen und Empfindlichkeiten, die in Zusammenhang mit Entzündungen der Kieferhöhle auftreten, gedacht werden. Die Beschwerden lassen sich durch Luftpuster oder Berührung z.B. mit einer zahnärztlichen Sonde auslösen.

Bestimmung der Risikofaktoren und des Ausmaßes der Beeinträchtigung

Entsprechend den oben genannten Risikofaktoren muss der Patient bezüglich möglicher Risikofaktoren, wie Zahnputztechnik und Konsum säurehaltiger Nahrungsmittel, befragt werden. Im Anschluss steht die Frage nach dem Ausmaß der Beeinträchtigung, da die Behandlung meist aufgrund des Patientenwunsches erfolgt. Eine häufige Befürchtung der Patienten ist, dass ihre Zähne mit parodontalen Rezessionen verloren gehen. Kann eine Parodontitis ausgeschlossen werden, sollte der Patient aufgeklärt werden, dass es aufgrund der Rezession keinen Grund für seine Besorgnis gibt. Daraufhin wünscht der Patient häufig keine weitere Behandlung mehr. Auch bei Überempfindlichkeiten scheinen die Beschwerden für die Mehrzahl der Patienten nicht so beeinträchtigend, als dass sie eine Therapie für zwingend erforderlich erachten [12].

Bei ausgeprägten Rezessionen können sich Patienten ästhetisch stark beeinträchtigt fühlen und sich aufgrund dessen eine Therapie wünschen. Eine Dentinhypersensibilität kann neben einem subjektiven Unbehagen zu einer eingeschränkten Mundhygiene führen und bedarf somit in fortgeschrittenen Formen einer Therapie. Dabei sollte bedacht werden, dass die Behandlung in der zahnärztlichen Praxis bei freiliegenden Zahnhälsen häufig durch diese Überempfindlichkeiten erschwert wird. Insbesondere bei parodontalplastischen Eingriffen aus kosmetischer Indikation sollte eine gründliche präoperative Dokumentation erfolgen.

 

Wann ist welche Therapie notwendig?

  • Abb. 5: Flussdiagramm zur Therapieentscheidung bei Zähnen mit freiliegenden Zahnhälsen und Hypersensibilitäten.

  • Abb. 5: Flussdiagramm zur Therapieentscheidung bei Zähnen mit freiliegenden Zahnhälsen und Hypersensibilitäten.
Hat die Diagnostik und Bestimmung des Ausmaßes der Beeinträchtigung einer parodontalen Rezession eine Therapienotwendigkeit ergeben, sollte nun ein systematisches Vorgehen folgen. Wurde im Rahmen der Diagnostik eine Parodontitis festgestellt, ist erst eine diesbezügliche Therapie erforderlich, eventuell mit parallelen desensibilisierenden Maßnahmen; erst im Anschluss können wiederherstellende Verfahren folgen. In der Praxis hat es sich bewährt, Patienten bereits vor Beginn der Parodontitistherapie über die mögliche Entstehung von Rezessionen und Empfindlichkeiten der Zahnhälse aufzuklären. Um die Patienten dadurch nicht zu demotivieren, sollte ihnen jedoch direkt in Aussicht gestellt werden, dass diese Defekte im Anschluss je nach Bedarf wieder „kaschiert“ werden können. Ist keine Parodontitistherapie erforderlich, kann direkt eine symptomatische Therapie entsprechend dem Flussdiagramm erfolgen. Überempfindliche Zähne sollten generell so minimalinvasiv wie möglich behandelt werden. Dementsprechend wird die Therapie in drei Stufen eingeteilt (Abb. 5):

  1. Eliminierung prädisponierender Faktoren
  2. generalisierte und lokalisierte Anwendung von desensibilisierenden Wirkstoffen
  3. rekonstruktive Maßnahmen

Eliminierung prädisponierender Faktoren

Zu Beginn der Therapie sollten die prädisponierenden Faktoren beseitigt werden, die anhand des klinischen Erscheinungsbildes und der erhobenen speziellen Anamnese bestimmt werden. Je nach Ursache sind die folgenden Verhaltensweisen umzustellen:

  • Mundhygienegewohnheiten: Vermeidung exzessiven Drucks, einer zu harten Bürste, übermäßiger bzw. übermotivierter Formen des Zähneputzens oder der Zwischenraumpflege. Die Technik scheint hier weniger wichtig als der Druck [9] bzw. die Art der Bürste. Weder bei Schallzahnbürsten noch bei rotierend-oszillierenden konnten Unterschiede gegenüber einer manuellen Bürste gezeigt werden [10,19].
  • Entfernung von Piercings
  • kein übermäßiger Genuss von Säuren (z. B. Softdrinks, Zitrusfrüchte)
  • fehlerhafte Okklusion: Hier sind eine Analyse der Okklusion und ggf. das Einschleifen von Vorkontakten oder die Anfertigung einer Okklusionsschiene erforderlich.
  • ärztliche Behandlung von Reflux, Regurgitation und psychogenen Essstörungen

Generalisierte und lokalisierte An wendung von desensibilisieren den Wirkstoffen

Ein Präparat zur Therapie hypersensibler Zahnhälse sollte idealerweise schnell, langfristig und zuverlässig wirken, die Pulpa nicht irritieren, keine Nebenwirkungen haben, einfach zu applizieren und wirtschaftlich sein. Die verfügbaren Produkte können zum einen bezüglich ihrer Anwendungsweise differenziert werden – zu Hause durch den Patienten oder professionell in der Zahnarztpraxis – und zum anderen aufgrund ihrer drei Wirkungsweisen.

Wirkungsweisen von desensibilisierenden Wirkstoffen

Desensibilisierende Maßnahmen können auf verschiedene Weise auf den Zahn einwirken. Eine Möglichkeit besteht in der Blockade des Flüssigkeitsstroms, z. B. durch den Verschluss der Dentintubuli oder die Stimulation der Bildung von Sekundärdentin. Weitere Therapieansätze bestehen in der Koagulation von Tubulusflüssigkeit oder einer Blockade der Nervantwort.

Häusliche Mundhygienemaßnahmen bei empfindlichen Zahnhälsen

Ein Vorteil häuslicher Maßnahmen ist die sofortige Verfügbarkeit. Dafür dauert der Eintritt der Wirkung meist 2–4 Wochen. Die Applikation erfolgt generalisiert in der Mundhöhle, sodass sie sich für generalisierte Hypersensibilitäten eignen. Meist werden sie als erste Maßnahme zur Therapie überempfindlicher Zahnhälse empfohlen. Gängige Heimprodukte, die desensibilisierende Wirkstoffe enthalten, sind Zahnpasten und Mundspüllösungen (z. B. Arginin [elmex® sensitiv professional™], Strontiumchlorid [Sensodyne® C], Zinnfluorid [Meridol®], Natriumfluorid [Duraphat® Fluorid Zahnpasta], Kaliumchlorid [Sensodyne F®] und Kaliumcitrat [Colgate® sensitiv]). Momentan gibt es keine Evidenz, welcher Wirkstoff der effektivste ist. Jedoch scheinen desensibilisierende Zahnpasten besser zu wirken als ein Placebo [15,22]. Auch in den Placebogruppen ist eine deutliche Verbesserung zu beobachten [8,30]. Dies lässt sich dadurch erklären, dass die tägliche Plaque-Entfernung eine Remineralisation des Dentins durch den Speichel ermöglicht. Durch verschiedene Zusatzstoffe in der Zahnpasta kann dieser Vorgang beschleunigt werden.

Zahnärztliche Maßnahmen zur Desensibilisierung

  • Abb. 6: Lokale Applikation von Gluma® verlust als approximal) Desensitizer (Heraeus-Kulzer).

  • Abb. 6: Lokale Applikation von Gluma® verlust als approximal) Desensitizer (Heraeus-Kulzer).
Bestehen die Beschwerden weiterhin oder treten die Befunde nur lokal auf, können in der zahnärztlichen Praxis verschiedene Substanzen zur Desensiblisierung lokal angewandt werden: fluorhaltige Lacke (Duraphat® Lack), Gele (Pro Argin™: Colgate® Sensitiv Pro Relief™, Elmex® gelée) und Dentinadhäsive (Gluma® Desensitizer). Bondings führen in der Regel zu einer sofortigen Wirkung, die jedoch nur so lange anhält, wie das Adhäsiv intakt ist. Gluma® Desensitizer enthält ein Hydroxyethylmethacrylat (HEMA), das zu einer Präzipitation von Plasmaproteinen führt (Abb. 6). Nach Säuberung der Zahnoberfläche erfolgt eine relative Trockenlegung und die geringste notwendige Menge des Präparates wird aufgetragen. Die Einwirkzeit beträgt 30– 60 Sek., anschließend muss es vorsichtig verblasen und mit reichlich Wasser abgespült werden. Laser und Ionophorese stellen eine Alternative zu den chemischen Präparaten dar, wobei ein höherer zeitlicher und finanzieller Aufwand entsteht, ohne dass sie dabei eine überlegene Wirkung zeigen [17].

Rekonstruierende und formverändernde Maßnahmen

Sollten nach Durchführung des beschriebenen nichtinvasiven Vorgehens weiterhin Überempfindlichkeiten oder eine ästhetische Beeinträchtigung bestehen, sind wiederherstellende Maßnahmen des Hart- und/oder Weichgewebes indiziert. Bleiben bei Hypersensibilitäten die Beschwerden nach 2–3 Wochen noch bestehen, sollte die Diagnose genau überprüft werden und als letzter Schritt eine Wurzelkanalbehandlung zur Devitalisierung des betroffenen Zahnes in Erwägung gezogen werden.

Rekonstruktion und Formveränderung der Zahnhartsubstanz

  • Tab. 2: Indikationen zur Herstellung von Zahnhartsubstanz und/oder Weichgewebe.

  • Tab. 2: Indikationen zur Herstellung von Zahnhartsubstanz und/oder Weichgewebe.
Die fehlende Zahnhartsubstanz sollte möglichst minimalinvasiv mit Kompositen oder Kompomeren rekonstruiert werden. Kronen oder Teilkronen können in seltenen Fällen indiziert sein, wenn weitere kariöse Läsionen vorhanden sind. Jedoch ist eine Präparation in der Regel nicht erforderlich. Spielt im Frontzahnbereich die Ästhetik eine entscheidende Rolle, sollte alternativ oder ergänzend an einen Aufbau des Weichgewebes mittels Mukogingivalchirurgie gedacht werden. Eine Formveränderung mittels Komposit zur ästhetischen Rehabilitation ist zudem notwendig, wenn durch alleinige mukogingivale Maßnahmen kein zufriedenstellendes Ergebnis zu erwarten ist (Tab. 2).

Vorgehen

Adhäsive Restaurationen sollten möglichst unter Trockenlegung durch Anlegen eines Kofferdams und in Matrizentechnik erfolgen. Ist der Patient durch große interdentale schwarze Dreiecke ästhetisch beeinträchtigt, können diese mittels ästhetischer Frontzahnverbreiterung mit Kompositen oder Keramikveneers behandelt werden (Abb. 7a–c). Hierbei sollte auf eine hygienefähige Gestaltung mit einem glatten Übergang vom Zahn zur Restauration geachtet werden.

  • Abb. 7a: Ästhetische Beeinträchtigung durch Rezessionen der Millerklasse III an 21 und 11, IV an 12 und 22 sowie Diastema mediale.
  • Abb. 7b: Zustand am Kontrolltermin zum Abschlussfoto nach Verbreiterung mittels Komposit, Patientin stürzte 1 Woche zuvor und schlug sich dabei die Schneidekanten ab.
  • Abb. 7a: Ästhetische Beeinträchtigung durch Rezessionen der Millerklasse III an 21 und 11, IV an 12 und 22 sowie Diastema mediale.
  • Abb. 7b: Zustand am Kontrolltermin zum Abschlussfoto nach Verbreiterung mittels Komposit, Patientin stürzte 1 Woche zuvor und schlug sich dabei die Schneidekanten ab.

  • Abb. 7c: Rekonstruktion der Schneidekanten mittels Komposit.
  • Abb. 7c: Rekonstruktion der Schneidekanten mittels Komposit.

Rekonstruktion des Weichgewebes

Rezessionen der Miller-Klasse I und II, limitiert auch der Klasse III, können durch mukogingivalchirurgische Eingriffe gedeckt werden (Tab. 2) [4]. Sind gleichzeitig zervikale Läsionen vorhanden, sollten diese, wenn sie tiefer als ca. 2–3 mm sind, zuvor mit einer Zahnhalsfüllung versorgt werden. Die Wahl des Füllungsmaterials scheint hierbei wenig entscheidend.

Vorgehen

Bei entsprechender Indikation haben sich verschiedene Verfahren zur Rezessionsdeckung bewährt. Hierzu zählen:

  • Envelope-/Tunneltechnik
  • koronal und lateral verschobene Lappen, allein oder in Kombination mit Bindegewebstransplantaten, regenerativen Verfahren oder allogenen bzw. xenogenen Bindegewebsersatzmaterialien
  • freie Schleimhauttransplantate (in seltenen Fällen bei fehlender befestigter Gingiva insbesondere in der UK-Front) Systematische Übersichtsarbeiten zur Deckung von Rezessionen zeigen bei einer Nachbeobachtungszeit von 6 Monaten eine Bewährung der Verschiebelappenplastiken in Kombination mit Bindegewebstransplantaten oder Schmelz-Matrix-Proteinen. Jedoch wurde bei der Auswertung nur der Erfolg der Deckung in Millimetern bzw. Prozent bewertet [7,27]. Ästhetische Erfolgsparameter, wie fehlende Sichtbarkeit von Narbengewebe oder die Anpassung von Farbe und Struktur an das umliegende Gewebe, sowie Langzeitergebnisse von über 6 Monaten wurden hierbei nicht berücksichtigt. Insbesondere unter Betrachtung der ästhetischen Parameter ist möglicherweise der Envelope- bzw. Tunneltechnik der Vorzug zu gewähren (Abb. 8a–f). Dies scheint umso mehr entscheidend, da die Indikation häufig aus ästhetischen Gründen gestellt wird und somit der Patient in der Regel ein ausgeprägtes ästhetisches Empfinden hat. Wird eine koronal verschobene Lappentechnik gewählt, sollte ein möglichst atraumatisches Verfahren bevorzugt werden, wie z. B. das durch Zucchelli beschriebene Vorgehen [31]. Lateral verschobene Lappen stellen eine Alternative im Seitenzahnbereich bei breiten Rezessionen dar. Zu den Ersatzmaterialien bleiben noch klinisch bedeutsame Langzeitdaten über mehrere Jahre abzuwarten. Nach den aktuellen Erkenntnissen scheinen sie den Bindegewebstransplantaten unterlegen zu sein [13,21]. Generell sind nur wenige Langzeitstudien publiziert, sodass eine abschließende Empfehlung eines Verfahrens zur Rezessionsdeckung zurzeit nicht möglich ist [24]. Es scheint aber so, dass sich die von den Autoren favorisierten Bindegewebstransplantate langzeitig vergleichsweise gut bewähren [1,25].

  • Abb. 8a: Rezessionen der Millerklasse I.
  • Abb. 8b: Präparation eines Envelopes.
  • Abb. 8a: Rezessionen der Millerklasse I.
  • Abb. 8b: Präparation eines Envelopes.

  • Abb. 8c u. d) Schonendes Einbringen des Bindegewebstransplantates.
  • Abb. 8e: 1 Woche postoperativ.
  • Abb. 8c u. d) Schonendes Einbringen des Bindegewebstransplantates.
  • Abb. 8e: 1 Woche postoperativ.

  • Abb. 8f: 1 Jahr postoperativ.
  • Abb. 8f: 1 Jahr postoperativ.

 

Rekonstruktion und Formveränderung von Hart- und Weichgewebe

Lassen sich im sichtbaren Bereich Rezessionen nicht allein durch Mukogingivalchirurgie decken, können die Zahnhälse zusätzlich mit Komposit aufgebaut werden. Dies trifft insbesondere bei interdentalen schwarzen Dreiecken zu (Abb. 9 u. 10a–c).

  • Abb. 9 a-c: Rezessionen der Millerklasse III mit kombinierten Zahnhartsubstanzdefekten.
  • Abb. 10 a-c: Zustand nach Rekonstruktion mittels Rezessionsdeckung durch Tunneltechnik und durch Zahnhalsverbreiterung mittels Komposit.
  • Abb. 9 a-c: Rezessionen der Millerklasse III mit kombinierten Zahnhartsubstanzdefekten.
  • Abb. 10 a-c: Zustand nach Rekonstruktion mittels Rezessionsdeckung durch Tunneltechnik und durch Zahnhalsverbreiterung mittels Komposit.

Die Kompositaufbauten sollten möglichst vor dem chirurgischen Eingriff erfolgen, da sich so die Füllungsränder einfacher supragingival ausarbeiten lassen. Somit muss vor Beginn der Therapie bestimmt werden, wie weit die Rezession zu decken sein wird. Hierzu ist der zirkuläre Attachmentverlust zu berücksichtigen, da die Gingiva vestibulär nicht über das approximale Attachmentniveau hinaus aufzubauen ist.

Eine weitere Indikation sind Zahnhartsubstanzdefekte, bei denen auch der Schmelz betroffen oder der Defekt bei geplanter Rezessionsdeckung tiefer als 2–3 mm ist. Auch hier sollte zuerst der Kompositaufbau erfolgen, der gegebenenfalls durch die Rezessionsdeckung überlagert werden kann.

Fazit

Freiliegende und überempfindliche Zahnhälse sollten nach ausführlicher Diagnostik so minimalinvasiv wie möglich therapiert werden. Da ein entscheidender Erfolgsfaktor die Eliminierung von Risikofaktoren ist, sollte vor Beginn eine ausführliche Anamnese erhoben werden. Entsprechend dem Ausmaß der Beeinträchtigung und dem Wunschziel des Patienten sowie den klinischen Befunden sollte systematisch über den notwendigen Umfang der Behandlung entschieden werden.

Bilder soweit nicht anders deklariert: Dr. Sonja Sälzer , Dr. Christian Graetz , Prof. Dr. Christof Dörfer


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