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Allgemeine Zahnheilkunde

Der Risikopatient in der zahnärztlichen Praxis

Als Risikopatienten werden definitionsgemäß Patienten eingestuft, bei denen sich durch lokale oder systemische Erkrankungen oder Veränderungen spezifische pathophysiologische Aspekte ergeben, die einen ungehinderten standardisierten Ablauf eines zahnärztlich chirurgischen Eingriffs erschweren, unmöglich machen oder die Erfolgsquote signifikant negativ beeinflussen. Folgender Artikel soll am Beispiel von 3 Risikogruppen einen Überblick über mögliche Komplikationen in der täglichen Praxis geben und basierend darauf ein evidenzbasiertes Komplikationsmanagement vermitteln.

. Praxis Dr. Dr. Markus Tröltzsch
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Laut statistischem Bundesamt (DESTATIS) ist jeder 2. Mensch in Deutschland über 45 Jahre und jeder 5. Mensch über 66 Jahre alt. Die aktuelle Lebenserwartung für Männer liegt bei 78,8 Jahren und bei Frauen bei ca. 83,5 Jahren.

Mit einer stark alternden Gesellschaft nimmt auch die Anzahl der regelmäßig eingenommenen Medikamente und Erkrankungen zu. Damit gehen auch mögliche Komplikationen und Risiken bei zahnärztlich-chirurgischen und implantologischen Eingriffen einher.

Bisphosphonate und Antiresorptiva

Als antiresorptive Therapie wird eine medikamentöse Behandlung verstanden, welche zu einer Beeinflussung des Knochenstoffwechsels führt. Der (Kiefer-)Knochen unterliegt als biologisches Gewebe kontinuierlichen Umbauprozessen durch Knochenabbau (Osteolyse, durch Osteoklasten) und Knochenneubildung (durch Osteoblasten). Antiresorptive Medikamente hemmen die Knochenresorption der Osteoklasten.

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Denosumab verhindert als monoklonaler Antikörper die Bildung und Aktivierung von Osteoklasten durch Hemmung des RANKL (Rank-Ligand) [8,13]. Nach aktuellem Arzneimittelreport Deutschland werden in Deutschland jährlich rund 156 Millionen definierte Tagesdosen Bisphosphonate und 37,9 Millionen definierte Tagesdosen Denosumab verschrieben [22]. Klinisch resultiert ein kompakter, mechanisch stabiler, wenig durchbluteter Knochen, der widerstandsfähig gegen Traumata oder Tumormetastasen ist.

Einsatz findet diese medikamentöse Therapie somit bei malignen Tumoren (Prostatakarzinom, Mammakarzinom, multiples Melanom u.a.), bei Osteoporose und Morbus Paget. Bisphosphonate sind Derivate des Pyrophosphats, die in stickstoffhaltige Bisphosphonate (Alendronat, Pamidronat) und stickstofffreie (Clodronat, Etidronat) unterteilt werden. Sie werden entweder oral oder intravenös appliziert.

Bisphosphonate bleiben durch die lange Plasmahalbwertszeit mehrere Jahre im Knochen [5,13]. Bei Denosumab beträgt die Halbwertszeit etwa 24 bis 26 Tage, die Wirksamkeit hält bis zu 5 Monate an [5,13]. Tabelle 1 gibt einen Einblick auf die am häufigsten verwendeten antiresorptiven Medikamente.

Wirkstoff Markenname
Bisphosphonate
Alendronsäure (Alendronat) Fosamax®, Tevanate®
Ibandronsäure (Ibandronat) Bondenza®, Bonviva®, Bondronat®
Risedronsäure (Risedronat) Actonel®
Zoledronsäure (Zoledronat) Zometa®, Aclasta®
Pamidronsäure (Pamidronat) Aredia®
Monoklonale Antikörper
Bevacizumab Avastin®
Denosumab Prolia®, XGEVA®

Tab. 1: Übersicht der am häufigsten verwendeten antiresorptiven Medikamente.

Durch Hemmung der Osteoklasten ist das Remodelling des Knochens so verändert, dass eine positive Bilanz gegenüber dem Knochenaufbau entsteht. Hier resultiert eine geringere Widerstandsfähigkeit des Knochens gegenüber entzündlichen Vorgängen.

Bei einfachen zahnärztlich-chirurgischen Eingriffen ist die Regenerationsfähigkeit des Knochens deutlich gesenkt. Die Bezeichnung der medikamentenassoziierten Osteonekrose des Kiefers (MRONJ = „medication-related osteonecrosis of the jaw“) wird definiert durch folgende Punkte:

  • mehr als 8 Wochen exponierter nekrotischer oder sondierbarer Kieferknochen
  • laufende oder frühere Einnahme von antiresorptiven oder antiangiogenetischen Medikamenten
  • keine Kopf-Hals-Radiatio in der Anamnese

Je nach Dosierung und Indikation werden verschiedene Risikogruppen definiert [5,6,13]:

  • niedriges Risiko: Einnahme antiresorptiver Medikamente zur Osteoporosebehandlung
  • mittleres Risiko: Einnahme antiresorptiver Medikamente zur Prävention skelettbezogener Komplikationen bei Tumorerkrankungen
  • hohes Risiko: Einnahme antiresorptiver Medikamente bei therapeutischer onkologischer Indikation (z.B. Knochenmetastasen) 

Bei der Gabe von Antiresorptiva bei Tumorerkrankungen ist das Kiefernekrose-(ONJ-)Risiko deutlich höher als bei der Verabreichung  bei Osteoporose. Außerdem geht ein höheres Risiko für ONJ bei Patienten hervor, welche eine intravenöse Bisphosphonat-Therapie erhalten, im Vergleich zu oralen Bisphosphonaten.

Bedeutung für den Zahnarzt

Im Rahmen der Prophylaxe vor antiresorptiver Therapie wird der Patient ausführlich über Maßnahmen zur Risikoreduktion einer ONJ aufgeklärt. Hierzu gehören regelmäßige Kontrolluntersuchungen, eine Optimierung der Mundhygiene (PZR-Recall), alle notwendigen konservierenden Maßnahmen sowie die Extraktion nicht erhaltungswürdiger Zähne, u.a. auch teilretinierter Zähne mit Perikoronitis [11]. Eine systematische Parodontitistherapie soll begonnen werden und kann parallel zur BP-Therapie fortgesetzt werden.

Zysten, Fremdkörper und enossale Infektionsherde sollen entfernt werden. Außerdem soll ein Patient über Frühzeichen einer ONJ aufgeklärt werden. Die Maßnahmen können vor der antiresorptiven Therapie ohne eine antibiotische Abschirmung durchgeführt werden.

Befindet sich der Patient unter laufender Antiresorptiva-Therapie, sollen alle konservativen Behandlungen von entzündlichen Zuständen an den Zähnen routinemäßig systematisch durchgeführt werden (PZR, Füllungstherapie, Parodontaltherapie, Prothesendruckstellen reduzieren). Eine Antibiotikaprophylaxe wird bei Zahnextraktionen, Wurzelspitzenresektionen, Zystenoperationen, Parodontalchirurgie, Zahnfreilegungen, Implantationen und bei allen operativen Eingriffen im Kontakt mit Kieferknochen empfohlen.

Bei Wurzelkanalbehandlungen wird keine antibiotische Abschirmung empfohlen, jedoch soll ein Überinstrumentieren vermieden werden. Auch bei PZR, parodontaler Therapie, Füllungstherapie und prothetischen Maßnahmen wird keine antibiotische Abschirmung empfohlen [11].

Abb. 1: Klinischer Befund einer Bisphosphonat-assoziierten Kiefernekrose. Praxis Dr. Dr. Markus Tröltzsch
Abb. 1: Klinischer Befund einer Bisphosphonat-assoziierten Kiefernekrose.

Bei Entstehung einer medikamentenassoziierten Kiefernekrose (Abb. 1) sind die gängigen radiologischen Techniken (OPG, DVT, CT) das Mittel der Wahl zur Diagnostik [5,13]. In Tabelle 2 sind die Stadien der medikamentenassoziierten Kiefernekrose dargestellt [5,6,13]. Entsprechend der AAOMS (American Association of Oral and Maxillofacial Surgeons) wird eine chirurgische Intervention erst ab Stadium 2 empfohlen.

Stadium Symptome
0 – keine klinischen Anzeichen für nekrotische Knochen
– unspezifische Symptomatik und/oder radiologische Hinweise
1 – exponierter oder sondierbarer, nekrotischer Knochen
– asymptomatischer Befund
– keine Anzeichen von Infektionen
2 – exponierter oder sondierbarer, nekrotischer Knochen,
– symptomatischer Befund (Schmerzen, Entzündungszeichen)
– Anzeichen von Infektionen
3 Zusätzlich zu Stadium 2 noch mindestens eines der folgenden Symptome: 
– exponierter nekrotischer Knochen, der sich auf benachbarte Regionen (Kieferhöhle, Jochbein, Unterkieferbasis) ausbreitet
– pathologische Frakturen
– extraorale Fisteln
– Mund-Antrum-Verbindung (MAV)

Tab. 2: Einzelne Stadien der medikamentenassoziierten Kiefernekrose.

Die Stadien 0 und 1 können konservativ mit Spülungen und ggf. Antibiotikatherapie behandelt werden. Allerdings gilt es zu bedenken, dass nekrotischer Knochen nicht wieder vital wird und somit eine dauerhafte Infektionsquelle darstellt. In neueren Studien konnte deshalb auch gezeigt werden, dass nach chirurgischer Intervention, auch in den Stadien 0 und 1, eine deutlich höhere Heilungsrate verzeichnet werden konnte als bei rein konservativer Therapie [3,13,21].

Bei chirurgischer Intervention soll eine atraumatische OP-Technik angewendet werden. Dazu gehören das Glätten scharfer Knochenkanten im Sinne einer modellierenden Osteotomie und eine plastische Deckung der Wunden durch einen spannungsfreien Wundverschluss.

Außerdem ist eine prä- und postoperative antibiotische Medikation (Amoxicillin/Clavulansäure 875/125 mg, 1-1-1 beginnend einen Tag präoperativ) indiziert. Des Weiteren sollen bis zur vollständigen mukosalen Abheilung regelmäßige Nachkontrollen getätigt und eine orale flüssige oder passierte Kostform eingenommen werden [13].

Behandlung von Patienten während und nach antiresorptiver Therapie

In diesem Artikel wurde speziell auf Patienten unter Bisphosphonat-Therapie eingegangen. Patienten vor und nach Chemotherapie oder Radiatio fallen ebenfalls in die Gruppe der Patienten mit deutlich erhöhtem Risiko einer Osteonekrose. Diese sind ebenfalls in enger Abstimmung mit dem behandelnden Facharzt zu behandeln.

Wenn möglich, sollten vor Beginn der Chemotherapie oder Radiatio eine umfangreiche Fokussanierung und eine Einbindung in einen engmaschigen Recall erfolgen [11]. Entsprechend den Patienten mit dauerhafter antiresorptiver Therapie oder Bisphosphonaten in der Anamnese sollte eine präoperative Antibiose erfolgen, die bis zum Abklingen von Entzündungszeichen, mindestens aber bis zum Zeitpunkt der Nahtentfernung beibehalten werden sollte. Ergänzend sei hier erwähnt, dass je nach Lage des Bestrahlungsfeldes ggf. ein Schleimhautretraktor oder Fluoridierungsschienen vom Hauszahnarzt angefertigt werden können [11].

Zusammenfassend stellt die Antiresorptiva-assoziierte Kiefernekrose (AR-ONJ) eine schwere Nebenwirkung für den Patienten dar. Deshalb sollten vor Beginn einer antiresorptiven Therapie eine ausführliche zahnärztliche Diagnostik und ggf. umfangreiche Fokussanierung erfolgen.

Ein besonderes Augenmerk sollte ebenfalls auf die Einbindung des Patienten in ein individuelles und risikoadaptiertes Recallprogramm gelegt werden. Alle operativen Eingriffe unter und nach antiresorptiver Therapie sollten kritisch auf ihre Indikation hin geprüft und unter Einhaltung strenger, oben genannter Infektions- und Wundheilungskautelen durchgeführt werden.

Diabetes mellitus

Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) ist eine Stoffwechselerkrankung, die durch relativen oder absoluten Mangel an Insulin zu einem dauerhaft erhöhten Blutzuckerspiegel führt. Der HbA1c-Wert („Blutzuckergedächtnis“) beschreibt den Anteil am glykierten Hämoglobin und dient als Langzeitparameter für die metabolische Einstellung des Blutzuckerspiegels. Er gibt den Zuckergehalt im Blut der letzten 6 bis 12 Wochen wieder [15].

Der HbA1c-Wert liegt beim

  • gesunden Patienten unter 6,5% (< 48 mmol/mol)
  • gut eingestellten Diabetiker zwischen 6,5 und 7,5% (48 bis 58 mmol/mol)
  • schlecht eingestellten Diabetiker über 7,5% (> 58 mmol/mol)

Typ-1-Diabetes (10% der Diabetiker) beschreibt den absoluten Insulinmangel durch eine Zerstörung der insulinproduzierenden Betazellen im endokrinen Anteil des Pankreas [8]. Typ-2-Diabetes (90% der Diabetiker) ist gekennzeichnet durch ein vermindertes Ansprechen der Körperzellen auf Insulin sowie durch eine Funktionseinschränkung der Betazellen.

Abb. 2: Prävalenz von Diabetes nach Geschlecht. Praxis Dr. Dr. Markus Tröltzsch
Abb. 2: Prävalenz von Diabetes nach Geschlecht.

Risikofaktoren hierfür sind Bewegungsmangel, Übergewicht und fettreiche Ernährung. Therapeutisch werden bei Typ-2-Diabetes orale Antidiabetika (z.B. Metformin) in Kombination mit einer Insulintherapie angewandt [8] (Abb. 2).

Diabetes und Parodontitis

Abb. 3: Zusammenhang von Diabetes und gestörter Wundheilung [20]. Praxis Dr. Dr. Markus Tröltzsch
Abb. 3: Zusammenhang von Diabetes und gestörter Wundheilung [20].

Ein vorliegender Diabetes kann eine Parodontitis begünstigen bzw. verstärken. Dieses erhöhte Risiko beruht auf einer Ablagerung von Endprodukten des Zuckerstoffwechsels (advanced glycation endproducts, AGE) in die Gingiva und in das Parodont, welche chronische Entzündungen hervorrufen können [4,10] (Abb. 3). Auch umgekehrt erkranken Diabetiker ca. 3-mal so häufig an einer Parodontitis wie Menschen ohne Diabetes, was auf eine verminderte Insulinwirksamkeit bei bestehender Parodontitis zurückzuführen ist. Studien belegen eine Korrelation zwischen dem HbA1c-Wert und der Taschensondierungstiefe des Diabetikers [14].

Gut eingestellte Diabetiker weisen eine geringere parodontale Destruktion sowie eine geringere Anzahl an fehlenden Zähnen auf als schlecht eingestellte Diabetiker. Ebenso zeigen gut eingestellte Diabetiker ähnliche Therapieerfolge nach Parodontalbehandlungen wie Nichtdiabetiker.

Außerdem kann durch eine Parodontaltherapie der HbA1c-Wert um 0,4% verbessert werden [14]. Schlecht eingestellte Diabetiker haben ein erhöhtes Risiko einer Periimplantitis, außerdem ist durch den reduzierten Knochenstoffwechsel die Implantateinheilung verzögert, was zu einer 2,75-fach erhöhten Implantatverlustrate führt [1,19].

Der Diabetiker in der Zahnarztpraxis

Abb. 4: Extraorale Fistel bei Diabetes: klinischer und röntgenologischer Befund, ausgehend vom tief zerstörten Zahn 43. Praxis Dr. Dr. Markus Tröltzsch
Abb. 4: Extraorale Fistel bei Diabetes: klinischer und röntgenologischer Befund, ausgehend vom tief zerstörten Zahn 43.

Diabetiker gelten in der zahnärztlichen Praxis aufgrund der eingeschränkten Immunkompetenz als Risikopatienten. Die chronisch erhöhten Blutzuckerwerte führen zu Polyneuropathie sowie mikro- und makroangiopathischen Gefäßkomplikationen [7,12,18]. Somit leiden Diabetiker häufiger an Wundheilungsstörungen nach zahnärztlich chirurgischen Eingriffen (Abb. 4–6).

Abb. 5: Extraorale Fistel bei Diabetes: klinischer und röntgenologischer Befund, ausgehend vom tief zerstörten Zahn 43. Praxis Dr. Dr. Markus Tröltzsch
Abb. 5: Extraorale Fistel bei Diabetes: klinischer und röntgenologischer Befund, ausgehend vom tief zerstörten Zahn 43.
Abb. 6: Extraorale Fistel bei Diabetes: klinischer und röntgenologischer Befund, ausgehend vom tief zerstörten Zahn 43. Praxis Dr. Dr. Markus Tröltzsch
Abb. 6: Extraorale Fistel bei Diabetes: klinischer und röntgenologischer Befund, ausgehend vom tief zerstörten Zahn 43.

Hier kann eine antibiotische Abschirmung unter Kenntnis der metabolischen Kontrolle in Erwägung gezogen werden. Auch leiden Diabetiker häufiger an Mundtrockenheit (Xerostomie), einer erhöhten Kariesprävalenz und einem erhöhten Risiko für Wurzelkaries. Weitere orale Manifestationen können das Burning-Mouth-Syndrom, Leukoplakien, Candidiasis, Erythroplakien, persistierende Ulzerationen und eine erhöhte Infektionsneigung sein.

Ein vorliegender Diabetes ist eine relative Adrenalinkontraindikation. Das im Anästhetikum vorhandene Adrenalin ist ein Insulinantagonist und kann somit die Insulinsekretion verringern, was den Blutzuckerspiegel ansteigen lässt. Im Zweifel soll ein adrenalinreduziertes Lokalanästhetikum verwendet oder ganz auf den Vasokonstriktor verzichtet werden (z.B. durch Verwendung von Ultracain® D ohne Adrenalin) [17].

Zur Behandlung von Diabetikern gehört eine umfassende Aufklärung über Risikofaktoren, Prophylaxe, Therapie und den Einfluss des Diabetes mellitus auf die Mundgesundheit. Therapeutisch sollen neben einer strukturierten Patientenanamnese mit Medikation regelmäßige zahnärztliche Kontrolluntersuchungen und professionelle Zahnreinigungen (PZR) empfohlen werden.

Engmaschige Recalls schaffen ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der guten Mundhygiene. Auch soll der Zahnarzt auf die richtige Ernährung (reduzierter Zuckerkonsum, fettarme Mahlzeiten) hinweisen.

Abb. 7: Infektion bei Diabetes. Praxis Dr. Dr. Markus Tröltzsch
Abb. 7: Infektion bei Diabetes.

Für den behandelnden Zahnarzt ist der HbA1c-Wert vor größeren chirurgischen Eingriffen oder Parodontaltherapien zur postoperativen Risikoeinschätzung zu erfragen. Elektive Eingriffe sollten bei schlecht eingestellten Diabetikern (HbA1c > 7,5%, Blutzuckerwert > 250 mg/dl) verschoben werden (Abb. 7).

Hypoglykämie

Die Hypoglykämie (Unterzuckerung) ist gekennzeichnet durch einen zu niedrigen Blutzuckerspiegel (Absenkung der Blutglukose-Konzentration unter den physiologischen Wert von 60 mg/dl bzw. 3,3 mmol/l). Als mögliche Ursachen werden zu geringe Nahrungszufuhr, körperliche Anstrengung oder eine Überdosierung von Insulin bzw. oralen Antidiabetika genannt. Symptome können von Schwächeanfällen und Schweißausbrüchen mit Zittern, Schwitzen, Tachykardie, Blässe im Gesicht bis hin zu Kopfschmerzen und Bewusstseinsverlust reichen.

Vor zahnärztlichchirurgischen Maßnahmen kann es daher hilfreich sein, mithilfe eines Blutzuckermessgerätes (POC-Analysegerät) den aktuellen Blutzuckerwert zu bestimmen und so eine Hypoglykämie während der Behandlung zu vermeiden. Bei vorliegender Hypoglykämie gilt die orale Gabe von Traubenzucker oder Fruchtsaft als eine häufig erfolgreiche Sofortmaßnahme. Bei gestörtem Bewusstsein (hypoglykämischer Schock) sind Notfallmaßnahmen und die sofortige Alarmierung des Notarztes unerlässlich.

Antikoagulierte Patienten

In Deutschland wird ca. 1% der Bevölkerung (ca. 1 Million Menschen) dauerhaft mit Antikoagulanzien behandelt, am häufigsten mit Phenprocoumon [16,22]. Bei dauerhaft bestehender Antikoagulations-Therapie in der Anamnese stellt das Gerinnungsmanagement prä-, peri- und postoperativ einen entscheidenden Faktor für den Erfolg der Behandlung dar, gerade bei Dual- oder sogar Tripletherapie.

Indikationen für die Einnahme antikoagulierender Medikamente sind Vorhofflimmern, koronare Herzkrankheiten, tiefe Beinvenenthrombosen und mechanische Herzklappen; außerdem werden Antikoagulanzien zur Prävention von thromboembolischen Ereignissen und bei operativen Eingriffen am Herzen verschrieben. Die antikoagulative Therapie besteht im Wesentlichen aus den folgenden 3 großen Medikamentengruppen:

  • Thrombozytenaggregationshemmer

In dieser Gruppe sind vor allem Acetylsalicylsäure (Aspirin®) im Rahmen von Primär- und Sekundärprophylaxe, Clopidogrel (Plavix®) und Ticagrelor (Brilique®) zu nennen. Bei Monotherapie mit einem der genannten Präparate und bei „komprimierbaren“ zahnärztlich-chirurgischen Eingriffen sollte die Therapie weitergeführt werden, da sonst das Risiko eines kardiovaskulären Ereignisses ca. um den Faktor 3 ansteigt.

Besteht allerdings eine Dual- oder sogar Tripletherapie wie nach Stentimplantation oder akutem Koronarsyndrom, sind elektive zahnärztlich-chirurgische Eingriffe möglichst zu vermeiden und auf den Zeitraum nach Absetzen der Dual- oder Tripletherapie zu verschieben. Bei dringend notwendigen Eingriffen oder in Notfällen ist mit einem deutlich erhöhten Blutungsrisiko zu rechnen, wofür ggf. eine Überweisung an eine Fachklinik in Erwägung gezogen werden sollte [2,8,13].

  • Vitamin-K-Antagonisten

Der Hauptvertreter dieser Gruppe ist das Cumarinderivat Phenprocoumon (Marcumar®). Auch hier ist mit einem erhöhten Blutungsrisiko zu rechnen. Laut aktueller Leitlinie können zahnärztlich-chirurgische Eingriffe wie Zahnextraktionen, Osteotomien, Implantationen oder Weichgewebseingriffe unter laufender Therapie stattfinden.

Eine vorherige INR-Kontrolle (International Normalized Ratio) und ggf. Zielwerteinstellung auf INR unter 3,0 ist mit dem behandelnden Facharzt abzusprechen. Ein „Bridging“ mit Heparin ist nicht mehr indiziert, da sich in aktuellen Studien ein noch höheres Blutungsrisiko bei Umstellung auf oder Absetzen des Heparins gezeigt hat [2,8,13].

  • Neue/direkte orale Antikoagulanzien (NOAK/DOAK)

Seit einigen Jahren werden die neuen oralen Antikoagulanzien (NOAKs) als Alternative zu den Cumarinen verschrieben. Zu den mittlerweile als DOAKs (direkte orale Antikoagulanzien) bezeichneten Faktor-Xa-Inhibitoren zählen Dabigatran (Pradaxa ®), Rivaroxaban (Xarelto®), Apixaban (Eliquis®) und Edoxaban (Lixiana®).

Vorteil der NOAKs ist die stark vereinfachte Dosierung (keine individuelle Dosierung und somit keine Bestimmung des Quick-/INR-Wertes notwendig) und die bessere Steuerbarkeit durch eine geringere Halbwertszeit. Dennoch ist unter laufender Therapie ein generell hohes Blutungs- und Nachblutungsrisiko bei zahnärztlich-chirurgischen Eingriffen zu erwarten [2,8,13]. Oftmals ist hier ein Pausieren der Therapie unter Absprache mit dem behandelnden Haus- oder Facharzt aufgrund der kurzen Halbwertszeiten gut steuerbar und zum OP-Tag hin koordinierbar.

Vor allen geplanten chirurgischen Eingriffen und Implantationen bzw. Augmentationen ist eine ausführliche Anamnese obligat. In Bezug auf die Antikoagulanzien sind neben der Art des Antikoagulans auch die Einnahmefrequenz und die Dosierung von Bedeutung.

Vor Eingriffen mit hohem Blutungsrisiko, wie z.B. Implantationen und großen Augmentationen, wird empfohlen, mit dem jeweiligen Haus- oder Facharzt Rücksprache über den geplanten Eingriff zu halten und im Sinne einer Nutzen-Risiko-Analyse ein mögliches Pausieren der NOAKs/DOAKs zu besprechen [2,8,9,13]. Bei Gerinnungshemmung mit Vitamin-K-Antagonisten sollte die Medikation beibehalten werden und ein INR-Monitoring (INR 2–3,5) in Absprache mit dem behandelnden Kollegen erfolgen [13].

Wichtig ist eine präoperative Aufklärung des Patienten über ein erhöhtes Nachblutungsrisiko und Verhaltensmaßnahmen bei Blutungen nach geplanten oralchirurgischen Eingriffen. Während des operativen Eingriffs wird ein adrenalinhaltiges Anästhetikum empfohlen, auch wenn es nach der Operation bei Nachlassen der Adrenalinwirkung zu einem sog. Rebound, einer Nachblutung, kommen kann. Intraoperativ sollten auf eine möglichst atraumatische, schonende Operations- und Extraktionstechnik geachtet und lokale blutstillende Maßnahmen wie Kompression mit Tupfer und ein dichter, spannungsfreier Wundverschluss durchgeführt werden.

Außerdem wird intraoperativ hämostyptischen Maßnahmen wie z.B. Tabotamp® eine sehr gute blutstillende Wirkung zugeschrieben [2]. Gegebenenfalls können präoperativ Verbandplatten angefertigt werden, um möglichen Nachblutungen vorzubeugen [8,13] (Abb. 8 und 9). Tabelle 3 verschafft einen Überblick über die gängigsten Antikoagulanzien und ihre Wirkmechanismen und fasst das Vorgehen bei Patienten mit dauerhafter Antikoagulation zusammen.

Abb. 8: Ausgeprägte Hämatombildung bei antikoagulierten Patienten. Praxis Dr. Dr. Markus Tröltzsch
Abb. 8: Ausgeprägte Hämatombildung bei antikoagulierten Patienten.
Abb. 9: Ausgeprägte Hämatombildung bei antikoagulierten Patienten. Praxis Dr. Dr. Markus Tröltzsch
Abb. 9: Ausgeprägte Hämatombildung bei antikoagulierten Patienten.
Tab. 3: Zusammenfassung der gängigsten Antikoagulanzien und ihrer Wirkmechanismen sowie ein Überblick über das notwendige präoperative Management vor
Augmentation bzw. Implantation [2,13]. Praxis Dr. Dr. Markus Tröltzsch
Tab. 3: Zusammenfassung der gängigsten Antikoagulanzien und ihrer Wirkmechanismen sowie ein Überblick über das notwendige präoperative Management vor
Augmentation bzw. Implantation [2,13].

Fazit

Für eine sichere und komplikationslose Behandlung am Patienten sind heute ein fundiertes pharmakologisches Wissen bezüglich der häufig verordneten Medikamente und gute medizinische Kenntnisse über die wichtigsten Allgemeinerkrankungen von großer Bedeutung. Eine ausführliche und stets aktualisierte Anamnese und ein möglichst standardisiertes präoperatives Vorgehen, ggf. auch eine chirurgische Checkliste, sind daher obligat und unterstützen dabei, möglichen Komplikationen vorzubeugen oder diese ggf. kontrollieren zu können. Bei multimorbiden Patienten wird zudem eine enge Zusammenarbeit mit den behandelnden Fachärzten empfohlen.

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