Wirkstoffe in Zahnpasten: Was passt für wen?

Wer Patienten bei der Wahl einer individuell passenden Zahnpasta unterstützen möchte, sollte die wichtigsten Wirkstoffe kennen. Über deren Wirkmechanismen, Effektivität und Einsatz haben wir mit Priv.-Doz. Dr. Fabian Cieplik von der Uniklinik Regensburg gesprochen.
ZMK: Zahnpasten sind komplexe Kosmetikprodukte. Es gibt eine schier unüberschaubare Vielfalt an Pasten mit unterschiedlichsten Wirkversprechen. Wie kommt es zu diesem erstaunlich breiten Angebot?
Dr. Cieplik: Zahnpasta ist zum einen ein Kosmetikprodukt, das fast jeder Konsument benutzt und das deshalb universell vertrieben wird. Für Firmen ist es wichtig, möglichst viel Raum in einem Drogeriemarkt einzunehmen. Wenn Firmen viele verschiedene Produkte anbieten, können sie viele Regalmeter belegen, was die Verkaufszahlen entsprechend steigern kann.
Das ist nun mal betriebswirtschaftliches Denken. Aber Patienten ziehen durchaus einen Benefit aus diesem großen Angebot und gerade daraus, dass Spezialzahnpasten für bestimmte Indikationen verfügbar sind.Aus zahnmedizinischer Sicht ist Zahnpasta ein idealer Träger für Wirkstoffe: Die Zahnpasta wird 2- bis 3-mal täglich verwendet. Sie wird direkt dort benutzt, wo wir eine Wirkung erreichen möchten. Also können Wirkstoffe auf diese Weise sehr gut appliziert werden.
ZMK: Welche Spezialzahnpasten meinen Sie?
Dr. Cieplik: Es gibt verschiedenste Spezialzahnpasten für unterschiedliche Indikationen, beispielsweise für Patienten mit Überempfindlichkeiten, kariesaktive Patienten, Parodontitis- oder Gingivitis- Patienten, aber auch für Patienten mit Mundgeruch und für jene, die weißere Zähne haben möchten. Da ist man relativ frei und kann den Patienten individuell beraten, was für seine persönlichen Bedürfnisse am besten passt. Die Aussage „Hauptsache Fluorid, der Rest ist egal“ stimmt heute nicht mehr uneingeschränkt. Man sollte den Fokus nicht auf das Fluorid beschränken, für spezielle Indikationen gibt es noch andere Wirksubstanzen.
ZMK: Aber Fluorid ist nach wie vor wichtig, oder? Zur Kariesprophylaxe für Kinder und Erwachsene wird die Benutzung einer ausreichend fluoridhaltigen Zahnpasta empfohlen …
Dr. Cieplik: Fluorid ist der Standardwirkstoff zur Kariesprophylaxe. Fluoride schützen gegen Karies, indem sie die Demineralisation hemmen und die Remineralisation fördern. Dabei weiß man auch, dass ein Zusammenhang zwischen Dosis und Effektivität besteht. Daher kann es beispielsweise sinnvoll sein, bei besonders kariesaktiven Patienten eine hochfluoridhaltige Zahnpasta mit 5.000 ppm Fluorid zu empfehlen.
ZMK: Wie sollte eine hochfluoridhaltige Zahnpasta konkret eingesetzt werden?
Dr. Cieplik: Die Zahnpasta Duraphat mit 5.000 ppm Fluorid (Duraphat, CP GABA, Hamburg, ist derzeit die einzige auf dem deutschen Markt erhältliche hochfluoridhaltige Zahnpasta [Anm. d. Red.]) kann als Kur über 3 Monate angewendet werden, für einen längeren Zeitraum oder sogar dauerhaft. Das muss der Behandler oder die Behandlerin im Einzelfall entscheiden. Sie ist zugelassen ab 16 Jahren. Allerdings ist diese Zahnpasta rezeptpflichtig und relativ teuer (im 3er-Pack ca. 45 Euro).
Geschmacklich finden die meisten Patienten die Zahnpasta in Ordnung. Übrigens können hochfluoridhaltige Zahnpasten nicht nur für die der typischen Karies-Risikopatienten sinnvoll sein, sondern auch für Parodontitis-Patienten. Und zwar, da es bei diesen nach der Parodontitis-Therapie klassischerweise zu Rezessionen kommt, d.h. das Zahnfleisch sich etwas „zurückzieht“. Dadurch liegt Dentin frei, wodurch das Kariesrisiko zunimmt, da Karies im Dentin deutlich schneller voranschreitet.
Gerade jetzt, während der COVID-19-Pandemie, in der manche Patienten länger nicht zur unterstützenden Parodontitistherapie oder zu den regelmäßigen Prophylaxesitzungen erschienen sind, habe ich relativ viele neue Wurzelkariesläsionen beobachten müssen. Bei solchen Patienten mit hohem Kariesrisiko kann eine hochfluoridhaltige Zahnpasta empfohlen werden. Unter Umständen kann dadurch Wurzelkaries sogar teilweise remineralisiert und somit eine invasive Therapie vermieden oder vereinfacht werden.
ZMK: In jüngster Zeit rücken sogenannte biofilmmodulierende Zusätze zur Kariesprophylaxe in den Fokus. Was versteht man darunter?
Dr. Cieplik: Wir wissen mittlerweile, dass sowohl Karies als auch Parodontitis keine Infektionen im klassischen Sinne sind. Vielmehr liegt beiden Erkrankungen eine sogenannte Dysbiose, also eine Verschiebung des ökologischen Gleichgewichts im oralen Biofilm, zugrunde. Die Verschiebung hin zu einem Karies-assoziierten Biofilm lässt sich folgendermaßen erklären: Dem Biofilm, also der Plaqueakkumulation auf der Schmelzoberfläche, wird ein externer Stressfaktor zugefügt, nämlich die vermehrte Zufuhr von Kohlenhydraten.
Diese werden von den Bakterien im Biofilm zu Säure verstoffwechselt, wodurch der pH-Wert im Biofilm sinkt, was einen Standortvorteil für Karies-assoziierte Bakterien bedeutet, da diese einen niedrigen pH-Wert tolerieren können. Anstatt nun wie bisher auf die Entfernung des Biofilms und die Abtötung der Bakterien abzuzielen, sieht man heute, dass es eigentlich sinnvoller ist, diese Verschiebung im Gleichgewicht aufzulösen.
In der Kariologie gibt es bereits einen sehr interessanten Ansatz, und zwar über den Einsatz der Aminosäure Arginin. Arginin wird von bestimmten Bakterien im Biofilm zu Ammoniak verstoffwechselt, was den pH-Wert ansteigen lässt. Ein kariogener Biofilm lässt sich so durch die Zugabe von Arginin wieder zu einem mit Gesundheit assoziierten modulieren. Dazu gibt es bereits einige klinische Studien [1,2,6,7].
ZMK: Bestimmte Fluoride – Aminfluorid und Zinnfluorid – schützen nicht nur vor Karies, sondern besitzen auch plaquehemmende und antimikrobielle Eigenschaften. Wie bedeutend sind diese in der Prävention von Parodontitis bzw. Gingivitis? Wie stark ist der erwartbare Effekt?
Dr. Cieplik: Parodontitis ist keine rein bakteriell induzierte, sondern eine multifaktorielle Erkrankung, die durch ein sehr komplexes Wechselspiel zwischen einer Dysbiose in der oralen Mikrobiota und der Immunantwort des jeweiligen Patienten zustande kommt. Deswegen kann man mit einer Zahnpasta nur bedingt eingreifen.
Daher ist hier immer noch die Entfernung des Biofilms und damit des „Triggers“ der überschießenden Immunantwort entscheidend. Für diese spielt die Zahnpasta im Vergleich zur Zahnbürste eher eine untergeordnete Rolle, da die mechanische Komponente ausschlaggebend ist. Aber definitiv ist es so, dass Aminfluoride und auch Zinnfluoride antimikrobiell wirken. Das Ausmaß ist sicherlich nicht so groß, dass man allein durch die Zahnpasta einen großen Effekt erreichen kann, aber sie kann unterstützend wirken.
Hinsichtlich Gingivitis sieht es noch einmal anders aus: Zwischen Bakterienakkumulation und gingivaler Entzündung besteht ein klarer Zusammenhang. Und wir wissen auch, dass Gingivitis reversibel ist. In der „Leitlinie für häusliches chemisches Biofilmmanagement in der Prävention und Therapie der Gingivitis“ werden ja auch Mundspülungen mit antibakteriellen Inhaltsstoffen für den kurzfristigen Einsatz empfohlen, die sicherlich noch einen größeren Effekt bei der Behandlung von Gingivitis haben als die Zahnpasta. Aber der zusätzliche Einsatz von bestimmten Zahnpasten mit Zinnfluoriden und Aminfluoriden kann deren Wirkung sicherlich unterstützen.
ZMK: Rund ein Viertel der Erwachsenen* leidet unter hypersensiblen Zähnen. Wie kommt es zu einer Überempfindlichkeit der Zähne?
Dr. Cieplik: Eine Überempfindlichkeit entsteht, wenn durch Entstehen einer Rezession Dentin freiliegt. Im Dentin liegen die Dentintubuli mit Nervenfortsätzen, die auf Reize wie Kälte, aber auch auf osmotische Reize mit Schmerz reagieren.
ZMK: Welche Wirkstoffe helfen bei empfindlichen Zähnen?
Dr. Cieplik: Grundsätzlich gibt es zwei Wirkmechanismen, über die man desensibilisierend eingreifen kann. Einerseits kann durch Kaliumsalze die Reizweiterleitung bestimmter Nervenfasern blockiert werden. Die Blockade der Reizweiterleitung funktioniert – allerdings mit einer Verzögerung. Es dauert mindestens 2 Wochen, bis ein Effekt einsetzt. Darüber sollte man Patienten aufklären. Der andere Ansatz besteht darin, diese Tubuli einfach zu verschließen.
Dieser Effekt tritt bereits nach wenigen Anwendungen ein. Deswegen ist dieses Verfahren bei akuten Beschwerden aus meiner Sicht vorzuziehen. Der Verschluss der Tubuli kann durch verschiedene Wirkstoffe erreicht werden: durch Strontiumchlorid oder -acetat oder durch die Kombination der Wirkstoffe Arginin und Calciumcarbonat. Durch letztere entsteht eine mit Kalzium angereicherte Oberfläche, die die Tubuli blockiert. Patienten kann man übrigens den Tipp geben, eine solche Sensitiv-Zahnpasta direkt in schmerzempfindliche Stellen einzumassieren.
ZMK: Sie haben eingangs erwähnt: Über das 2x tägliche Zähneputzen können Wirkstoffe in der Zahncreme effektiv auf die Zahnsubstanz befördert werden. Kann man ihre Wirkung darüber hinaus unterstützen?
Dr. Cieplik: Ganz entscheidend ist die Frage: Was machen wir nach dem Zähneputzen? Die meisten Patienten spülen anschließend mit Wasser aus. Das ist falsch! Zahnpasta ist ein sehr komplexes Produkt, das vieles enthält, was uns nützen kann. Wenn man direkt nach Benutzung die Paste wieder ausspült, dann sinkt sowohl die Konzentration von Fluorid wie auch beispielsweise von desensibilisierenden Wirkstoffen direkt wieder ab, was die Wirkung schwächt. Deshalb sollte man nach dem Zähneputzen nur ausspucken – nicht ausspülen.
Man kann auch ein bisschen Speichel ansammeln, um mit diesem Zahnpasta-Slurry im Mund zu spülen und dann auszuspucken. Oder, wenn man nun unbedingt mit etwas nachspülen möchte, kann man hierzu eine fluoridhaltige Mundspüllösung verwenden. Gerade bei den desensibilisierenden Zahnpasten gibt es meist die passende Mundspülung, die dieselben Wirkstoffe enthält. Da macht es Sinn, mit der zugehörigen Lösung nachzuspülen. Eine zusätzliche Mundspülung ist grundsätzlich aber in den seltensten Fällen wirklich nötig.
ZMK: Ausspülen ist Gewohnheitssache, oder? Nur auszuspucken wird manchen Erwachsenen schwerfallen …
Dr. Cieplik: Ich habe auch die ersten 25 Jahre meines Lebens mit Wasser ausgespült. Dann habe ich begonnen, mich eingehender mit diesem Thema zu beschäftigen, und mir gedacht, das probierst du mal aus … schon in ein paar Tagen hatte ich meine Gewohnheit umgestellt. Also: Das geht relativ schnell!
ZMK: Vielen Dank für das Interview!
Interview: Dagmar Kromer-Busch
Interessenkonflikt: Vortrags- und Beratungstätigkeit für verschiedene Hersteller von Zahnpasten und Mundpflegeprodukten.
Zahnpasten beinhalten unterschiedliche Stoffe, die für ihre Konsistenz, für Aussehen und Geschmack verantwortlich sind. Dazu gehören Abrasivstoffe, Binde- und Feuchthaltemittel, Geschmacks- und Aromastoffe, Tenside, Konservierungsmittel, Farbstoffe, Wasser und Wirkstoffe. Diese Stoffe müssen auf der Verpackung angegeben werden, und zwar beginnend mit der höchsten Konzentration. Unter 1% Konzentration darf willkürlich aufgelistet werden. Zahnmedizinisch interessant sind v.a. die enthaltenen Wirkstoffe zur Prophylaxe unterschiedlicher Erkrankungen oder Beschwerden bzw. zur Unterstützung der Therapie [10].
Kariesprophylaxe: 1.450 ppm Fluorid für Erwachsene; Kinder bis zum 6. Geburtstag sollten eine Kinderzahnpasta mit 1.000 ppm Fluoridkonzentration verwenden [3,4,9].
Unterstützende antibakterielle Wirkung (z.B. bei Parodontitis/ Gingivitis): Zinnfluorid (SnF2; engl.: Stannous fluoride), Aminfluorid (AmF; engl.*: Sodium fluoride), Zink (Zn; engl.: Zinc), Chlorhexidin (CHX; engl.: Chlorhexidine) oder Cetylpyridiniumchlorid (CPC; engl.: Cetylpyridinium chloride) [8,10]
Schutz vor Hypersensibilitäten: Kaliumverbindungen (engl.: Potassium), Strontiumverbindungen, Arginin (engl.: Arginine) und Calciumcarbonat (CaCO3; engl.: Calcium carbonate) [10]
Unterstützend bei Halitosis: Aminfluorid (AmF; engl.: Sodium fluoride), Zinnfluorid (SnF2; engl.: Stannous fluoride), Zink (Zn; engl.: Zinc) [5,10]
*Angaben auf der Verpackung in englischer Sprache.