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Interview zur Reihe „Lokalanästhesie bei besonderen Patienten“

Eine besondere Konstitution bedingt eine besondere Dosierung

Zahnärztliche Lokalanästhetika sollten immer individuell dosiert werden – bei Risikopatienten kann dies schwerwiegende Komplikationen verhindern. Prof. Dr. Dr. Peer W. Kämmerer ist Autor des Buches „Lokalanästhesie in der Zahnmedizin“, publiziert und referiert seit Jahren zu dem Thema. Nachfolgend erläutert er den Unterschied zwischen Risikopatienten und „besonderen“ Patienten und was es zu beachten gilt. In den folgenden 3 Ausgaben stellt er je einen Fall zur Behandlung besonderer Patienten vor.

. teksomolika/freepik.com
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Herr Prof. Kämmerer, Lokalanästhesie scheint auf den 1. Blick ein „gelerntes“ Thema für Zahnärzte zu sein, gibt es da noch etwas Neues?

Univ.-Prof. Dr. Dr. Peer W. Kämmerer, M.A., FEBOMFS
Leitender Oberarzt/Stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
peer.kaemmerer@unimedizin-mainz.de Dr. Kämmerer
Univ.-Prof. Dr. Dr. Peer W. Kämmerer, M.A., FEBOMFS
Leitender Oberarzt/Stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
peer.kaemmerer@unimedizin-mainz.de

Prof. Kämmerer: Stimmt, aber eben nur auf den 1. Blick. Die Resonanz auf unsere Fortbildungen und Webinare ist enorm – vielleicht gerade, weil das Thema so selbstverständlich ist. Es gibt ganz viele neue Aspekte im Bereich der Schmerzausschaltung, zum Beispiel die begleitende Analgesie und Sedierung sowie Arzneimittelwechselwirkungen oder Risikopatienten.

Apropos Risikopatienten – die Zahl der chronisch Erkrankten in Deutschland wird weiter steigen. Was sollten Zahnärzte bei der Lokalanästhesie bei ihnen beachten?

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Prof. Kämmerer: Ein Schema-F gibt es nicht. Die meisten Fragen erhalten wir zu Diabetes- oder Herz-Kreislauf-Patienten unter Antikoagulation. Das Wichtigste: Die Gesamtdosierung sowie die Konzentration des Vasokonstriktors und auch die Injektionstechnik müssen individuell auf jeden Patienten abgestimmt werden.

Noch immer verwenden viele Zahnärzte auch für kürzere Eingriffe „zur Sicherheit“ ein Anästhetikum mit einem Adrenalinzusatz von 1:100.000. In ganz vielen Fällen ist es aber sinnvoll beziehungsweise sogar notwendig, den Zusatz zu reduzieren oder ein Anästhetikum ganz ohne Adrenalin zu verwenden.

Wer sind diese Risikopatienten?

Prof. Kämmerer: Es sind Patienten, die ein besonderes Komplikationsrisiko bei der zahnärztlichen Behandlung aufweisen. Meist aufgrund von Vorerkrankungen oder der Einnahme von Medikamenten.

Deshalb betrifft es in der Praxis die Gabe von Arzneimitteln. Hier ist vor allem die täglich angewendete Lokalanästhesie zu nennen. Für die meisten unerwünschten Effekte ist dabei der Vasokonstriktor verantwortlich, sprich Adrenalin.

Welche Erkrankungen sind besonders kritisch?

Prof. Kämmerer: Kritisch sind vor allem Erkrankungen, die absolute Kontraindikationen darstellen – für das Lokalanästhetikum, meist Articain, und für Adrenalin. Für die Lokalanästhesie sind das unter anderem schwere Störungen des Reizbildungs- oder Reizleitungssystems, schwere Hypertonie, Allergien gegen Inhaltsstoffe, aber auch Behinderungen oder unkooperatives Verhalten. Zu den absoluten Kontraindikationen von Adrenalin gehören eine bekannte Sulfitallergie, 3 bis 6 Monate zurückliegende kardiovaskuläre Ereignisse wie Infarkt oder Insult, ein Engwinkelglaukom, aber auch die Einnahme von bestimmten Antidepressiva. 

Und dann gibt es relative Kontraindikationen… 

Prof. Kämmerer: Richtig, allgemein vor allem Leber- und Niereninsuffizienz sowie Cholinesterasemangel. Bei Diabetes mellitus, Asthma, Schilddrüsenerkrankungen sowie der Einnahme von Medikamenten wie Antikoagulanzien oder Antihypertensiva ist auf einen reduzierten Adrenalinzusatz zu achten. Ein Sonderfall ist die Hyperthyreose.

Sie wird häufig als relative Kontraindikation betrachtet, weil bei gut eingestellten Patienten kaum eine Gefahr besteht. Die Empfehlung der BZÄK lautet aber: sicherheitshalber auf Adrenalin verzichten. Zumindest reduzieren sollte man es zudem bei „besonderen“ Patienten.

Welche sind das?

Prof. Kämmerer: Das betrifft betagtere Patienten, Schwangere sowie Kinder. Und eine besondere Konstitution, bedingt eine besondere Dosierung. Hier nutze ich in der Regel Articain mit einem Adrenalinzusatz von 1:200.000 oder verzichte auf Adrenalin.

Ältere Patienten leiden häufig an mehreren chronischen Erkrankungen und nehmen zeitgleich diverse Medikamente ein. Für Schwangere gilt eine strenge Nutzen-Risikoabwägung, da durch eine erhöhte exogene Adrenalinzufuhr vor allem im 1. Trimester das Risiko für Uteruskontraktionen und Abort besteht.

Aber: Ein Lokalanästhetikum macht Sinn, da Schmerzen die endogenen Adrenalinspiegel in der Regel deutlich mehr erhöhen als der Vasokonstriktor. Bei Kindern ist aufgrund des geringen Körpergewichts vor allem auf die Grenzdosis des Lokalanästhetikums zu achten.

Bei welchen Medikamenten sollten Zahnärzte aufpassen?

Prof. Kämmerer: Kontraindikationen betreffen vor allem trizyklische Antidepressiva, MAO-Hemmer sowie nicht-selektive Betablocker. Bei Diabetikern sollte auf die orale Medikation bzw. Insulingabe geschaut werden, um Hypoglykämien zu vermeiden.

Des Weiteren können Beta-2-Sympathomimetika, Antiparkinson-Mittel sowie Guanethidin, Digoxin und Digitoxin die Adrenalinwirkung zusätzlich verstärken. Dabei ist das körpereigene Adrenalin durch Stress und Schmerzen ebenfalls nicht zu vernachlässigen – alles zusammen kann gefährlich werden.

Sie sind Autor der Leitlinie zu Antikoagulanzien in der zahnärztlichen Chirurgie, gibt es hier Einschränkungen?

Prof. Kämmerer: Antikoagulanzien sind für mich eine relative Kontraindikation. Bei kardiovaskulär vorbelasteten Patienten würde ich immer zu maximal 1:200.000 greifen. Das reduziert die Komplikationsrate – übrigens auch bei anderen Vorerkrankungen – um etwa die Hälfte, wie Kollegin Daubländer zeigen konnte.

ILA im UK-Molarenbereich als Alternative zur invasiveren Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior, z.B. bei antikoagulierten Patienten. Dr. Kämmerer
ILA im UK-Molarenbereich als Alternative zur invasiveren Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior, z.B. bei antikoagulierten Patienten.

Hinzu kommen die Spritzentechniken. Die Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior sehe ich bei Patienten, die zu Blutungen neigen, als kontraindiziert an, da sich durch Gefäßverletzungen leicht Hämatome bilden und das Risiko für eine akzidentelle intravasale Injektion erhöht ist. Die intraligamentäre Anästhesie ist eine sehr gute Alternative, da ich im Desmodontalspalt keine Gefäße treffen kann.

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