Interview

Schutz der Patienten und des gesamten Praxisteams

Corona-Virus: Das Ansteckungs-Risiko reduzieren

30.11.2020

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Prof. Dr. Stefan Zimmer, Fachzahnarzt für Öffentliches Gesundheitswesen, Abteilungsleiter für Zahnerhaltung und Präventive Zahnmedizin und Leiter des Departments für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde an der Universität Witten/Herdecke, nimmt im vorliegenden Experteninterview Stellung zu den Auswirkungen der aktuellen Corona-Pandemie auf die zahnmedizinische Versorgung und benennt Maßnahmen, die zum Gesundheitsschutz von Patienten und der Praxismitarbeiter zu beachten und zu befolgen sind, um einer Ansteckung/Übertragung mit SARS-CoV-2 vorzubeugen.

Herr Professor Zimmer, ist es richtig, dass Zahnärzte*, Dentalhygieniker* und ZFA* ein besonders großes Risiko für die Infektion mit SARS-CoV-2 tragen und warum ist das so?

  • Prof. Dr. Stefan Zimmer

  • Prof. Dr. Stefan Zimmer
    © privat
Prof. Dr. Stefan Zimmer: Ja und nein. Einerseits sind wir in der Behandlung sehr nah an unseren Patienten dran, vor allem an den hauptsächlichen Übertragungsquellen Mund und Nase. Und wir produzieren bei unserer Arbeit häufig ein Aerosol, das Bakterien und Viren aus der Mundhöhle unserer Patienten herausspülen und verteilen kann. Andererseits schützen wir uns gerade deshalb auch besonders gut, und zwar nicht erst seit der Corona- Krise. Seit Beginn der Pandemie haben wir zusätzliche Hygiene- und Schutzmaßnahmen ergriffen, um das Übertragungsrisiko weiter zu minimieren. Im Übrigen sind mir keine Fälle bekannt, in denen es zu einer Infektion mit SARS-CoV-2 im Rahmen einer zahnärztlichen Behandlung gekommen wäre.

Abgesagte Termine, verschobene Behandlungen und die Sorge vor Ansteckung haben es den Zahnarztpraxen in Deutschland in den letzten Wochen und Monaten schwer gemacht. Hat sich die Lage inzwischen entspannt?

Prof. Dr. Stefan Zimmer: Aus meiner Sicht ja. Natürlich gelten immer noch besondere Regeln des Infektionsschutzes und manche Angehörige von Risikogruppen verschieben ihre zahnärztliche Behandlung lieber auf eine spätere Zeit. Aber abgesehen davon laufen die Praxen, soweit ich das überblicke, wieder im Normalbetrieb.

Bestand die Gefahr, dass notwendige Behandlungen nicht rechtzeitig durchgeführt wurden und wird dies weiterhin noch so sein?

Prof. Dr. Stefan Zimmer: Aus meiner Sicht ist es grundsätzlich möglich, fast jede notwendige Behandlung durchzuführen. Es müssen nur die erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden. Die Risiken lauern nicht so sehr in der zahnärztlichen Behandlung selbst. Dort sind die notwendigen Hygienemaßnahmen gut etabliert. Risiken entstehen immer dann, wenn Menschen sich zu nahe kommen und auch keine Schutz-Maske tragen. Deshalb muss besonderes Augenmerk auf die Rezeption und den Wartebereich gelegt werden.

Welche zahnmedizinischen Behandlungen können bzw. sollen bei Patienten mit Covid-19-Verdacht oder -Nachweis durchgeführt werden?

Prof. Dr. Stefan Zimmer: Es kommt natürlich darauf an, welche Krankheitssymptome die betroffenen Patienten aufweisen. Die mit SARS-CoV-2 infizierten Patienten, welche nicht oder nur leicht an Covid-19 erkrankt sind, kann man unter den für infektiöse Patienten üblichen Bedingungen behandeln.

Wie lässt sich das Infektionsrisiko sowohl für die Patienten, den Zahnarzt als auch für die Praxismitarbeiter verringern?

Prof. Dr. Stefan Zimmer: Außerhalb der Behandlungssituation sind das A und O die strikte Wahrung des Sicherheitsabstandes und der Regeln zur Händereinigung bzw. -desinfektion und das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes sowie das regelmäßige Lüften. Das gilt für Patienten ebenso wie für das gesamte Praxispersonal. Diese Regeln werden nach meiner Einschätzung in ihrer Bedeutung oft unterschätzt.

Vor der Behandlung sollte ein Risikoscreening der Patienten mithilfe eines Fragebogens vorgenommen werden. In der Behandlungssituation ist einerseits ein guter passiver Infektionsschutz des zahnärztlichen Teams durch adäquate Kleidung, Handschuhe, Masken, Schutzbrillen und Visiere erforderlich sowie eine optimale Absaugung, um unnötige Aerosolverbreitung zu vermeiden. Abgerundet werden kann dieses Sicherheitskonzept dadurch, dass man die Patienten vor der Behandlung mit einer gegen SARS-CoV-2 wirksamen Spüllösung spülen lässt.

Wie können Behandler ihren Patienten die Angst vor einer Ansteckung nehmen?

Prof. Dr. Stefan Zimmer: Durch Aufklärung über das Infektionsrisiko und die Schutzmaßnahmen in der Zahnarztpraxis.

Der Deutsche Arbeitskreis für Hygiene in der Zahnmedizin (DAHZ) hat im April bereits empfohlen, bei Patienten mit Covid-19-Verdacht oder -Nachweis die Mundhöhle mit einer antiviralen Lösung – z.B. auf Basis von Povidon-Iod (PVPI) – zu spülen, um den Schutz vor einer Infektion zu erhöhen. Hat sich die Empfehlung in der Praxis durchgesetzt?

Prof. Dr. Stefan Zimmer: Wenn auch nicht sicher belegt werden kann, wie wirksam diese Maßnahme klinisch tatsächlich ist, hat sie sich meiner Einschätzung nach gut etabliert.

Eine In-vitro-Studie hat unlängst die Wirksamkeit von PVP-I gegen SARS-CoV-2 innerhalb von 15 Sekunden bestätigt [1]. Was bedeutet dieses Ergebnis für die medizinische Praxis?

Prof. Dr. Stefan Zimmer: Diese Studie gibt uns natürlich keine vollständige Sicherheit für den klinischen Bereich, weil wir wissen, dass sich die Ergebnisse von In-vitro-Studien nicht eins zu eins auf die klinische Situation übertragen lassen. Aber wir haben es mit einem neuen Virus zu tun und verfügen generell über wenig bis keine Evidenz aus klinischen Studien, wie wir die Übertragung effektiv verhindern können. Deshalb greifen wir oft auf Analogieschlüsse zu anderen Viren zurück, was auch oft zu kurz greift. Vor diesem Hintergrund ist die Erkenntnis, dass Povidon-Iod in Konzentrationen von 0,5 und 1,0% in vitro effektiv gegen das SARS-CoV-2-Virus ist, doch hilfreich.

Wie sollte die Munddesinfektion in der Praxis durchgeführt werden?

Prof. Dr. Stefan Zimmer: Natürlich lassen sich aus den vorhandenen Daten nur schwer Protokolle für den klinischen Umgang ableiten. Ich halte es für vernünftig, dass die Patienten die Mundspüllösung nehmen, den Mund 30 Sekunden lang spülen und dabei auch gurgeln, damit möglichst große Bereiche der Mundhöhle erfasst werden.

Herr Professor Zimmer, vielen Dank für das Gespräch.


[1] Hassandarvish P, Tiong V, Sazaly A. et al. Povidone iodine gargle and mouthwash. Br Dent J 228, 900 (2020).