Prävention nutzt – auch dem Zahnarzt?

„Vorbeugen ist besser als Heilen“ lautet eine sprichwörtliche Binsenweisheit. Vorbeugen hilft, Krankheiten zu vermeiden, verlängert unter Umständen das Leben, spart Kosten im Versorgungssystem und fördert das Well-Being sowie das Well-Feeling des Gesunden. Aber auch für den Kranken spielt die Prävention eine wichtige Rolle: Mit der Tertiärprophylaxe soll das Wiederauftreten der Erkrankung verhindert werden. Da in der Regel jede Definition von Prävention zunächst vom Patienten ausgeht, stellt sich die Frage, ob bzw. inwieweit sie auch dem Behandler von Nutzen sein kann. Das soll im Folgenden am Beispiel des Zahnarztes gezeigt werden.
Die Bedeutung der beiden Begriffe „Prophylaxe“ und „Prävention“ ist grundsätzlich dieselbe, nämlich Vorbeugung. Der einzig erkennbare Unterschied – vom Wortsinn her betrachtet – liegt darin, dass „Vorbeugung – Prophylaxe“ aus dem Griechischen stammt, der Begriff „Zuvorkommen – Prävention“ aus dem Lateinischen.
Definition Prävention
Der Bayerische Präventionsplan definiert „Prävention“ wie folgt [1]: „Prävention umfasst als Überbegriff alle Aktivitäten, die Risikofaktoren auf Ebene einzelner Menschen wie auch auf Ebene von Lebenswelten verringern sollen. Unterschieden werden verschiedene Stufen der Prävention: Im Rahmen der Primärprävention soll bestenfalls bereits die Entstehung einer Erkrankung verhindert werden (bspw. durch Fissurenversiegelung und Fluoridierung)*, die Sekundärprävention umfasst Maßnahmen, die zu einer frühzeitigen Krankheitserkennung führen sollen, um damit bessere Heilungschancen zu erreichen (Screening und PSI)*, und die Tertiärprävention Maßnahmen, die die Wiedereingliederung und Rehabilitation im Verlauf einer Krankheit zum Ziel haben und einer Verschlimmerung der Erkrankung vorbeugen (z.B. postoperative Maßnahmen nach kieferchirurgischen Eingriffen oder bei schweren Anomalien)*.
Der GOZ-Experte Dr. Peter Esser hat eine spezifischere Definition geliefert [2], die zunächst nur auf die Honorierung prophylaktischer Leistungen ausgerichtet erscheint: Nach dieser Lesart handelt es sich bei der zahnärztlichen Prophylaxe um „zahnmedizinische Bemühungen um effektive Mundhygiene sowie Zahn- und Mundgesundheit“ im überschaubaren Spektrum der individualprophylaktischen Leistungen (IP-Leistungen) der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Dagegen rechnet Esser die Leistungen der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) in Zusammenhang mit der zahnärztlichen (Parodontal-)Prophylaxe der Prävention zu.
Kariesprophylaxe? Parodontalprävention?
Sowohl nach den Leistungsbeschreibungen der GOZ als auch des BEMA zählt zu den Präventionsleistungen noch mehr. An dieser Stelle sind vor allem die in jüngster Zeit in den BEMA aufgenommenen Leistungen der aufsuchenden Betreuung zu nennen, ebenso die Vorverlagerung frühkindlicher Untersuchungen bis zum 33. Lebensmonat seit dem 1.7.2019. Hier ist der Sozialgesetzgeber, ist auch die gemeinsame Selbstverwaltung der Leistungs- und Kostenträger mit der Erweiterung des Leistungskatalogs auf Forderungen der Zahnärzteschaft eingegangen und hat diese – zumindest in Ansätzen – umgesetzt.
Paradigmenwechsel zu präventiver Zahnheilkunde
Dieses lang geforderte Umdenken wäre nicht möglich gewesen ohne die Neubeschreibung der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde durch die zahnärztlichen Körperschaften und die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK). Die Neubeschreibung einer präventionsorientierten Zahnheilkunde bleibt ohne Zweifel eine der wichtigsten strategischen Leistungen der zahnärztlichen Körperschaften, nur noch vergleichbar mit der Durchsetzung des Vertrags- und Wahlleistungskonzeptes.
Die GKV übernimmt auf gesetzlicher Grundlage die Kosten für die Verhütung von Zahnerkrankungen in Form der Gruppen- und Individualprophylaxe (§§ 21, 22 SGB V), für Früherkennungsuntersuchungen bis zum 6. Lebensjahr (§ 26 Abs. 1 SGB V), für zahnärztliches Präventionsmanagement bei Pflegebedürftigen oder Menschen mit Behinderungen (§ 22a SGB V, eingeführt durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz 2012) und für zusätzliche Leistungen im Rahmen der aufsuchenden Versorgung (§ 87 Abs. 2i und Abs. 2j SGB V, eingeführt durch die Pflegegesetze seit 2015). Gleichzeitig verpflichtet der Gesetzgeber Vertragszahnärzte wie auch ihre Vertretungskörperschaften, die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen (KZV), zum Abschluss von Kooperationsverträgen mit den stationären Pflegeeinrichtungen (§ 119b Abs. 1 SGB V).
Neben der Verankerung der Individual- und Gruppenprophylaxe im SGB V ist die Einführung von Präventionsleistungen für Menschen im hohem Alter oder mit Handicap (§ 22a SGB) ein Meilenstein in der gesetzlichen Krankenversicherung, auch wenn man jede Erweiterung des Leistungskatalogs angesichts des Kostendrucks, der im System besteht, grundsätzlich hinterfragen muss. Wieder waren es die zahnärztlichen Körperschaften, die mit Vorlage eigener Behandlungsvorschläge (AuB-Konzept 2010) den Anstoß für die Verbesserung der Versorgung dieser vulnerablen Patientengruppe gegeben haben. Seit 2017 haben die Betroffenen Anspruch auf ein Präventionsmanagement, Aufklärungsmaßnahmen, Erstellung eines Plans zur individuellen Mund- bzw. Prothesenpflege sowie die Entfernung harter Zahnbeläge.
Lücken im Katalog
Nicht im Leistungskatalog der GKV enthalten sind die professionelle Zahnreinigung (PZR), Labortests zur Keimbestimmung, lokale Anwendung von Antibiotika direkt in den Zahnfleischtaschen, Versorgung von Entzündungen an Zahnfleisch und Kieferknochen in Zusammenhang mit Implantaten sowie Verfahren zur Regeneration und Rekonstruktion. Beim gesetzlich Versicherten finden diese Behandlungen auf Basis vertraglicher Vereinbarungen statt.
Neuer Handlungsraum für die Praxis
Die im Bewertungsausschuss des GBA beschlossenen Zuschlagpositionen für die kooperative und koordinierte zahnärztliche und pflegerische Versorgung von Versicherten in stationären Pflegeeinrichtungen erweitern nicht nur den Radius der zahnärztlichen Praxis, sondern verschaffen ihr auch neue Handlungsräume. Das betrifft das Aufsuchen der Versicherten, die Beurteilung des zahnärztlichen Behandlungsbedarfs, des Pflegezustands der Zähne, der Mundschleimhaut sowie der Prothesen, das Einbringen von versichertenbezogenen Vorschlägen für Maßnahmen zum Erhalt und zur Verbesserung der Mundgesundheit, einschließlich Dokumentation, die Unterstützung und ggf. praktische Anleitung des Pflegepersonals durch versichertenbezogene Vorschläge für Maßnahmen zum Erhalt und zur Verbesserung der Mundgesundheit sowie Aufklärung über Besonderheiten der Zahnpflege und Hinweise zur Pflege und Handhabung des Zahnersatzes.
Alles andere als ein Selbstgänger
Das alles war und ist nicht selbstverständlich. Zahnprophylaktische Maßnahmen werden bereits aus dem Altertum überliefert, wobei man die „Therapien“ heute belächeln mag. Die neuzeitliche Rezeption der Prävention ist – zurückhaltend formuliert – eine wechselhafte. Christoph Benz hat in einem Beitrag für das Bayerische Zahnärzteblatt [3] eine kritische Betrachtung zur Geschichte der Prävention veröffentlicht, die für ihn mit Dayton Miller (1853–1907) beginnt. Dessen Feststellung „A clean tooth never dicades“ wird zum Programmsatz einer „Revolution ohne Revolutionäre“. Ihm folgt Alfred Civilion Fones (1869–1938), Gründer der „School of Dental Hygiene“. Seine „dental hygienists“ waren „lay women“, die über die „Putzdienste“ zur beruflichen Qualifikation geführt wurden. Benz nennt auch Jessen in Straßburg (1859–1933), der die erste Schulzahnklinik gründete, Axelsson und Lindhe, ebenso Laurisch, Hellwege und Bockelbrink, die der Prophylaxe seit Ende des 20. Jahrhunderts den Weg ebneten. Erinnert werden muss auch an den Arzt, Zahnarzt und Kieferorthopäden Prof. Dr. Alfred Kantorowicz (1880–1962), den man bereits vor dem 2. Weltkrieg, und erst recht nach seiner Rückkehr aus dem türkischen Exil als Wegbereiter der Jugendzahnpflege in Deutschland bezeichnen darf.
Benz‘ eigener Beitrag – insbesondere im Rahmen der Prävention bei älteren und behinderten Menschen – darf dabei nicht unerwähnt bleiben. Gleiches gilt für Herbert Michel (Würzburg) und Michael Lechner (Bamberg), die in den 1990er-Jahren mit ihrem von der Bayerischen Landeszahnärztekammer (BLZK) initiierten und mit Unterstützung des Bayerischen Staatsministeriums für Soziales durchgeführten Pilotprojekt für die Einführung eines funktionierenden „Patenzahnarztsystems“ in Bayern sorgten. Jede stationäre Einrichtung der Altenpflege konnte auf Basis dieses Konzeptes einen betreuenden Zahnarzt benennen, der sich um die Versorgung der Bewohner kümmerte.
Schön und gut
Die Grundsätze der medizinischen Prävention sind bereits seit (mindestens) 3 Jahrtausenden bekannt. Der Eid des Hippokrates von Kos aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. wurde zum grundlegenden Baustein für das ärztliche Ethos: „Ich werde meine Verordnung zum Nutzen und Frommen der Kranken treffen, nach bestem Vermögen und Urteil.“ Noch treffender hat der Ärzte-Urvater es wie folgt auf den Punkt gebracht: „Schön ist es, der Gesundheit wegen um die Kranken besorgt zu sein. Viel schöner ist es, um die Gesunden besorgt zu sein: ihres Nichterkrankens wegen.“ Bei allen Denkern der vorrömischen Antike, bei Homer, Hesiod, Heraklit bis hin zu Sokrates, ist „schön“ alles andere als ein profaner Begriff. Schönheit steht für Ästhetik, für Harmonie und innere Balance, für das Gute schlechthin. Wenn Hippokrates meint, es sei „schön“, sich um Gesunde zu kümmern, geht es im übertragenen Wortsinn um eine schöne, „heile“ Welt mit einem Ordnungsgefüge, das von einer sittlichen Wertehaltung geprägt ist.
Nutzen heißt auch: Glück
Natürlich hat „Nutzen“ eine ökonomische Bedeutung, etwa in dem Sinne, dass die Fähigkeit eines Gutes bemessen wird, ein bestimmtes Bedürfnis zu befriedigen. Der Wert von Gesundheitsdienstleistungen in unserem Land, der die Befriedigung dieses Grundbedürfnisses für 80 Millionen Bürger beziffert, lässt sich rechnen. Zum darüber hinaus gehenden Nutzen haben Volkswirte unterschiedliche Theorien entwickelt. Der weiter gefasste Nutzenbegriff beantwortet Grundfragen jeder menschlichen Existenz: Was tue ich? Ist, was ich tue, gut? In der Tradition dieser Überlegungen steht Jeremy Bentham, ein englischer Sozialreformer (1748–1832). Von ihm stammt die These: „Der Mensch vermehrt sein Glück in dem Maße, in welchem er es anderen verschafft.“ Benthams Nachdenken ist in die Philosophiegeschichte unter der Überschrift „Utilitarismus“ eingegangen. Nach dieser Betrachtung liegt der Nutzen von Prävention im Glück des Patienten, Glück in Form der Gesunderhaltung – salus aegroti suprema lex. Der zeitgenössische Philosoph Wilhelm Schmid hat es, vielleicht auch mit Blick auf Aristoteles und dessen Begriff der „Glückseligkeit“, so gefasst: „Lebenskunst kann … heißen, sich ein schönes Leben zu machen, im Sinne von: das Leben bejahenswerter zu machen, und hierzu eine Arbeit an sich selbst, am eigenen Leben, am Leben mit anderen und an den Verhältnissen, die dieses Leben bedingen, zu leisten.“
Der Nutzen von Prävention
In der Zusammenschau lassen sich die folgenden Thesen formulieren:
These 1: Prävention steht für die medizinische Kompetenz des Zahnarztes
An kaum einer anderen Schnittstelle zur Berufsausübung der Ärzte werden Wechselwirkungen zwischen Erkrankungen der Zähne, des Zahnfleisches und Allgemeinerkrankungen so deutlich. Insbesondere die Parodontitis-Prävention kann dazu beitragen, Allgemeinerkrankungen zu vermeiden oder deren Therapie in den Behandlungsverlauf zu integrieren. Bereits vor 30 Jahren beschrieb eine finnische Studie, dass der orale Gesundheitszustand bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt oder Schlaganfall signifikant schlechter war als in entsprechenden Kontrollgruppen. Ausgeprägte Parodontopathien erhöhen das für die bekannten Risikofaktoren adjustierte Risiko einer koronaren Herzkrankheit [4]. Auch die Wechselwirkungen zwischen Diabetes und Parodontalerkrankungen sind seit Langem bekannt [5,6]. Dass Zahnärzte eine „erste Adresse“ für potenzielle Stammzellspender bei der bundesweiten Aktion „Mund auf gegen Blutkrebs“ sind, hat auch in der Bevölkerung auf Schnittstellen zwischen zahnärztlicher und (fach-)ärztlicher Behandlung, auf die der Wissenschaftsrat bereits 2005 bei seinem Plädoyer für eine engere Verzahnung im Studium der Medizin und Zahnmedizin hingewiesen hatte [7], aufmerksam gemacht.
These 2: Prävention beeinflusst das Image der Zahnärzteschaft positiv
Aus den vorstehenden Hinweisen folgt bereits: Zahnärzte haben keinen Grund für eventuelle Minderwertigkeitskomplexe, die Bowers 1990 als „Doctors and Dentists Syndrome“ beschrieben hat [8]. Im Gegenteil, die öffentlich und auch von der Politik stets betonten Erfolge der Kariesprophylaxe haben einen positiven Einfluss auf das Image des Berufsstandes. Nach der aktuellen Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS V) [9] sind 8 von 10 der 12-jährigen Kinder heute kariesfrei. Die Zahl der kariesfreien Gebisse hat sich von 1997 bis 2014 verdoppelt. Bei den jüngeren Erwachsenen (35- bis 44-Jährige) ist die Anzahl der Zähne mit Karies seit 1997 um 30% zurückgegangen (4,9 Zähne). Nur noch halb so viele jüngere Erwachsene weisen im Vergleich zu 1997 eine Karieserkrankung der Zahnwurzel auf. Von solchen Erfolgsmeldungen „profitiert“ auch der einzelne Zahnarzt in seiner Praxis. Insbesondere die Erfolge in der Kariesprävention bei Kindern haben aus dem Berufsstand eine „Speerspitze der Prävention“ gemacht.
These 3: Prävention reagiert auf künftigen Behandlungsbedarf
Auch wenn sich die Zahl schwerer Parodontalerkrankungen laut DMS V bei den jüngeren Erwachsenen halbiert hat (Abb. 1) und es auch bei den jüngeren Senioren (65- bis 74-Jährige) einen rückläufigen Trend bei der Parodontitis gibt, steigt der Behandlungsbedarf bei Parodontalerkrankungen aufgrund der demografischen Entwicklung prognostisch doch an. Darauf zu reagieren, das Behandlungsspektrum gegebenenfalls zu erweitern und die eigene Kompetenz durch berufsbegleitende Fortbildung zu stärken, macht die Praxis zukunftsfest. Denn die verbreitete Meinung, die Erfolge der Prophylaxe würden den Zahnarzt in weiten Bereichen „arbeitslos“ machen, entspricht so nicht der Realität – das Gegenteil ist der Fall.
These 4: Prävention bindet Patienten
Prophylaxe bezieht den Patienten eng in die zahnärztliche Behandlung mit ein. Motivierendes Präventionsmanagement aktiviert den Gesunden ganz im Sinne der en vogue befindlichen Trends wie „Selbstoptimierung“, „Preventive Health“, „Mindful Living“ oder „Smart Care“ – die digital vernetzte Zahnbürste unterstützt dabei. Zahnärztliche Expertise bindet den Patienten frühzeitig, im Einzelfall von der Kindheit an, an „seine“ Zahnarztpraxis. So bleibt er in allen Lebensphasen seiner Zahnärztin/seinem Zahnarzt verbunden. Hier haben kleinteilige, personalisierte Strukturen gegenüber anonymen Ketten und Konzernen Vorteile, die es auch zu nutzen gilt. Die Krankenkasse übernimmt zum Teil die Kosten für Prophylaxeleistungen, erstattet insbesondere bei Kindern und Jugendlichen den Einstieg und macht den Patienten mit Prophylaxe vertraut. Durch Übernahme des Eigenanteils zeigt der erwachsene Patient, dass ihm die zahnärztliche Leistung etwas wert ist. Insofern erfolgt mit der Prophylaxebehandlung auch eine „Erziehung“ des Patienten zur Erhaltung seiner Gesundheit. Das hat der Sozialgesetzgeber mit Blick auf den gesetzlich Versicherten genau so gewollt, als er in § 1 SGB V formulierte: „Die Versicherten sind für ihre Gesundheit mitverantwortlich; sie sollen durch eine gesundheitsbewusste Lebensführung, durch frühzeitige Beteiligung an gesundheitlichen Vorsorgemaßnahmen sowie durch aktive Mitwirkung an Krankenbehandlung und Rehabilitation dazu beitragen, den Eintritt von Krankheit und Behinderung zu vermeiden oder ihre Folgen zu überwinden.“
These 5: Prävention stärkt das Vertrauensverhältnis
Gut informierte und aufgeklärte Patienten wirken aktiv am Erhalt ihrer Zahngesundheit mit. Insbesondere bei der Prophylaxe bietet es sich an, den Patienten „mitzunehmen“ und die Behandlung interaktiv zu gestalten – was hier eher möglich ist als bei einer prothetischen Versorgung. Bereits 1979 hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass das Arzt-Patientenverhältnis nicht in erster Linie eine Rechtsbeziehung, sondern ein Vertrauensverhältnis umschreibt [10]. Dabei geht es darum, die Wertevorstellungen des Patienten in Einklang mit den Erfahrungswerten des Behandlers zu bringen. Gelingt dies, entsteht subjektive Patientenzufriedenheit mit einer zahnärztlichen Versorgung. Sowohl „Praxisorganisation“ und „Interaktion“ als auch „Information“ beschreiben Merkmale, die für den Patienten signifikante Zufriedenheitsempfindungen oder auch Unzufriedenheitsempfindungen mit dem Behandlungssetting auslösen, belegt durch eine Studie des IDZ aus dem Jahr 2013 [11].
These 6: Prävention festigt das Berufsbild des Zahnarztes
Trotz weitgehender Delegationsmöglichkeiten bleibt die Verantwortung für die Behandlung, auch für die Prophylaxebehandlung, beim Zahnarzt. Wenn sich Berufsträger hier aus der Behandlung „ausklinken“, wird Prophylaxe zum Einfallstor für Dienstleister ohne zahnärztliche Approbation. Klar muss sein: Die Dentalhygienikerin ist eine wertvolle Ergänzung im Praxisteam, aber sie ist keine „alternative Heilberuflerin“. Und deshalb scheidet auch eine selbstständige Tätigkeit aus. Auf die Schnittstellen von Medizin und Zahnmedizin wurde bereits hingewiesen. Prävention braucht den durch das Studium der Zahnmedizin umfassend ausgebildeten und in der Praxis erfahrenen Zahnarzt. Nur in diesem Sinne kann Prophylaxe für die Praxis von Nutzen bleiben.
These 7: Prävention leistet einen Beitrag zur Wirtschaftlichkeit der Praxis
Der Zahlenvergleich zwischen konservierend-chirurgischen Leistungen der GKV und Leistungen der Individualprophylaxe in den Jahren 1994 und 2017 zeigt die zunehmende Bedeutung der Prävention. 1994 gaben die Krankenkassen für die Individualprophylaxe ca. 4,90 Euro pro Mitglied aus, 2017 waren es mehr als 9,90 Euro. Damit fiel der Ausgabenzuwachs für die Individualprophylaxe prozentual deutlich stärker aus als der Zuwachs bei konservativ-chirurgischen Leistungen (KCH). Dennoch liegen die Ausgaben für die Prophylaxe nach wie vor weit unter den Ausgaben für KCH-Leistungen (Abb. 2). Auch die Auswertung der GOZ-Leistungen belegt, dass Umfang und Honorierung der Prophylaxeleistungen für Privatpatienten, Beihilfeberechtigte, Zusatzversicherte und Selbstzahler nicht zu unterschätzen sind. Deutlich wird das insbesondere mit Blick auf die Leistungen nach Nr. 1040 GOZ. Sie stellen die häufigste Leistung bei den Abrechnungen nach GOZ dar, stehen für einen 40%-Anteil an den Leistungspositionen und betragen 14,14% des (GOZ-)Honorarvolumens. Hier stellt sich zum einen die Frage, warum die Leistungen so herausragen, und zum anderen, warum diese im Median nur zum 2,3-fachen Durchschnittssatz erbracht werden. Treten denn die in § 5 Abs. 2 GOZ genannten Schwierigkeiten, die zu einer Anhebung des Steigerungssatzes führen können, bei Prophylaxeleistungen so selten auf? Die Frage sollten Zahnärzte beantworten, nicht Juristen.
These 8: Prävention motiviert
Prävention ist ein „Team-Motivator“ und stärkt das Selbstwertgefühl der Mitarbeiter. Motivation und Selbstmotivation sind wichtige Voraussetzungen beruflichen Erfolgs. Fort- und Weiterbildung in zahnärztlichen Assistenzberufen schaffen (neben einer angemessenen Vergütung) berufliche Perspektive. Prophylaxe- Assistentin ist das Gegenteil von einem „Bullshit-Job“ (David Graeber), einer Tätigkeit ohne erkennbaren Sinn. Tatjana Schell [12], die an der Universität Innsbruck Sinnforschung betreibt, nennt 4 Momente der Sinnzuschreibung im Beruf: „Empfinden“, dass der eigene Job eine Bedeutung hat. „Kohärenz“ im Sinne von Stimmigkeit, einer positiven Antwort auf die Frage: Bin ich mit meinen Wertvorstellungen der/die Richtige für diesen Job? Hinzu kommen noch „Orientierung“ und „Zugehörigkeit“. Das alles können Zahnärztinnen und Zahnärzte insbesondere durch Delegation einzelner Leistungen – hier vor allem in Zusammenhang mit der Prävention – anbieten. Der Tätigkeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durch deren unmittelbaren und fachlichen Umgang mit dem Patienten einen Sinn zu geben, das nutzt der Praxis in jeder Hinsicht.
Zusammenfassung
Im Rahmen einer Berufskundevorlesung an der Ludwig-Maximilian- Universität München (LMU) wurden Studierende im Oktober 2019 schriftlich befragt, warum sie sich für ein Studium der Zahnmedizin entschieden haben. Die Antwort einer Studentin bringt es auf den Punkt: „Weil mich die Dankbarkeit, die einem (die meisten) Patienten entgegenbringen, einfach glücklich macht.“ Schöner könnte man die Frage nach dem „Nutzen“ – insbesondere der Prävention – für den Zahnarzt nicht zusammenfassen.
* Anmerkungen des Autors