Praxisführung


Herausforderung: Kommunikation mit hörbehinderten/gehörlosen Patienten

Die Gebärdensprache: Hier wird oben und unten deklariert.
Die Gebärdensprache: Hier wird oben und unten deklariert.

In der momentanen Zeit der Pandemie ist eine erfolgreiche Kommunikation eine echte Herausforderung für beide Seiten – sowohl für hörbehinderte und gehörlose Patienten als auch für die Praxismitarbeiter. Judit Nothdurft hat sich auf die Kommunikation mit diesem Personenkreis spezialisiert und gibt ihr Wissen an Arzt- und Zahnarztpraxen weiter. Einige Basisinformationen und nützliche Tipps sind nachfolgend zusammengefasst.

In Deutschland leben ca. 16 Millionen Hörgeschädigte, davon sind geschätzt 80.000 gehörlos und ca. 200.000 Menschen kommunizieren in der Deutschen Gebärdensprache. Wenn ich diese Zahlen in meinem Unterricht nenne, schauen die Teilnehmer immer sehr erstaunt.

Ja, es ist eine unsichtbare Behinderung, die in unserer Gesellschaft noch immer nicht ganz wahrgenommen wird. Es fehlen Informationen, vor allem zum Umgang mit Gehörlosen.

In Deutschland sind nur etwa 500 Gebärdensprachdolmetscher tätig, d.h., wenn der Patient mit Dolmetscher zum Zahnarzt kommen möchte, muss er ihn lange voraus buchen. In den meisten Fällen, besonders in akuten Schmerzfällen, müssen Ärzte, Helfer und der hörbehinderte Patient versuchen, irgendwie miteinander zu kommunizieren.

Eine Hürde – die Terminierung

Die 1. Herausforderung wartet auf hörbehinderte Patienten schon vor dem eigentlichen Zahnarztbesuch. Sie müssen einen Termin vereinbaren, aber wie? Gehörlose können nicht telefonieren und auch für Schwerhörige mit einem gravierenden Hörverlust ist es problematisch, Gespräche über das Telefon akustisch richtig wahrzunehmen.

Sie könnten ihre hörenden Angehörigen, Freunde oder auch einen Dolmetscherdienst in Anspruch nehmen, aber mit selbstständigem Leben hat das nichts zu tun. Hier wäre es eine große Hilfe, wenn Zahnarztpraxen Terminanfragen per Mail, SMS, WhatsApp oder im Chat (Skype, oovoo) entgegennehmen und möglichst zeitgleich beantworten könnten.

Ohne Mundbild keine Kommunikation

Hörbehinderung ist eine unsichtbare Behinderung, die erst in der Kommunikation bemerkbar wird. Die Höhe des Hörverlustes wird in Dezibel (dB) angegeben und kann im Rahmen einer audiologischen Untersuchung dokumentiert werden. Bei einem leichteren Hörverlust zwischen 25 und 40 dB kann man ein Gespräch über das Ohr noch verstehen.

Aber bereits ab 40 bis 70 dB Hörverlust kann es passieren, dass der Patient dem Gespräch trotz Hörhilfsmittel nicht ganz folgen kann. Gehörlose Menschen sind entweder hochgradig hörgeschädigt (Hörverlust zwischen 85 und 100 dB) oder taub (Hörverlust über 100 dB).

Mit Hörgeräten können sie keine Sprache verstehen, nur Höreindrücke, Geräusche wahrnehmen. Bei Gesprächen mit Hörenden, die nicht gebärden können, müssen gehörlose Patienten alles von den Lippen ablesen.

Masken erschweren das Verständnis und machen Lippenablesen unmöglich

Schwerhörige und gehörlose Patienten sind auf das Mundbild angewiesen, und umso größer der Hörverlust, desto mehr benötigt er dies. Das COVID-bedingte Maskentragen stellt sowohl hörbehinderte Patienten wie Praxispersonal vor große Herausforderungen.

Die Masken dämpfen den Schall, bei den einfachen Masken wird die Lautstärke um etwa 4 dB reduziert, bei den FFP2-Masken sind es schon 12 dB. Sind auch noch die Plexiglasscheiben vorhanden, wie z.B. beim Empfang, wird das Hörbare noch weiter reduziert. Zusätzlich machen die Masken ein Lippenablesen unmöglich. Hierzu gibt es verschiedene Lösungen.

  • Hilfreich ist ein Ringschleifenverstärker zur Verständigung mit dem Patienten.

  • Hilfreich ist ein Ringschleifenverstärker zur Verständigung mit dem Patienten.
    © Nothdurft
Bei schwerhörigen Patienten wäre es hilfreich, wenn am Empfang ein mobiler Ringschleifenverstärker (z.B. von der Firma Humantechnik) aufgestellt wäre. Das Gerät ist klein und eine große Hilfe für Hörgeräte- oder Cochleaimplantat-Träger. Die Patienten können ihre Geräte umstellen und so die Stimme des Gesprächspartners direkt im Hörgerät hören.

Für eine optimale Kommunikation mit gehörlosen Patienten empfehle ich, statt Maske ein Face Shield zu tragen. Dieses ermöglicht es, Lippenbewegungen und Mimik wahrzunehmen.

Medizinische Masken mit durchsichtigem Visier sind in den USA schon verbreitet, gerade in der Kommunikation mit gehörlosen Patienten. Mittlerweile sind diese auch schon in Deutschland erhältlich. 

Zusätzlich ist zu beachten, während der Kommunikation stets Blickkontakt zu halten und den Kopf nicht wegzudrehen. Wenn z.B. die Praxismitarbeiterin auf die Tastatur schaut oder sich zu Kollegen umdreht, ist ihr Mundbild nicht mehr sichtbar. Der Patient kann nichts von den Lippen ablesen.

  • Dr. Striegel, Nürnberg, mit einer für hörbehinderte Patienten geeigneten Maske.
  • Dr. Striegel, Nürnberg, mit einer für hörbehinderte Patienten geeigneten Maske.
    © Nothdurft

Hörbehinderung in den Patientenstammdaten vermerken

Es empfiehlt sich in der Patientenakte einen Vermerk zu machen, der auf die Besonderheit der Behinderung hinweist. Beim Aufruf zur Behandlung eines hörbehinderten Patienten sollte der Name nicht einfach in das Wartezimmer reingerufen und durch Lautsprecher angesagt werden.

Ein Hörbehinderter kann es schlecht oder gar nicht verstehen. Am besten geht man zu dem Patienten, stellt durch eine Winkbewegung der Hand Blickkontakt her und bittet ihn mitzukommen. Sollte der gehörlose Patient stark abgelenkt sein, darf man ihn durch ein leichtes Antippen an der Schulter oder am Arm „ansprechen“.

Behandlung – die größte Hürde für Arzt und Patient 

Viele Behandlungszimmer sind so eingerichtet, dass der Patient in Richtung Fenster schaut, sodass er weder visuell noch akustisch mitbekommen kann, wann und wer das Zimmer betritt. Wenn plötzlich der Arzt oder die Arzthelferin neben ihm stehen, erschreckt er sich. Um diese Situation zu umgehen, ist eine elegante Lösung, Patienten mit Hörbehinderung erst in das Behandlungszimmer zu führen, wenn das Team einsatzbereit im Raum ist.

Bei der Erstbehandlung von hörbehinderten Patienten sollte man auf jeden Fall mehr Zeit einplanen. Wenn der gehörlose Patient von einem Gebärdensprachdolmetscher begleitet wird, sollte trotzdem der Hörgeschädigte angesprochen werden. Also immer direkt den Patienten fragen, statt die Begleitung aufzufordern, Fragen zu stellen, z.B. seit wann der Patient Schmerzen oder welche Allergien er hat.

Patient versteht mich nicht

Haben Sie das Gefühl, dass Ihr Patient Sie nicht verstanden hat? Dann wiederholen Sie bitte den ganzen Satz, aber unverändert.

Der Patient hat vermutlich schon einen Teil ablesen können, er muss nur noch die Lücken schließen. Wenn Sie jetzt den Satz verändern, fängt er von vorne an, und was er bereits verstanden hat, ist verloren. Wenn es gar nicht mehr geht, ist mithilfe von Stift und Papier zu kommunizieren.

Es gibt aber auch einige Apps, die Sprache als Text anzeigen; auch diese können hilfreich sein Auch lauter sprechen bringt in der Kommunikation mit Gehörlosen gar nichts, dadurch wird nur das Mundbild verzerrt. Bei Hörgeräte-Trägern ist das Gerät so eingestellt, dass es bei unangenehm lauten Geräuschen kurzzeitig ausschaltet, quasi als Selbstschutzmechanismus.

Bei der Positionierung von Kopfstützen sollte man bei Hörsystemträgern darauf achten, dass das Hörgerät oder das Cochleaimplantat „frei“ bleibt. Drückt die Kopfstütze auf das Gerät, kann es zu Rückkopplungen kommen, das Gerät fängt an zu pfeifen und der Patient hört nichts mehr. Aber auch manche Instrumente im Behandlungsraum können durch Rückkopplung pfeifende Geräusche bei den Hörgeräten auslösen.

Ultraschallreinigung und Röntgen bei Cochleaimplantat-Trägern

Es gibt Hersteller von Cochleaimplantaten (CI), die zurzeit eine Zahnreinigung mit Ultraschall nicht empfehlen. Als Begründung wird angegeben, dass Schäden an den elektronischen Komponenten des CIs bzw. der aktiven Elektrode wegen fehlender Untersuchungsergebnisse nicht ausgeschlossen werden können.

Zur Sicherheit empfehle ich, dass CI-Patienten sich vor dem Zahnreinigungstermin bei ihren CI-Herstellern über den Einsatz von Ultraschall erkundigen. Eine Röntgenuntersuchung mit CI-Komponenten ist kein Problem. Wenn diese allerdings abgenommen sind, kann der Patient nichts mehr hören.

Die Durchführung einer MRT-Untersuchung mit CI wird je nach Hersteller und CI-Modell sehr unterschiedlich bewertet. Hier müsste sich der Patient ebenfalls vorher beim Hersteller erkundigen.

Verordnung von Antibiotika

Leider verursachen einige Antibiotika u.U. unerwünschte Nebenwirkungen, wie z.B. eine Schädigung des Hörvermögens. Insbesondere bei der Anwendung von Antibiotika mit den Wirkstoffen Chloramphenicol, Neomycin, Netilmycin, Streptomycin und Vancomycin, aber auch bei Azithromycin, Erythromycin und Tetracyclinen ist Vorsicht geboten. Infos hierzu finden Sie in meinem Interview mit Prof. Gerd Glaeske auf www.deafservice.de.

Webseite mit barrierefreien Infos

Die Webseite einer Praxis kann die 1. Anlaufstelle sein, um sich über den Zahnarzt und sein Team zu informieren oder aber auch hilfreiche Tipps zu Zahngesundheit und Ästhetik einzuholen. Viele Praxen zeigen bereits Informations- und Imagefilme, jedoch leider fast immer ohne Untertitelung oder Einblendung von Gebärdensprachdolmetschern. Wenn diese Filme mit Untertiteln laufen würden, könnten sich auch Ihre hörbehinderten Patienten informiert und nicht ausgeschlossen fühlen.

Eine weitere Erleichterung ist es, wenn das Anamneseformular von der Praxiswebseite downloadbar ist. So können es Gehörlose bereits zu Hause in aller Ruhe ausfüllen und eventuelle unbekannte Wörter und Formulierungen durch Dritte erklären lassen.

Zahnarztpraxen mit Gebärdensprachkenntnissen 

Seit 2010 betreibe ich das Informationsportal www.deafservice.de für die hörbehinderte Zielgruppe. Hier können sich auch Zahnarztpraxen, die gebärdensprachkompetente Mitarbeiter haben, kostenlos registrieren lassen. Genaue Angaben zeigen, welche Praxismitarbeiter in Gebärdensprache kommunizieren können, auf welchem Niveau und welche barrierefreien Kommunikationsmöglichkeiten (Fax, Mail, Skype, WhatsApp, SMS) der Zielgruppe von der Praxis angeboten werden.

Momentan sind auf dem Portal bundesweit 21 Zahnärzte und 3 Kieferorthopäden registriert. Der Bedarf ist sehr groß und manche Gehörlose fahren hunderte von Kilometern, um sich von einem gebärdensprachkompetenten Zahnarzt behandeln lassen zu können.

Taub oder gehörlos

Leider ist das Wort „taubstumm“ noch immer in unserem Sprachgebrauch. Dieser Ausdruck wird von Gehörlosen als beleidigend empfunden und entspricht auch nicht der Realität.

Sie sind nicht stumm, sondern unterhalten sich in Deutscher Gebärdensprache. Sie nennen sich selbst taub oder gehörlos und möchten von der Gesellschaft auch so genannt werden.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Judit Nothdurft


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