Praxisführung


Die zahnärztliche Aufklärungspflicht – Teil 2

19.03.2020

© Solist Images/fotolia
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Die Anzahl von Haftungsprozessen gegen Zahnärzte steigt seit Jahren explosionsartig an. Dabei verlagern sich die Haftungsgründe immer mehr von dem Vorwurf des Behandlungsfehlers zu dem Vorwurf der Aufklärungspflichtverletzung. Hinzu kommt, dass die Anforderungen an eine ordnungsgemäße zahnärztliche Patientenaufklärung von der Rechtsprechung zuletzt deutlich verschärft wurden. In der Ausgabe 1/2 unserer ZMK* gab der Autor dieser Artikelserie einen Überblick über gesetzliche Grundlagen sowie Umfang und Inhalt der zahnärztlichen Aufklärungspflicht. Im vorliegenden 2. Teil werden weitere wichtige Aspekte wie Form, Zeitpunkt, Dokumentation oder Aufklärung von fremdsprachigen Patienten näher erläutert.

Die Form der Aufklärung

Gemäß § 630 e Abs. 2 Nr. 1 BGB muss die Aufklärung mündlich erfolgen. Das Gespräch zwischen Zahnarzt und Patient steht damit im Mittelpunkt der Aufklärung. Im Rahmen eines Dialogs hat der Zahnarzt hierbei den Patienten im Großen und Ganzen über die konkreten Maßnahmen und über Chancen und Risiken zu informieren und dem Patienten eine allgemeine Vorstellung über Schwere und Tragweite des Eingriffs zu vermitteln.

Die Aushändigung von schriftlichen Aufklärungsbögen oder Merkblättern und eine schriftliche Erklärung des Patienten, in welcher der Patient bestätigt, die Risiken zur Kenntnis genommen zu haben, ordnungsgemäß aufgeklärt worden zu sein und in die Operation einzuwilligen, ist weder erforderlich noch ausreichend. Das persönliche Aufklärungsgespräch, in welchem dem Patienten die Gelegenheit zu weiteren Fragen gegeben wird, kann durch kein noch so ausführliches Formular ersetzt werden. Soweit der Patient eine weitere Aufklärung begehrt, hat der Zahnarzt seine Fragen dabei vollständig und korrekt zu beantworten und hierbei auf konkrete Nachfrage auch medizinische Details zu erläutern.

Der Zeitpunkt der Aufklärung

Gem. § 630 e Abs. 2 Nr. 1 BGB muss die Aufklärung „so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann“. Das bedeutet Folgendes: Die Aufklärung ist kein Selbstzweck. Sie dient vielmehr dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Damit die Patientenautonomie gewahrt wird, muss der Patient vor dem geplanten Eingriff so rechtzeitig über dessen Erfolgsaussichten und Risiken sowie über die bestehenden Behandlungsalternativen aufgeklärt werden, dass er auch wirklich eine selbstbestimmte Entscheidung treffen kann. Dies ist nur dann der Fall, wenn der Patient eine angemessene und ausreichende Überlegungsfrist zu seiner freien Willensbildung erhält. Im Idealfall muss der Patient die Möglichkeit haben, die mit dem Eingriff verbundenen Chancen und Risiken in Ruhe abzuwägen, selbst nachzulesen, sich eine 2. ärztliche Meinung einzuholen und sich mit seinem Partner, Freunden oder Angehörigen zu beraten. Für die Frage, wann eine Aufklärung rechtzeitig ist, unterscheidet die Rechtsprechung zwischen einfachen und schweren und zwischen ambulanten und stationären Eingriffen.

  • Einfacher stationärer Eingriff
    Die Aufklärung hat spätestens am Vortag der Operation zu erfolgen [1]. Eine Aufklärung am Vorabend der Operation ist regelmäßig zu spät [2]. Zusätzlich muss die Aufklärung spätestens am Tag der stationären Aufnahme erfolgen.
  • Schwerer stationärer Eingriff
    Die Aufklärung hat bereits bei Festlegung des Operationstermins zu erfolgen [3].
  • Einfacher ambulanter Eingriff
    Die Aufklärung kann noch am Tag des Eingriffs erfolgen [4]. Sie muss zeitlich jedoch so deutlich von dem Eingriff getrennt sein, dass der Patient nicht den Eindruck gewinnt, der Geschehensablauf sei bereits unaufhaltsam in Gang gesetzt. Eine Aufklärung vor der Tür des Operationssaals ist stets zu spät [5]. Der Patient muss immer genügend Zeit haben, um noch eine selbstbestimmte Entscheidung treffen zu können [6].
  • Schwerer ambulanter Eingriff
    Die Aufklärung hat bereits bei Festlegung des Operationstermins zu erfolgen, spätestens aber am Vortag der Operation [7].
  • Narkoserisiko
    Die Aufklärung über Narkoserisiken muss abweichend von den obigen Ausführungen auch bei schweren ambulanten oder stationären Eingriffen erst am Vorabend der Operation erfolgen [8]. Die Rechtsprechung begründet dies damit, dass es dem Patienten im Allgemeinen auch zu diesem Zeitpunkt noch möglich ist, „normale Narkoserisiken abzuschätzen und zwischen den unterschiedlichen Risiken ihm alternativ vorgeschlagener Narkoseverfahren abzuwägen” [9]. Eine am Operationstag erfolgte anästhesiologische Aufklärung ist verspätet [10].

  • Dr. Tim Nolting

  • Dr. Tim Nolting
    © Dr. Tim Nolting
Zusammengefasst kann einem Zahnarzt folgende Empfehlung gegeben werden: Wenn der Zahnarzt nach abgeschlossener Diagnostik einen Termin für einen zahnärztlichen Eingriff mit dem Patienten vereinbart, tut er dies, weil er diese Behandlung für indiziert hält. Es stellt keinen großen Aufwand dar, wenn der Zahnarzt den Patienten bereits bei der Vereinbarung dieses Termins zugleich auch über die mit dem Eingriff verbundenen Chancen und Risiken aufklärt. Die Entscheidungsfreiheit des Patienten wäre damit zweifelsfrei gewahrt und die bestehende Rechtsunsicherheit, ob ein einfacher oder ein schwerer Eingriff vorliegt, für den Zahnarzt beseitigt. Im Übrigen verlangt der Zahnarzt mit der Vereinbarung eines Termins von dem Patienten bereits eine Vorentscheidung, die er redlicherweise von dem Patienten aber nur dann fordern kann, wenn er ihn auch zuvor über die damit verbundenen Risiken aufgeklärt hat [11]. Der BGH führt insoweit wörtlich aus: „Soll ein Patient einem Arzt gegenüber definitiv seine Bereitschaft erklären, sich bei ihm zu einem genau festgelegten und in absehbarer Zeit liegenden Termin einem bestimmten operativen Eingriff zu unterziehen, ohne dass dies noch von dem Vorliegen wichtiger Untersuchungsbefunde abhängig gemacht wird, dann hat das auch Einfluss auf die rechtliche Verpflichtung des Arztes zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts dieses Patienten durch Aufklärung. Manche Patienten bauen dadurch schon psychische Barrieren auf, die es ihnen schwer machen, später, etwa nach einer erst am Tag vor der Operation erfolgenden Risikoaufklärung, die Operationseinwilligung zu widerrufen. Zum Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Patienten ist es deshalb erforderlich, dass ein Arzt, der einem Patienten eine Entscheidung über die Duldung eines operativen Eingriffs abverlangt und für diesen Eingriff bereits einen Termin bestimmt, diesen nicht nur umfassend über die Vorteile der Operation gegenüber einer Nichtbehandlung oder einer konservativen Behandlungsmethode bzw. über andere in Betracht kommenden Operationsmethoden informiert, sondern ihm auch die Risiken aufzeigt, die mit diesem Eingriff verbunden sind. Es sind keine medizinischen Interessen erkennbar, die es generell geboten erscheinen lassen, mit der Risikoaufklärung zu warten, etwa bis zur Aufnahme des Patienten ins Krankenhaus zu dem vorbestimmten Termin“ [12]. Ergibt sich die Notwendigkeit einer zahnärztlichen Behandlung erst bei der Untersuchung, kann ein einfacher ambulanter Eingriff im selben Termin durchgeführt werden. Allerdings muss auch dann das Selbstbestimmungsrecht des Patienten gewahrt werden. Befindet sich der Patient während des Aufklärungsgespräches bereits mit geöffnetem Mund in dem abgesenkten Behandlungsstuhl, während der Zahnarzt bereits die Spritze in der Hand hält, kann von einer selbstbestimmten Entscheidung keine Rede mehr sein. Der Patient wird zwangsläufig das Gefühl haben, dass die Maschinerie bereits unaufhaltsam in Gang gebracht worden ist. Er wird sich nicht autonom fühlen, sondern hilflos. Es ist deshalb in jedem Fall eine zeitliche und räumliche Zäsur zwischen Aufklärung und Eingriff erforderlich. Das Aufklärungsgespräch sollte also nicht stattfinden, wenn der Patient bereits im Behandlungsstuhl sitzt. Darüber hinaus sollte der Patient auch bei einfachen ambulanten Eingriffen zumindest einige Minuten nachdenken können, um den Inhalt des Aufklärungsgespräches zu verinnerlichen, die Erklärungen des Zahnarztes abzuwägen und die Möglichkeit zu haben, zusätzliche Fragen zu stellen.

Der Aufklärungspflichtige

Gem. § 630 e Abs. 2 Nr. 1 BGB muss die Aufklärung „durch den Behandelnden oder durch eine Person erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt“. Aufklärungspflichtig ist grundsätzlich der den Eingriff vornehmende Arzt, soweit sein Fachgebiet betroffen ist. Danach hat zum Beispiel der MKG-Chirurg über den zahnchirurgischen Eingriff und die damit verbundenen Risiken, der Anästhesist über die Narkose und das Narkoserisiko aufzuklären. Eine Delegation der Aufklärung auf nichtärztliche Mitarbeiter ist ausgeschlossen.

Die Dokumentation der Aufklärung

Gem. § 630 f Abs. 2 BGB ist der Zahnarzt verpflichtet, „in der Patientenakte sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und zukünftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen“. Auch die Einwilligung und die Aufklärung gehören somit nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes zu den dokumentationspflichtigen Tatsachen. Der Zahnarzt muss dabei zunächst dokumentieren, dass er überhaupt ein Aufklärungsgespräch mit dem Patienten geführt hat. Zum anderen muss der Zahnarzt dokumentieren, welchen Inhalt das Aufklärungsgespräch hatte.

Fehlt eine entsprechende Dokumentation, wird vermutet, dass eine Aufklärung des Patienten eben nicht stattgefunden hat. Eine ausführliche und umfassende Dokumentation steht somit im ureigensten Interesse des Zahnarztes selbst. Jeder zahnärztliche Eingriff ist nämlich grundsätzlich eine rechtswidrige Körperverletzung, wenn nicht im konkreten Fall ein Rechtfertigungsgrund vorliegt. Als Rechtfertigungsgrund kommt dabei nur die Einwilligung des Patienten in Betracht. Eine solche Einwilligung ist indes nur wirksam, wenn der Patient auch wusste, worin er konkret eingewilligt hat.

Eine wirksame Einwilligung setzt also eine ordnungsgemäße, vollständige und rechtzeitige Aufklärung voraus. Beruft sich der Zahnarzt also auf eine Einwilligung des Patienten, muss er beweisen, dass der Patient vor der Erteilung der Einwilligung ordnungsgemäß, vollständig und rechtzeitig aufgeklärt worden ist. Kann er dies nicht beweisen, gilt die Aufklärung als unterblieben, die Einwilligung damit als unwirksam und der Eingriff folglich als rechtswidrig. Eine unzureichende Dokumentation der Aufklärung kann somit zur Haftung des Zahnarztes führen. In diesem Zusammenhang kommt einem vom Patienten unterzeichneten Aufklärungsformular eine erhebliche Bedeutung zu. Verwendet der Zahnarzt zur Dokumentation der Einwilligung und der Aufklärung einen vorgedruckten Aufklärungsbogen, wird ihm empfohlen, diesen zu individualisieren. Hierzu sollte der Zahnarzt in dem vorgedruckten Aufklärungsbogen zusätzlich Unterstreichungen und handschriftliche Ergänzungen sowie Skizzen vornehmen. Ein solchermaßen individualisiertes Formular spricht dafür, dass ein Aufklärungsgespräch durchgeführt und der Patient auf die handschriftlich aufgeführten oder unterstrichenen Komplikationsmöglichkeiten hingewiesen worden ist [13].

Die Aufklärung von fremdsprachigen Patienten

Gem. § 630 e Abs. 2 Nr. 3 BGB muss das Aufklärungsgespräch für den Patienten „verständlich“ sein. Hat der Zahnarzt Anhaltspunkt dafür, dass ein Patient der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist und die Erläuterungen des Zahnarztes nicht versteht, muss der Zahnarzt deshalb von sich aus eine sprachkundige Person als Dolmetscher hinzuziehen [14]. Dies muss nicht zwingend ein vereidigter Dolmetscher sein, sondern es kann auch jemand aus dem Praxispersonal des Zahnarztes sein, der der jeweiligen Sprache ausreichend mächtig ist. Bei fremdsprachigen Patienten muss der das Aufklärungsgespräch führende Arzt eine gesteigerte Aufmerksamkeit aufwenden [15]. Er muss sich gegebenenfalls durch Rückfragen darüber versichern, dass der fremdsprachige Patient dem Inhalt des Aufklärungsgespräches folgen kann und die Hinweise auch versteht.

Entscheidend ist, welchen Eindruck ein Arzt im Rahmen des Aufklärungsgespräches von der Qualität des Sprachverständnisses bekommen hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Patient tatsächlich alles verstanden hat. Entscheidend ist vielmehr, welchen Eindruck ein sorgfältig und gewissenhaft aufklärenden Arzt, der sich in seiner Wortwahl dem Wortschatz des Patienten angepasst hat, aufgrund des gesamten Ablaufs des Gespräches gewinnen musste. Auch hier gilt, dass der Zahnarzt die Beweislast für eine ordnungsgemäße Aufklärung des Patienten trägt. Bei fremdsprachigen Patienten sollte deshalb zusätzlich dokumentiert werden, dass sie nach dem Eindruck des Zahnarztes die Aufklärung verstanden haben und dass der Zahnarzt sich durch Rückfragen über das Sprachvermögen des Patienten vergewissert hat.

Die wirtschaftliche Aufklärung

§ 630 c Abs. 3 Satz 1 BGB bestimmt Folgendes: „Weiß der Behandelnde, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist, oder ergeben sich nach den Umständen hierfür hinreichende Anhaltspunkte, muss er den Patienten vor Beginn der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung in Textform unterrichten.“

In dieser Norm wird die sogenannte wirtschaftliche Aufklärungspflicht des Zahnarztes statuiert. Es handelt sich hierbei vielmehr um eine Nebenpflicht des Behandlungsvertrages. Durch das Gebot der wirtschaftlichen Aufklärung wird der Patient vor finanziellen Überraschungen geschützt. Danach muss der Zahnarzt den Patienten vor Beginn einer Behandlung darauf hinweisen, wenn die geplante Behandlungsmaßnahme nicht oder nicht vollständig von der Krankenkasse des Patienten übernommen wird. Damit kommt es nicht darauf an, ob die ablehnende Praxis des Krankenversicherers berechtigt oder unberechtigt ist. Bereits die dem Zahnarzt bekannte Nichtanerkennungspraxis des Krankenversicherers begründet eine entsprechende Aufklärungspflicht des Zahnarztes [16]. Verletzt der Zahnarzt die wirtschaftliche Aufklärungspflicht, hat der Patient einen Anspruch auf Befreiung von den anfallenden Kosten [17].

Bei der Behandlung eines Privatpatienten muss der Zahnarzt nach der Lebenserfahrung zum einen davon ausgehen, dass der Patient eine private Krankenversicherung abgeschlossen hat und zum anderen, dass diese Krankenversicherung im Rahmen des Versicherungsvertrages nur die Kosten einer notwendigen Behandlung erstattet [18]. Ist eine vom Zahnarzt vorgeschlagene Behandlungsmaßnahme medizinisch nicht notwendig oder ist ihre Notwendigkeit jedenfalls für den Zahnarzt erkennbar zweifelhaft, muss er den Patienten auf das damit verbundene Kostenrisiko hinweisen [19].  

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Steffen Kaiser