Praxisführung

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in der Zahnarztpraxis

Besser Schulen als Haften

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Regelmäßige Pflichtschulungen in der Zahnarztpraxis sollen zumeist die Sicherheit der Patienten und/oder MitarbeiterInnen gewährleisten und nicht zuletzt auch die PraxisinhaberInnen vor Haftungsansprüchen schützen. Oftmals vergessen wird dabei das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG).

ArbeitgeberInnen müssen aufgrund unterschiedlicher Rechtsnormen regelmäßig Pflichtunterweisungen zum Schutz ihrer Beschäftigten oder von Dritten durchführen. Dies gilt insbesondere für das streng regulierte Gesundheitswesen, denn hierbei spielt der Patientenschutz eine übergeordnete Rolle. Der Umfang und die arbeitgeberseitig zu schulenden Inhalte variieren dabei branchen-, tätigkeits- und arbeitsplatzabhängig. So lassen sich arbeitgeberübergreifende von praxisspezifischen Unterweisungsinhalten unterscheiden. Zu Ersteren zählen z.B. der Arbeits- und der Datenschutz oder der Umgang mit Gefahrstoffen, zu Letzteren etwa der Umgang mit Arzneimitteln, die Personalund Handhygiene oder der Strahlenschutz. Dabei hängt der individuelle Unterweisungsbedarf des Personals immer vom Betätigungsfeld der Mitarbeitenden ab.

Während PraxisinhaberInnen die typischen tätigkeitsbezogenen Pflichtschulungen für gewöhnlich kennen und sie daher regelmäßig durchführen (lassen), findet sich zumeist auch eine ordnungsgemäße Dokumentation im Qualitätsmanagement-System der Praxen. Vergessen werden allerdings häufig Unterweisungspflichten, die sich aus übergeordneten und tätigkeitsunabhängigen Vorschriften ergeben. So wird oftmals das Thema Antidiskriminierung in diesem Kontext übersehen.

Die Grundlagen des AGG

Die Vernachlässigung der Unterweisungspflichten zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) kann im Zweifel teuer werden. Der Gesetzgeber verpflichtet ArbeitgeberInnen gemäß § 12 AGG zu entsprechenden Schulungen. Kann deren Durchführung im Streitfall nicht nachgewiesen werden, drohen aufgrund der Beweislastumkehr gemäß § 22 AGG bedeutend höhere Schadensersatz- bzw. Entschädigungszahlungen, als wenn der Pflicht ordnungsgemäß nachgekommen worden wäre. Der gedankliche Ausgangspunkt des Gesetzes ist denkbar einfach: Alle Menschen sind gleich, also gleich wichtig und mit den gleichen Rechten ausgestattet. Das AGG greift damit Art. 2 unseres Grundgesetzes auf, wonach sich unsere Gesellschaft sowohl ein Gleichbehandlungsgebot als auch Diskriminierungsverbot auferlegt hat.

Wen das AGG schützen soll

In Kraft getreten ist das AGG bereits im Jahr 2006. Ziel des Gesetzgebers war und ist es noch heute, insbesondere Arbeitnehmer vor einer unzulässigen, also nicht gerechtfertigten Diskriminierung durch Arbeitgeber oder Dritte zu schützen [6]. Dabei untersagt das AGG es explizit, Mitarbeitende zu benachteiligen, wenn es um

  • den Zugang zur Erwerbstätigkeit (z.B. in Einstellungsverfahren),
  • die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen (z.B. Dienstplanung, Gehalt) sowie um
  • die berufliche Aus- und Weiterbildung (inklusive Beförderungsverfahren) geht.

Vom AGG nicht erfasst sind Kündigungen. Dies ist auch nicht erforderlich, da diskriminierende Kündigungen bereits aufgrund der allgemeinen Rechtnormen (z.B. Kündigungsschutzgesetz) als sittenwidrig anzusehen sind [5]. Neben den Beschäftigten genießen gemäß § 6 AGG auch sog. arbeitnehmerähnliche Personen den Diskriminierungsschutz des AGG. Mit arbeitnehmerähnlich sind Selbstständige gemeint, mit denen zwar kein arbeitsvertragliches Verhältnis geschlossen wurde, die jedoch in einer unmittelbaren wirtschaftlichen Abhängigkeit stehen. Im Bereich der zahnärztlichen Versorgung können dies beispielsweise Reinigungskräfte, Boten oder kleinere Dentallabore sein.

Wovor das AGG schützt

Nicht gerechtfertigt ist eine Benachteiligung grundsätzlich dann, wenn sie aufgrund eines der sogenannten 8 geschützten Merkmale erfolgt. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie durch die Benachteiligten nicht selbst beeinflusst werden können. Gemäß § 1 AGG handelt es sich dabei um folgende Merkmale:

  • Rasse und ethnische Herkunft
  • Geschlecht und sexuelle Identität
  • Religion und Weltanschauung
  • Behinderung
  • Alter

Bei den 8 geschützten Merkmalen handelt es sich um eine abschließende Aufzählung. Das AGG schützt jedoch auch vor Diskriminierung, die in Zusammenhang mit einem geschützten Merkmal steht. Dies klingt zunächst sehr abstrakt, kann allerdings etwa an einer Benachteiligung wegen des Tragens religiöser Symbole veranschaulicht werden. Wenngleich dies kein Merkmal wäre, so ist das Tragen religiöser Symbole selbstredend unabdingbar mit dem Merkmal „Religion“ verbunden. Denn es soll nicht nur das Recht geschützt werden, eine Religion zu haben, sondern sie auch zu praktizieren [3].

Auch eine Erkrankung kann in Verbindung mit einem geschützten Merkmal stehen. Dies ist regelmäßig das Merkmal Behinderung, und zwar dann, wenn die Krankheit ursächlich für eine altersuntypische Abweichung des körperlichen bzw. geistigen oder seelischen Zustandes ist und folglich die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben eingeschränkt wird. Das kann z.B. bei HIVPatienten der Fall sein. Die atypische Abweichung vom gesundheitlichen Normalzustand kann kaum bestritten werden. Diese Erkrankung wird allerdings erst durch die mit ihr typischerweise einhergehenden Stigmatisierung zu einer Behinderung i.S.d. AGG, da Letztere der gesellschaftlichen Teilhabe entgegensteht [4]. Im Gegensatz zu den nicht persönlich beeinflussbaren geschützten Merkmalen ist eine Benachteiligung aufgrund von Leistungsfaktoren grundsätzlich zulässig. Den Wettbewerb in der Leistungsgesellschaft will das AGG nicht verbieten.

Unmittelbar oder mittelbar diskriminiert?

Sofern ein geschütztes Merkmal vorliegt, ist nicht nur eine unmittelbare, sondern auch eine mittelbare Diskriminierung grundsätzlich unzulässig. Der Unterschied ist schnell erklärt: Wenn beispielsweise eine schwangere Bewerberin wegen des voraussichtlichen Arbeitsausfalls im Zusammenhang mit der Geburt abgelehnt wird, so läge eine unmittelbare Diskriminierung vor. Denn die Schwangerschaft als Ursache für den Arbeitsausfall lässt sich dem Merkmal „Geschlecht“ direkt zuordnen, und eben wegen dieses Merkmals wurde die Bewerberin benachteiligt [2]. Würde hingegen eine Stelle als „Reinigungshilfskraft mit Deutschkenntnissen“ ausgeschrieben, obwohl die Sprachkenntnisse für die ordnungsgemäße Ausführung der Tätigkeit grundsätzlich nicht erforderlich wären, so handelte es sich um eine mittelbare Diskriminierung. Denn betroffen wären letztlich überwiegend Personen mit Migrationshintergrund, die mit der Ausschreibung zwar nicht explizit, wohl aber rein faktisch und sachgrundlos vom Bewerbungsverfahren ausgeschlossen werden.

Pflichten des Arbeitgebers

Weiterhin soll das AGG vor Belästigungen am Arbeitsplatz schützen (vgl. § 3 Abs. 3 und 4 AGG). Um Belästigungen handelt es sich dem Gesetzgeber zufolge generell dann, wenn ein Umfeld geschaffen wird, das die Würde einer Person verletzen kann. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn Einschüchterungen und Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen begünstigt oder toleriert werden. In diesen Bereich fällt auch das allseits bekannte „Mobbing“. Ein Spezialfall der Belästigung ist die sexuelle Belästigung. Sie liegt vor bei einem unerwünschten, sexuell bestimmten Verhalten, so z.B.

  • bei sexuellen oder unsittlichen Handlungen bzw. Berührungen,
  • beim Vorführen entsprechender Videos bzw. Aufnahmen sowie
  • bei Witzen und Anmerkungen sexuellen Inhalts.

ArbeitgeberInnen sollten hier eine kompromisslose Linie garantieren. Das AGG sieht anderenfalls sogar ein Leistungsverweigerungsrecht bei vollen Bezügen für Betroffene vor, sofern trotz Kenntnis keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen ergriffen werden. Wie auch bei anderen Diskriminierungstatbeständen müssen „Störer“ im Team wirksam und abschreckend sanktioniert werden. Abhängig von der Schwere des Verstoßes gilt es, insbesondere im Wiederholungsfall alle notwendigen arbeitsrechtlichen Mittel zu ergreifen.

Eine weitere Pflicht besteht für Zahnarztpraxen in der Benennung und Bekanntgabe der sog. benannten Stelle gemäß § 13 AGG, an die sich Betroffene in einem Verdachtsfall der Diskriminierung wenden können. Der Arbeitgeber ist in seiner Wahl diesbezüglich frei. Zudem ist ein Hinweis auf die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ratsam: www.antidiskriminierungsstelle.de/.

Haftungsfragen

Der Arbeitgeber haftet nicht nur, wenn er selbst eine Diskriminierung begangen hat, er hat sich auch für seine Mitarbeitenden zu verantworten, wenn er eine entsprechende Anweisung gegeben hat. Ebenfalls haften Praxisinhaber für beauftragte externe Dritte. Dies ist regelmäßig bei ausgelagerten Personalbeschaffungsmaßnahmen der Fall. Die Verantwortung für AGG-konforme Ausschreibungen verbleibt beim Auftraggeber. Sodann eine Benachteiligung vorliegt, muss dies letztlich allerdings nicht immer rechtswidrig sein. Wesentlich für die Bewertung ist immer die Frage, ob der Benachteiligung ein Rechtfertigungsgrund zugrunde liegt (vgl. § 8 ff. AGG).

So können spezifische Stellenanforderungen gestellt werden, sofern sie angemessen und erforderlich sind. Eine Ungleichbehandlung ist grundsätzlich immer dann zulässig, wenn die Art der auszuübenden Tätigkeit oder die Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellen, wie z.B. bestimmte Ausbildung oder Qualifikationen, mehrjährige Berufserfahrung sowie besondere Kenntnisse, auch Sprachen, insbesondere Deutschkenntnisse, sofern sie für die konkrete Tätigkeit erforderlich sind [7]. Letzteres ist in Zahnarztpraxen mit unmittelbarem Patientenkontakt regelmäßig der Fall. Hingegen nicht als Rechtfertigungsgrund geeignet sind allgemeine Erwägungen (z.B. ein bloß vermuteter Umsatzverlust) [1].

Fazit

Als ArbeitgeberInnen müssen Sie jeglicher Art von Diskriminierung entgegentreten. Dabei sollten Sie insbesondere auf vorbeugende Maßnahmen wie die Pflichtschulung setzen. Diese ist gesetzlich ohnehin vorgeschrieben und lässt sich in bestehende Unterweisungszyklen einfügen. Gerade in Zahnarztpraxen als zentrale Gesundheitsversorgungseinrichtung in Deutschland darf Diskriminierung keinen Platz haben.


Praxistipps

  • Etablierung eines praxisindividuellen Unterweisungskonzepts im Qualitätsmanagement-System
  • Unterscheidung zwischen übergreifenden Basisschulungen, die insbesondere neue Mitarbeitende zeitnah zu absolvieren haben (z.B. Datenschutz, Arbeitsschutz, AGG), und tätigkeitsbezogenen Unterweisungen – nicht jeder Mitarbeiter benötigt jede Schulung
  • Aushang des AGGs (Pflicht gemäß § 12 AGG)
  • Aushang des § 61b des Arbeitsgerichtsgesetzes
  • Bekanntgabe der zuständigen Stelle, an die man sich bei Verstößen wenden kann

Quellen:

[1] BAG, Urt. v. 10.10.2002 – 2 AZR 472/01 = NZA 2003, 483.
[2] BAG, Urt. v. 24.04.2008 - 8 AZR 257/07 = NJW 2008, 3658.
[3] BAG, Urt. v. 06.11.2008 - 2 AZR 701/07 = BeckRS 2009, 58467.
[4] BAG, Urt. v. 19.12.2013 - 6 AZR 190/12 = NZA 2017, 372.
[5] Beck’scher Online-Kommentar Arbeitsrecht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching (Hrsg.), § 1, 54. Edition, C.H. Beck, 2019.
[6] BT-Drucks. 16/1780.
[7] Rust, § 8 AGG, in: Rust/Falke (Hrsg.), Kommentar zum AGG – Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz mit weiterführenden Vorschriften, Erich Schmidt Verlag, 2007.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. Dennis A. Effertz


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