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Ein Konzept für die Zahnarztpraxis

Alternative Strategien zur klassischen Rauchentwöhnung

Das Motto „Gesund beginnt im Mund“ stellt seit 1991 die oberste Prämisse der durch den „Aktionskreis Tag der Zahngesundheit“ im Herbst eines jeden Jahres bundesweit organisierten Informationskampagne dar. Diese auf den Punkt gebrachte Erkenntnis erfordert heutzutage eine durchaus differenzierte sowie komplexe zahnärztliche Herangehensweise. Sollen Patienten schadenspräventiv sowie gesundheitsprophylaktisch erfolgreich zahnmedizinisch betreut werden, ist dies zudem als eine verantwortungsvolle Aufgabe für das gesamte Praxisteam anzusehen.

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Prävention und Prophylaxe sind Grundpfeiler der zahnmedizinischen Betreuung

Die Akzeptanz und Attraktivität einer zahnmedizinischen Praxis werden heutzutage nicht zuletzt auch ganz entscheidend von den Dienstleistungen bestimmt, welche die generelle Schadensvermeidung sowie die gesunderhaltende Vorsorge des Mundraumes und aller damit zusammenhängender Bereiche betrifft [9]. Dass es im Rahmen dieser beratenden und betreuenden Maßnahmen nicht ohne Schwierigkeiten abläuft, ist fraglos allen Leistungserbringern bekannt.

Denn zahnmedizinisch zweckdienliche Ratschläge hinsichtlich des patientenseitigen alltäglichen Konsums von zuckerhaltigen Genuss- bzw. Nahrungsmitteln, des Verzehrs säurehaltiger Getränke und Speisen, unzureichender bzw. falscher Zahnpflegetechniken oder sonstiger für das stomatognathe System schädlicher Einflüsse und Gewohnheiten (sogenannter „Malhabits“) lassen sich nicht immer einfach vermitteln [10,11,41]. Gleichermaßen steht es um die aufklärende Unterweisung, dass signifikantes Übergewicht (Adipositas) ein eindeutiger Risikofaktor für die Entstehung einer persistierenden marginalen Parodontopathie darstellt [23].

Wird dann noch auf das „gesteuerte und umsichtige Umgehen“ mit aktiv inhaliertem Tabakrauch eingegangen, respektive auf das zu bevorzugende generelle Vermeiden des Tabakrauchens verwiesen, da dies als einer der schädlichsten Einflüsse – bekannterweise nicht nur – auf die orale Gesundheit anzusehen ist, sind diesbezüglich zielführende Ratschläge und unterstützende Hinweise nicht ohne Weiteres motivierend vorzubringen [5,12,33]. Gerade zum letztgenannten Problemaspekt haben sich jedoch hilfreiche Strategien ergeben, um die Patienten weg von der Sucht des Tabakrauchens führen zu können.

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Tobacco Harm Reduction (THR) als möglicher Weg, Tabakrauchen aufzugeben

Noch vor einigen Jahren galt die klassische Rauchentwöhnung als alleinige Hilfestellung für Patienten, vom Tabakrauchen wegzukommen – ob mithilfe von Medikamenten und/oder sonstiger unterstützender Maßnahmen, wie etwa die Hypnosetherapie [12,24]. Mittlerweile sind ergänzende, wenn nicht sogar alternative Strategien als erfolgreich etabliert anerkannt. Zu diesen gehört die „Tobacco Harm Reduction“ [1,16,26,27,31,36,39].

Für die zahnärztliche Praxis bedeutet die THR eine effektive und zweckmäßige Vorgehensweise, um den Ausstieg vom Tabakrauchen für Patienten einzuleiten und/oder mit medizinischen (hausärztlichen) Anstrengungen unter Umständen sowie nach Möglichkeiten sogar konzertiert einzuleiten bzw. durchzuführen [13, 14,38]. Die in der Fachliteratur vereinzelt geäußerte Kritik an der Praktikabilität sowie der Effektivität der THR lässt sich vom hier schreibenden Autor auf der Grundlage seiner 34-jährigen Berufserfahrung und seit 12 Jahren andauernden Beschäftigung mit der zahnärztlicherseits unterstützten Rauchentwöhnung nicht bestätigen [2,12,22,39].

Der Schadstoffgehalt beim Rauchen. Firla
Der Schadstoffgehalt beim Rauchen.

Konzeptionierung der THR mit Hinblick auf Next Generation Produkte (NGP)

Rauchen ruft Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronisch-obstruktive Lungenerkrankungen sowie insbesondere Lungenkrebs hervor. Dies dürfte in unserem Kulturkreis heutzutage als allgemein bekannt vorausgesetzt werden. Dass das gewohnheitsmäßige Inhalieren von Tabakrauch jedoch auch gravierende Schäden der Mundgesundheit auszulösen vermag, ist zahnmedizinischen Patienten noch nicht allgemein als Tatsache bekannt. Dies sollte im Rahmen einer zahnmedizinisch präventiv bzw. prophylaktisch ausgerichteten Aufklärung über gesundheitliche orale Risikofaktoren allerdings auf jeden Fall berücksichtigt werden.

Eine umfassende Raucherentwöhnung durchzuführen, kann nicht Aufgabe der Zahnarztpraxis sein, die einleitende und/oder unterstützende Begleitung allerdings schon. Um bei rauchenden Patienten diesbezügliche Ratschläge als eine empfundene „belehrende Bevormundung“ zu vermeiden, kann es sehr nützlich sein, die Reduktion der durch das Tabakrauchen bedingten gesundheitlichen Risiken als gesundheitsförderndes Informationskonzept in den Vordergrund zu stellen. Hierbei ist klar hervorzuheben, dass das höchste gesundheitliche Risiko in der Verbrennung von Tabak und dem Einatmen des dabei entstehenden Tabakrauches besteht. Das Inhalieren von Tabakrauch gilt demzufolge als die mit großem Abstand schädlichste Form des Nikotinkonsums [3,8,19,20,28,29].

Da viele Raucher auf das (in Gesellschaft ritualisierte) Rauchen sowie den (individuell körperlichen) Genuss von Tabak oder Nikotin nicht verzichten wollen, kann der Übergang zu deutlich weniger schädlichen Alternativen daher durchaus die nächstbeste Variante nach medizinischen Nikotinersatzprodukten wie z.B. Nikotinkaugummis sein, wenn der Patient ansonsten weiter rauchen würde. Raucher – und auch Umstehende – werden so deutlich weniger und geringeren Mengen an Schadstoffen ausgesetzt. Solche Varianten sind durch technologische Fortschritte und Innovationen in den letzten Jahren als sogenannte „Next Generation Produkte (NGP)“ auf den Markt gekommen. Diese NGP, wie z.B. E-Zigaretten und Tabakerhitzer oder portionierte Kautabake, zeichnen sich dadurch aus, dass sie keine Tabakverbrennung mehr verursachen, wodurch spezifische Schadstoffe und Noxen infolge der Verbrennung von Tabak und des Tabakrauches vermieden werden [4,6,15,17,18,21,25,32,34,35,37].

Je nach der Zusammensetzung des für die Verdampfung notwendigen E-Zigaretten-Liquids kann sogar auf Nikotin verzichtet werden, sodass für den ehemaligen Raucher sogar ein vollkommener Verzicht auf Nikotin möglich wird. Zu beachten ist hierbei allerdings, dass abhängig von der Zusammensetzung des Liquids, dem Nutzerverhalten und dem Gerätetyp dennoch Gesundheitsrisiken bestehen. Vollkommen risikofrei sind diese Produkte also nicht und die beste Alternative für die Gesundheit bleibt daher – ganz außer Frage – der vollkommene Verzicht auf das Rauchen und der Konsum von Nikotin.

Hinsichtlich der Vermeidung von Tabak im Allgemeinen, aber der Beibehaltung des Nikotinkonsums gibt es bei den NGP inzwischen sogar vollkommen tabakfreie orale Nikotinbeutel, die entlang eines Risikospektrums daher sehr weit weg von der Zigarette liegen. Diese Pflanzenfasern, Feuchtmittel, Aromen und eben Nikotin enthaltenden Beutel werden unter die Oberlippe gelegt und nach der Verwendung aus dem Mund genommen und entsorgt. Aus Public-Health-Gesichtspunkten sind demgegenüber z.B. Tabakerhitzer, bei denen Tabak nur erhitzt, jedoch nicht verbrannt wird, deswegen relevant, weil sie aufgrund ihrer Ähnlichkeit zur Zigarette dem Raucher oftmals einen etwas leichteren Übergang weg von der Zigarette ermöglichen.

Sinnhaftigkeit aller Strategien für den Ausstieg vom Tabakrauchen

Obwohl die allgemeine Einstellung zum Tabakrauchen eindeutig kritischer wird und der Anteil von Tabakrauchern in der Bevölkerung der EU laut der diesbezüglichen aktuellen Erhebung (Special Eurobarometer 506 „Attitudes of Europeans towards tobacco and electronic cigarettes“) der Europäischen Union sich seit 2006 anhaltend verringert, sterben weltweit dennoch jährlich immer noch ca. 8 Millionen Menschen an den mit dieser schädlichen Gewohnheit verbundenen gesundheitlichen Folgen [7,38].

Dass Tabakrauch aufgrund des beim Verbrennungsvorgang entstehenden komplexen Aerosols, in dem sich laut IARC (International Agency for Research on Cancer) und Weltgesundheitsorganisation (WHO) insgesamt 69 als krebserregend eingestufte chemische Verbindungen sowie weitere zahlreiche Schadstoffe befinden, ist mittlerweile dem größten Teil der Raucher bewusst. Ebenso klar dürfte es heutzutage sein, dass Tabakrauchen Tumoren in den Atemwegen und der Lunge verursachen kann und in sogar weitaus höherer Zahl auch zu gleichermaßen möglicherweise tödlichen Herz-Kreislauf- sowie chronisch-obstruktiven Lungenerkrankungen führt. Die zweifelsfrei bestehende Schädlichkeit für die Gesundheit der Mundschleimhäute, Zähne und deren Zahnhalteapparat [5,33,41], ist vielen Patienten allerdings immer noch nicht gänzlich geläufig.

Diese Tatsachen sind gewohnheitsmäßig rauchenden Patienten in einer zahnmedizinischen Versorgungseinrichtung (Zahnarztpraxis, ZMVZ etc.) ausdrücklich und verständlich zu vermitteln [12–14]. Bei dieser Zielsetzung ist zu beachten, dass der Einstieg in das Tabakrauchen schon im frühen Teenageralter erfolgen kann, wobei der Umfang mit dem frühzeitigen Beginn des Tabakrauchens im direkten Zusammenhang steht [7]. Zahnärztliche Aufklärung und Vorbeugung bei Jugendlichen sowie jungen Erwachsenen tun also Not.

Die Frage dabei in diesem Zusammenhang, inwieweit das als neurotoxisch deklarierte Nikotin (Achtung: Die Menge macht auch hier das Gift!) als der im Tabak enthaltene psychoaktive und daher so attraktive Inhaltsstoff besprochen werden muss, ist von Fall zu Fall (abhängig vom durch den Patienten bekundeten Interesse) während der Beratung abhängig zu machen. Die Antwort auf diese Frage hängt sehr davon ab, welche Missverständnisse bei dem Patienten bezüglich des Nikotins bestehen, da Nikotin eben nicht die Hauptursache der durch das Rauchen verursachten Erkrankungen ist. Pharmakologisch ist bewiesen, dass die Aufnahme des Nikotins in den Körper sehr stark von der Art des Nikotinkonsums abhängt, die in der Vergangenheit Tabak und/oder die Verbrennung desselben vorausgesetzt hat.

Rauchen, Kauen oder Schnupfen von Tabak beeinflussen dabei die Resorptionsmenge und vor allem die Aufnahmegeschwindigkeit von Nikotin unterschiedlich: So gelangt beispielsweise Nikotin, das aus Kautabak oder tabakfreien Nikotinbeuteln über die Mundschleimhaut aufgenommen wird, deutlich langsamer ins Blut und damit ins Gehirn als beim Rauchen durch Inhalation. Diese Geschwindigkeit der Resorption in den Körper hat einen wesentlichen Einfluss auf das Abhängigkeitspotenzial eines nikotinenthaltenden Produktes.

Rauchenden Patienten sollte im Rahmen zahnärztlicher schadenspräventiver Unterweisungen erklärt werden, dass Nikotin dem chemischen Botenstoff Acetylcholin ähnelt und daher verschiedene physiologische Wirkungen hat, darunter z.B. die Erhöhung der Herzfrequenz und des Blutdruckes. Diese Wirkungen sind jedoch nur vorübergehend, sodass es nach aktuellem wissenschaftlichem Konsens keine Evidenz dafür gibt, dass Nikotin an sich – also entkoppelt vom Tabakrauch – Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursacht. Gleiches gilt ebenso für vermeintlich nikotinverursachte Krebserkrankungen. Da Nikotin jedoch anerkanntermaßen abhängig macht, sollte es deswegen – wenn überhaupt – ausschließlich von „vernunftgesteuerten“, sprich erwachsenen Rauchern, konsumiert werden.

Fazit

Tobacco Harm Reduction sollte als fester Bestandteil der die Mundgesundheit gefährdenden schädlichen Einflüsse in alle diesbezüglichen zahnmedizinischen präventiv-prophylaktischen Aufklärungsmaßnahmen integriert sein. In diesem Zusammenhang ist es der Erfahrung nach sinnvoll und zielführend, über Missverständnisse im Zusammenhang mit Nikotin aufzuklären und deutlich zu machen, dass durch die Entkopplung von Tabakrauch Risiken erheblich reduziert werden können. Da rauchende Patienten oft glauben, dass nicht der Tabakrauch, sondern das Nikotin die Hauptursache für die durch das Rauchen bedingten Erkrankungen ist, kann eine entsprechende Aufklärung einen hilfreichen Beitrag dazu leisten, in einem ersten Schritt von der Zigarette als der schädlichsten Form des Nikotinkonsums wegzukommen.

Erklärung zum Interessenkonflikt:

Der Autor erklärt, dass er Honorare für Veröffentlichungen von der Firma Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH erhalten hat.

Bildquellen sofern nicht anders deklariert: Unternehmen, Quelle oder Autor/-in des Artikels

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