Anzeige

Praxisorganisation

Praxisnetzwerke als Brücke zwischen Praxis und Wissenschaft

Sie sind ein Bindeglied zwischen universitärer Forschung und der alltäglichen Behandlung in der Zahnarztpraxis: Studien aus praxisbezogenen Forschungsnetzwerken. Forschungsaffine niedergelassene Zahnärztinnen und Zahnärzte vernetzen sich, um Daten aus der Patientenbehandlung zu sammeln. Anhand dieser Daten kann die Wirksamkeit von Vorgehensweisen überprüft werden – für das eigene Qualitätsmanagement, aber auch für die Wissenschaft, die auf dieser Basis praxisnahe Studienergebnisse erzielt.

Abb. 1: Praxisnetzwerke dienen als Brücke, um Spannungsfelder zwischen Versorgungspraxen und akademischen Einrichtungen zu reduzieren. Wierichs
Abb. 1: Praxisnetzwerke dienen als Brücke, um Spannungsfelder zwischen Versorgungspraxen und akademischen Einrichtungen zu reduzieren.
Abb. 1: Praxisnetzwerke dienen als Brücke, um Spannungsfelder zwischen Versorgungspraxen und akademischen Einrichtungen zu reduzieren.

Während unserer akademischen Ausbildung erwerben wir theoretische Grundlagen und erste praktische Fähigkeiten für die spätere Tätigkeit als Zahnärztinnen und Zahnärzte. Die Vertiefung unserer praktischen Fähigkeiten erfolgt später im Berufsleben. Dabei erkennen wir mitunter die Herausforderung, erlernte Therapieansätze im klinischen Alltag mit den Bedürfnissen der Patientin oder des Patienten in Einklang zu bringen.

Dies kann durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden, etwa die individuelle Patientensituation oder die Struktur unserer Praxis. Unverändert bleibt das Ziel der Behandlungsentscheidung, den Patientinnen und Patienten unter den gegebenen Rahmenbedingungen eine bestmögliche Versorgung zu bieten.

Dies entspricht auch dem Anspruch der evidenzbasierten Medizin [1], die klinische Forschungsergebnisse mit bewährten Methoden und Prinzipien kombiniert und die qualitativ hochwertigsten Erkenntnisse jeweils in Leitlinien und Richtlinien zusammenfasst. Dieses Vorgehen gilt nicht nur für die Zahnmedizin, sondern für alle Gesundheitsberufe. Ob eine Leitlinie in der Behandlung angewandt wird oder nicht, scheint jedoch stark von der jeweiligen Ärztin bzw. vom jeweiligen Arzt und dem jeweiligen Fachgebiet abzuhängen [2,3].

Je nach Umfrage sehen bis zu 60% der Befragten Leitlinien als Einschränkung ihrer (zahn-)ärztlichen Handlungsfreiheit an. Die Gründe hierfür sind vielfältig und reichen von der komplizierten Formulierung der Leitlinien über mangelnde Objektivität durch von der Industrie geförderte Publikationen bis hin zur potenziellen Praxisferne der entsprechenden Forschungsergebnisse.

Anzeige

Eine mögliche Ursache für diese wahrgenommene Praxisferne könnte darin liegen, dass die überwiegende Mehrheit der Patientinnen und Patienten in privaten Zahnarztpraxen betreut wird, der Großteil der klinischen Forschung jedoch in akademischen Einrichtungen stattfindet [4]. Dies wirft viele Probleme auf, darunter die begrenzte externe Validität von Studien (z.B. Selektionsverzerrungen in Bezug auf die Patientenpopulationen), die Vielfalt der zahnärztlichen Privatpraxis, die nicht berücksichtigt wird, und der Unterschied zwischen Effektivität und Alltagswirksamkeit, der aus Sicht der öffentlichen Gesundheit sehr wichtig ist [5].

Abb. 2: Screenshot der Homepages des AZT. Wierichs
Abb. 2: Screenshot der Homepages des AZT.

Die langfristige Zusammenarbeit zwischen Versorgungspraxen und akademischen Einrichtungen kann einen wichtigen Beitrag zur Überwindung der erwähnten Spannungsfelder leisten (Abb. 1) [6]. Praxisbezogene Forschungsnetzwerke (engl. practice-based research network [PBRN]) bringen Praktiker zusammen, die in privaten, manchmal auch in öffentlichen Strukturen arbeiten. Sie schaffen die Voraussetzungen für methodisch hochwertige, versorgungsnahe und förderfähige Wirksamkeits- und Implementationsstudien in den Praxen dieser niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen [7,8].

Ohne Mehraufwand Alltagswirksamkeit in Praxen messen

Zahnmedizinische Behandlungen werden im Vergleich zu Behandlungen in anderen Gesundheitsberufen seit Langem sehr gut dokumentiert. Durch die Digitalisierung der letzten Jahrzehnte konnten durch z.B. den Einsatz von Diktierfunktionen und strukturierten Eingaben die Dokumentationen einfacher, schneller und vergleichbarer gestaltet werden. Die führenden Praxisverwaltungsprogramme nutzen diese strukturierte Dokumentation, um den Praxisinhaberinnen und Praxisinhabern betriebswirtschaftliche Kennzahlen und in Teilen auch den Behandlungs(miss)erfolg aufzubereiten.

Bedauerlicherweise erfolgt eine systematische und praxisübergreifende Auswertung des vorhandenen Datenschatzes so gut wie gar nicht. Dabei bietet diese Art der Auswertung die Möglichkeit, die Alltagswirksamkeit verschiedenster Behandlungsoptionen diagnose- und indikationsbezogen aufzuzeigen, ohne dass der Praxisalltag durch kalibrierte, nicht auf die individuellen Patientenbedürfnisse ausgerichtete Behandlungen oder durch aufwendige Nachkontrollen gestört wird.

Diese Chance wird bisher nur in wenigen Pilotprojekten genutzt, um evidenzbasierte Leitlinien von Praxisseite mitzubestimmen und deren Praxisferne zu reduzieren. Hier setzt die Bestrebung zur Gründung von Praxisnetzwerken im beschriebenen Sinn an.

Praxisnetzwerke weltweit

In Amerika gibt es gegenwärtig ein Online-Register, das praxisbasierte Forschungsnetzwerke auflistet und deren Ziele beschreibt*. Die steigende Anzahl registrierter Praxisnetzwerke in den USA lässt darauf schließen, dass der Stellenwert dieser Wissenschaftsform in der Primärversorgung immer wichtiger wird. Im Zeitraum von 1994 bis 2003 stieg die Anzahl der registrierten Praxisnetzwerke in allen Gesundheitsberufen von 28 auf 111 und bis 2023 auf 188 an.

Zahnmedizinische Netzwerke wurden erst nach 2003 registriert und sind heute mit insgesamt 5 Netzwerken vertreten. Zwar ist bekannt, dass nicht alle zahnmedizinischen Netzwerke im genannten Register erfasst werden [5], dennoch zeigen diese Zahlen, wie sehr Praxisnetzwerke in der Zahnmedizin noch in den Anfängen stecken. Eine kürzlich veröffentlichte Übersichtsarbeit geht von mindestens 24 zahnärztlichen Netzwerken weltweit aus [5]. Im Zuge des Anstiegs der Anzahl von Praxisnetzwerken in den letzten Jahrzehnten wurde ebenfalls ein Anstieg an Veröffentlichungen festgestellt: 74 Veröffentlichungen wurden für den Zeitraum 2000 bis 2009 gefunden und 277 für den Zeitraum 2010 bis 2019.

Im europäischen Raum sind 8 Praxisnetzwerke beheimatet, auf die ein Drittel aller Publikationen von weltweiten Praxisnetzwerken entfällt. Die beiden deutschen Netzwerke, der Arbeitskreis Zahnärztliche Therapie e.V. (AZT) und die AG Keramik e.V. mit der Ceramic Success Analysis (CSA), sind dabei für 20% aller europäischen Publikationen verantwortlich.

Die Autoren der Übersichtsarbeit betonen, dass in Studien aus Praxisnetzwerken mehr Patientinnen und Patienten und mehr Studienzentren (gleichbedeutend mit der Anzahl an teilnehmenden Zahnarztpraxen) teilnehmen als in nicht praxisbasierten Studien. Zudem werden diese Studien in Fachzeitschriften mit einem höheren mittleren Impact-Faktor publiziert (ein Parameter, der den Einfluss einer Fachzeitschrift bestimmt).

Praxisnetzwerke in Deutschland

In Deutschland gibt es 2 uns bekannte Praxisnetzwerke: den Arbeitskreis Zahnärztliche Therapie e.V. (AZT) (https://azt.de/) und die AG Keramik e.V. mit der Ceramic Success Analysis (CSA) (https://csa-online.net/), auf die wir aufgrund des sehr unterschiedlichen strukturellen Ansatzes genauer eingehen möchten.

Qualitätszirkelarbeit im Arbeitskreis Zahnärztliche Therapie (AZT)

Abb. 3: Screenshot der Homepages der CSA. Wierichs
Abb. 3: Screenshot der Homepages der CSA.

Der Arbeitskreis Zahnärztliche Therapie wurde im Jahr 1994 von niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen gegründet, um ihre Arbeit zu beobachten und zu bewerten (Abb. 2) [9]. Der Kollegenkreis ist deutschlandweit gestreut und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wollten zu Gründungsbeginn wissen, was zur Extraktion eines Zahns oder zum Verlust einer Füllung in ihren Praxen führt. Heutzutage verbirgt sich hinter dem AZT die klassische Qualitätszirkelarbeit: die Generierung und Durchführung eigener Studien, die Erfassung und Interpretation von Routinedaten aus den Praxisverwaltungsprogrammen und die gegenseitige Visitation in den Praxen.

Für das Auslesen von Daten aus den Praxisverwaltungsprogrammen benutzen die Teilnehmenden die Software Dentareport [10], um die teilweise hochkomplexe Bearbeitung zu vereinfachen. Beim Auslesen wird zum einen auf die Abrechnungspositionen der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) sowie auf den Einheitlichen Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen (BEMA) zurückgegriffen, aber auch die Möglichkeit genutzt, strukturierte Texteinträge in den elektronischen Patientenakten auszulesen.

Systematische Datenauswertung

Vor der systematischen Auswertung der so gewonnenen Daten wurde zunächst die Datenqualität auf Praxisebene überprüft. Hierfür wurden Themenbereiche ausgesucht, die einerseits relevant sind, andererseits aber keine unübersichtlichen Datenmengen entstehen ließen. So wurden aus dem anonymisierten Datenbestand einer einzelnen deutschen Zahnarztpraxis Risikofaktoren ausfindig gemacht, die die Langlebigkeit restaurativer Behandlungen aktiver zervikaler (Wurzel-)Kariesläsionen und den Erfolg non-invasiver Behandlungsmöglichkeiten inaktiver (Wurzel-)Kariesläsionen beeinflussen [11].

Die Analyse von 577 Zähnen zeigte, dass die gewählten Behandlungsentscheidungen für rein bukkal liegende zervikale (Wurzel-)Kariesläsionen beide nach bis zu 10 Jahren erfolgreich waren, dass aber eine signifikante positive Korrelation zwischen Versagensrate und Anzahl von Kontrollterminen vorlag. In weiteren Schritten wurde die Vergleichbarkeit der Daten zwischen den einzelnen Praxen überprüft. Für diese multizentrische Analyse wurden z.B. die anonymisierten Datenbestände von 5 Praxen ausgewertet und Risikofaktoren ausfindig gemacht, die die Langlebigkeit restaurativer Behandlungen aktiver ein- bis zweiflächiger zervikaler (Wurzel-)Kariesläsionen beeinflussen [12].

Auch hier konnten niedrige Versagensraten für die restaurative Behandlung von 654 ein- und 647 zweiflächigen (Wurzel-)Kariesläsionen beobachtet werden. Trotzdem verkürzte die approximale Ausdehnung einer Restauration die Langlebigkeit erheblich. Darüber hinaus konnte erneut eine signifikante Assoziation zwischen Versagensrate und Anzahl von Kontrollterminen festgestellt werden.

Aufbauend auf den qualitätssichernden Auswertungen wurden weiterführend u.a. die Langlebigkeit von 195 bzw. 192 postendodontischen Versorgungen mit [13,14] und ohne [15] Stiftversorgung, die Langlebigkeit von 27.407 direkten [16] Restaurationen sowie Risikofaktoren, die den Erfolg beeinflussen, unter klinischen Alltagsbedingungen untersucht. Im Rahmen der Weiterführung prospektiv durchgeführter Studien konnte die Langlebigkeit von postendodontischen Versorgungen nach bis zu 15 Jahren untersucht [14] und deren Kosten [17] bewertet werden. Die Risikofaktoren für die jeweiligen Versorgungsarten stimmten zum größten Teil mit den in universitär durchgeführten Studien gefundenen Faktoren überein.

Zusätzlich konnte auch versorgungsübergreifend eine positive Korrelation zwischen Versagensrate und Anzahl von Kontrollterminen festgestellt werden. Die Ursache für diese durchaus bemerkenswerte Beobachtung wurde kürzlich ausführlich diskutiert [11,16].

In Betracht gezogen wurden dabei (1) patientenbezogene Faktoren, die zur Bestimmung des Recall-Intervalls führen (etwa Mundhygiene, zahnärztliche Vorgeschichte und Patientenalter), (2) praxisbezogene Faktoren organisatorischer oder regionaler Art und (3) die Tatsache, dass bei visuelltaktilen Untersuchungen mit zunehmender Anzahl der Untersuchungen die Wahrscheinlichkeit steigt, eine suffiziente Restauration fälschlicherweise als insuffizient einzustufen [18-21]. Dies gilt selbst unter optimalen Voraussetzungen.

Analysetool der AG Keramik: Ceramic Success Analysis (CSA)

Die AG Keramik e.V. bietet Zahnärztinnen und Zahnärzten die Möglichkeit, den eigenen, individuellen Umgang mit einer Technik oder einem bestimmten Material von Keramikrestaurationen objektiv zu bewerten (Abb. 3). Seit 1994 können alle Arten von keramischen Einzelrestaurationen, einschließlich Inlays, Onlays und Kronen, die von der Zahnärztin bzw. vom Zahnarzt in der Praxis eingesetzt wurden, in eine Datenbank eingegeben werden [22]. Dabei werden sowohl direkt durch CAD-CAM-Systeme (chairside) als auch von Dentallaboren hergestellte Restaurationen berücksichtigt.

Ursprünglich beschränkte sich die Einladung, dem Netzwerk beizutreten und die Daten ihrer Restaurationen in die Datenbank einzugeben, auf Zahnärztinnen und Zahnärzte, die an entsprechenden Fort- oder Weiterbildungskursen teilgenommen hatten. Heute steht es jeder Zahnärztin und jedem Zahnarzt auf der Welt frei, dem Netzwerk (kostenfrei) beizutreten.

Von 1994 bis 2007 verwendeten die Zahnärztinnen und Zahnärzte eine mit Microsoft Access programmierte Datenbank und schickten ihre Daten regelmäßig auf Diskette oder CD an die CSA. Seit 2008 erfolgt die Datenerfassung über eine Internetplattform, die in mehreren Sprachen verfügbar ist, sodass Zahnärztinnen und Zahnärzte aus verschiedenen Ländern daran teilnehmen können. Ziel der Onlineplattform ist es, für die Teilnehmenden den Erfolg und die Risikofaktoren der eigenen Vorgehensweise zu analysieren und mit anderen Kolleginnen und Kollegen zu vergleichen.

Zusätzlich wurden die Ergebnisse der gesamten Kohorte in 2 Publikationen veröffentlicht, die für das breite Publikum zugänglich sind [22,23]. In beiden Studien wurden über 5.500 Keramikinlays/-onlays und 1.300 Keramikkronen analysiert, und es konnte eine hohe Erfolgsrate für Vollkeramikrestaurationen in der Privatpraxis nach bis zu 15 Jahren beobachtet werden.

Als Prädikatoren für das Versagen von Keramikrestaurationen konnten operative Faktoren, aber keine Faktoren auf Patienten- oder Zahnebene identifiziert werden. So zeigte sich beispielsweise, dass die Verwendung von Ein-Komponenten-Adhäsiven beim Einsetzen der Restaurationen zu höheren Ausfallraten führte als die Verwendung von Mehr-Komponenten-Adhäsiven.

Vor- und Nachteile in praxisbezogenen Forschungsnetzwerken

Obwohl beide Netzwerke das Thema „Praxisnetzwerk“ unterschiedlich angehen – das eine Netzwerk liest elektronisch Patientendaten aus, das andere erfordert eine aktive Eingabe und Pflege der Daten –, verfolgen beide Netzwerke das gemeinsame Ziel, den Erfolg und die Risikofaktoren ihrer eigenen Vorgehensweise sichtbar zu machen und objektiv mit anderen Kolleginnen und Kollegen zu vergleichen, ohne sich dabei mit möglichen individuellen Schwachstellen zu blamieren. Des Weiteren verdeutlichen beide Netzwerke unseres Erachtens die Vorteile dieser Kooperationsart:

  • Die Routinebehandlungsdaten aus den teilnehmenden Praxen ermöglichen es, die Wirksamkeit der Behandlung diagnose- und folglich auch indikationsbezogen zu erfassen und somit eine evidenzbasierte zahnmedizinische Versorgung zu unterstützen.
  • Das Patientenkollektiv ist näher an der Allgemeinbevölkerung als dies in universitären Studien möglich ist.
  • Die Fallzahlen und Beobachtungszeiten sind ungleich höher als in universitären Studien.
  • (Praxisrelevante) Fragestellungen, die – jedenfalls so – in prospektiven universitären Studien wohl nicht untersucht würden, können beantwortet werden.

Der letztgenannte Punkt bedarf sicherlich einer näheren Betrachtung, die wir am Beispiel von 3 bereits erwähnten Publikationen veranschaulichen möchten. Die beiden Studien zur Wurzelkaries [11,12] dienten primär dazu, Fragen zur Qualitätssicherung zu beantworten.

Sie haben aber gleichzeitig 2 Fragen beantwortet, die bis heute nur in diesen beiden Praxisstudien und nicht in universitären Studien untersucht wurden: Sind non-invasive Behandlungen inaktiver (Wurzel-)Kariesläsionen auch über lange Zeit erfolgreich und wie langlebig sind restaurative Behandlungen von approximalen (Wurzel-)Kariesläsionen? Diese Fragen sind aufgrund der steigenden Lebenserwartung und des erhöhten Zahnerhalts im Alter zunehmend relevant und die Antwort kann sich dank der Praxisstudien auf objektive Daten stützen.

Die Studie über postendodontische Stiftversorgungen konnte zeigen [13,24], dass das Rezementieren einer vor der Stiftinsertion angefertigten Krone (oder Teleskopkrone) auf lange Sicht erfolglos ist und das Versagensrisiko im Vergleich zu einer Neuanfertigung 5- bis 6-mal höher liegt. Selbst im Vergleich zur Stiftversorgung mit einer Aufbaufüllung (ohne Überkronung) zeigten rezementierte Restaurationen eine 3-mal so hohe Versagensrate.

In der genannten Studie wurde die durchzuführende Therapie mit der Patientin oder dem Patienten besprochen und gemeinsam aufgrund von individuellen Behandlungsmöglichkeiten, der voraussichtlichen Langlebigkeit, der Kosten und von Patientenvorlieben gewählt (Shared Decision Making). Daher wurden nach der Stiftinsertion nicht nur neue Restaurationen angefertigt, sondern – je nach Entscheidung – alternativ bereits vorhandener Zahnersatz rezementiert.

Dieses Vorgehen würde in einer universitär geplanten Studie niemals untersucht, wird aber laut niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen regelmäßig durchgeführt. Die Erkenntnisse aus der Praxisstudie haben gezeigt, dass diese gut gemeinte Idee nicht so erfolgreich ist wie gedacht, und sie haben zumindest bei den teilnehmenden Zahnärztinnen und Zahnärzten zu einem Umdenken geführt.

Neben den genannten Vorzügen wollen wir kurz die Grenzen von praxisbezogenen Forschungsnetzwerken aufzeigen. Zu beachten ist, dass aufgrund der Fülle an Behandlungen in der Praxis Dokumentationsfehler auftreten können. Daher ist es wichtig, bei der Verwendung von Praxisdaten auf deren Plausibilität zu achten.

In der Studie zu direkten Restaurationen wurden deshalb von ursprünglich über 90.000 Restaurationen etwa 2/3 der Datensätze aufgrund von fehlenden, nicht nachvollziehbaren oder unklaren Angaben (z.B. 2-flächige vestibulo-orale Füllung) ausgeschlossen. Nur (!) 27.407 plausible Restaurationen konnten schließlich in die Studie einbezogen werden. Zudem ist bei der Arbeit mit aktiv zu pflegenden Datenbanken die Langzeitmotivation der Teilnehmenden als wichtiger Faktor zu berücksichtigen.

In der zweiten Studie auf Basis der CSA-Daten wurden 1.300 Keramikkronen mit einer Nachbeobachtungszeit von mindestens 5 Jahren eingeschlossen, obwohl der ursprüngliche Datensatz über 6.500 Keramikkronen enthielt. Bei einer Vielzahl der Daten fehlte eine kontinuierliche Erfassung und/oder es blieb unklar, ob eine weitere Datenerfassung aufgrund eines Versagens unterblieben ist. Es darf nicht vergessen werden, dass niedergelassene Zahnärztinnen und Zahnärzte in erster Linie für die Patientenversorgung und die Praxisverwaltung zuständig sind und nicht für die (wissenschaftliche) Auswertung von Datensätzen.

Bei Rückfragen zur Dokumentation kann es daher zu längeren oder kürzeren Projektpausen kommen, abhängig von der Motivation und den zeitlichen Möglichkeiten der beteiligten Zahnärztinnen und Zahnärzte. Schließlich beeinträchtigt auch die retrospektive Auswertung von Daten – also eine Nachbetrachtung bereits durchgeführter Behandlungen – die Aussagekraft der Ergebnisse, da die Behandlung nicht vor Beginn der Behandlung kalibriert werden kann.

Dieser letzte Punkt wird durch die große Zahl von Fällen teilweise kompensiert, muss aber wie der Ausschluss unglaubwürdiger Fälle für die wissenschaftliche Analyse und deren Folgerungen berücksichtigt werden. Gleichwohl sind wir der Überzeugung, dass praxisbezogene Forschungsnetzwerke eine sehr gute Ergänzung/Erweiterung auf allen Ebenen der evidenzbasierten Medizin darstellen, um die Lücke zwischen privater Praxis und (akademischer) Forschung schließen zu können.

Schlussfolgerung

In den vergangenen Jahren hat die praxisbasierte Versorgungsforschung enorm an Bedeutung gewonnen. Durch die Zusammenarbeit von Versorgungspraxen und akademischen Einrichtungen können Interventionen auf ihre Alltagswirksamkeit untersucht werden.

Dies stellt eine wertvolle Ergänzung auf allen Ebenen der evidenzbasierten Medizin dar und schließt die Lücke zwischen privater Praxis und akademischer Forschung. Praxisbasierte Erkenntnisse können dazu beitragen, eine vermeintliche Praxisferne von Studiendaten zu reduzieren und so die Akzeptanz von Leitlinien und Stellungnahmen erhöhen.

Bildquellen sofern nicht anders deklariert: Unternehmen, Quelle oder Autor/-in des Artikels

Kommentare

Keine Kommentare.

Anzeige