Stellenwert der Achsiographie im Rahmen prothetischer Rehabilitationen

Eine der klassischen Anwendungen von kinematischen Messverfahren in der Zahnheilkunde ist die Aufzeichnung von Unterkieferbewegungen mit dem Ziel, patientenspezifische Daten der Kondylenbewegungen und der individuellen Frontzahnführung zu ermitteln. Während die Verfahren mit rein mechanischen Instrumentierungen in der Vergangenheit aufgrund des zeitlichen und damit verbundenen finanziellen Aufwandes nur wenigen Patienten vorbehalten waren, ermöglichen die modernen elektronischen Verfahren eine schnelle und kostengünstige Arbeitsweise. Auf diese Weise kann eine individuelle Artikulatorprogrammierung in jedem Patientenfall erfolgen, was der Qualität der prothetischen Versorgung in hohem Maße zugute kommt, wie im Folgenden nachzulesen ist.
Zweck der Achsiographie
Die Achsiographie ermöglicht die Aufzeichnung patientenspezifischer Bewegungsdaten des Unterkiefers. Diese dienen zur Programmierung von Artikulatoren, mit deren Hilfe eine nahezu patientenanaloge Simulation der Kieferbewegungen im Labor ermöglicht wird. Ohne diese Voraussetzung muss die okklusale Ausgestaltung von zahntechnischen Restaurationen entweder anhand einer mittelwertigen Programmierung erfolgen, was unter Umständen zu starken Interferenzen und erhöhter Einschleifarbeit der Restauration in situ führt, oder es werden auf Kosten einer biomechanisch effizienten Verzahnung zu großzügige interokklusale Freiräume geschaffen. Im Sinne einer modernen Rehabilitationsmedizin, die nicht nur einen ausreichenden Funktionszustand wiederherzustellen hat, sondern das geschädigte craniomandibuläre System auch weitestgehend zu seinem ursprünglichen Funktionszustand zurückführen kann, ist daher eine individuelle Programmierung von Artikulatoren unbedingt empfehlenswert. Auf diese Weise wird nicht nur eine möglichst störungsfreie, funktionelle und strukturelle Integration rekonstruierter oraler Gewebe in das craniomandibuläre System ermöglicht, sondern auch optimale biomechanische Eigenschaften des Zahnersatzes gewährleistet [1] .
Der Artikulator als Referenzsystem der Messung
Während in der Vergangenheit akribisch versucht wurde, eine Vielzahl von anatomischen Daten vom Patienten in den Artikulator zu übertragen, ermöglichen die modernen Verfahren mit einfachen und zeitsparenden Mitteln die Projektion der Artikulatorgeometrie auf den Patienten. Die Vorteile einer solchen Arbeitsweise wurden bereits vor mehr als einem Jahrzehnt untersucht [2]. Die im Folgenden beschriebene Methode am Beispiel des SAM-Systems (SAM Präzisionstechnik, Gauting) ermöglicht mithilfe des Gesichtsbogens, dessen Anwendung im Rahmen prothetischer Restaurationen sinnvoll [3] und bei Anwendung der Achsiographie für nahezu alle Systeme obligat ist, die Übertragung der Referenzebene und der Scharnierachse des Artikulators auf den Patienten (Abb. 1 und 2). An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass durch die Referenzierung auf die Artikulatormaße die durch die Software ausgegebenen Werte nicht der tatsächlichen Geometrie der anatomischen Strukturen des Patienten entsprechen und daher auch keine Interpretation der Bewegungsspuren im funktionsanalytischen Sinne zulassen.
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Abb. 1: Der virtuelle Artikulator im Kopfmodell. Die Referenzpunkte für die elektronische Vermessung sind blau markiert. Die Interkondylardistanz des hier im Beispiel verwendeten SAM-Artikulators (SAM Präzisionstechnik, Gauting) beträgt 110 Millimeter.
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Abb. 2: Mithilfe des zugehörigen arbiträren Gesichtsbogens kann die Artikulatorscharnierachse, die 10 Millimeter vor den Mitten der Ohroliven liegt, auf den Patienten übertragen werden. Hierzu muss allerdings zunächst eine Individualisierung des Gesichtsbogens in Form einer entsprechenden Markierung vorgenommen werden. Der Infraorbitalpunkt wird in der Ebene des Gesichtsbogens auf den Patienten übertragen.
Messbarer Nutzen der individuellen Artikulatorprogrammierung
Okklusale Fehler stellen ein häufiges Problem bei der Inkorporation zahntechnischer Restaurationen am Patienten dar. Geringe Abweichungen bis zu 0,2 Millimeter können zwar in der Regel noch durch Einschleifmaßnahmen im Munde korrigiert werden – ein optimales Ergebnis ist auf diese Art und Weise aber nicht zu erwarten. Bei größeren Fehlern wird die zahntechnische Arbeit durch Einschleifkorrekturen qualitativ deutlich kompromittiert. Die Registrierung der Kondylenbahnneigung und des Bennett-Winkels kann dabei zu einer Fehlerreduktion beitragen. Es konnte gezeigt werden, dass durch die individuelle Artikulatorprogrammierung Fehler über 200 Mikrometer mit großer Wahrscheinlichkeit vermieden werden können [4]. Bei mittelwertiger Programmierung muss in fast einem Viertel der Fälle mit okklusalen Fehlern in der genannten Größenordnung gerechnet werden [4], was folglich einer vorhersehbaren Minderung der Qualität durch erhöhten Einschleifbedarf entspricht. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls zu erwähnen, dass die Kondylenbahnneigungen und die Eckzahnführungen häufig – besonders bei älteren Patienten – deutlich asymmetrisch angelegt sein können. Daten aus klinischen Kursen und der Anwendung der Achsiographie durch die Autoren zeigen häufige Abweichungen bis in Größenordnungen von 20 Grad und mehr.
Verlässlichkeit der Messmethode
Es konnte gezeigt werden, dass die Messgenauigkeit ultraschallbasierter Registriersysteme (Abb. 3), aber auch anderer Systeme ausgezeichnet ist. Die mittleren Abweichungen der Kondylenbahnneigung liegen bei Ersteren z. B. zwischen 1,5 und 0 Grad, für den Bennett-Winkel bei 0,5 bis 1,3 Grad. Diese Messungenauigkeiten haben keinen nennenswerten Einfluss auf potenzielle okklusale Fehler bei der Herstellung von Zahnersatz. Auch die Reliabilität dieser Systeme zeigte durchweg gute Ergebnisse sowohl für die Intra-Session- Reliabilität als auch für die Inter-Session-Reliabilität (ICC > 0,9, d. h. nahezu perfekte Übereinstimmung der Ergebnisse bei unterschiedlichen Messzeitpunkten).
Klinische Notwendigkeit von individuellen Registrierungen
Wissenschaftlich kann kaum mehr infrage gestellt werden, dass eine natürliche Rekonstruktion der okklusalen Zahnprofile die mechanisch effektivste Form der Kauflächengestaltung darstellt. Biomechanisch ist es sinnvoll, die Interkuspidation mit akzentuierten Höcker-Fossa-Beziehungen zu rekonstruieren [5], da sowohl bei In-vitro- als auch bei In-vivo-Experimenten unterschiedlich strukturierte Oberflächen (natürliche oder flache Zahnhöcker imitierend) feste Lebensmittel oder normierte Testnahrung mit unterschiedlichem Kraftaufwand durchdringen bzw. unterschiedlich effizient zerspanen [6–8]. Es ist davon auszugehen, dass diese Gesetzmäßigkeit auch für die natürliche Interkuspidation gilt. In vitro wurden mit natürlichen – im Vergleich zu planen – Höckerprofilen vom Nahrungsmittel abhängende Kraftreduktionen von bis zu 50 % gemessen [6]. In vivo wurden keine signifikanten Unterschiede bei ähnlichen Vergleichen gefunden [9,10]; dies liegt jedoch nicht in einem Unterschied der Physik vom intraoralen zum In-vitro-Versuch, sondern daran, dass die neuromuskuläre Steuerung des craniomandibulären Systems über Möglichkeiten der Nachsteuerung des Kraftsystems verfügt [11,12]. Diese Nachsteuerung kann eventuelle Unzulänglichkeiten durch eine Kraftverstärkung kompensieren, was aber naturgemäß einer erhöhten Adaptationsleistung entspricht [1], die im Sinne einer modernen Rehabilitationsmedizin weitestgehend vermieden werden sollte.
Ein weiterer Vorteil des Einsatzes von elektronischen Messverfahren eröffnet sich im Zusammenhang mit der biologischen Variabilität bei der Aufzeichnung von zahngeführten Grenzbahnen. Durch die Möglichkeit der Mittelwertbildung aus mehrfachen Aufzeichnungen lässt sich diese Unsicherheit der klassischen klinischen Verfahren, wie etwa der an einzelne exzentrische Registrate gebundenen Programmierhilfen (Checkbisse), reduzieren.
In diesem Kontext sind ebenso die Versorgung von Patienten mit Parafunktionen sowie das aktuell viel diskutierte klinische Problem des Chippings bei vollkeramischen Systemen zu thematisieren, insbesondere auch in Verbindung mit implantatgetragenem Zahnersatz. Beide Problemfelder erfordern eine größtmögliche Kontrolle der okklusal auf die inkorporierte Rekonstruktion einwirkenden Kräfte. Unzulänglichkeiten bei der Rekonstruktion der Okklusionen könnten bei unerwünschten Schadensfällen eine wesentliche Rolle spielen.
Wann ist eine Registrierung gerechtfertigt?
Sobald für eine Rekonstruktion individuelle Daten fehlen, ist eine Registrierung gerechtfertigt. Diese Entscheidung ist dabei nicht von der Art der Restauration (Einzelkrone oder komplexe Rekonstruktion) abhängig. Es ist ratsam, die erforderlichen Daten zu einem Zeitpunkt zu erheben, an dem die Informationen (z. B. die Frontzahnführungen) noch in der vorhandenen Okklusion zu finden sind und nicht etwa durch notwendige Zahnentfernungen beseitigt wurden. Der häufig vorgebrachte Einwand, in der geschlossenen Zahnreihe sei das okklusale Design durch die Nachbarzähne vorgegeben und daher eine Registrierung nicht gerechtfertigt, ist nicht plausibel, da kein aktueller Artikulator in der Lage ist, Funktionspfade der Arbeitsmodelle abzufahren.
Fazit
Auf der Basis der dargestellten Fakten ist die Registrierung individueller Parameter zur Programmierung von Artikulatoren eine unbedingt empfehlenswerte Maßnahme im Sinne einer modernen zahnmedizinischen Rehabilitationsmedizin.

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