Allgemeine Zahnheilkunde


Alterszahnheilkunde: Wie sollte die Versorgung von Senioren künftig aussehen? – Teil 1

Eine mit Teilprothese versorgte Seniorin (© pixelio/J. Sawluk).
Eine mit Teilprothese versorgte Seniorin (© pixelio/J. Sawluk).

Künftig wird der Zahnarzt in seinem Praxisalltag immer mehr ältere Patienten behandeln müssen. Sie werden sich – dank erfolgreicher Prophylaxebestrebungen unserer Tage – einer recht guten Mundgesundheit erfreuen, aber durchaus unter Einschränkungen und Erkrankungen leiden, die ein höheres Alter mit sich bringt. Es gilt, sich rechtzeitig auf diese wachsende Patientengruppe einzustellen. Der Autor des folgenden Beitrags möchte den Zahnarzt hierin unterstützen und beschreibt, wie neue Behandlungskonzepte und altengerechte Praxisabläufe aussehen könnten.

Präventive Bestrebungen in der Zahnmedizin haben sich seit den 80er Jahren immer stärker durchgesetzt und die Zahn- und Mundgesundheit der Bevölkerung verbessert. Noch in den 70er Jahren erfolgten Therapien vor allem symptombezogen, in den wenigsten Fällen präventiv. Die Zahnmedizin beschäftigte sich in erster Linie mit der Behandlung von Karies und deren Folgeerscheinungen – Füllungs- und Extraktionstherapien standen im Vordergrund. Als Folge dieser Vorgehensweise musste der Großteil der über 60-Jährigen prothetisch versorgt werden: zunächst mit eher einfachen Total- oder Teilprothesen im Modellgussverfahren, auch in Kombination mit Kronen oder Kunststoffprothesen mit einfachen Klammerkonstruktionen. Mit dem Prothetikurteil aus dem Jahr 1972 – jeder gesetzlich Krankenversicherte hatte den Anspruch auf eine volle Erstattung prothetischer Maßnahmen – wurden aufwendigere Versorgungen erstellt und die Zahl der Kronen und Brücken nahm zu, was mit enormen Kosten für die Krankenkassen verbunden war. Prophylaxe wurde erst in den 80er Jahren ein wichtiger Begriff; so wurde er Mitte des Jahrzehnts überhaupt erst offiziell in das Sozialgesetzbuch eingeführt. Damit verbunden war auch die stärkere Beachtung der Parodontologie an den Hochschulen und in der Praxis. Das Etablieren von Recallsystemen ermöglichte es, durch regelmäßige Praxisbesuche frühzeitig Erkrankungen zu vermeiden und Zähne und Zahnersatz langfristig zu erhalten. Individualprophylaxe und Gruppenprophylaxe ergänzten das zahnärztliche Vorsorgekonzept. Und es zeigte sich in den folgenden Jahrzehnten, dass sich Prophylaxe auszahlt. Gerade im Bereich der Kinder- und Jugendzahnpflege führte die systematische Prophylaxe zum Erfolg. So ging der DMFT-Wert in der Gruppe der 12-jährigen Kinder von 4,8 Zähnen im Jahr 1980 auf nur einen Zahn im Jahr 2004 zurück1. Die Einzelleistungsstatistik Konservierende Zahnheilkunde des KZBV-Jahrbuchs 2005 zeigte einen Rückgang der Füllungen um 3,7 % je Patient im Jahr 2004 gegenüber 2003 (für Primär- und Ersatzkassen) 1. Im Zeitraum von 1970 bis 2004 gingen Füllungen insgesamt um 38 % und Extraktionen um ca. 50 % zurück. Auch bei der Prothetik machte sich dieser Trend hin zu gesünderen Zähnen und einem geringeren Bedarf bemerkbar: So reduzierte sich im Zeitraum 1997 bis 2004 die Zahl der Einzelkronen um 14 %, die der Brücken um 26 % und die der Teilprothesen um 3 %.

Künftig mehr Senioren

Der wesentlich verbesserte allgemeine Mundgesundheitszustand heute lässteinen veränderten Versorgungsbedarf bei den zukünftigen Senioren erwarten. Diesen genauer zu betrachten, ist für den Zahnarzt schon deshalb wichtig, da die Zahl der Senioren in seiner Praxis zunehmen wird. So wird sich die Zahl der über 60-Jährigen von 1970 bis 2050 verdoppeln, die der 0- bis 20-Jährigen dagegen halbieren1,2. Mit Blick auf Pflegestatistiken bahnt sich eine Verlagerung ärztlicher oder zahnärztlicher Betreuung aus der Praxis in den Heimbereich an7,8. So sind in Deutschland derzeit ca. 2,13 Mio. Menschen pflegebedürftig; davon werden rund 670.000 in Heimen und 1,45 Mio. privat betreut. Dieser Personenkreis ist in der Regel nicht ausreichend zahnärztlich versorgt.
Auf den erhöhten und veränderten zahnmedizinischen Versorgungsbedarf von Senioren sollte sich der Zahnarzt schon heute einstellen und neue Konzepte erarbeiten. Für den Praxisalltag bedeutet die erhöhte Anzahl von Senioren einen höheren Zeitaufwand in der Anamnese. So nehmen viele ältere Patienten Medikamente gegen zerebrale Störungen, Antihypertonika, Antiarrhythmika, Antidepressiva, Antikoagulanzien und Antidiabetika ein. Patienten über 65 benötigen im Durchschnitt täglich sieben Medikamente und mehr14.

  • Verbesserung der Prothesenhygiene bei Bewohnern von Altenpflegeheimen durch professionelle Mundhygieneunterweisung (Quelle: Prof. Dr. Petra Scheutzel, Dr. Tanja Heilf, Universität Münster: Jahrestagung der AG Alters- und Behindertenzahnheilkunde: Tipps und Tricks im Umgang mit dementen Patienten; zm 98. Nr. 14, 16.7.2008, (2019).

  • Verbesserung der Prothesenhygiene bei Bewohnern von Altenpflegeheimen durch professionelle Mundhygieneunterweisung (Quelle: Prof. Dr. Petra Scheutzel, Dr. Tanja Heilf, Universität Münster: Jahrestagung der AG Alters- und Behindertenzahnheilkunde: Tipps und Tricks im Umgang mit dementen Patienten; zm 98. Nr. 14, 16.7.2008, (2019).
Neben einer genauen Anamnese erfordern Störungen der Allgemeingesundheit auch ein verändertes therapeutisches Vorgehen, das den spezifischen Risiken des allgemeinen Krankheitsbildes bzw. der Medikamenteneinnahme Rechnung trägt. Mit jedem zusätzlichen Medikament potenziert sich das Behandlungsrisiko. Bereits eine einfache Extraktion kann zu erheblichen Komplikationen führen und noch weitaus schwieriger gestaltet sich die Behandlung unter Intubationsnarkose.

Einteilung in verschiedene Gruppen

Um den älteren Patienten im Praxisalltag gerecht zu werden und ihnen eine adäquate Vorsorge zu bieten, empfiehlt sich eine einfache Einteilung nach ihren Fähigkeiten zur Mundhygiene3:

Gruppe I: Patienten ohne eingeschränkte Mundhygienefähigkeit
– Zahn- und Prothesenpflege können selbstständig durchgeführt werden.
– Motivation und professionelle Anleitungen werden umgesetzt.

Gruppe II: Patienten mit leicht eingeschränkter Mundhygienefähigkeit
– Benötigen zur Mundhygiene spezielle Hilfsmittel, wie Griffverstärkungen,
   Lupen und Kosmetikspiegel.
– Kontrolle der Mundhygiene und Prothesenreinigung durch geschultes
   Pfelgepersonal und Kontaktpersonen.

Gruppe III: Stark eingeschränkter Mundhygienefähigkeit
– Brauchen ständig Hilfe von Pflegepersonal für die Zahn-, Mund- und
   Prothesenpfelge sowie Körperhygiene durch Pflegepersonal und
   Kontaktpersonen.

Gruppe IV: nicht mehr mundhygienefähige Patienten
– Pflegepersonal muss Mund- und Prothesenpflege durchführen.
– Eine enge Kooperation zwischen Zahnarzt und Pflegenden ist notwendig,
   besonders, wenn noch Zähne vorhanden sind.

All diese Patienten sollte der Zahnarzt mindestens zweimal jährlich einbestellen
und eine professionelle Zahnund/oder Prothesenreinigung durchführen. Eine weitere mögliche Einteilung, die im Praxisalltag hilfreich ist, basiert auf der Mobilität und Selbstständigkeit der Patienten. Wir unterscheiden Go-Gos, Slow-Gos und No-Gos.

Go-Gos
– Für den Behandler mehr oder weniger komplikationslos.
– Die Patienten sind in der Regel selbstbestimmend und eigenverantwortlich.
   Eine Therapie kann ohne Zustimmung eines Betreuers eingegangen und
   durchgeführt werden.
– In der Praxis müssen keine besonderen Vorkehrungen getroffen werden.
– Patienten erscheinen zum Recall und sind zweckmäßigerweise in eine
   kontinuierliche Prophylaxe eingebunden.
– Eine eigenständige qualitativ akzeptable Mundhygiene ist gegeben.

Slow-Gos
– Sind in ihrer Mobilität eingeschränkt. Sie können nur schwer einen
   Praxisbesuch tätigen. In der Regel bestehen starke Gehbehinderungen
   (Rollstuhlfahrer, Rollator).
– Häufig bestehen neben motorischen auch mentale Einschränkungen
   unterschiedlichster Qualität. Die Patienten sind afu fremde Hilfe angewiesen.
– Eine Behandlung ohne Einwilligung eines Betreuers ist manchmal nicht mehr
   möglich. Hier gilt es im Voraus genau zu klären, wer in eine Behandlung
   einwilligt und wer die Kosten trägt.
– Es bestehen deutliche Mundhygienedefizite und die Mundhygienefähigkeit ist
   reduziert aufgrund eingeschränkter sensorischer, motorischer und
   kognitiver Fähigkeiten.
– Eine generelle Bereitschaft zur Mitarbeit besteht. Kommunikativ muss intensiv
   auf diese Patienten eingegangen werden. Fragen und Erläuterungen sind zu
   wiederholen. Dies ist entscheidend für die Rückkopplung und einen
   störungsfreien Behandlungsverlauf.

No-Gos
– Patienten, die die häusliche Umgebung oder die Pflegeeinrichtung nicht mehr
   verlassen können. Sie sind auf die Hilfe Dritter angewiesen.
– Häufig regeln auch Dritte die rechtlichen Angelegenheiten. Das heißt eine
   Behandlung kann auch nur über nzw. nachAbsprache mit dem Betreuer
   erfolgen. Hausbesuche müssen abgestimmt sowie betreuende Personen
   aufgeklärt und instruiert werden. Neben körperlichen dominieren zunehmend
   geistige Gebrechen.

 


Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. Gerhard Weitz

Bilder soweit nicht anders deklariert: Dr. Gerhard Weitz




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