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Altbewährtes neu gedacht

Digitale Strategien im analogen Alltag der Zahnarztpraxis (Teil 1)

Patientenkommunikation am digitalen Modell.
Patientenkommunikation am digitalen Modell.

Der Strukturwandel unseres gesellschaftlichen Zusammenspiels befindet sich in einem der größten Umbrüche der jüngeren Zeitgeschichte. Etablierte Arbeitsprozesse werden neu definiert, hinterfragt und vielfach auf ihre Effizienz hin überprüft. Das Ziel: schneller, sicherer und nachhaltiger eine definierte Interaktion zu durchlaufen. Längst hat dieser Umbruch den Fachbereich der Zahnmedizin erfasst und altbewährte Arbeitsabläufe auf den Prüfstand gestellt. In einem dreiteiligen Beitrag zeigt Dr. Hermann seinen digitalisierten Praxisworkflow auf.

Wir fragen uns, warum wir bewährte Prozesse verlassen sollten, wenn diese all die Jahre verlässlich funktioniert haben? Eine präzise Hydrokolloid-Abformung, ein sauberes Gipsmodell, eine analog mit hoher Handwerkskunst gefertigte Restauration und eine am Ende perfekt eingegliederte Zahnersatzarbeit am Patienten. Welche Gründe sollte es geben, einen solch verlässlichen Ablauf aufzugeben?

Wir stellen uns die Frage, ob wir „Die richtigen Dinge tun, also effektiv sind und ob wir „Die Dinge richtig tun, also effizient sind. Die Differenzierung zwischen Effektivität und Effizienz kann dabei eine wichtige Rolle spielen. Effektivität bedeutet, sich zu fragen, ob die Maßnahme uns dem Ziel näherbringt.

Ob wir die Dinge tun, die uns und unsere Patienten voranbringen. Effizient hingegen bedeutet, ob wir den Weg des geringsten Aufwandes gehen, um ein Ziel zu erreichen. Ob wir die Dinge richtig tun, um ans Ziel zu gelangen.

Beide Begriffe zusammen definieren einen möglichen Arbeitsprozess: Wie arbeiten wir effektiv? Was müssen wir tun, um ein Ziel zu erreichen? Wie arbeiten wir effizient? Wie können wir ein Ziel bestmöglich erreichen?

Am Beispiel des oben beschriebenen analogen zahnmedizinischen Arbeitsprozesses bedeutet dies konkret: Wir sind zwar effektiv mit dem altbewährten Ablauf (wir erreichen unser Ziel), aber wir sind möglicherweise effizienter mit einem intraoralen Scan, dem digitalen Versand der Daten und der CAD/CAM-Verarbeitung seitens des Zahntechnikers.

Dieser Weg kann auch zu einer optimierten Ergebnisqualität für den Patienten führen, im Sinne einer angenehmeren Behandlung ohne Abdrucknahme, einer Zeit- und Terminersparnis und einer Kostenreduktion der Behandlung, gleichbleibende Behandlungsqualität vorausgesetzt. Gerade in Pandemie-Situationen gewinnt die digitale chairside bzw. „single-visitdentistry? mit ihrer Termineffizienz auch im Sinne der Hygiene und des Patientenschutzes eine neue Bedeutung. Viele Behandlungen können in einer Sitzung durchgeführt werden, ein zweiter Besuch in der zahnärztlichen Praxis entfällt.

Im Zentrum digitaler Praxisführung: Softwareapplikationen zur Patientenverwaltung

  • Abb. 1: Patientenkreislauf.

  • Abb. 1: Patientenkreislauf.
    © Dr. Hermann
Die Digitalisierung der Zahnmedizin begrenzt sich natürlich nicht nur auf den Ersatz einer konventionellen Abformung durch einen intraoralen Scanner, sondern erweitert sich auf das gesamte Spektrum einer modernen, zukunftsfähigen Praxisführung. Schematisch kann dies, wie folgt, am Patientenkreislauf in einer zahnmedizinischen Praxis erläutert werden (Abb. 1).Die Außendarstellung einer Praxis begrenzt sich heute nicht nur auf das Vorhandensein eines Praxisschildes vor dem Eingang oder der Präsenz im Internet im Sinne einer klassischen Homepage, sondern erweitert sich zunehmend auf den dynamischen Bereich des Social Media.

Ein digitales Marketing stellt eine erweiterte Möglichkeit dar, das Praxisprofil nach außen zu tragen und Interessierte unabhängig von Ort und Zeit zu erreichen. Eine starke Differenzierung zu einer klassischen lokalen Zeitungsannonce durch die Nutzung digitaler Medien. Betritt der Patient das erste Mal eine Praxis, so wird er meist aufgefordert, sich durch einen Stapel an Anamneseblättern, Datenschutzvereinbarungen und Aufklärungsunterlagen zu arbeiten.

  • Abb. 2: Digitale Anamnese.

  • Abb. 2: Digitale Anamnese.
    © Dr. Hermann
Nicht selten herrscht dann Frust aufgrund der Menge der Unterlagen und Formulare und der damit verbundenen Schreibarbeit. Dieser Schritt kann heute durch eine digitale Anamnese auf einem Tablet (Abb. 2) ersetzt werden. Der Patient kann bequem die Formulare durch „anklicken? ausfüllen und rechtsgültig unterschreiben.

Der Vorteil besteht darin, dass diese über ein drahtloses Netzwerk direkt in die Patientenkartei eingepflegt werden und sofort vorhanden sind. Ein mühsames nachträgliches Digitalisieren oder gar Abheften in einer Patientenkartei entfällt. Ebenfalls besteht die Möglichkeit, in diesem Schritt Erhebungen zur Patientenzufriedenheit in der Praxis anhand eines Evaluationsbogens durchzuführen und auszuwerten.

Ein Beitrag zur kontinuierlichen dynamischen Weiterentwicklung der internen Praxisstruktur. Die Softwareapplikationen zur digitalen Patientenverwaltung (Praxismanagement, Röntgenprogramme, Foto- und Filmarchivierung, Dokumentation etc.) stellen den zentralen Baustein einer digitalisierten Zahnarztpraxis dar. Sie ermöglichen den sofortigen und über eine Cloud-Lösung auch ortsunabhängigen Zugriff auf die Patientendaten.

Ruft beispielsweise ein bereits bekannter Patient in der Praxis an, öffnet sich automatisch dessen Patientenkartei, bevor das Telefon angenommen wird. Ein langes Suchen nach der Karteikarte gehört der Vergangenheit an. Das Empfangspersonal ist vororientiert und vermittelt dem Patienten einen professionellen Eindruck.

  • Abb. 3: Patientenkommunikation am digitalen Modell.

  • Abb. 3: Patientenkommunikation am digitalen Modell.
    © Dr. Hermann
Der Behandler hat einen geordneten Zugriff auf alle relevanten Patientendaten und kann diese jederzeit mit dem Patienten visuell teilen. Somit kann im Gespräch eine effektive, effiziente und dokumentierte Aufklärung über die geplante Therapie erfolgen (Abb. 3).

Der virtuelle Patient als Modell zur Therapiesimulation und -planung

Die digitale Anbindung der Hardware (wie Röntgengeräte, Intraoralscanner, Gesichtsscanner, digitale Funktionsdiagnostik, etc.) und deren zunehmende Schnittstellen-Zusammenführung ermöglichen die Erstellung des „virtuellen Patienten?. Dieser stellt das digitale Abbild des Patienten dar und kann für die Diagnostik, Analyse, Planung, Umsetzung der Planung in die Chirurgie, Design und Herstellung des Zahnersatzes sowie zur Dokumentation und Verlaufskontrolle eingesetzt werden. Dabei werden die digitalen Datensätze des intraoralen Scans (.STL), des Gesichtsscans (.STL), des DVT-Datensatzes (.DICOM) und der patientenindividuellen Funktionsanalyse zu einem virtuellen 3D-Modell zusammengeführt.

Ziel des rein digitalen Workflows ist es, ein möglichst komplettes virtuelles Diagnose- und Therapiemodell unseres Patienten zu schaffen. Hierbei werden unterschiedliche Datensätze zu einem Modell zusammengeführt und ermöglichen uns eine annährend komplette Übersicht über die patienteneigene anatomische und funktionell-ästhetische Situation.

Dieses digitale Patientenmodell kann dann zur Therapiesimulation im Vorfeld und weiteren Therapieumsetzung herangezogen werden. So kann vielfach eine exaktere Planung – auch hinsichtlich Materialkosten und einer wissenschaftlich evidenz-basierten Therapie – realisiert werden. In der Folge erhöht sich auch die Therapiesicherheit für unsere Patienten.

  • Abb. 4: Digitales 3D-Planungsmodell.

  • Abb. 4: Digitales 3D-Planungsmodell.
    © Dr. Hermann
Konkret bedeutet dies am Beispiel der zahnärztlichen Implantologie: 3D-Simulation der prothetisch korrekten Implantatposition, Anfertigung von 3D-gefrästen oder gedruckten Bohrschablonen auf digitaler Datenbasis, navigierte Chirurgie, intraoperativer/ intraoraler Scan-Prozess, CAD/CAM-Herstellung des Zahnersatzes und eine individualisierte prothetische Rekonstruktion im Sinne von individuellen Emergenzprofilen. Durch diese Vernetzung werden die Vorhersehbarkeit und das Ergebnis implantologischer Maßnahmen, durch eine detaillierte Simulation in der Planungsphase, entscheidend verbessert (Abb. 4) [1].

Gewinn an Effektivität: Neue Behandlungsmöglichkeiten und -strategien

In der Zukunft werden diese Daten nicht nur rein statisch betrachtet werden, sondern auch durch Überlagerung von zeitlich getrennt erfassten Datensätzen zu einem Diagnosemodell erweitert werden. Die Anbindung an eine wissenschaftliche Datenbank, die Analyse der patientenspezifischen Daten und deren mathematisch-algorithmischer Abgleich durch Nutzung der KI (künstlichen Intelligenz) wird es dann ermöglichen, therapierelevante Aussagen treffen zu können [2–5].

Möglichkeiten der Diagnostik

Schon heute können wir zahlreiche diagnostische Analysemöglichkeiten im digitalen Workflow nutzen:

  • Farbanalyse der Zähne und Gingiva (Abb. 5)
    • Abb. 5: Digitale Farbanalyse.
    • Abb. 5: Digitale Farbanalyse.
      © Dr. Hermann

  • Okklusionsanalyse am digitalen Modell (Abb. 6)
    • Abb. 6: Okklusionsanalyse am digitalen Modell.
    • Abb. 6: Okklusionsanalyse am digitalen Modell.
      © Dr. Hermann

  • Kieferorthopädische Analysen/Alignertherapie (Abb. 7)
    • Abb. 7: KFO-Analyse mit der CEREC Ortho-Software.
    • Abb. 7: KFO-Analyse mit der CEREC Ortho-Software.
      © Dr. Hermann

  • CAD der prothetischen Zielvorgabe (digitales „Wax-up“) (Abb. 8)
    • Abb. 8: Digitales Wax-up.
    • Abb. 8: Digitales Wax-up.
      © Dr. Hermann

  • Erweiterte Diagnostik durch integrierte Scannertools, wie z.B. Kariesdetektion (Abb. 9)
    • Abb. 9: Erweitere Diagnostik durch integrierte Scannertools.
    • Abb. 9: Erweitere Diagnostik durch integrierte Scannertools.
      © iTero

  • Verlaufskontrollen (z.B. Oracheck Software) durch Ãœberlagerung mehrerer Scans (Zahnwanderungen Rezessionen, Abrasionen, Volumenveränderung des Kieferkammes/Weichgewebes etc.) (Abb. 10)
    • Abb. 10: OraCheck-Analyse nach Frontzzahntrauma mit Reposition des luxierten Zahnes im Vergleich zum Ausgangszustand vor dem Unfall.
    • Abb. 10: OraCheck-Analyse nach Frontzzahntrauma mit Reposition des luxierten Zahnes im Vergleich zum Ausgangszustand vor dem Unfall.
      © Dr. Hermann

  • Ur-Datensatz (aus Erstbefundung) gespeichert als Rekonstruktionsdatensatz (z.B. zur Verwendung als Bio-Kopie Datensatz nach Zahntrauma, speziell in der Sportzahnmedizin – Konzept „Biokopie Sport?nach Hermann F.) (Abb.11)
    • Abb. 11: Konzept Sportzahnmedizin (Biokopie Sport nach Hermann F.).
    • Abb. 11: Konzept Sportzahnmedizin (Biokopie Sport nach Hermann F.).
      © Dr. Hermann

Wir können an diesen Praxisbeispielen klar erkennen, dass uns die digitalen Technologien nicht nur einen reinen Ersatz des analogen Arbeitsablaufes bieten, sondern uns ein breites Feld an neuen Strategien und Behandlungswegen im Alltag eröffnen. Durch die Zusammenführung der Schnittstellen zwischen den einzelnen Technologien ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Effizienz in der Anwendung immer mehr zunehmen wird.

Der eingangs dargestellte Patientenkreislauf in der zahnmedizinischen Praxis schließt sich am Ende wieder durch die Integration eines digital-gestützten Recall-Systems in der Praxis. Patientenorientiert, individualisiert und risikobasiert erhält der Patient eine Erinnerung an seinen nächsten Termin zur Vorsorge im Rahmen der Prophylaxe und Dentalhygiene; eine maßgebende Säule einer erfolgreichen Praxis.

Dieser Ansatz, am Beispiel der zahnmedizinischen Betreuung eines Profi-Eishockey- Clubs, verdeutlicht die neu gewonnenen Möglichkeiten der digitalen Therapieansätze. Zu Beginn der Saison werden bei allen Spielern intraorale Scans des Oberund Unterkiefers angefertigt (Cerec Primescan, Dauer: ca. 2 bis 3 Min.) und der Datensatz archiviert (Ur-Datensatz). Nicht selten kommt es in dieser Sportdisziplin zu dramatischen Zahntraumata im Sinne von frakturierten, teil- oder vollständig luxierten Zähnen sowie Alveolarfortsatzfrakturen.

In diesen Fällen kann der gespeicherte Ur-Datensatz als Biokopie für die Herstellung eines Zahnersatzes oder die genaue Reposition luxierter Zähne über eine CAD/- CAM-hergestellte Repositionsschiene herangezogen werden. Eine möglichst naturgetreue Annährung an den Ausgangszustand ist somit mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben.

Dieses Konzept kann und wird vielleicht in Zukunft eine generelle Option sein für alle unsere Patienten. Bei der Eingangsuntersuchung erfassen wir digital den Ausgangszustand und nutzen diesen für spätere Rekonstruktionen und Analysen.

Weitere Informationen

Im Teil 2 informiert der Autor über digitale Strategien in der konventionellen Prothetik.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. Frederic Hermann



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