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Zahnerhaltung

Prävention bei Senioren mit Pflegebedarf

Die in den letzten Jahren erzielten Präventionserfolge bei Erwachsenen haben dazu geführt, dass die heutigen Senioren länger ihre eigenen Zähne behalten. Diese erfreulichen Ergebnisse haben aber auch zur Folge, dass die Wahrscheinlichkeit, an Karies, Wurzelkaries und Parodontitis zu erkranken, in den späteren Lebensphasen ebenfalls kontinuierlich steigt. Insbesondere bei Senioren mit Pflegebedarf führt die zunehmend reduzierte Mundhygienefähigkeit zu einer deutlichen Verschlechterung der Mundgesundheit und einer vermehrt notwendigen Unterstützung durch Dritte. Ein möglicher Weg wäre, die in dieser Phase auftretende Betreuungslücke durch bedarfs- und risikoorientierte zusätzliche zahnmedizinische Leistungen zu füllen.

. Wissmann Design/AdobeStock
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Es ist bekannt, dass die Anzahl älterer Patienten mit Morbiditäten und Medikamenteneinnahme in den nächsten Jahrzehnten aufgrund des demografischen Wandels weiter stark steigen wird [1]. Die Krankheitslast verschiebt sich ins höhere Alter, sodass jüngere Senioren im Jahr 2014 eine bessere Mundgesundheit haben, verglichen mit jenen noch vor 10 Jahren (DMS-V) [2,3]. Bei den älteren Senioren (also den 75- bis 100-Jährigen) weisen hingegen 9 von 10 Senioren eine moderate bzw. schwere Parodontitis nach den gängigen Referenzwerten auf. 60% der Menschen mit Pflegebedarf sind zudem nicht mehr in der Lage, einen Zahnarzttermin zu organisieren und dann die zahnärztliche Praxis aufzusuchen.

Ist-Zustand tägliche Mundhygiene

Hauptursache dieser auftretenden Mundgesundheitsprobleme ist sicher die aktuell noch unbefriedigende Mundhygienesituation bei vielen Menschen mit Pflegebedarf, die sich gerade mit zunehmendem Alter, Verringerung manueller Fähigkeiten, zunehmender Multimorbidität, Auftreten von kognitiven Einschränkungen, Wechsel der Versorgungssituation und vielen anderen Kofaktoren immer mehr verschlechtert. Die eigenverantwortliche Mundhygienefähigkeit sinkt und es ist vermehrt Unterstützung durch Dritte notwendig. Gerade auch wenn diese zusätzliche Hilfestellung bei der Mundhygiene notwendig wird oder diese von Pflegekräften oder Angehörigen komplett übernommen werden muss, wird aus verschiedenen Gründen ein wünschenswerter Mundhygienestandard häufig nicht erreicht.

Geriatrische Transitionsphase

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Häufig setzen die aktuellen Maßnahmen, Konzepte und Mundhygieneprogramme dort an, wo die tägliche Mundhygiene bereits längere Zeit nicht mehr in einem Maße stattgefunden hat, wie es in jüngeren Jahren der Fall war. Wie auch die medizinischen Komorbiditäten und der Alterungsprozess ein meist schleichender Prozess sind, beginnen auch dessen Auswirkungen auf die Mundhygienefähigkeit schleichend. Solange dies noch bei regelmäßigen Kontrollen in der Zahnarztpraxis im Rahmen eines kontrollorientierten Regimes aufgefangen werden kann, ist ein Ausgleich noch gut möglich.

Wenn die Zahnarztbesuche aber in der Frequenz abnehmen und sich die Versorgung hin zu einer problemorientierten Versorgung verschiebt, kann dieser Abbau nicht mehr aufgefangen werden. Bei einer Screening-Untersuchung von geriatrischen Patienten aus dem häuslichen Umfeld (mittleres Alter um die 78) zeigte sich bei der Befragung, dass die Senioren grundsätzlich einen Zahnarzt haben, diesen aber längere Zeit nicht aufgesucht haben. Hinsichtlich der zahnmedizinischen Befunde zeigten sich dementsprechend keine massiven Probleme, eher Prothesen, die eine Unterfütterung benötigen, und eine verbesserungswürdige Mundhygienesituation (Abb. 1a bis d).

Abb. 1 a–d): Exemplarische Darstellung von Screeningbefunden von geriatrischen Patienten aus dem häuslichen Umfeld (mittleres Alter um die 78). Dr. Barbe
Abb. 1 a–d): Exemplarische Darstellung von Screeningbefunden von geriatrischen Patienten aus dem häuslichen Umfeld (mittleres Alter um die 78).
Abb. 1 b). Dr. Barbe
Abb. 1 b).
Abb. 1 c). Dr. Barbe
Abb. 1 c).
Abb. 1 d). Dr. Barbe
Abb. 1 d).

Die Rückmeldungen der Patienten zu ihrer zahnärztlichen Versorgung im Wortlaut und ihr zahnmedizinischer Therapiebedarf bei einem zahnmedizinischen Screening sind in Abbildung 2 dargestellt.

Abb. 2: Rückmeldungen der Patienten zu ihrer zahnärztlichen Versorgung im Wortlaut und ihr zahnmedizinischer Therapiebedarf bei einem zahnmedizinischen Screening. Dr. Barbe
Abb. 2: Rückmeldungen der Patienten zu ihrer zahnärztlichen Versorgung im Wortlaut und ihr zahnmedizinischer Therapiebedarf bei einem zahnmedizinischen Screening.

Unter Transition (lat. „transitio“, „Übergang“) versteht man in der Humanmedizin den geplanten Übergang von Kindern oder jungen Erwachsenen mit chronischen Erkrankungen von einer kindzentrierten hin zu einer erwachsenenorientierten Gesundheitsversorgung. Ziel der Transitionsmedizin ist es, diesen Übergang durch Schulungen oder strukturierte Fortbildungsangebote zu standardisieren und zu vereinfachen. Gespiegelt auf die zahnmedizinische Situation der Senioren könnte helfen, eine solche geriatrische Transitionsphase in der Zahnmedizin zu etablieren und so bereits den Beginn einer Mundgesundheitsverschlechterung mit in den Fokus von präventiven und therapeutischen Ansätzen zu rücken.

Diese geriatrische Transitionsphase sollte dementsprechend bei vollständiger eigenverantwortlicher Mundhygienefähigkeit beginnen, den Übergang berücksichtigen, in dem eine partielle Hilfestellung notwendig ist, und final hin zu einer notwendigen vollständigen Substitution der Plaquekontrolle reichen. In einem solchen durchgehend begleiteten Prozess könnten die bedarfsadaptierten zusätzlichen Hilfestellungen die Mundgesundheit längerfristig erhalten.

Zahnärztliche Bewertung

Abb. 3: Zum Erreichen eines akzeptablen Mundhygienestandards ist ein junger, gesunder Mensch ohne Risikofaktoren in der Lage. Zu Beginn einer zahnmedizinischen Transitionsphase kommen erste Einschränkungen, Komorbiditäten und Risikofaktoren hinzu, die dazu führen können, dass die eigenverantwortliche Mundhygiene (grün) nur noch zu einem Teil ausgeführt werden kann. Dies reduziert sich zum Ende der Transitionsphase weiter. Pflegekräfte können möglicherweise die Mundhygiene des jungen, gesunden Patienten substituieren, nicht aber die des Patienten mit zunehmenden Risikofaktoren. So entsteht nach und nach eine zahnmedizinische Betreuungslücke, die durch zahnmedizinische Maßnahmen gefüllt werden muss. Dr. Barbe
Abb. 3: Zum Erreichen eines akzeptablen Mundhygienestandards ist ein junger, gesunder Mensch ohne Risikofaktoren in der Lage. Zu Beginn einer zahnmedizinischen Transitionsphase kommen erste Einschränkungen, Komorbiditäten und Risikofaktoren hinzu, die dazu führen können, dass die eigenverantwortliche Mundhygiene (grün) nur noch zu einem Teil ausgeführt werden kann. Dies reduziert sich zum Ende der Transitionsphase weiter. Pflegekräfte können möglicherweise die Mundhygiene des jungen, gesunden Patienten substituieren, nicht aber die des Patienten mit zunehmenden Risikofaktoren. So entsteht nach und nach eine zahnmedizinische Betreuungslücke, die durch zahnmedizinische Maßnahmen gefüllt werden muss.

Unabdingbar in der Diskussion über lebenslange bedarfsadaptierte Begleitung der Mundhygiene durch Zahnärzte ist eine regelmäßige zahnmedizinische Bewertung und ggf. Indikationsstellung für notwendigen personalisierten Unterstützungsbedarf. So kann dies zunächst ein Unterstützungsbedarf sein, der möglicherweise durch Angehörige abgedeckt werden kann. In späteren Phasen kann eine stärkere individueller Unterstützungserfordernis sicher teilweise durch die Pflege abgedeckt werden; wenn aber hier in der zahnärztlichen Bewertung eine weitere Betreuung offensichtlich wird, werden zukünftig neue zahnmedizinische Leistungen zum Füllen der auftretenden Betreuungslücke notwendig (Abb. 3).

Beschriebene Konzepte

In der Literatur wurden insbesondere Konzepte zur Verbesserung der Mundgesundheit von Senioren mit Pflegebedarf in Studien überprüft, wobei der Fokus hauptsächlich auf Seniorenheimbewohnern lag [4]. Komplex ist die Situation durch verschiedene involvierte Gruppen: Menschen mit Pflegebedarf, die mit zunehmendem Alter und Komorbidität nicht mehr vollständig zur eigenen Mundpflege beitragen; Pflegepersonal, das die Mundpflege eines jungen Patienten substituieren kann, nicht aber die eines Menschen mit Risikofaktoren; Hausärzte sowie Zahnärzte und Praxisteam in der aufsuchenden Betreuung.

Die Evidenz zeigt für jede der Gruppen, dass durch Maßnahmen wie Schulungen oder Mundhygieneinterventionen wie delegiertes regelmäßiges professionelles Zähneputzen die Mundgesundheit zumindest stabilisiert erhalten werden kann. Bis heute existiert aber kein beweisgestütztes, langfristig erfolgreiches Betreuungsmodell, bei dem ein nachhaltig akzeptables Mundhygieneniveau während der gesamten Transitionsphase erzielt werden konnte.

Mund-Fachpflege: professionelles Zähneputzen

Die oben beschriebenen theoretischen Überlegungen zur auftretenden zahnmedizinischen Betreuungslücke machen in Kombination mit der aktuellen politischen Diskussion zum Thema Pflege, dem Pflegenotstand sowie der enormen Arbeitsbelastung in der Pflege deutlich, dass ausschließlich von Seiten der Pflege eine Verbesserung der Mundhygienesituation von Pflegebedürftigen insbesondere in späteren Lebensphasen nicht zufriedenstellend erreicht werden kann.

Abb. 4: Mitarbeiterin des Praxisteams beim professionellen Zähneputzen vor Ort. Dr. Barbe
Abb. 4: Mitarbeiterin des Praxisteams beim professionellen Zähneputzen vor Ort.

Im Folgenden wird ein weiteres Mundhygienekonzept vorgestellt, das neben der Mundbasispflege durch das Pflegepersonal, Schulungsmaßnahmen und Zahnreinigungen auch regelmäßiges Zähneputzen alle 2 Wochen, ausgeführt durch zahnmedizinisches Fachpersonal, beinhaltet (Abb. 4). Dieses Zähneputzen soll nicht die täglichen Mundhygienemaßnahmen durch das Pflegepersonal ersetzen, sondern als zusätzliches Unterstützungsangebot dienen [5].

Ziel der randomisiert kontrollierten klinischen Studie mit Bewohnern von Pflegeheimen war es, die Auswirkungen eines durch eine ZFA 14-tägig durchgeführten professionellen Zähneputzens auf die Inzidenz von Wurzelkaries, Mundhygieneindizes und Zahnzahl zu untersuchen. Zu Beginn erhielten alle Senioren in einem ausgewählten Pflegeheim eine Zahnreinigung, um vergleichbare reinigungsfähige Mundhygieneverhältnisse zu schaffen. Anschließend putzte zahnmedizinisches Fachpersonal den Senioren alle 2 Wochen professionell die Zähne, zusätzlich zur regulären Mundhygiene durch das Pflegepersonal. Die Vergleichsgruppe führte die gleiche Mundhygiene weiter wie bisher. Nach 3 Monaten zeigte sich eine signifikant verbesserte Plaquekontrolle und Mundgesundheit bei der Gruppe mit „professioneller Zahnputzhilfe“, sowohl gegenüber der Situation zu Studienbeginn als auch gegenüber der Kontrollgruppe ohne die Zahnputzhilfe.

Weiterentwicklung eines solchen Modells wäre, dass bei allen in die Mundpflege involvierten Berufsgruppen die bestehenden Rollenprofile zur Mundgesundheit, Verantwortlichkeiten, ein Qualitätsmanagement, die entsprechenden Standard Operating Procedures (SOPs) und die Etablierung von verpflichtenden Schnittstellen in Hinblick auf den jeweiligen Beitrag zur Mundhygiene für Menschen während der gesamten zahnmedizinischen Transitionsphase neu definiert würden.

Neue zahnmedizinische Leistungen

Wenn man annimmt, dass eine zahnmedizinische Notwendigkeit für zusätzliche Hilfestellung zur Deckung des veränderten Mundhygienebedarfs im Sinne einer Fachpflege existiert, sollte über neue notwendige zahnmedizinische Leistungen nachgedacht werden. Bei mit Pflegebedarf auftretenden patientenbasierten speziellen Risikofaktoren wird zur Kompensation einer auftretenden Betreuungslücke zum Erreichen eines suffizienten Mundhygienestandards eine risiko- und bedarfsadaptierte Fach-Mundhygiene notwendig. Diese entspricht in Risiko und Durchführung bzw. notwendiger Qualifikation nicht mehr der Substitution der üblichen häuslichen Mundhygiene wie von der Pflege durchgeführt.

In der Konsequenz muss diese fortgeführt werden, reicht dann aber möglicherweise nicht aus, um das erhöhte individuelle Mundgesundheitsrisiko auszugleichen bzw. den gewünschten Mundhygienestandard zu erreichen. Eine Möglichkeit wäre eine individuelle zahnmedizinische Fachpflegemaßnahme, gebunden an eine zahnmedizinische Indikationsstellung und Festlegung der Grenze zwischen dem oben beschriebenen Fall (reine Substitution der häuslichen Mundhygiene ausreichend) oder Eintritt des Zustands, dass eine speziell qualifizierte Fachkraft aufgrund der allgemeinmedizinischen Gegebenheiten zusätzlich zur Basispflege notwendig wird. Zwingend erforderlich wäre hier eine zahnmedizinische Überprüfung und Qualitätssicherung dieser zusätzlichen zahnmedizinischen risikobasierten Mundfachpflegemaßnahmen.

Es geht bei solchen Überlegungen zu neuen zahnmedizinischen Pflegemaßnahmen also nicht um eine Kompensation von strukturellen oder insbesondere pflegerischen Mängeln, sondern um eine zahnmedizinische Antwort auf die flächendeckend vorhandenen individuellen Gesundheitsrisiken einzelner Patienten. Zu Systematik, Versorgung, Umfang und Hilfsmitteln solcher zusätzlichen zahnmedizinischen Leistungen müssen Standard Operating Procedures (SOP) erarbeitet werden, die regelmäßig an den Stand des Wissens angepasst werden und die ausschließlich unter der Indikation und Gesamtverantwortung eines approbierten Zahnarztes/einer approbierten Zahnärztin erfolgen können, da den individuellen Mundgesundheitsrisiken nicht mit einer pauschalen Strategie begegnet werden kann.

Zusammenfassung und Ausblick

Hauptursache von hochprävalent bei Menschen mit Pflegebedarf auftretenden Mundgesundheitsproblemen ist die aktuell noch unbefriedigende tägliche Mundhygienesituation, die sich im Sinne einer geriatrischen Transistionsphase mit zunehmendem Alter und damit steigenden Risikofaktoren verschlechtert. In der Folge sinkt die eigenverantwortliche Mundhygienefähigkeit, sodass vermehrt Unterstützung durch Dritte notwendig wird. Nachdem das Pflegepersonal sicher die häusliche Mundhygiene eines jungen gesunden Menschen substituieren kann, ist dies bei zunehmendem Alter und damit einhergehenden Risikofaktoren nicht immer der Fall, sodass eine individuelle zahnmedizinische Betreuungslücke auftritt.

Nachdem bis heute kein beweisgestütztes, langfristig erfolgreiches Betreuungsmodell existiert, bei dem ein nachhaltig akzeptables Mundhygieneniveau regelhaft erzielt wird, könnte ein Weg sein, diese zahnmedizinische Betreuungslücke durch bedarfs- und risikoorientierte zusätzliche zahnmedizinische Leistungen zu füllen. Dies wird voraussichtlich nur in einem Modell erfolgreich sein, in dem alle an der Mundpflege beteiligten Berufsgruppen neue Verantwortlichkeiten, neue Rollenprofile und verpflichtende Schnittstellen definieren.

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