Nanohybrid-Ormocer für die Bulk-Fill-Technik im Seitenzahnbereich

Direkte Komposite im Seitenzahnbereich gehören zum Standard im Therapiespektrum der modernen Zahnheilkunde. Diese Füllungsart hat mittlerweile in vielen klinischen Studien ihre Leistungsfähigkeit im kaulasttragenden Seitenzahnbereich unter Beweis gestellt. Im Regelfall erfolgt die Verarbeitung in einer aufwendigen Schichttechnik. Neben den Möglichkeiten, welche hochästhetische Komposite bei Anwendung der polychromatischen Mehrschichttechnik bieten, besteht andererseits eine große Nachfrage nach möglichst einfach bzw. schnell und somit ökonomischer zu verarbeitenden Materialien auf Kompositbasis für den Seitenzahnbereich. Dieser Bedarf kann durch immer beliebter werdende Komposite mit gesteigerten Durchhärtungstiefen (Bulk-Fill-Komposite) abgedeckt werden, wie nachfolgend anhand eines Fallbeispiels detailliert beschrieben wird.
Das Angebot im Bereich der direkten plastischen Kompositmaterialien hat sich in den letzten Jahren stark erweitert [6,21,22]. Neben den klassischen Universalkompositen wurde aufgrund der enorm gestiegenen ästhetischen Ansprüche der Patienten eine große Anzahl sogenannter „Ästhetikkomposite“ auf den Markt gebracht, die sich durch Kompositmassen in einer ausreichenden Zahl unterschiedlicher Farbnuancen und verschiedener Transluzenz-/Opazitätsstufen auszeichnen [25]. Mit opaken Dentinfarben, transluzenten Schmelzmassen und ggf. Bodyfarben lassen sich bei Anwendung der mehrfarbigen Schichttechnik hochästhetische direkte Restaurationen erzielen, die von der Zahnhartsubstanz praktisch nicht mehr zu unterscheiden sind und mit der Ästhetik von vollkeramischen Restaurationen konkurrieren. Teilweise umfassen diese Kompositsysteme über 30 verschiedene Kompositmassen in unterschiedlicher Farbabstufung und Lichtdurchlässigkeit. Eine entsprechende Erfahrung im Umgang mit diesen Materialien, die vor allem im Frontzahnbereich in einer Schichttechnik mit 2 oder 3 unterschiedlichen Opazitäten bzw. Transluzenzen eingesetzt werden, ist dabei allerdings unerlässlich [25,26].
Üblicherweise werden lichthärtende Komposite aufgrund ihrer Polymerisationseigenschaften und der limitierten Durchhärtungstiefe in einer Schichttechnik mit Einzelinkrementen von max. 2 mm Dicke verarbeitet. Die einzelnen Inkremente werden wiederum jeweils separat polymerisiert, mit Belichtungszeiten von 10–40 Sekunden, je nach Leistung der Lampe und Farbe bzw. Transluzenzgrad der entsprechenden Kompositpaste [20]. Dickere Kompositschichten führten mit den bis vor Kurzem verfügbaren Materialien zu einer ungenügenden Polymerisation des Kompositwerkstoffs und somit zu schlechteren mechanischen und biologischen Eigenschaften [3,7,37]. Vor allem bei großvolumigen Seitenzahnkavitäten kann das Einbringen des Komposits in 2-mm-Inkrementen ein sehr zeitintensives Vorgehen sein. Für diesen Indikationsbereich besteht deswegen eine große Nachfrage des Marktes nach möglichst einfach bzw. schnell und somit ökonomischer zu verarbeitenden Kompositmaterialien [2]. Hierfür wurden in den letzten Jahren die Bulk-Fill-Komposite entwickelt, die bei entsprechend hoher Leistung der Polymerisationslampe in einer vereinfachten Applikationstechnik in Schichten von 4–5 mm Dicke mit kurzen Inkrementhärtungszeiten von 10–20 Sekunden schneller in der Kavität platziert werden können [5,8,20,27,28]. „Bulk Fill“ bedeutet im eigentlichen Sinne, dass man eine Kavität ohne Schichttechnik in einem einzigen Schritt „lege artis“ füllen kann [14]. Dies ist derzeit mit plastischen Zahnfüllungsmaterialien lediglich mit Zementen, die aufgrund ungenügender mechanischer Eigenschaften eine klinisch langfristig stabile Füllung im kaulasttragenden Seitenzahnbereich des bleibenden Gebisses nicht erlauben und deshalb lediglich als Interimsversorgungen/ Langzeitprovisorien geeignet sind [10,16,24], und mit chemisch aktivierten oder dualhärtenden Stumpfaufbaukompositen, welche allerdings weder als Füllungsmaterial freigegeben sind noch vom Handling (z. B. Kauflächengestaltung) für eine solche Indikation geeignet erscheinen, möglich. Die Bulk-Fill-Komposite, die derzeit für die vereinfachte Füllungstechnik im Seitenzahnbereich angeboten werden, sind bei genauem Hinsehen eigentlich keine echten „Bulk“-Werkstoffe, weil speziell die approximalen Extensionen der klinischen Kavitäten meist tiefer sind als die maximale Durchhärtungstiefe dieser Materialien (4–5 mm) [9,11]. Allerdings können mit einer geeigneten Materialwahl bis zu 8 mm tiefe Kavitäten – und dies umfasst die überwiegende Anzahl der im klinischen Alltag vorkommenden Defektdimensionen – in 2 Inkrementen gefüllt werden.
Die meisten Komposite enthalten auf der klassischen Methacrylatchemie basierende organische Monomermatrizes [35]. Alternative Ansätze hierzu existieren in der Silorantechnologie [13,17,18,23,38,45] und der Ormocerchemie [15,31,32,39, 41–44]. Bei den Ormoceren („organically modified ceramics“) handelt es sich um organisch modifizierte, nichtmetallische anorganische Verbundwerkstoffe [12]. Ormocere können zwischen anorganische und organische Polymere eingeordnet werden und besitzen sowohl ein anorganisches als auch ein organisches Netzwerk [33,34,44]. Diese Materialgruppe wurde vom Fraunhofer-Institut für Silicatforschung, Würzburg, entwickelt und in Zusammenarbeit mit Partnern in der Dentalindustrie im Jahre 1998 erstmals als zahnärztliches Füllungsmaterial vermarktet [42,43]. Seither hat für diesen Anwendungsbereich eine deutliche Weiterentwicklung der ormocerbasierten Komposite stattgefunden. Die Anwendung der Ormocere ist aber nicht auf Kompaktwerkstoffe in der Zahnmedizin beschränkt. Diese Materialien werden seit Jahren bereits erfolgreich u. a. in der Elektronik, Mikrosystemtechnik, Kunststoffveredelung, Konservierung, Korrosionsschutzbeschichtung, Funktionsbeschichtung für Glasoberflächen und als hochresistente, kratzfeste Schutzbeschichtungen eingesetzt [4,36,40].
Ormocerbasierte dentale Füllungskomposite sind derzeit von zwei Dentalfirmen verfügbar (Admira Produktgruppe, Voco, Cuxhaven; CeramX, Dentsply, Konstanz). Bei den bisherigen zahnmedizinischen Ormocerprodukten wurden zur besseren Verarbeitbarkeit noch weitere Methacrylate zur reinen Ormocerchemie hinzugefügt (neben Initiatoren, Stabilisatoren, Pigmenten und anorganischen Füllkörpern) [19]. Deshalb ist es besser, hier von ormocerbasierten Kompositen zu sprechen. Das neue, im Jahr 2015 erstmals erhältliche Bulk-Fill-Ormocer Admira Fusion x-tra (VOCO, Cuxhaven) enthält laut Hersteller jetzt keine klassischen Monomere mehr neben den Ormoceren in der Matrix. Es verfügt über eine nanohybride Füllertechnologie mit einem anorganischen Füllkörperanteil von 84 Gew.-%. Es ist in einer Universalfarbe verfügbar und weist eine Polymerisationsschrumpfung von nur 1,2 Vol.-% bei gleichzeitig niedrigem Schrumpfungsstress auf. Admira Fusion x-tra kann in Schichten von max. 4 mm appliziert und je Inkrement in 20 Sekunden gehärtet werden (Leistung Polymerisationslampe > 800 mW/cm²). Die modellierbare Konsistenz als auch die werkstoffkundlichen Daten erlauben dem Behandler, mit Admira Fusion x-tra Kavitäten in der Bulk-Technik mit einem einzigen Material zu restaurieren; eine okklusale Deckschicht mit einem weiteren Komposit – wie bei der Verwendung von fließfähigen Bulk-Kompositmaterialien– ist nicht erforderlich.
Klinischer Fall
Ein 47-jähriger Patient wünschte in unserer Sprechstunde den sukzessiven Austausch seiner restlichen Amalgamfüllungen durch zahnfarbene Restaurationen. In der ersten Behandlungssitzung wurde die alte Amalgamfüllung in Zahn 46 erneuert (Abb. 1). Der Zahn reagierte auf den Kältetest ohne Verzögerung sensibel und zeigte auf den Perkussionstest ebenfalls keine Auffälligkeiten. Nach der Aufklärung über mögliche Behandlungsalternativen und deren Kosten entschied sich der Patient für eine plastische Füllung mit dem Ormocer Admira Fusion x-tra in der Bulk-Fill-Technik.
Zu Beginn der Behandlung wurde der betreffende Zahn mit fluoridfreier Prophylaxepaste und einem Gummikelch gründlich von externen Auflagerungen gesäubert. Da Admira Fusion x-tra nur in einer Universalfarbe verfügbar ist, konnte auf eine detaillierte Bestimmung der Zahnfarbe verzichtet werden. Nach der Verabreichung von Lokalanästhesie wurde das Amalgam vorsichtig aus dem Zahn entfernt (Abb. 2). Die Kavität wurde nach dem Exkavieren mit Feinkorndiamanten finiert und der Zahn anschließend durch das Anlegen von Kofferdam isoliert (Abb. 3). Der Spanngummi grenzt das Operationsfeld gegen die Mundhöhle ab, erleichtert ein effektives und sauberes Arbeiten und garantiert die Reinhaltung des Arbeitsgebietes von kontaminierenden Substanzen wie Blut, Sulkusfluid und Speichel. Eine Kontamination von Schmelz und Dentin würde in einer deutlichen Verschlechterung der Adhäsion des Komposits an den Zahnhartsubstanzen resultieren und eine langfristig erfolgreiche Versorgung mit optimaler marginaler Integrität gefährden. Zudem schützt der Kofferdam den Patienten vor irritierenden Substanzen wie z. B. dem Adhäsivsystem. Kofferdam ist somit ein wesentliches Mittel zur Arbeitserleichterung und Qualitätssicherung in der Adhäsivtechnik. Der geringe Aufwand, der zum Legen des Kofferdams investiert werden muss, wird durch die Vermeidung von Watterollenwechsel und des Verlangens des Patienten zum Ausspülen zusätzlich kompensiert.
Im Anschluss wurde die Kavität mit einer Teilmatrize aus Metall abgegrenzt (Abb. 4).
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Abb. 3: Nach dem Exkavieren wurde die Kavität finiert und mit Kofferdam isoliert.
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Abb. 4: Abgrenzung der Kavität mit einer Teilmatrize.
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Abb. 5: Selektive Schmelzätzung mit 35%iger Phosphorsäure.
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Abb. 6: Zustand nach Absprühen der Säure und vorsichtigem Trocknen der Kavität.
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Abb. 7: Applikation des Haftvermittlers Futurabond M+ mit einem Minibürstchen auf Schmelz und Dentin
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Abb. 8: Vorsichtiges Verblasen des Lösungsmittels aus dem Adhäsivsystem.
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Abb. 9: Lichtpolymerisation des Haftvermittlers für 10 Sekunden.
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Abb. 10: Nach dem Auftragen des Adhäsivs zeigt die gesamte versiegelte Kavität eine glänzende Oberfläche.
Im nächsten Schritt wurde die zuvor mit einer Parodontalsonde vermessene Kavität (6 mm Tiefe vom Kastenboden bis zur okklusalen Randleiste) im Bereich des mesialen Kastens mit Admira Fusion x-tra soweit gefüllt, dass eine Resttiefe in der gesamten Kavität von max. 4 mm verblieb; gleichzeitig wurde die mesiale Approximalfläche komplett bis zur Randleistenhöhe aufgebaut (Abb. 11). Das Füllungsmaterial wurde für 20 Sekunden mit einer Polymerisationslampe (Lichtleistung > 800 mW/cm²) ausgehärtet (Abb. 12). Durch den Aufbau der mesialen Approximalfläche wurde die ursprüngliche Klasse-II-Kavität in eine „effektive Klasse-I-Kavität“ umgewandelt und dann das nunmehr nicht mehr benötigte Matrizensystem entfernt (Abb. 13). Dies erleichtert im weiteren Behandlungsverlauf den Zugang zur Kavität mit Handinstrumenten zur Ausformung der okklusalen Strukturen und ermöglicht durch die verbesserte Einsehbarkeit des Behandlungsareals eine bessere visuelle Kontrolle der nachfolgend aufzutragenden Materialschichten. Mit dem zweiten Inkrement Admira Fusion x-tra wurde das Restvolumen der Kavität komplett gefüllt (Abb. 14). Nach Ausformung einer funktionellen, aber rationellen okklusalen Anatomie (Abb. 15), welche ebenfalls dazu beiträgt, ein schnelles Ausarbeiten und Polieren sicherzustellen, wurde das Füllungsmaterial wieder für 20 Sekunden gehärtet (Abb. 16).
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Abb. 11: Mit dem ersten Inkrement Admira Fusion x-tra wird der mesiale Kavitätenbereich gefüllt und die Approximalwand bis auf Randleistenhöhe ausgeformt.
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Abb. 12: Lichtpolymerisation des Füllungsmaterials für 20 Sekunden.
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Abb. 13: Situation nach Abnahme der Matrize.
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Abb. 14: Mit dem zweiten Inkrement Admira Fusion x-tra wird die Kavität komplett gefüllt.
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Abb. 15: Ausformung einer funktionellen, aber rationellen okklusalen Anatomie.
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Abb. 16: Polymerisation der mo-Füllung. Die vestibuläre Kavität wurde im darauffolgenden Schritt gefüllt.
Nach Abnahme des Kofferdams wurde die Füllung sorgfältig mit rotierenden Instrumenten und abrasiven Scheibchen ausgearbeitet und die statische und dynamische Okklusion adjustiert. Danach wurde mit diamantimprägnierten Silikonpolierern (Dimanto, VOCO, Cuxhaven) eine glatte und glänzende Oberfläche der Restauration erzielt.
Abbildung 17 zeigt die fertige direkte Ormocerrestauration, welche die ursprüngliche Zahnform mit anatomisch funktioneller Kaufläche, physiologisch gestaltetem Approximalkontakt und ästhetisch akzeptabler Erscheinung wiederherstellt. Zum Abschluss wurde mit einem Schaumstoffpellet Fluoridlack (Bifluorid 12, VOCO, Cuxhaven) auf die Zähne appliziert.
Fazit
Die Bedeutung direkter Füllungsmaterialien auf Kompositbasis wird in der Zukunft weiter zunehmen. Es handelt sich hierbei um wissenschaftlich abgesicherte und durch die Literatur in ihrer Verlässlichkeit dokumentierte, hochwertige permanente Versorgungen für den kaubelasteten Seitenzahnbereich. Die Ergebnisse einer umfangreichen Übersichtsarbeit haben gezeigt, dass die jährliche Verlustquote von Kompositfüllungen im Seitenzahnbereich (2,2 %) statistisch nicht unterschiedlich zu der von Amalgamfüllungen (3,0 %) ist [29]. Der zunehmende wirtschaftliche Druck im Gesundheitssystem erfordert für den Seitenzahnbereich neben den zeitaufwendigen High-End-Restaurationen auch eine einfachere, schneller zu erbringende und somit kostengünstigere Basisversorgung. Hierfür sind seit einiger Zeit Komposite mit optimierten Durchhärtungstiefen auf dem Markt, mit denen man in einer, im Vergleich zu den traditionellen Hybridkompositen, wirtschaftlicheren Prozedur klinisch und ästhetisch akzeptable Seitenzahnfüllungen legen kann [1,30]. Neben den Bulk-Fill-Kompositen mit klassischer Methacrylatchemie wurde das Angebot im Bereich der plastischen Adhäsivmaterialien mit großer Durchhärtungstiefe nun um eine Nanohybrid- Ormocer-Variante erweitert.
Der Autor bietet Fortbildungen und praktische Arbeitskurse im Bereich der ästhetisch-restaurativen Zahnmedizin (Komposit, Vollkeramik, Veneers, adhäsive Wurzelstifte, ästhetische Behandlungsplanung) an.
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Jürgen Manhart
Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie
Goethestraße 70
80336 München
E-Mail: manhart@manhart.com
www.manhart.com
www.dental.education

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