Prothetik


Retention und Widerstandsform bei zementierten Kronen und Brücken – Teil 2

21.10.2010

Abb. 5a: Parallel zur Einschubrichtung wirkende Belastungen, die innerhalb der nach okklusal projizierten Präparationsgrenzen auftreffen, erzeugen keine Kippmomente. Die Krone wird an jeder Stelle der Innenfläche in Richtung Stumpf gedrückt. Abb. 5b: D
Abb. 5a: Parallel zur Einschubrichtung wirkende Belastungen, die innerhalb der nach okklusal projizierten Präparationsgrenzen auftreffen, erzeugen keine Kippmomente. Die Krone wird an jeder Stelle der Innenfläche in Richtung Stumpf gedrückt. Abb. 5b: D

Fortsetzung

Die Widerstandform

Die Widerstandsform verhindert die kippende oder gleitende Ablösung der Restauration aufgrund von exzentrischen Belastungen (Abb. 5a). Exzentrische Belastungen können entweder bei horizontal oder schräg auf die Kronen auftreffenden Kräften (Abb. 5b) oder bei ausladenden Kronengeometrien und Hebelkräften (Brücken), auch aufgrund von apikal gerichteten Kräften entstehen (Abb. 5c). Der Widerstand gegenüber einem Abkippen muss in der

  • Abb. 6: Bei einer Rotation um eine Drehachse, die durch einen Punkt am Kronenrand verläuft, wird die Zementfuge auf der gegenüberliegenden Seite des Stumpfes okklusal des Punktes P auf Druck belastet (rot). Alle Punkte apikal von P weisen eine Komponente der Zugbelastung auf (grün). An Punkt P weist der Zement eine reine Scherbelastung auf.

  • Abb. 6: Bei einer Rotation um eine Drehachse, die durch einen Punkt am Kronenrand verläuft, wird die Zementfuge auf der gegenüberliegenden Seite des Stumpfes okklusal des Punktes P auf Druck belastet (rot). Alle Punkte apikal von P weisen eine Komponente der Zugbelastung auf (grün). An Punkt P weist der Zement eine reine Scherbelastung auf.
Präparationsform mittels hemmender Flächen angelegt sein

Rotationshemmende Flächen liegen oberhalb des Punktes, an dem die Präparationsfläche die Tangente zur Kreisbahn bildet (Abb. 6). Bei einer hypothetischen spaltfreien Passung blockiert der außerhalb des Kreises gelegene Bereich mechanisch eine ausschließliche Derotation (ohne eine zusätzliche vertikale Abhebung). Da Kronen immer einen Zementspalt aufweisen, ist zusätzlich dessen Größe zu berücksichtigen. Der geometrische Halt ist eine Eigenschaft, die primär ohne jeglichen Zement vorhanden ist und allein von der Geometrie anhängt. Je größer die Zementfuge, also je loser die Passung der Krone ist, desto geringer ist der Halt, da sich die Fläche, welche für eine sichere Kippmeidung sorgt, verringert (Abb. 7). Die Ausdehnung dieser Fläche nach apikal stellt ein direktes Maß für den mechanischen Halt einer Krone dar. Sie hängt neben der Passung gleichzeitig von der Länge, dem Durchmesser und der Konizität des Stumpfes ab (Abb. 8). Selbst sehr kurze Stümpfe können bei einer ausreichenden Parallelität der axialen Wände eine Lagesicherung der Krone gewährleisten. Bei langen Stümpfen ist dagegen ein ausreichender Halt auch bei größerer Taper möglich. Aus diesem Grund sind fixe Winkelangaben oder minimale Stumpfhöhen für ideale Präparationen wenig sinnvoll und klinisch ohnehin schwer umzusetzen.

  • Abb. 7: Je größer der Zementspalt der Krone ist, desto geringer ist der Bereich am Stumpf, der für eine sichere mechanische Kippmeiderfunktion sorgt (schwarz/grau). Die Höhe dieses Bereiches im Verhältnis zur Stumpfhöhe ist ein Maß für den geometrischen Halt einer Krone.

  • Abb. 7: Je größer der Zementspalt der Krone ist, desto geringer ist der Bereich am Stumpf, der für eine sichere mechanische Kippmeiderfunktion sorgt (schwarz/grau). Die Höhe dieses Bereiches im Verhältnis zur Stumpfhöhe ist ein Maß für den geometrischen Halt einer Krone.
  • Abb. 8: Die Ausdehnung des hemmenden Bereiches (schwarz dargestellt) ist unmittelbar abhängig von der Länge, Breite und Konizität des Stumpfes. a) Bei gleichem Konus und Durchmesser erhöht eine größere Länge den Halt. b) Bei gleicher Höhe und gleichem Konus verringert ein größerer Durchmesser den Halt. c) Bei gleicher Höhe und Breite verringert ein größerer Konuswinkel den Halt. d) Funktionsprinzip einer Retentionsrille: Der geringere Abstand zur Drehachse sowie die Parallelität (geringere Konizität) schaffen einen rotationshemmenden Bereich.

  • Abb. 8: Die Ausdehnung des hemmenden Bereiches (schwarz dargestellt) ist unmittelbar abhängig von der Länge, Breite und Konizität des Stumpfes. a) Bei gleichem Konus und Durchmesser erhöht eine größere Länge den Halt. b) Bei gleicher Höhe und gleichem Konus verringert ein größerer Durchmesser den Halt. c) Bei gleicher Höhe und Breite verringert ein größerer Konuswinkel den Halt. d) Funktionsprinzip einer Retentionsrille: Der geringere Abstand zur Drehachse sowie die Parallelität (geringere Konizität) schaffen einen rotationshemmenden Bereich.
Die klinische Relevanz ist grundlegend und vielfältig. So ist z. B. das Anlegen von parallelen Retentionsrillen ein sehr wichtiges Mittel, um Kronen auf problematischen Stümpfen zu sichern (Abb. 8d). Ist der Zahnarzt sich dieser Prinzipien bewusst, so wird bei Molarenpräparationen (kurze Zähne großen Durchmessers) auf eine hohe Parallelität besonderer Wert gelegt (Abb. 9a u. b). Lange Zähne werden konischer präpariert. Obere Schneidezähne mit in sagittaler Ebene dreieckigem Querschnitt sollten palatinal mit einer zur Labialfläche parallelen Stufe versehen werden. Bei endodontisch behandelten Zähnen lässt sich in kritischen Fällen der erforderliche Halt durch einen zentralen Endokasten erzielen.

Jede Krone und Brücke sollte nach Kern im Labor auf dem Modell auf ein mögliches Abkippen in vier Richtungen geprüft werden16. Auch im Patientenmund kann der Widerstand gegenüber einem Herunterrotieren auf diese Weise getestet werden, wobei Nachbarzähne eine vollständige Überprüfung in allen Richtungen beeinträchtigen können. Als wichtigste klinische

  • Abb. 9a u. b: Klinisches Beispiel einer Molarenkronenpräparation mit ungünstigem Höhen-Breiten-Verhältnis. Bei sorgfältiger Vermeidung zu konvergenter Seitenflächen weist auch ein solch niedriger Stumpf eine ausreichende Retention auf.

  • Abb. 9a u. b: Klinisches Beispiel einer Molarenkronenpräparation mit ungünstigem Höhen-Breiten-Verhältnis. Bei sorgfältiger Vermeidung zu konvergenter Seitenflächen weist auch ein solch niedriger Stumpf eine ausreichende Retention auf.
Konsequenz ist bei mangelndem Widerstand eine adhäsive Befestigung vorzuziehen (z. B. Multilink Automix, Ivoclar Vivadent, oder Rely X ARC, 3M ESPE). Als Standardbefestigungsmaterial für alle zementierten Restaurationen haben sich in der eigenen Praxis kunststoffmodifizierte Glasionomerzemente (z. B. Fuji Plus GC) sehr bewährt. Diese weisen den Vorteil auf, dass aufgrund der höheren adhäsiven Eigenschaften eine zusätzliche Sicherheit gegeben ist. Die in den Abbildungen 5 bis 8 wiedergegebenen Prinzipien gelten natürlich dreidimensional in allen Richtungen. Nach Hedgedahl und Sillness stellt der rote Bereich die „Area of Resistance“ dar17. In den Abbildungen 10 bis 12 sind beispielhaft einige Situationen dargestellt. Während dieser Bereich bei parallelen Stümpfen und guten Passungen fast die Hälfte der Gesamtfläche erreichen kann (Abb. 10), nimmt seine Ausdehnung bei ungünstigeren Situationen schnell ab (Abb. 11). Die Größenordnung des Zementspalteeinflusses ist aus den Abbildungen ebenfalls zu ersehen. Dies ist insofern von besonderer klinischer Bedeutung, da CAD/CAMgefertigte Vollkeramikgerüste fertigungsbedingt generell eine etwas losere Passung aufweisen als Goldgussrestaurationen. In grenzwertigen Situationen kann die etwas leichtere Passung den Ausschlag geben, ob ein sicherer Halt vorhanden ist oder nicht (Abb. 12).

In Finite-Elemente-Berechnungen wurden Hinweise gefunden, dass die Rotationsachse möglicherweise in Abhängigkeit vom Elastizitätsmodul des Zahnes oder des Zementes auch weiter koronal oder innerhalb des Stumpfes verlaufen kann, wodurch sich eine andere dreidimensionale Verteilung der Kompressions- und Zugzonen ergäbe18. Die grundsätzlichen Zusammenhänge bleiben hiervon allerdings unbeeinflusst und es wurde bestätigt, dass der Widerstand gegen laterale Dislokation von dem Verhältnis der Druck- und Zugbereiche abhängt.

Eine Lagesicherung ist schließlich auch gegen Rotationen in axialer Richtung anzustreben. Kreisrunde zylindrische Stümpfe oder Implantat- Abutments, auf denen eine Krone horizontal frei rotieren kann, können eine Dezementierung begünstigen.

Das Brückenproblem

Ein spezielles Problem stellen Brücken dar. Es ist seit langem bekannt, dass vor allem weitspännige Brücken die Tendenz aufweisen, am distalen Pfeiler zu dezementieren. Dies ist im Unterkiefer häufiger zu beobachten als im Oberkiefer, was der Verwindung des horizontalen Unterkieferastes durch den Muskelzug zugeschrieben wird. Es finden sich Empfehlungen, in solchen Fällen mit individuellen Geschieben im Sinne von „Stress breakers“ einen gewissen Bewegungsausgleich zuzulassen. Sofern technisch beherrscht, kann diese Methode mit metallkeramischen Brücken sehr erfolgreich angewendet werden19. Leichte ästhetische Einbußen sind möglicherweise in Kauf zu nehmen. Für Geschiebe bei zirkonbasierten Brücken sind noch keine langfristigen klinischen Daten vorhanden.

Im Praxisalltag wird die Mehrzahl aller Brücken ohne Geschiebe hergestellt und wegen der Einfachheit eher angestrebt. Dies ist auch erfolgreich möglich, wenn das Prinzip des geometrischen Haltes verstanden und verinnerlicht wurde. Dem Dezementierungsrisiko liegt nämlich zu einem großen Teil das beschriebene

  • Abb. 10-12: Ausdehnung der „Area of Resistance“ (roter Bereich)<sup>17</sup>. Die Größenordnung des Zementspalteeinflusses ist auf den Abbildungen ebenfalls zu ersehen. Abb. 10: Bei parallelen Stümpfen und guten Passungen kann die „Area of Resistance“ fast die Hälfte der Gesamtfläche erreichen.

  • Abb. 10-12: Ausdehnung der „Area of Resistance“ (roter Bereich)17. Die Größenordnung des Zementspalteeinflusses ist auf den Abbildungen ebenfalls zu ersehen. Abb. 10: Bei parallelen Stümpfen und guten Passungen kann die „Area of Resistance“ fast die Hälfte der Gesamtfläche erreichen.
geometrische Problem zugrunde: Der weite Abstand zwischen den Pfeilern erhöht den ungünstigen Faktor „Breite“ für die Gesamtkonstruktion um ein Vielfaches. In den Abbildungen 13 und 14 sind die Fälle für lose aufgesetzte und zementierte Brücken dargestellt. Erschwerend kommt hinzu, dass die Stumpfhöhe nach distal in der Regel abnimmt und gleichzeitig der Durchmesser von Molaren zunimmt. Im Unterkiefer sind Kronenstümpfe oder Brückenpfeiler  Molaren – bedingt durch die Kronenanatomie – kürzer als im Oberkiefer. Die entscheidende steile Präparation der distalen Fläche des endständigen Pfeilers ist im Patientenmund oft nur sehr schwer zu verwirklichen. Nahe Antagonisten
  • Abb. 11: Im Vergleich zu Abb. 10 nimmt die Ausdehnung der „Area of Resistance“ bei ungünstigeren Situationen schnell ab.

  • Abb. 11: Im Vergleich zu Abb. 10 nimmt die Ausdehnung der „Area of Resistance“ bei ungünstigeren Situationen schnell ab.
verhindern häufig eine korrekte Positionierung des Winkelstücks und die Folge anist eine nach mesial geneigte Fläche. Das folgende klinische Beispiel veranschaulicht die wesentlichen beschriebenen Aspekte einer retentiven Präparationsform: Die viergliedrige Brücke von Zahn 14 auf 17 hatte sich am distalen Pfeiler dezementiert. Auf Abbildung16 ist deutlich die zu konische distale Fläche des Kronenstumpfes 17 zu erkennen, insbesondere zu der Achse des Zahnes 14. Darüber hinaus ist der Stumpf aufgrund der geringen okklusalen Platzverhältnisse relativ kurz. In Abbildung 17 ist die Parallelisierung
  • Abb. 12: Hinsichtlich der „Area of Resistance“ liegt eine grenzwertige Situation vor. Hier kann die etwas leichtere Passung den Ausschlag geben, ob ein sicherer Halt vorhanden ist oder nicht.

  • Abb. 12: Hinsichtlich der „Area of Resistance“ liegt eine grenzwertige Situation vor. Hier kann die etwas leichtere Passung den Ausschlag geben, ob ein sicherer Halt vorhanden ist oder nicht.
der Stümpfe dargestellt.

Fazit

Die Kenntnis und die klinische Anwendung der dargestellten grundlegenden Zusammenhänge erhöhen den klinischen Erfolg zementierter prothetischer Arbeiten und sind für jeden Zahnarzt von hoher Relevanz für das Präparationsdesign. Die Gründe für die bewusste Anlage von Retentionsrillen, retentiven Kästen und parallelen Wänden in der Präparation müssen auch dem Zahntechniker bekannt sein, damit diese nicht fälschlicherweise ausgeblockt werden.

CAD/CAM-gefertigte Gerüste weisen keine so enge Passung auf wie gegossene Werkstücke. Daher ist bei solchen Versorgungen besonders auf den mechanischen Halt zu achten. Kunststoffverstärkte Glasionomerzemente haben sich für Kronen und Brücken auf Zirkonoxidbasis klinisch sehr gut bewährt. In zweifelhaften Fällen ist eine echte adhäsive Befestigung vorzuziehen.

Praxistipp: In solchen schwierigen Ausnahmefällen hat es sich in der Praxis bewährt, ein vom Schaftende her gekürztes Diamantinstrument zu verwenden, wodurch die Gesamthöhe des Winkelkopfes verringert wird (Abb. 15). Bei allen Brücken ist dieser distalen Flanke besondere Aufmerksamkeit und Sorgfalt zu widmen.

 

 

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. Jan Hajtó

Bilder soweit nicht anders deklariert: Dr. Jan Hajtó