Prothetik


Materialeigenschaften temporärer K&B-Werkstoffe: Was ist wichtig für die tägliche Praxis? – Teil 2

22.03.2011

Abb. 3: Beschneiden einer Versorgungsabformung (Optosil, Heraeus, Hanau) im zervikalen Bereich, um die Schichtdicke des temporären K&B-Werkstoffes für die Ausarbeitung des Kronenrandes zu erhöhen.
Abb. 3: Beschneiden einer Versorgungsabformung (Optosil, Heraeus, Hanau) im zervikalen Bereich, um die Schichtdicke des temporären K&B-Werkstoffes für die Ausarbeitung des Kronenrandes zu erhöhen.

Fortsetzung

Reparaturfähigkeit

Die Reparaturfähigkeit temporärer K&B-Werkstoffe ist aus verschiedenen Gründen von hoher klinischer Relevanz16. Für eine Reparatur von bzw. eine Materialergänzung an Interimsversorgungen kann es folgende Gründe geben19:

  • Beschädigungen der temporären Restauration bei der Herstellung oder während der Gebrauchsphase20
  • Materialdefizite oder Blasenbildung bei der Herstellung38
  • Form- und Farbkorrekturen zur Optimierung des ästhetischen Erscheinungsbildes bzw. zur Korrektur der Okklusion13,18
  • Materialantrag zur mechanischen Verstärkung der temporären Restauration11,14

Beschädigungen bei der Herstellung können durch zu frühe Entnahme der temporären Restauration aus der Mundhöhle während der Polymerisation33, zu dünnwandige Kronenbereiche11,20 (präparationsbedingt/durch ungenügendes Ausschneiden)19 oder Fehler bei der Anfertigung hervorgerufen werden (z. B. nicht ausgeblockte Unterschnitte). Materialdefizite entstehen durch einen Materialunterschuss beim Einbringen, dem Einmischen von Bläschen oder im Rahmen einer zu forcierten Ausarbeitung vor allem im Kronenrandbereich30. Um eine ausreichende Dicke im Bereich des Kronenrandes zu erzielen, empfiehlt es sich, die Versorgungsabformung zirkumferent auszuschneiden (Abb. 3). Frakturen während der Tragedauer können durch eine fehlerhafte Okklusion (Frühkontakte auf der Restauration)11, zu gering dimensionierte Brückenzwischenglieder und ein okklusales Trauma hervorgerufen werden, aber auch bei normaler Kaufunktion auftreten (vor allem bei langen Brückenspannen). Darüber hinaus kann die Interimsversorgung bei der Abnahme bzw. dem Wiedereinsetzen beschädigt werden38.

Im Fall einer Beschädigung oder bei Materialdefiziten muss der Zahnarzt im Rahmen einer Aufwand-Nutzen-Analyse entscheiden (Nutzen für den Patienten!), ob eine komplette Neuanfertigung der temporären Restauration erfolgen muss oder ob eine Reparatur sinnvoller ist8,20. Sind nur geringe Materialdefizite auszugleichen, kann eine Reparatur der schnellere und wirtschaftlichere Weg sein26,38.
Neben der Reparatur beschädigter Interimsversorgungen ist der Haftverbund zwischen dem temporären K&B-Material und einem direkten Füllungskunststoff wünschenswert, wenn zur Verbesserung der mechanischen Festigkeit11 oder für Form- und Farbkorrekturen (Individualisierung) Material angetragen werden soll13,18.
Im Hinblick auf die Reparaturmöglichkeit temporärer K&B-Werkstoffe bestehen große Unterschiede zwischen Pulver-Flüssigkeits-Systemen und modernen Kompositwerkstoffen. Die Anbindung an klassische Werkstoffe auf der Basis von Mono-Methacrylaten funktioniert auch dann noch gut mit demselben Werkstoff, wenn die Restaurationen bereits länger getragen wurden. Durch Anrauen und „Konditionieren“ der Oberfläche mit Monomer lässt sich ein dauerstabiler Verbund erzielen (Abb. 4)6.

  • Abb. 4: Festigkeit der Reparatur temporärer K&B-Werkstoffe (SBF) nach unterschiedlichen Lagerungszeiten (10 min trocken, 24 h bei 37 °C in Wasser, 5.000 Zyklen Thermowechselbelastung zwischen 5–55 °C = TC). Baseline = Eigenfestigkeit des Werkstoffes (2,6).

  • Abb. 4: Festigkeit der Reparatur temporärer K&B-Werkstoffe (SBF) nach unterschiedlichen Lagerungszeiten (10 min trocken, 24 h bei 37 °C in Wasser, 5.000 Zyklen Thermowechselbelastung zwischen 5–55 °C = TC). Baseline = Eigenfestigkeit des Werkstoffes (2,6).

Demgegenüber ist die Anbindung an gealterte Restaurationen aus kompositbasierten Materialien problematisch. Eine Konditionierung der Oberfläche mit Mono-Methacrylaten ist bei diesen Werkstoffen kontraproduktiv, da diese das vernetzte Polymer nicht zu penetrieren vermögen und aufgrund ihrer Monofunktionalität keine belastbare Verbindung schaffen7. Bei den Kompositsystemen sollte die Bindungsoberfläche mit einer kreuzverzahnten Hartmetallfräse angeraut und anschließend mit einem Schmelz-Bonding konditioniert werden. Das Bonding sollte optimalerweise ein leicht flüchtiges Lösungsmittel (z. B. Aceton) enthalten, da das Lösungsmittel die Oberfläche gut trocknet7. Beispiel für ein solches Produkt ist Solobond Plus Adhesiv (VOCO, Cuxhaven). Nach Lichthärtung des Bondings kann die Reparatur mit einem handelsüblichen Füllungskomposit erfolgen.

Biologische Verträglichkeit

Die biologische Verträglichkeit umfasst die lokale Verträglichkeit durch direkte Interaktion der temporären Restauration mit der Pulpa, umgebenden Schleimhäuten und Gewebestrukturen des Parodonts48. Die temporäre Restauration darf weder eine lokal toxische oder reizende Wirkung auf die umgebenden Gewebe haben, noch systemische Reaktionen hervorrufen.

Die biologische Verträglichkeit (Biokompatibilität) umfasst – bezogen auf das Material – die Abgabe potenziell lokal toxisch oder reizend wirkender Substanzen (MMA, i-BMA in Form von Restmonomeren) sowie ein allergenes Potenzial der Inhaltsbestandteile12,18,50. Die Biokompatibilität beschreibt die Fähigkeit eines Materials, bei einer vorgegebenen (spezifischen) Anwendung eine angemessene Wirtsreaktion auszulösen. Ein biokompatibler Werkstoff muss also nicht vollständig bioinert sein, vielmehr ist die Angemessenheit der Wirtsreaktion ausschlaggebend39.

Vor dem Einsatz temporärer K&B-Werkstoffe sollte in jedem Fall eine ausführliche Anamnese erhoben werden, die eine mögliche allergische Disposition des Patienten gegenüber Inhaltsbestandteilen des eingesetzten Materials ausschließt, um schwere systemische Reaktionen zu vermeiden (anaphylaktischer Schock). Sicherheitsdatenblätter (MSDS = Material Safety Data Sheets) lassen sich bei fast allen Herstellern direkt aus dem Internet abrufen. Insbesondere den Werkstoffen auf MMA-Basis wird aufgrund des Restmonomergehalts eine ungünstige Gewebereaktion mit lokal toxischen Effekten auf die Gingiva bzw. die Pulpa zugeschrieben, wohingegen kompositbasierte Werkstoffe weniger problematisch sein sollen15,48. Einige Autoren führen die Interaktion mit der Gingiva auf eine schlechte marginale Passung (d. h. mechanische Irritationen) zurück13. Die biologische Verträglichkeit ist daher auch in erheblicher Weise von verfahrenstechnischen Parametern abhängig. Insgesamt wird die Wahrscheinlichkeit einer materialbedingten Überempfindlichkeit als gering eingeschätzt21,31.

Im weiteren Sinn zählt zur biologischen Verträglichkeit auch die exotherme Reaktionswärme, die bei der Polymerisation temporärer K&B-Werkstoffe freigesetzt wird18,34,42. Um irreversible thermische Schäden der Pulpa bei der intraoralen Herstellung der Interimsversorgung zu vermeiden, ist eine möglichst geringe Polymerisationstemperatur des temporären K&B-Werkstoffes wünschenswert. Diese hängt maßgeblich von der Reaktivität der eingesetzten Monomere und Initiatoren ab24. Darüber hinaus nehmen auch verarbeitungstechnische Einflussgrößen (Art des verwendeten Abformmaterials, Materialmenge, Herstelltechnik) Einfluss auf die tatsächlich am Zahn auftretenden Temperaturen18,23,50.

Die im Inneren der Materialien gemessenen Polymerisationstemperaturen schwanken – je nach Messanordnung – zwischen 40 und 80 °C 12,45,49. Mit thermischen Pulpaschäden ist ab Temperaturen von 40–42 °C zu rechnen29,40,51. In Laborversuchen hat man an extrahierten Zähnen bei modernen K&B-Werkstoffen Temperaturen gemessen, die unter 40 °C liegen. Die Gefahr einer thermischen Pulpaschädigung wird daher, im Vergleich zu älteren Produkten auf der Basis niedermolekularer Mono-Methacrylate, als gering angesehen. Gleichwohl muss man konstatieren, dass eine thermische Schädigung der Pulpa während der Aushärtung nicht sicher ausgeschlossen werden kann44, da einerseits die Dicke der nach der Präparation verbliebenen Dentinschicht zur Pulpa klinisch nicht feststellbar ist und andererseits die Polymerisationstemperatur von der Menge des eingebrachten Kunststoffes, d. h. von der lokalen Dicke der temporären Restauration, abhängt25. Aus diesem Grund empfehlen einige Autoren, die endgültige Aushärtung des Materials nicht im Mund des Patienten, sondern außerhalb erfolgen zu lassen25 oder durch Wasserkühlung zu kontrollieren13,23.
Im Hinblick auf die Temperaturentwicklung sind die modernen Kompositwerkstoffe den klassischen Pulver-Flüssigkeits-Systemen also deutlich überlegen. Der Temperaturpeak wird bei den Kompositen früher erreicht (2–3 min nach Mischbeginn) und die gemessenen Maximaltemperaturen sind signifikant geringer als bei den klassischen Systemen (Abb. 5)41. Kritisch können die Temperaturen insbesondere dann werden, wenn die verbliebene Rest-Dentinstärke zwischen Pulpa und der präparierten Zahnoberfläche 0,5 mm unterschreitet.

  • Abb. 5: Temperaturspitzen am pulpalen Dentin bei einer Materialstärke des temporären K&B-Werkstoffes von 2 mm und unterschiedlichen  Rest-Dentinstärken (s. Balkenfarbe) (41).
  • Abb. 6: Verblockte Kronen (24–26) einer 60-jährigen Patientin mit erheblichen Randimperfektionen und Sekundärkaries.
  • Abb. 5: Temperaturspitzen am pulpalen Dentin bei einer Materialstärke des temporären K&B-Werkstoffes von 2 mm und unterschiedlichen Rest-Dentinstärken (s. Balkenfarbe) (41).
  • Abb. 6: Verblockte Kronen (24–26) einer 60-jährigen Patientin mit erheblichen Randimperfektionen und Sekundärkaries.

  • Abb. 7: Materialien und Instrumente zur Herstellung der temporären Versorgung.
  • Abb. 8: Befüllen der Versorgungsabformung von inzisal nach zervikal, um Lufteinschlüsse zu ver meiden (Structur Premium, Voco, Cuxhaven).
  • Abb. 7: Materialien und Instrumente zur Herstellung der temporären Versorgung.
  • Abb. 8: Befüllen der Versorgungsabformung von inzisal nach zervikal, um Lufteinschlüsse zu ver meiden (Structur Premium, Voco, Cuxhaven).


Klinisches Fallbeispiel

Eine 60 Jahre alte Patientin stellte sich in unserer Klinik mit verblockten Kronen im linken Oberkiefer vor (24–26), die fortgeschrittene Kariesläsionen in den Kronenrandbereichen aufwiesen und aufgrund der Verblockung eine schlechte Mundhygienefähigkeit besaßen (Abb. 6). In den approximalen Bereichen hatte sich unterminierende Randkaries gebildet, was die Indikation zur Erneuerung der Kronen darstellte. Da es bzgl. der Außenkontur der Kronen keinen Grund zu Beanstandungen gab, wurde die Behandlung mit einer Überabformung aus Abformsilikon (Optosil Comfort, Heraeus Kulzer, Hanau) in einem Segment-Abformlöffel (Detax, Ettlingen) begonnen (Abb. 7). Zahn 24 zeigte ein kombiniert parodontales/endondontales Problem, welches nach Abnahme der Krone behandelt wurde.

Nach dem Beschneiden der Versorgungsabformung, deren korrekter Sitz vor dem Befüllen mit dem temporären K&B-Werkstoff im Mund des Patienten überprüft wurde, erfolgte das Befüllen des Abformlöffels von okklusal nach zervikal (Structur Premium, Voco, Cuxhaven; Abb. 8). Die Versorgungsabformung wurde im Mund der Patientin reponiert (Abb. 9) und nach der vom Hersteller empfohlenen Mundverweildauer entnommen.

  • Abb. 9: Versorgungsabformung im Mund der Patientin reponiert.
  • Abb. 10: Gestaltung des Oberflächenfinishs am Poliermotor.
  • Abb. 9: Versorgungsabformung im Mund der Patientin reponiert.
  • Abb. 10: Gestaltung des Oberflächenfinishs am Poliermotor.

  • Abb. 11: Fertige temporäre Rekonstruktion vor dem Einsetzen.
  • Abb. 12: Interimsversorgung nach dem temporären Befestigen mit Provicol (Voco, Cuxhaven).
  • Abb. 11: Fertige temporäre Rekonstruktion vor dem Einsetzen.
  • Abb. 12: Interimsversorgung nach dem temporären Befestigen mit Provicol (Voco, Cuxhaven).

Nach dem Entfernen der Überschüsse und Rekonturierung mit kreuzverzahnten Hartmetallfräsen wurde die Oberfläche mit Silikonpolierern sowie am Poliermotor mit Bimsstein geglättet (Abb. 10). Die Glättung am Poliermotor führt zu einem sehr guten Oberflächenfinish (Abb. 11). Die Restauration wurde abschließend mit Provicol (Voco, Cuxhaven) eingesetzt. Abbildung 12 zeigt die fertige temporäre Restauration in situ, die aufgrund einer exspektativen Diagnostik an Zahn 24 als Langzeitprovisorium geplant ist.

Fazit

Die Verarbeitungs- und Materialeigenschaften temporärer K&B-Werkstoffe haben einen maßgeblichen Einfluss auf die Qualität einer temporären Versorgung und stellen einen wichtigen Eckfeiler im Rahmen prothetischer und konservierender Therapiemaßnahmen dar. Gleichwohl setzt die Anfertigung qualitativ hochwertiger Interimsversorgungen eine korrekte Anwendung und Verarbeitung der Werkstoffe voraus. Wenngleich es derzeit noch keinen Werkstoff gibt, der alle klinischen Anforderungen gleichermaßen optimal erfüllt, lassen sich mit modernen K&B-Werkstoffen auf der Basis von Kompositen funktionell und ästhetisch gute Ergebnisse erzielen.



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