Prothetik

Der Beitrag des Zahnarztes zur interdisziplinären Rehabilitation betroffener Patienten

Funktionell adaptierte Gaumensegelorthesen bei velopharyngealer Insuffizienz

Gaumensegelorthesen sind Hilfsmittel für die Wiederherstellung der Funktion des Gaumensegels beim Atmen, Schlucken und Sprechen. Das Ziel besteht vor allem in der Verbesserung der Sprachverständlichkeit des Patienten. Gaumensegelorthesen besitzen zwei Funktionsanteile, die der Stützung des weichen Gaumens und der Retention am Restgebiss dienen. In Abhängigkeit vom Fortschritt der Rehabilitation werden temporäre und langzeitige Gaumensegelorthesen unterschieden. Für beide funktionell adaptierte Formen sind prothetisch-zahnärztliche Konstruktionsprinzipien, Werkstoffe und Technologien vorteilhaft einsetzbar, wie im folgenden Beitrag vor Augen geführt wird.

Erstmalig wurden Gaumensegelprothesen (syn. palatal lift) im Jahre 1958 erwähnt [8]. Danach berichtete man über technologische und werkstoffkundliche Variationen [1,6, 10,26,27]. Da der Begriff „Prothese“ den Ersatz verloren gegangener Gewebe betrifft, muss die nachfolgend darzustellende Form begrifflich korrekt als „Orthese“ bezeichnet werden. Diese zielt auf die Wiederherstellung der korrekten Funktion vorhandener Gewebe.

Gaumensegelorthesen sind Hilfsmittel für die Wiederherstellung der Funktion des Gaumensegels (velopharyngealer Abschluss) beim Atmen, Schlucken und Sprechen. Häufig sind Beeinträchtigungen neuraler Mechanismen bei der Steuerung von Sprechbewegungen ursächlich verantwortlich. Mögliche Schädigungsorte sind zentrale Strukturen, periphere Nerven und/oder neuromuskuläre Übergänge. Daraus resultieren Sprechstörungen [7,9,24,28,29]. Die Auswirkungen besitzen altersabhängig unterschiedliche Bedeutungen:

  • Bei Säuglingen steht die Behinderung des Saug- und Schluckvorgangs sowie die Störung der Mittelohrbelüftung im Vordergrund.
  • Bei allen im Altersgang Folgenden ist ganz besonders die Sprechmotorik gestört.

Typische artikulatorische Symptome bei einer schlaffen Lähmung des Gaumensegels sind Hypernasalität, unpräzise Konsonantenbildung und eine Verlangsamung des Sprechtempos. Die Sprache der Betroffenen ist verwaschen und teilweise völlig unverständlich. Das ist eine sehr schwerwiegende Störung. Die phonetische Funktion besitzt eine sehr große Bedeutung für die gesamte Kommunikation mit der beruflichen und privaten Umwelt [13,15,21,25]. Für Patienten mit Lippen-Kiefer-Gaumensegel-Spalten bzw. für Patienten mit tumorbedingten Resektionen im Oberkiefer wurde die phonetische Funktion untersucht und der Nutzen prothetischer Versorgung nachgewiesen [1,4,12,14,19,20,22,23]. Die Muskulatur des weichen Gaumens hat für die phonetische Funktion eine große Bedeutung [5]. Das betrifft das Anheben und Spannen des Gaumensegels sowie die Möglichkeit der Verkleinerung der Rachenenge (Abb. 1 und 2). Das vordergründige Ziel bei der Versorgung mit einer Gaumensegelorthese ist bei den erwachsenen Patienten die Verbesserung der Sprachverständlichkeit. Teilziele sind dabei die Verbesserung des velopharyngealen Verschlusses, die Verminderung des Luftverlustes durch die Nase, die Verbesserung der Sprechökonomie. Gaumensegelorthesen sind Hilfsmittel im Rahmen der Rehabilitation bei der logopädischen und individuellen Übungstherapie. Die Anforderung zur Herstellung von Gaumensegelorthesen kommt vom behandelnden Arzt (Chirurgie, Neurochirurgie, HNO-Heilkunde) und Logopäden. Die Entscheidung zur Betreuung mittels Gaumensegelorthese hängt vor allen Dingen von der Prognose des Krankheitsbildes und von der Kooperationsbereitschaft des Patienten ab. Die bisher betreuten Patienten hatten überwiegend traumatisch bedingte Sprechstörungen, wie z. B. die Situation nach einem Absturz beim Bergsteigen, und nur im Einzelfall eine hereditäre motorisch-sensible Neuropathie (Charcot-Marie-Tooth/HMSN Typ 1) als Ursache der Funktionsausfälle. Die Nutzung von Tablets mit Sprachfunktion ist nur eine Notlösung für diese Patienten.

  • Abb. 1: Schematische Darstellung des weichen Gaumens und der velopharyngealen Insuffizienz.
  • Abb. 2: Schematische Darstellung des muskulären Grundaufbaus des weichen Gaumens und der nervalen Hauptversorgung [nach 3].
  • Abb. 1: Schematische Darstellung des weichen Gaumens und der velopharyngealen Insuffizienz.
  • Abb. 2: Schematische Darstellung des muskulären Grundaufbaus des weichen Gaumens und der nervalen Hauptversorgung [nach 3].

Formen und Herstellung von Gaumensegelorthesen

Man unterscheidet zwei unterschiedlich gestaltete Formen: temporäre und langzeitige Gaumensegelorthesen. Beide besitzen zwei Funktionsteile. Die Retention erfolgt mit dem Teil, der sich an den Zähnen fixieren lässt. Der zweite wichtige Teil ist derjenige, der die Stützung des weichen Gaumens realisiert.

Vor Beginn der Herstellung ist eine Reihe von Voraussetzungen und Einflussfaktoren vom Zahnarzt zu prüfen. Im Bereich des weichen Gaumens wird die Tolerierung auf Berührung mit einem großen, kugelförmigen zahnärztlichen Füllinstrument getestet. Durch die z. B. traumatisch bedingten Schädigungen gab es bisher diesbezüglich bei den Patienten keine Probleme. Außerdem ist ein umfangreiches Restgebiss zur Retention der Gaumensegelorthesen erforderlich. Die Zähne müssen sich in einem guten Zustand befinden (kariesfreie bzw. korrekt versorgte Zähne, ausreichende Unterwölbungen an den Zähnen zur Retention für die Gaumensegelorthese). Eine gute Zahnpflege ist ebenfalls wichtig, weil die Zähne während der Nutzung der Gaumensegelorthese teilweise oder großflächig bedeckt sind. Außerdem ist ein abgeschlossenes Kieferwachstum Voraussetzung für Gaumensegelorthesen.

Temporäre Gaumensegelorthesen

Temporäre Gaumensegelorthesen werden immer zu Beginn der Betreuung benutzt. Die Herstellung wird an einem Patientenbeispiel gezeigt: Zunächst wird der Oberkiefer unter Nutzung eines zähplastischen, zahnärztlich üblichen Abformsilikons abgeformt (Abb. 3). Dabei ist darauf zu achten, dass umfangreiche Anteile des weichen Gaumens dargestellt werden. Da die Funktion des Gaumensegels nicht gegeben ist, wird die Abformung am sitzenden Patienten durchgeführt, die Absaugung in Bereitschaft. Das im zahntechnischen Labor hergestellte Gipsmodell soll neben den üblichen Bereichen auch das Gebiet des weichen Gaumens umfangreich darstellen (Abb. 4). Mithilfe der Tiefziehtechnologie wird eine harte Folie mit einer Schichtstärke von 2 mm (Erkodur, Fa. Erkodent, Pfalzgrafenweiler), die den Gaumen vollkommen bedeckt, auf dem Modell hergestellt. Die posteriore Grenze befindet sich auf dem weichen Gaumen (Abb. 5).

  • Abb. 3: Erstabformung für eine Gaumensegelorthese.
  • Abb. 4: Modell mit umfangreicher Darstellung des weichen Gaumens.
  • Abb. 3: Erstabformung für eine Gaumensegelorthese.
  • Abb. 4: Modell mit umfangreicher Darstellung des weichen Gaumens.

  • Abb. 5: Tiefgezogene Kunststofffolie als Grundlage einer temporären Gaumensegelorthese.
  • Abb. 5: Tiefgezogene Kunststofffolie als Grundlage einer temporären Gaumensegelorthese.

Bei der Einprobe am Patienten wird die Retention am Restgebiss, die Tolerierung des Gaumenauflageteils und die Ausdehnung auf den weichen Gaumen geprüft (Abb. 6). Dem folgt der wichtige Arbeitsschritt der funktionellen Adaptation des Auflageanteiles im Bereich des weichen Gaumens. Dies geschieht in Anwesenheit der Logopädin. Schrittweise wird auf dem Stützteil für den weichen Gaumen gaumenseitig zähplastisch angeteigter Kunststoff (z. B. Kalloplast R bzw. Kallocryl CPGM rot, Speiko, Münster) aufgebracht. Auf einen festen Verbund zwischen der Tiefziehfolie und dem aufgetragenen Kunststoff ist unbedingt zu achten. Vor dem Einbringen in die Mundhöhle wird der Kunststoff gaumenseitig mit Vaseline isoliert. Mit der Eingliederung in die Mundhöhle bei noch plastischem Kunststoff beginnt die Logopädin Sprech- und Sprachübungen mit dem Patienten. Der Materialauftrag erfolgt schrittweise unter Fortführung der logopädischen Übungen. Ein Ergebnis dieser funktionell wichtigen Phase ist in den Abbildungen 7 und 8 dargestellt. Ein eventueller Substanzabtrag kann in üblicher Weise mit der Kunststofffräse erfolgen. Nach der Glättung bzw. Politur des Kunststoffs kann die so funktionell ausgeformte temporäre Gaumensegelorthese als individuelles Rehabilitationsmittel dem Patienten für Übungen – individuell und bei der Logopädin – ausgehändigt werden. Bei entsprechenden Fortschritten kann dieses Behandlungsmittel gemäß den aktuellen Notwendigkeiten wiederum in Anwesenheit der Logopädin angepasst werden.

  • Abb. 6: Im Mund des Patienten einprobierte Folie von Abbildung 5.
  • Abb. 7: Funktionell ausgeformte Folie in der Draufsicht.
  • Abb. 6: Im Mund des Patienten einprobierte Folie von Abbildung 5.
  • Abb. 7: Funktionell ausgeformte Folie in der Draufsicht.

  • Abb. 8: Funktionell ausgeformte Folie in der Seitansicht.
  • Abb. 8: Funktionell ausgeformte Folie in der Seitansicht.

Langzeitige Gaumensegelorthesen

Wenn sich mit einer schrittweise angepassten temporären Gaumensegelorthese und fortlaufenden, intensiven Funktionsübungen des Patienten mit dem Logopäden weitere Verbesserungen oder eine Wiederherstellung der Gaumensegelfunktion erwarten lassen, ist eine sogenannte langzeitige Gaumensegelorthese indiziert. Auch dafür sind die ersten Arbeitsschritte eine extensive Oberkieferabformung, die umfangreiche Modellgestaltung und das Aufbringen einer Tiefziehfolie. Nach der oben beschriebenen funktionellen Ausformung wird ein Funktionslöffel im Tiefziehverfahren hergestellt. Damit erfolgt eine Silikonabformung (Regular-Body-Silikon). Dabei muss der Patient leicht nach vorn geneigt sitzen, um ein Verschlucken bzw. Aspirieren des Abformwerkstoffs zu vermeiden. Die richtige Konsistenz des aufgetragenen Silikons ist ebenso wie die bereitgehaltene Spraynebelabsaugung besonders wichtig. Auf dem danach entstandenen Funktionsmodell wird unter Berücksichtigung der klinischen Situation die Ausdehnung des Stützteils im Bereich des weichen Gaumens angezeichnet. Dem schließen sich die üblichen Arbeitsschritte wie bei der Herstellung einer gegossenen Teilprothese an. Der Stützteil für den weichen Gaumen wird nach der Einprobe des metallischen Gerüstes am Patienten in einen handelsüblichen Polymethylmethacrylat-( PMMA-)Kunststoff überführt. Dieser ist mit den Ausläufern des gegossenen metallischen Gerüstes stabil verbunden (Abb. 9–11). Bei der Konstruktion sind einige Grundsätze zu beachten: Je länger der Auflageteil im Bereich des weichen Gaumens gestaltet werden soll, desto umfangreichere Klammerverankerungen nach den Prinzipien einer gegossenen Teilprothese sind am Restgebiss erforderlich. Die Länge der am Restgebiss verankerten Anteile sollte mindestens der Länge des Stützteils für den Gaumenauflageteil entsprechen, um nicht dem Hebelgesetz zuwiderzulaufen (Abb. 12). Außerdem ist der Stützteil des weichen Gaumens sehr flach zu gestalten, um die Zunge möglichst wenig zu behindern. Der Kunststoffteil ist in bekannter Weise austausch- bzw. korrigierbar. Die langzeitige Gaumensegelorthese wird dann im Alltag und natürlich bei Fortführung der logopädischen Therapie getragen. Die Pflege erfolgt analog einer gegossenen Teilprothese. Nachts wird sie nicht getragen, um den bedeckten Geweben eine Regeneration zu ermöglichen.

  • Abb. 9: Ansicht von oben: die Konstruktionsplanung der metallischen Anteile einer langzeitigen Gaumensegelorthese.
  • Abb. 10: Ansicht von oben: das metallische Gerüst und die Wachsmodellation des Gaumenstützteiles.
  • Abb. 9: Ansicht von oben: die Konstruktionsplanung der metallischen Anteile einer langzeitigen Gaumensegelorthese.
  • Abb. 10: Ansicht von oben: das metallische Gerüst und die Wachsmodellation des Gaumenstützteiles.

  • Abb. 11: Eingegliederte langzeitige Gaumensegelorthese bei nicht vollständig geschlossenen Zahnreihen. Die ästhetischen Nachteile müssen aus Gründen der umfangreichen Retention am Restgebiss akzeptiert werden. Dies erscheint auch unter dem zwar längerfristigen, aber nicht dauernden Einsatz vertretbar.
  • Abb. 12: Aufgliederung der Anteile, die der Retention der Gaumensegelorthese bzw. der Stützung des weichen Gaumens dienen.
  • Abb. 11: Eingegliederte langzeitige Gaumensegelorthese bei nicht vollständig geschlossenen Zahnreihen. Die ästhetischen Nachteile müssen aus Gründen der umfangreichen Retention am Restgebiss akzeptiert werden. Dies erscheint auch unter dem zwar längerfristigen, aber nicht dauernden Einsatz vertretbar.
  • Abb. 12: Aufgliederung der Anteile, die der Retention der Gaumensegelorthese bzw. der Stützung des weichen Gaumens dienen.

Diskussion

Einer der sieben von uns betreuten Patienten konnte wegen zu geringer Zahnzahl und deren ungünstiger Verteilung im Kiefer nicht mit einer Gaumensegelorthese versorgt werden. Bei den anderen sechs Patienten trat nach intensiver logopädischer Therapie eine Verbesserung der Sprachverständlichkeit ein. Die artikulatorische Leistung verbesserte sich z. B. hinsichtlich der Spontansprache, der Phonationsdauer, der Reduktion des nasalen Durchschlags, der Stimmhaftigkeit der Laute und der Artikulationsschärfe.

Bei der Betreuung dieser Patienten ist sehr viel Geduld erforderlich. Dies bezieht sich z. B. auf die Situation, dass diese Patienten verschiedene Fehlfunktionen haben. Am Beginn der Behandlung geschieht die Verständigung sehr mühevoll und zeitaufwendig mit einem Tablet oder einer Buchstabiertafel. Auch bei den logopädisch betreuten zahnärztlichen Arbeitsphasen sind Pausen für den Patienten erforderlich. Und letztlich kann der Gewöhnungs- und Übungsprozess schon bei temporären Gaumensegelorthesen bis zu 3 Monate dauern.

Die Anpassung einer Gaumensegelorthese sollte im Betreuungsprozess frühzeitig erfolgen. Zu spät ist es dafür aber nie. Von Vogel und Mitautoren [27] wurde eine zu erwartende Ausfallquote von < 20 % beschrieben. Die Zusammenarbeit zwischen Zahnärzten, Phoniatern und Logopäden wird in der Literatur bisher selten erwähnt [2,16–18]. Zur weiteren Objektivierung der Sprachverständlichkeit wird künftig auch die computergestützte Sprachanalyse an Bedeutung gewinnen [11].

Fazit

Die vorgestellten Formen der Gaumensegelorthesen unterstützen die funktionskontrollierte Rehabilitation des Patienten. Sie sind wirksame Hilfsmittel, die mittels aktueller zahnärztlicher Werkstoffe, Technologien und Konstruktionsprinzipien mit verbesserten funktionellen Eigenschaften gestaltet werden können. Die Herstellung einer Gaumensegelorthese ist immer nur ein Teil der oft langwierigen interdisziplinären Rehabilitation dieser schwer betroffenen Patienten. Auf eine solche Weise kann der Zahnarzt in beträchtlichem Umfang zur Wiederherstellung der phonetischen Funktion des Patienten beitragen.

Autoren: Bernd Reitemeier1, Heike Richter2, Rainer Müller3, Katrin Ullmann1

1 Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik, UniversitätsZahnMedizin, Universitätsklinikum, Technische Universität Dresden
2 Abteilung für HNO-Heilkunde und Logopädie, Klinik Bavaria Kreischa
3 Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde, Universitätsklinikum, Technische Universität Dresden

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Prof. Dr. Bernd Reitemeier

Bilder soweit nicht anders deklariert: Prof. Dr. Bernd Reitemeier


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