Face-Former-Therapie – Teil 2

Fortsetzung
Ergebnisse
In Tabelle 1 werden die Mittelwerte und Standardabweichungen der Untersuchungsparameter für die entsprechenden Zeitpunkte (T1, T2 und T3) aufgelistet (Tab. 1, Spalte 2–4). In der Spalte 5 werden die ermittelten p-Werte und die dazugehörigen statistisch signifikanten Zeitintervalle angegeben.
Im Verlauf des Trainingsprozesses hat sich die „Beckenrotation“ in Richtung des Normwerts von 0° (p = 0,006) verändert. Mit Beginn der Therapie (T1 = + 8,70° ± 5,51°) wiesen die Patienten eine erhöht pathologische Abweichung der Beckenlage auf, die sich jedoch nach sechs Monaten auf einen Mittelwert von + 2,37° (± 1,87°) reduzierte.
Veränderungen lassen sich außerdem anhand von Messwerten beobachten, ie den Wirbelsäulenverlauf beschreiben (Abb. 5 u. 6). Bei der Betrachtung der Ergebnisse zeigte sich ferner, dass der zervikal-thorakale Wendepunkt („Wendepunkt ICT“), der thorakal-lumbale Wendepunkt („Wendepunkt ITL“) und der lumbalsakrale Wendepunkt („Wendepunkt ILS“) sowie „Kyphoseapex“ und „Lordoseapex“ signifikante Unterschiede zwischen den drei Zeitpunkten aufwiesen (Abb. 7 u. 8). Es wurden Differenzen zwischen Zeitpunkt 1 und 3 sowie zwischen 2 und 3 beobachtet. Die Messwerte des zervikal-thorakalen und des thorakallumbalen Wendepunktes werden mit anhaltender „Face-Former“-Therapie signifikant größer. Beim lumbalsakralen Wendepunkt hingegen ist eine Verkleinerung der Messwerte erfolgt.
Auch wird die Oberflächenrotation der Patienten durch die Streckung der Wirbelsäule beeinflusst. Zu Beginn der Behandlung wurde bei der linksseitigen Oberflächenrotation („Oberflächenrotation [- max]“) ein Mittelwert von 7,78° (± 3,20°) ermittelt. Der Normwert liegt hier bei 0 ± 5°. Zwischen den Zeitpunkten 1 und 3 sowie 2 und 3 veränderten sich die Werte signifikant.
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Tab.1:
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Abb. 6: Kyphosewinkel und Lordosewinkel (nach Hübner12, Seite 67).
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Abb. 7: Graphische Darstellung der Ergebnisse „Wendepunkt ICT“, „Wendepunkt ITL“ und „Wendepunkt ILS.
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Abb. 8: Graphische Darstellung der Ergebnisse „Kyphoseapex“ und „Lordose-apex“.
Diskussion
Durch das Übungsprogramm mit dem Face-Former können entlang absteigender Muskelketten von kranial nach kaudal Veränderungen der Oberkörperhaltung ausgelöst werden. Mit der „Face-Former“-Therapie konnten eindeutige Verbesserungen der Körperhaltung und eine Korrektur der Beckenlage erzielt werden. Innerhalb der ersten drei Monate (zwischen Zeitintervall 1 und 2) wurden nur 14,82 %, zwischen drei und sechs Monaten (zwischen Zeitintervall 2 und 3) dagegen 37,04 % signifikante Parameterveränderungen beobachtet werden. Mit 48,15 % zeigten sich nach sechs Monaten (zwischen Zeitintervall 1 und 3) die meisten Veränderungen in der Körperhaltung. Die Daten der vorliegenden Aufbaustudie legen dar, dass das myofunktionelle Training mit dem „Face-Former“ mindestens sechs Monate benötigt, um über eine neurophysiologische Umprogrammierung der orofazialen Funktionskreise die Körperhaltung zu verändern.
Eine Erklärung für die Vergrößerung der Messergebnisse könnte mit der Einnahme der Ausgangsposition des Übungsprogramms (Nackenstreckung zusammenhängen. Dabei bewegen sich die anatomischen Fixpunkte, anhand derer die Analyseparameter bestimmt werden, auf einer hinterlegten vertikalen Achse gesehen Richtung kranial. Es ist daher zu erwarten, dass die Messwerte des zervikal-thorakalen, des thorakallumbalen sowie des lumbal-sakralen Wendepunktes ebenso wie der „Kyphoseapex“ und „Lordoseapex“ größer werden. Die Ergebnisse der Studie bestätigen diese Erwartung bis auf den lumbal-sakralen Wendepunkt, denn die statistische Auswertung zeigt eine Kaudal-Wanderung und eine dazugehörige Messwertverringerung zwischen T1 und T3 in diesem Parameter (T1 = 51,54 ± 19,71 mm, T3 = - 391,65 ± 32,76 mm). Eine Erklärung des Abweichens des lumbal-sakralen Wendepunktes von der Vorhersage kann in der Derotation des Beckens zu finden sein. Die Lagekorrektur des Beckens, welche im Rahmen des „Face-Former“-Trainings erzielt wurde, könnte dazu führen, dass sich die Muskelaktivität in diesem Bereich verändert. Muskeldysfunktionen reduzieren sich in Höhe des Beckens und es stellt sich hier wieder ein muskuläres Gleichgewicht zwischen Agonisten und Antagonisten ein. Durch die Aktivierung und Anspannung neuer Muskelgruppen könnte es letztendlich zu einer Veränderung von Körpersegmenten kommen, die so in ihrer Lage und Position beeinflusst werden. Dies erklärt die Verkleinerung des rasterstereografischen Messwertes für den lumbal-sakralen Wendepunkt.
Auch wurde durch das Training die Oberflächenrotation beeinflusst (Abb. 9). Die ermittelten Abweichungen vom Normwert gelten als pathologisch und sind bei Patienten als Fehlhaltungen erkennbar. Auch hier zeigt sich die „Face-Former“-Therapie erfolgreich. Es konnte statistisch belegt werden, dass sich die Messwerte der maximalen linksseitigen Oberflächenrotation verbessern und der Oberkörper somit weniger nach links rotiert ist. Jedoch nehmen die Messwerte der maximalen rechtsseitigen Oberflächenrotation zwischen Zeitpunkt 1 und 2 um ca. 3,07° in Richtung Normwert von 0° zu. Anschließend steigen die Werte zwischen Zeitpunkt 2 und 3 um den Wert von 6,25° wieder an, was eine Zunahme der rechtseitigen Oberflächenrotation bedeutet (Abb. 10). Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich durch die „Face-Former“-Therapie die linksseitige Oberflächenrotation verkleinert, während sich die rechtsseitige Oberflächenrotation vergrößert. Eine genaue Analyse der Messwerte zeigt jedoch keine eindeutige Systematik. Diese Auffälligkeit zeichnete sich gleichermaßen bei anderen vermessenen Parametern ab. Die gegenläufige Veränderung von Messwerten ist auch innerhalb der seitlichen Wirbelsäulenabweichung festzustellen. Die „Face-Former“-Therapie bewirkt bei der maximalen rechtsseitigen Abweichung einen Anstieg der Werte und bei der maximalen linksseitigen Abweichung einen Abfall der Werte. Für beide Parameter Oberflächenrotation und Seitabweichung gilt, dass die Messwerte nach rechts zunehmen und die Messwerte nach links abnehmen.
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Abb. 9: Graphische Darstellung der „Oberflächenrotation (+max)“ und „Oberflächenrotation (-max)“.
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Abb. 10: Graphische Darstellung der „Seitabweichung (Ampl.)“.
Die Varianz der dargestellten Ergebnisse ist zum einen auf die unterschiedliche Reaktion von Patienten auf muskuläre Therapiekonzepte zurückzuführen. Denn neue Verhaltensund Bewegungsmuster können erst nach einer bestimmten Zeit durch viele Wiederholungen automatisiert und verinnerlicht werden13. Abgesehen davon wird eine wirksame und stetige Leistungssteigerung nur dann erzielt, wenn neue, höhere Belastungsreize gesetzt werden. Das myofunktionelle Training muss zum einen kontinuierlich und zum anderen mit wechselnder Belastung erfolgen. Ein häufiges Wiederholen gleicher Trainingsinhalte bei annähernd gleicher Belastungsintensität führt oftmals zu einer Leistungsstagnation25,26. Um diese Leistungsbarrieren zu vermeiden, ist es erforderlich, die Belastungsreize zu erhöhen8. Patienten, die am Lippenkeil des Face-Formers stärker ziehen, setzten höhere Belastungsreize als solche, die nur mit geringerer Kraft ziehen. Dadurch können sie die Muskulatur effektiver trainieren. Die Varianz der Ergebnisse ist daher auch durch die unterschiedliche Intensität des Zuges zu erklären, mit der der Lippenkeil des Face-Formers aus dem Mundvorhof gezogen wird. Bei den Patienten, die geringere Belastungsreize setzen, d. h. die weniger stark am Lippenkeil ziehen, benötigt die Face-Former-Therapie vermutlich einen längeren Zeitraum, damit Bewegungsmuster dauerhaft adaptiert werden können und als solche letztendlich als rasterstereografische Messwertveränderung zu erkennen sind.
Der Erfolg einer Therapie ist stets von der vorliegenden biomechanischen Verkettung und den jeweils regionalen Kompensationsmöglichkeiten der Muskulatur bzw. des Gewebes abhängig9,10. Zum anderen ist zu vermuten, dass die Lokalisation der ursächlichen Problematik relevant ist3.
Wenn die CMD-Erkrankung die primäre Ursache darstellt, so ist eine positive Wirkung des Face-Formers auf die Körperhaltung annehmbar, da gezielt die Muskulatur in diesem Bereich trainiert wird. |
Ist jedoch die CMD-Erkrankung sekundärer Ursache, d. h., stellt sie eine muskuläre Kompensation einer anderen Erkrankung im Körper dar, so ist die Wirkung des Face-Formers eher noch nicht erforscht. Denn eine erfolgreiche Therapie zielt immer auf die Ursache der Erkrankung ab und entspricht niemals einer Symptombehandlung.
Anhand der Ergebnisse dieser Pilotstudie kann gezeigt werden, dass ein funktioneller und anatomischer Zusammenhang zwischen dem orofazialen System und dem Bewegungsapparat existiert. In dieser Hinsicht ist jedoch auch zu betonen, dass orofaziale Dysfunktionen nicht die alleinige Ursache für Wirbelsäulenfehlstellungen sind. Umgekehrt ist es aber ebenso möglich, dass durch eine Wirbelsäulenfehlstellung eine CMD-Erkrankung ausgelöst werden kann. Im Rahmen dieser Studie traten Problematiken der orofazialen Dysfunktion und solche der Körperfehlhaltungen zwar in unterschiedlicher Ausprägung, jedoch fast immer gemeinsam auf. Der derzeitige wissenschaftliche Kenntnisstand geht davon aus, dass Dysfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich Körperfehlhaltungen zur Folge haben können und diese wiederum in der Lage sind, Dysfunktionen im stomatognathen System auszulösen. Diese Wechselwirkungen werden vielfach erkannt, aber nicht ausreichend therapiert.
Fazit für die Praxis
Durch die vorliegenden Ergebnisse wird aufgezeigt, dass die Körperhaltung bei CMD-Erkrankungen in erfolgreichen Therapiekonzepten adäquat berücksichtigt werden muss, wodurch die Bedeutsamkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit aufs Neue deutlich wird. Die vorliegende Studie bietet einen alternativen Therapieansatz bei der Behandlung von Körperfehlhaltungen. Da die Prävention der wirksamste Schritt ist, Fehlentwicklungen des Körpers (u. a. Zahnstellungsanomalien oder Körperfehlhaltungen) zu verhindern bzw. frühzeitig gegenzusteuern, ist eine gezielte Face-Former-Therapie zur Wiederherstellung eine erfolgreiche Therapiemöglichkeit zur Verbesserung der Oberkörperhaltung6.