Parodontologie

Zeitpunkt der Abschätzung der Prognose für fraglich erhaltungsfähige Zähne

Was tun bei schwerer Parodontitis?


Ein langfristiger Erhalt parodontal schwer vorgeschädigter Zähne ist mit etablierten Konzepten zur systematischen Parodontaltherapie einschließlich einer regelmäßigen unterstützenden Parodontaltherapie in bestimmten Fällen möglich. Deshalb sollten frühzeitige Extraktionen vermieden werden und weiterführende Therapieentscheidungen, insbesondere definitive prothetische Planungen, erst nach systematischer Parodontaltherapie und anschließender ausreichend langer Heilungsphase erfolgen. Anhand zweier Falldarstellungen bei Patienten mit fortgeschrittener chronischer Parodontitis werden im Folgenden die aktuellen Strategien bezüglich der oralen Rehabilitation parodontal erkrankter Patienten, insbesondere unter dem Aspekt des Erhalts der geschlossenen Zahnreihe, aufgezeigt und diskutiert.

Kann man infolge neuerer Erkenntnisse und eines besseren Verständnisses der multikausalen Erkrankung Parodontitis den Erhalt von Zähnen besser abschätzen? Wenn man sich die gegenwärtige Situation in der Praxis ansieht, so stimmen gesetzliche Vorschriften nicht mit der klinischen Erfahrung und der wissenschaftlichen Evidenz, die in Behandlungsstrategien zum Teil schon seit Jahren berücksichtigt werden, überein. Mittels einer adäquaten aktiven Parodontaltherapie (APT) und einer anschließenden konsequenten, risikoorientierten unterstützenden Parodontitistherapie (UPT) sind hohe Überlebensraten von Zähnen im parodontal behandelten Gebiss über ein Jahrzehnt möglich [1–3]. Selbst bei Behandlung kritischer Zähne mit fragwürdiger Prognose aufgrund fortgeschrittenen Attachmentverlustes wurden Überlebensraten von 88 bis 93 % in der UPT erreicht [4–6]. Schlagenhauf [7] regt hinsichtlich dieser Erkenntnisse zum Nachdenken an. Er zeigt beispielsweise auf, dass verbesserte antiinfektiöse Strategien die tradierten Überlegungen zur Erhaltungsfähigkeit parodontal vorgeschädigter Zähne neu definieren, was aber von vielen Kollegen noch nicht bemerkt oder im zahnärztlichen Handeln nicht umgesetzt wird. Mittlerweile liegen ausreichend Daten vor, um diese Überlegungen in veränderte Handlungsoptionen umzusetzen.

Falldarstellungen

Fall 1: generalisierte chronische Parodontitis mit einer parodontalen Nachsorgephase von 5 Jahren

Anamnese

Der 44-jährige Patient stellte sich im Januar 2008 erstmalig in der Ambulanz der Parodontologie des UKSH in Kiel vor. Der Patient befand sich in einem guten Allgemeinzustand mit unauffälliger allgemeiner Anamnese. Er war Nichtraucher und hatte auch zuvor nie geraucht. Parodontalerkrankungen im Familienkreis waren ihm nicht bekannt. Auf Anraten eines niedergelassenen Zahnarztes hatte er sich zuvor in der Klinik für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie zur Entfernung aller Oberkiefermolaren vorgestellt. Von dort erfolgte eine Überweisung in die Sektion Parodontologie zur Einleitung einer Parodontalbehandlung. Der Patient bemerkte seit längerem Zahnfleischbluten und wiederholte Zahnfleischentzündungen sowie eine Zunahme der Beweglichkeit einzelner Zähne. An regelmäßigen professionellen Zahnreinigungen nahm der Patient bisher nicht teil. Eine Parodontalbehandlung wurde in der Vergangenheit ebenfalls nicht durchgeführt. Zur häuslichen Mundhygiene verwendete er ausschließlich die Handzahnbürste. Im Vordergrund des Patienteninteresses stand die Frage nach der Erhaltungsfähigkeit der Zähne, insbesondere der Oberkiefermolaren. Einen vom Hauszahnarzt vorgeschlagenen prothetischen Ersatz einzelner Zähne lehnte er zu diesem Zeitpunkt aus finanziellen Gründen ab. Ästhetische Gesichtspunkte wie z. B. die starken Verfärbungen der mittleren Frontzähne im Oberkiefer sowie die multiplen Zahnfehlstellungen standen für ihn nicht im Vordergrund.

Befund und Diagnose

Der extraorale Befund war unauffällig. Intraoral handelte es sich um ein konservierend und prothetisch versorgungsbedürftiges Gebiss. Die Metallkeramikkronen, teils mit überstehendem Kronenrand, waren ca. 20 Jahre in situ. Es fehlten alle ersten Prämolaren, die Lücken waren kieferorthopädisch geschlossen worden. Alle Zähne bis auf 13, 11, 21 und 46, die eine Wurzelfüllung aufwiesen, reagierten sensibel auf den CO2-Kältetest. Die Sensibilität an Zahn 16 war vermindert. Kariöse Läsionen fanden sich an den Zähnen 16, 15, 12, 11, 21, 26, 27, 37, 36, 46 und 47. Das gesamte Gebiss wies einen massiven Plaquebefall, Zahnstein und Konkremente auf. Die Interdentalräume waren eingeschränkt hygienefähig. Die marginale Gingiva war generalisiert gerötet und lokal geschwollen (Abb. 1). Die Sondierungstiefen (ST) waren generalisiert erhöht bei 4–6 mm mit generalisiertem Sondierungsbluten (BOP) (Abb. 2). An Zahn 22 trat eine putride Exsudation nach Sondieren auf. Die Zähne 17, 16 und 26 zeigten einen Beweglichkeitsgrad I, Zahn 15 einen Grad II [8]. Der Furkationsgrad [9] aller 1. und 2. Molaren betrug Grad II bis III, wobei die Sondierung durch massive Konkrementauflagerungen behindert wurde. Auf einer alio loco angefertigten Panoramaschichtaufnahme von 2007 (Abb. 3a) und Einzelzahnaufnahmen der Regionen 16 und 26 von 2008 (Abb. 3b) zeigten sich im Seitenzahnbereich ein unregelmäßig generalisierter Knochenabbau bis zu 60 % der Wurzellänge, im Frontzahnbereich von etwa 30 % der Wurzellänge. Der Zahn 16 wies eine apikale Aufhellung auf und es fanden sich Wurzelfüllungen an 13, 11, 21 (Z. n. WSR) und 46. Weiterhin waren multiple kariöse Läsionen und Konkrementauflagerungen erkennbar. Aufgrund der Anamnese und der Befunde ergab sich die parodontale Diagnose einer generalisierten schweren chronischen Parodontitis [10] sowie einer Parodontitis im Zusammenhang mit endodontischer Läsion an Zahn 16.

  • Abb. 1: Klinische Situation vor antiinfektiöser Therapie (Januar 2008).
  • Abb. 2: Klinischer Befund bei Erstvorstellung mit Sondierungstiefen, Furkationbefunden, Beweglichkeitsgraden, Sensibilität und dentalem Befund (Januar 2008).
  • Abb. 1: Klinische Situation vor antiinfektiöser Therapie (Januar 2008).
  • Abb. 2: Klinischer Befund bei Erstvorstellung mit Sondierungstiefen, Furkationbefunden, Beweglichkeitsgraden, Sensibilität und dentalem Befund (Januar 2008).

  • Abb. 3a: Panoramaschichtaufnahme (November 2007).
  • Abb. 3b: Einzelzahnaufnahmen der Oberkiefermolaren (Januar 2008).
  • Abb. 3a: Panoramaschichtaufnahme (November 2007).
  • Abb. 3b: Einzelzahnaufnahmen der Oberkiefermolaren (Januar 2008).

Parodontale Therapie und Reevaluation

Im Rahmen der APT erfolgten neben der Entfernung harter und weicher supra- und subgingivaler Beläge wiederholt Mundhygieneinstruktionen, insbesondere zur Anwendung von Interdentalraumbürsten, und die Motivation des Patienten. Der Plaqueindex (PCR) verbesserte sich von anfänglich 75 % auf 25 %, der Blutungsindex (GBI) entsprechend von 46 % auf 3 %. Weiterhin wurde eine endodontische Behandlung am Zahn 16 mit Radektomie der disto-vestibulären Wurzel (Abb. 4) durchgeführt. Drei Monate später (Juni 2008) erfolgte die erste Reevaluation der parodontalen Situation (Abb. 5). Verbliebene Resttaschen mit einer Tiefe ? 5 mm wurden reinstrumentiert und in gleicher Sitzung eine Bearbeitung der Furkationsbereiche der Zähne 26–27 unter Sicht durchgeführt [11]. Zum Zeitpunkt der zweiten Reevalutaion im September 2008 (Abb. 6) war der Patient motiviert bei der Umsetzung der häuslichen Mundhygiene (PCR 20 %, GBI 0 %) und weiterhin sehr interessiert am Erhalt seiner Zähne.

  • Abb. 4a u. b: Röntgenmessaufnahme von Zahn 16 (Februar 2008) und Kontrollaufnahme nach Wurzelfüllung (März 2008).
  • Abb. 5: Parodontaler Attachmentstatus (Juni 2008), 3 Monate nach aktiver Parodontaltherapie.
  • Abb. 4a u. b: Röntgenmessaufnahme von Zahn 16 (Februar 2008) und Kontrollaufnahme nach Wurzelfüllung (März 2008).
  • Abb. 5: Parodontaler Attachmentstatus (Juni 2008), 3 Monate nach aktiver Parodontaltherapie.

  • Abb. 6: Parodontaler Attachmentstatus (September 2008), 6 Monate nach aktiver Parodontaltherapie.
  • Abb. 6: Parodontaler Attachmentstatus (September 2008), 6 Monate nach aktiver Parodontaltherapie.

Unterstützende parodontale Therapiephase (bis August 2013) Anhand der Risikoanalyse nach Lang und Tonetti [12] wurde ein mittleres Risiko ermittelt und entsprechend eine Recallfrequenz von sechs Monaten für die UPT festgesetzt. Das übergeordnete Ziel der UPT war die Bewahrung der Entzündungsfreiheit und die Verhinderung weiterer Attachmentverluste [13]. Das Hauptaugenmerk lag deshalb auf einer möglichst vollständigen Biofilmentfernung, im vorliegenden Fall besonders in den Furkationsbereichen der OK-Molaren. Auch wurde mit den bisherigen Maßnahmen der Erhalt der geschlossenen Zahnreihe angestrebt, um Zahnersatz auf möglicherweise fraglichen Zähnen bzw. Folgeextraktionen, die zwangsläufig aus prothetischen Gründen im Sinne einer Pfeilersektion für den notwendigen Zahnersatz resultieren, zu vermeiden. Die Compliance des Patienten war über die gesamte Behandlungsdauer als sehr gut zu bezeichnen. Persistierende Taschen mit ST ? 4 mm und positivem BOP sowie Taschen ? 5 mm wurden im Recall mit Hand- bzw. Schallinstrumenten schonend reinstrumentiert. Zur Verlaufskontrolle wurde im März 2010 eine Panoramaschichtaufnahme angefertigt (Abb. 7). Im Vergleich zur Aufnahme von November 2007 (Abb. 3a) war kein progressiver Knochenabbau zu erkennen. Im Bereich des Limbus alveolaris zeigte sich eine Zunahme der Dichte der knöchernen Strukturen mit stellenweise deutlicher Lamina dura. Der Zahn 26 wies an der disto-bukkalen Wurzel einen Knochenabbau bis ins apikale Wurzeldrittel und einen apikal erweiterten Desmodontalspalt auf. Daraufhin wurde eine endodontische Behandlung des Zahnes 26 mit anschließender Radektomie der disto-bukkalen Wurzel vorgenommen (Abb. 8).

  • Abb. 7: Panoramaschichtaufnahme (März 2010).
  • Abb. 8a u. b: Messaufnahme von Zahn 26 (Mai 2010); Wurzelbehandlung und Radektomie der disto-bukkalen Wurzel sowie diagnostischen Röntgenbild vor Wurzelbehandlung an 27 (Juni 2010).
  • Abb. 7: Panoramaschichtaufnahme (März 2010).
  • Abb. 8a u. b: Messaufnahme von Zahn 26 (Mai 2010); Wurzelbehandlung und Radektomie der disto-bukkalen Wurzel sowie diagnostischen Röntgenbild vor Wurzelbehandlung an 27 (Juni 2010).

Die Zähne 17 (Abb. 9) und 27 wurden ebenfalls in den folgenden Wochen endodontisch behandelt. Aufgrund der schwer zugänglichen Furkation am Zahn 27 (geringe Wurzelspreizung und Furkationgrad III) wurden beide bukkalen Wurzeln durch Radektomie entfernt, um die Furkationsproblematik damit zu eliminieren.

  • Abb. 9a u. b: Zahnfilm regio 17, Kontrolle nach Wurzelfüllung (Oktober 2010), Zahnfilm regio 17, Verlaufskontrolle (Februar 2011).
  • Abb. 10: Parodontaler Attachmentstatus (August 2013).
  • Abb. 9a u. b: Zahnfilm regio 17, Kontrolle nach Wurzelfüllung (Oktober 2010), Zahnfilm regio 17, Verlaufskontrolle (Februar 2011).
  • Abb. 10: Parodontaler Attachmentstatus (August 2013).

  • Abb. 11: Intraorale Ansichten (Dezember 2012).
  • Abb. 11: Intraorale Ansichten (Dezember 2012).

Eine Reevaluation im August 2013 zeigte, dass durch die konsequent fortgeführte UPT eine Stabilisierung des Behandlungsergebnisses bis heute möglich war (Abb. 10 u. 11).

Fall 2: generalisierte chronische Parodontitis mit einer parodontalen Nachsorgephase von 5 Jahren

Anamnese

Die 51-jährige Patientin stellte sich im Oktober 2007 in der Ambulanz der Parodontologie des UKSH in Kiel auf Empfehlung des behandelnden Hauszahnarztes vor. Die allgemeine Anamnese war unauffällig und die Patientin hatte zeitlebens nie geraucht. 2002 war in der hauszahnärztlichen Praxis eine geschlossene Parodontaltherapie durchgeführt worden, wobei eine regelmäßige Nachsorge unterblieb. Die Patientin klagte über Mundgeruch und schlechten Geschmack. Sie störte sich sehr an einzelnen, stark beweglichen Zähnen. Die ästhetischen Veränderungen als Folge des Zahnfleischrückgangs empfand die Patientin als nur wenig beeinträchtigend. Zur Familienanamnese konnte die Patientin berichten, dass mütterlicherseits ebenfalls Zahnfleischbeschwerden bestanden. Die Patientin erhoffte sich durch die Behandlung eine Beseitigung der immer wieder auftretenden akuten Entzündungen und des störenden Mundgeruchs sowie eine Stabilisierung der beweglichen Zähne. Sie gab ebenso an, die infolge der alio loco geplanten multiplen Zahnextraktionen notwendige prothetische Versorgung aus finanziellen Gründen nicht durchführen lassen zu wollen.

Befund und Diagnose

Der extraorale Befund war unauffällig. Es handelte sich um ein konservierend versorgtes Gebiss. Die Zähne 16 und 36 wiesen einen insuffizienten Füllungs- bzw. Kronenrand auf. Die Kompositrestaurationen in der Oberkieferfront waren stark verfärbt. Alle Zähne reagierten sensibel auf den CO2- Kältetest. Interdental und an den oralen Glattflächen des Unterkiefers zeigte sich viel Plaque. Lokalisiert waren Zahnstein und Konkremente sicht- und tastbar. Die marginale Gingiva war gerötet und lokalisiert livide geschwollen (Abb. 12). Die ST waren generalisiert erhöht, im Frontzahnbereich zwischen 4 und 6 mm, im Seitenzahnbereich bis zu 9 mm mit generalisiertem BOP (Abb. 13). An den Zähnen 11, 21, 24, 25, 42 und 46 entleerte sich bei Sondierung putrides Exsudat. Die Zähne 15, 24, 25 und 35 wiesen einen Beweglichkeitsgrad III auf, die Zähne 17, 27 und 36 einen Grad II [8]. Die Furkationsbeteiligung aller Molaren betrug Grad II und III, am Zahn 24 Grad I [9]. Auf der alio loco angefertigten Panoramaschichtaufnahme (Oktober 2007, Abb. 14a) und dem Röntgenstatus (November 2007, Abb. 14b) zeigte sich ein unregelmäßiger generalisierter Knochenabbau mit multiplen vertikalen Knocheneinbrüchen bis zu 70 % der Wurzellänge. Der Knochenabbau an 15 und 24 reichte bis in die Nähe des Apex. Weiterhin waren ein apikal erweiterter Desmodontalspalt an 15, 24 und 25 sowie eine Furkationsbeteiligung an 36, 46 und 47 erkennbar. Aufgrund der Anamnese und der Befunde ergab sich die parodontale Diagnose einer generalisierten schweren chronischen Parodontitis [10].

  • Abb. 12: Klinische Situation vor antiinfektiöser Therapie (Oktober 2007).
  • Abb. 13: Klinische Diagnose bei Erstvorstellung mit Sondierungstiefen, Furkationsbefunden, Beweglichkeitsgraden, Sensibilität und dentalem Befund (Oktober 2007).
  • Abb. 12: Klinische Situation vor antiinfektiöser Therapie (Oktober 2007).
  • Abb. 13: Klinische Diagnose bei Erstvorstellung mit Sondierungstiefen, Furkationsbefunden, Beweglichkeitsgraden, Sensibilität und dentalem Befund (Oktober 2007).

  • Abb. 14a: Panoramaschichtaufnahme (Oktober 2007).
  • Abb. 14b: Zahnfilmstatus (November 2007).
  • Abb. 14a: Panoramaschichtaufnahme (Oktober 2007).
  • Abb. 14b: Zahnfilmstatus (November 2007).

Therapie und Reevaluation

Trotz der sehr fraglichen Prognose einzelner Zähne wurde vorläufig nur die Extraktion des elongierten Zahnes 48 geplant. Im Rahmen der APT wurde neben der Entfernung harter und weicher Beläge mehrmals die Mundhygiene instruiert und motiviert. Der PCR verbesserte sich in der Folge von 65 % auf 19 %, der GBI von 100 % auf 0 %. Weiterhin erfolgten ein Full Mouth Scaling innerhalb von 2 Tagen, die Entfernung des Zahnes 48 und eine unterstützende systemische Antibiose (Amoxicillin/Metronidazol über 7 Tage) [14]. Die hochgradig beweglichen Zähne 15 und 25 wurden provisorisch mittels Schmelz-Säure-Ätztechnik und Komposit (Revolution®, Kerr GmbH, Rastatt) im Approximalraum mit den Nachbarzähnen verblockt. Die Compliance der Patientin war sehr gut.

Im März 2008 erfolgte die Reevaluation (Abb. 15 u. 16). Persistierende Taschen mit Sondierungstiefen von 6 mm an den Seitenzähnen, vereinzelt positivem BOP und die furkationsbefallenen Molaren wurden anschließend mittels Zugangslappenoperation behandelt [11,15]. Intraoperativ stellte sich am Zahn 17 ein ausgedehnter, um den Apex umlaufender Knocheneinbruch dar, was zu der Entscheidung führte, den Zahn zu extrahieren. Außerdem wurde eine semipermanente Schienung der oberen Prämolaren mithilfe eines glasfaserverstärkten Bandes (Ribbond®, Sigma Dental, Handwitt) angelegt, um eine ausreichende Stabilisierung während der Wundheilung [16] zu gewährleisten und den Kaukomfort zu verbessern [17]. Die Abbildung 17a zeigt die intraorale Situation im Juni 2008.

  • Abb. 15: Parodontaler Attachmentstatus (März 2008), 2½ Monate nach aktiver Parodontaltherapie.
  • Abb. 16: Fotostatus März 2008.
  • Abb. 15: Parodontaler Attachmentstatus (März 2008), 2½ Monate nach aktiver Parodontaltherapie.
  • Abb. 16: Fotostatus März 2008.

  • Abb. 17a u. b: Situation nach Schienung im Oberkiefer im Juni 2008; b: mit permanenter Schienung 24–26 (Dezember 2010).
  • Abb. 18: Parodontaler Attachmentstatus (November 2008), 6 Monate nach aktiver Parodontaltherapie.
  • Abb. 17a u. b: Situation nach Schienung im Oberkiefer im Juni 2008; b: mit permanenter Schienung 24–26 (Dezember 2010).
  • Abb. 18: Parodontaler Attachmentstatus (November 2008), 6 Monate nach aktiver Parodontaltherapie.

Bei einer erneuten Reevaluation im November 2008 (6 Monate postoperativ) zeigte sich eine deutliche Reduktion der Sondierungstiefen (Abb. 18). Der PCR lag bei 26 % und der GBI bei 0 %. Die Patientin war hoch motiviert bei der Umsetzung der häuslichen Mundhygiene und weiterhin sehr interessiert am Erhalt aller Zähne. Mittels Risikoanalyse nach Lang und Tonetti [12] wurde ein mittleres Risiko ermittelt, woraus ein 6-monatiges Recallintervall resultierte.

Unterstützende parodontale Therapiephase (bis Juli 2013) Neben der UPT an der Klinik wurde die Patientin weiterhin zahnärztlich am Heimatort betreut. Alle Zähne wurden regelmäßig auf Vitalität überprüft. Schwachstellen bei der Mundhygiene stellten insbesondere die Interdentalräume und die Furkationen der Molaren dar (PCR 10–40 %). Motivation und Reinstruktion der Mundhygiene erfolgten daher regelmäßig. Die Compliance der Patientin ist bis heute als sehr gut zu bezeichnen. Bei persistierenden Taschen von 4 mm mit BOP sowie bei Taschen ? 5 mm Sondierungstiefe erfolgte subgingival eine Reinigung mit Hand- bzw. Schallinstrumenten. Im Laufe der UPT wurden die teils insuffizienten Amalgamfüllungen im Oberkiefer durch Kompositrestaurationen ersetzt und die Zähne gleichzeitig mit einem in die Kavitäten eingelegten glasfaserverstärkten Band (Ribbond®) geschient (Abb. 17b). Zur Verlaufskontrolle wurde im April 2013 eine Panoramaschichtaufnahme angefertigt (Abb. 19). Im Vergleich zur Aufnahme von 2007 (Abb. 14a) ließen sich keine Anzeichen für einen weiteren Knochenabbau erkennen. Der approximale Knochen im Unterkiefer zeigte eine kompakte Abdeckung des Limbus alveolaris.

  • Abb. 19: Panoramaschichtaufnahme (April 2013).
  • Abb. 20: Parodontaler Attachmentstatus (Juli 2013).
  • Abb. 19: Panoramaschichtaufnahme (April 2013).
  • Abb. 20: Parodontaler Attachmentstatus (Juli 2013).

Die bisher erhobenen Befunde in den Nachsorgesitzungen zeigten, dass durch die konsequent fortgeführte UPT eine Stabilisierung des Behandlungsergebnisses über einen Zeitraum von sechs Jahren möglich war (Abb. 20).

Epikrise und Prognose beider Patientenfälle

Wesentlicher ätiologischer Faktor der chronischen Parodontitis in den vorliegenden Fällen schien die bakterielle Plaque zu sein, die bei entsprechender Disposition der Patienten zu den vorliegenden parodontalen Destruktionen geführt hatte. Trotz ausführlicher Beratung über das lokal fortgeschrittene Ausmaß der parodontalen Erkrankung und die fragliche Prognose einzelner Zähne wünschten beide Patienten einen Erhalt aller Zähne.

Derzeit liegt in beiden Fällen ein stabiler und entzündungsfreier parodontaler Zustand mit vereinzelten Resttaschen ? 5 mm Sondierungstiefe vor. Die durch die Behandlung eingetretene ästhetische Beeinträchtigung infolge der generalisierten Retraktion der Gingiva störte beide Patienten nicht. Gegenüber dem Ausgangszustand konnte die parodontale Situation objektiv verbessert werden. Das bisherige Behandlungsergebnis entspricht – trotz wiederholt notwendiger Interventionen aufgrund kombinierter endodontaler und parodontaler Komplikationen an Oberkiefermolaren wie im Fall 1 – den Erwartungen der Patienten. Sie wurden und werden fortlaufend darüber aufgeklärt, dass der langfristige Erhalt einzelner Zähne weiterhin fraglich ist, da auch bei derzeit stabilen parodontalen Verhältnissen aufgrund des massiven Knochenverlusts jederzeit mit neu auftretenden, z. B. endodontischen Komplikationen gerechnet werden muss [18]. Eine Regeneration knöcherner Strukturen in klinisch relevantem Ausmaß war nicht zu erwarten, womit die fragliche Prognose einiger schwer geschädigter Zähne auch nach der Therapie langfristig bestehen bleibt [19].

Der weitere Verlauf der Erkrankung hängt entscheidend von der Mitarbeit der Patienten [20] sowie der regelmäßigen Teilnahme an der UPT ab [21]. Falls es zu einem Zahnverlust kommen sollte und einzelne Zähne prothetisch ersetzt werden müssen, ist nun die Einschätzung der Prognose auf Basis der Verlaufsbeobachtung zuverlässiger möglich als zuvor [22,23].

Diskussion

Eine Risikokalkulation auf Basis mehrerer Faktoren kann nicht nur die zahnärztliche Wahrnehmung des erkrankten Patienten, sondern auch die Effektivität der parodontalen Behandlung verbessern helfen. Spätestens seit der Publikation von Lang und Tonetti [12] gelten Risikoabschätzungen als unverzichtbarer Bestandteil einer adäquaten Behandlungsplanung bei Parodontitis. Allerdings gilt dies vor allem für die Festlegung der Intervalle in der UPT. Inwieweit Risikoabschätzungen auch für die Therapieplanung in der APT geeignet sind, ist derzeit nicht geklärt. Kocher [24] gibt diesbezüglich zu bedenken, dass es durch die Verwendung von Risikoscores im Gegensatz zum „klinischen Bauchgefühl“ keine überlegen besseren Ergebnisse für die Entscheidungsfindung gibt. Eine Einschätzung der Prognose rein auf Zahnebene stellt die Überlebenswahrscheinlichkeit in vielen Fällen unzureichend dar [6]. Dies liegt vor allem daran, dass die Parameter zur Beurteilung des Erhalts auf Zahn- und Patientenebene gemessen und anschließend gemeinsam bewertet werden müssen [25,26]. Ein einzelner Faktor, wie z. B. Knochenverlust, Mobilität oder Tabakkonsum, ist nur wenig hilfreich, aber mit der Kombination mehrerer Einzelfaktoren kann eine höhere Vorhersagewahrscheinlichkeit erreicht werden [24].

Der Zeitpunkt einer Einschätzung zur Erhaltungsfähigkeit parodontal vorgeschädigter Zähne spielt dabei eine Schlüsselrolle, da sich durch ihn sowohl die Therapiekosten als auch die Erfolgsquote beträchtlich beeinflussen lassen [27]. Dies gilt insbesondere unter dem Aspekt, dass eine geschlossene Bearbeitung von Wurzeloberflächen mit den heutigen technischen Möglichkeiten sehr viel erfolgversprechender ist, als es noch vor 20 Jahren der Fall war. Die größeren Erfolge einer geschlossenen Therapie [27,28] verringern folglich auch das Ausmaß der parodontalchirurgischen Intervention [29].

An die geschlossene Behandlung sollte sich eine ausreichend lange Heilungsphase anschließen und die Reevaluation nicht vor Ablauf von drei Monaten vorgenommen werden. Je nach Schwere der Destruktionen müssen auch längere Zeiten eingehalten werden, um einen Endzustand der parodontalen Heilungsvorgänge abzuwarten. Während bereits nach drei bis sechs Monaten zwar die Entzündungsvorgänge und ein Teil der parodontalen Gewebe eine deutliche Verbesserung aufweisen können [30], sind die Veränderungen insbesondere im Bereich intraossärer Knochendefekte noch lange nicht abgeschlossen [27,31].

Die dargestellten Fälle zeigen, dass ein strategischer Zahnerhalt prognostisch fraglicher oder scheinbar hoffnungsloser Zähne in Absprache mit dem Patienten sinnvoll sein kann. Insbesondere bei generalisiert fortgeschrittenem Attachmentverlust kann durch den Versuch des Erhalts der geschlossenen Zahnreihe der „prothetische Behandlungsdruck“ für den Moment aufgehoben und die weitere Planung zeitlich nach hinten verschoben werden [22,32,33]. Vorteilhaft bei diesem Therapieansatz ist eine bessere Beurteilbarkeit der Patientencompliance, der Stabilität des Behandlungserfolges nach APT sowie der Neigung des Patienten zu Rezidiven. Diese Faktoren beeinflussen im Falle eines späteren fehlgeschlagenen Erhaltungsversuches die notwendigen Therapieentscheidungen, z. B. ob eine Implantatversorgung oder rein konservativ festsitzende bzw. herausnehmbare prothetische Versorgungen in Erwägung gezogen werden können.

Fazit

Eine initiale Prognoseeinschätzung bei schwerer Parodontitis und die damit häufig verbundene frühzeitige Zahnextraktion führen nicht selten zu weiteren Extraktionen zur Schaffung einer eindeutigen prothetischen Pfeilersituation.

Die Indikation zur Entfernung vermeintlich parodontal hoffnungsloser Zähne sollte daher vor Beginn der systematischen PA-Therapie zurückhaltend gestellt werden. Risikoeinschätzungen, die auf Momentaufnahmen beruhen, sind derzeit als Entscheidungshilfen für nicht reversible Therapieschritte wie z. B. Extraktionen ungeeignet. Der Vorteil einer Verlaufsbeobachtung kann in einer besseren Einschätzung der Mitarbeit des Patienten, der Reaktion der parodontalen Gewebe und damit der parodontalen Prognose liegen.

Bilder soweit nicht anders deklariert: Dr. Christian Graetz , Prof. Dr. Christof Dörfer , Dr. Maren Kahl , Dr. Claudia Springer


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