Parodontologie


Umfassende Parodontitistherapie: das Berner Konzept – Teil 1

Tab. 1: Vorgeschlagene parodontale, dentale, endodontische und funktionelle prognostische Kriterien für die Einzelzahnprognose.
Tab. 1: Vorgeschlagene parodontale, dentale, endodontische und funktionelle prognostische Kriterien für die Einzelzahnprognose.

Parodontitispatienten benötigen im Vorfeld prothetischer Versorgungen eine ausführliche Therapie. Das Praxisteam steht vor der Aufgabe, die für die Erhaltung der Behandlungsresultate notwendige Langzeitbetreuung reibungslos umzusetzen. Situationen wie diese erfordern spezielles Wissen, auch wenn nur ein kleiner Teil der Patienten umfassender parodontaler Therapien bedarf. Ausführliche Untersuchung, intensive Behandlungsplanung und das Umsetzen langfristiger Therapien machen daher eine effektive Vorgehensweise notwendig. Nachfolgend wird die umfassende Parodontitistherapie Schritt für Schritt vorgestellt, deren Prinzip und Kernschritte in jede Praxis übertragen werden können. Grundlage der Ausführungen ist das Berner Konzept, das in den 80er Jahren von Prof. N. P. Lang an der Universität Bern für die umfassende Behandlung von Patienten mit Parodontitis entwickelt wurde.

Eine Parodontitistherapie nimmt viel Zeit des Zahnarztes sowie des Patienten in Anspruch; angefangen bei der Untersuchung des Patienten, über die Erstellung der Diagnose und des Behandlungsplanes bis hin zur Umsetzung der geplanten Therapie. Fachwissen und spezielle praktische Fähigkeiten des Behandlers sind gefragt. Obwohl eine umfangreiche Parodontitistherapie nur für einen kleinen Teil der Patienten erforderlich ist, muss der Zahnarzt über das notwendige Wissen verfügen, um diese in den täglichen Behandlungsablauf seiner Praxis integrieren zu können. Häufig wird der Zahnarzt mit Fragen konfrontiert, wie z. B.: Wie erkläre ich dem Patienten, dass vor der gewünschten prothetischen Versorgung seiner Zähne oder/und Implantate eine lange und ausführliche Parodontitistherapie notwendig ist? Wie organisiere ich einen reibungslosen Ablauf der Therapie und später eine Erhaltungstherapie, damit das Behandlungsresultat gesichert ist? Wie organisiere ich mein Team und setze alles in der Praxis um?

Nachfolgende Ausführungen beschreiben die Behandlungsstrategie für Parodontitispatienten, die an der Universität Bern etabliert ist und seit ungefähr 30 Jahren erfolgreich umgesetzt wird. Das Behandlungskonzept ist evidenzbasiert und auf jede Praxis leicht übertragbar. Es muss nicht alles maßgetreu übernommen werden, aber das Prinzip und die Kernschritte der Behandlung können und müssen in jede Praxis eingebunden werden.

Parodontitis: der Status Quo

Parodontitis ist eine weit verbreitete Krankheit, die zum Zahnverlust führen kann. Laut der neuesten epidemiologischen Studie in Deutschland9 beträgt die Verbreitung von Parodontitis bei Erwachsenen (35–44 Jahre) 70,9 % und bei Senioren (65–74 Jahre) 87,4 %; unter diesen weisen 7,4 % bzw. 41,9 % eine schwere Parodontitis auf (definiert als CAL ??6 mm am mindestens 2 Stellen nicht am gleichen Zahn und mindestens eine Stelle mit ST ??5 mm). 52,7 % und 48,9 % der Untersuchten in den genannen Altersgruppen haben Taschen mit Sondierungstiefen von 4–5 mm; jeweils 20,5 % bzw. 39,8 % haben Taschen ??6 mm. Die Autoren schätzen, dass 31,3 Millionen Menschen im Deutschland eine Parodontitistherapie benötigen.

Es ist offensichtlich, dass viele Patienten, die in die Praxen kommen, unter Parodontitis leiden, sei diese nur mild oder schon fortgeschritten. Deswegen benötigen diese Patienten nicht nur Füllungen oder eine prothetische Versorgung, sondern vor allem eine Parodontitistherapie. Nur bei gesunden parodontalen Verhältnissen und mit optimaler Mundhygiene werden Restaurationen schön aussehen und lange halten.

Zähne gehen infolge einer unbehandelten Parodontitis verloren, wegen einer Karies oder auch aufgrund eines Misserfolges einer zahnärztlichen Behandlung. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Zähne zu ersetzen, unter anderem auch mit implantatgetragenen Rekonstruktionen. Implantate haben sich in den letzten Jahrzehnten als eine sehr erfolgreiche Therapie durchgesetzt. Leider sind sie auch nicht immer die perfekte Lösung, da möglicherweise eine Periimplantitis zum Verlust des Implantats führen kann. Viele Studien haben dokumentiert, dass Patienten mit Parodontitis, auch nach erfolgreicher Behandlung, Periimplantitis-anfälliger sind als parodontal gesunde Patienten14,16,22. Außerdem sind die Zusammensetzung von Pathogenen, die Periodontitis und Periimplantitis verursachen, sowie die Pathogenese der beiden Krankheiten ähnlich17. Um die biologischen Komplikationen von Implantaten zu vermeiden, stellt die Parodontitistherapie vor Implantation daher eine conditio sine qua non da. In den letzten Jahren hat die Auseinandersetzung, ob Implantate besser sind als eigene Zähne, an Aktualität gewonnen. Laut einem Review18 liegt die Überlebenschance eines Zahnes, der gesunde parodontale Verhältnisse aufweist, bei 99,5 % in 50 Jahren. Selbst wenn ein Zahn Parodontitis aufweist, aber erfolgreich behandelt und in ein Erhaltungstherapieprogramm eingebunden wird, sinkt die Überlebenschance in 50 Jahren nur auf 92–93 %. Im Gegensatz dazu liegt die Überlebensrate von Implantaten nach 10 Jahren zwischen 82 und 94 %, was bedeutet, dass die Implantat-Überlebenschance nach 10 Jahren die des kompromittierten, aber erfolgreich behandelten Zahnes nicht übertrifft.

Oben sind die Gründe dafür aufgeführt, dass in erster Linie die Parodontitispatienten mit dem Ziel behandelt werden sollten, die Zähne zu erhalten. Außerdem sollte eine Parodontitis- Erhaltungstherapie den Patienten das ganze Leben lang begleiten, um die erzielten Resultate zu sichern.

Ausgangspunkt: PSI oder Parodontalgrunduntersuchung

Für die schnelle Beurteilung der parodontalen Situation jedes Patienten ist der PSI (Periodontal Screening Index)29 obligatorisch. Die Erhebung nimmt lediglich zwei Minuten Zeit in Anspruch, liefert aber ganz wichtige Informationen für die Strategie der Behandlung des Patienten. Code 0 spiegelt parodontal gesunde Verhältnisse des Patienten wider, Code 1–2 zeigt eine Gingivitis.

Die Patienten in diesen beiden Gruppen (Code 0–2) stellen die Mehrheit der Patienten in der Praxis dar. Sie sind keine PA-Patienten und ihre Probleme können mit prophylaktischen Maßnahmen behoben werden. Code 3–4 sowie die mit (*) markierten Befunde (Zahnbeweglichkeit, Furkationsbeteiligung, Mukogingivalprobleme, Rezessionen über 3 mm) zeigen die Beschädigung der Parodontalgewebe der Patienten, die weiter detailliert untersucht, diagnostiziert und kuriert werden müssen. Es ist wichtig, dass diese Patienten beachtet werden, da die rechtzeitige Parodontitisbehandlung sehr erfolgreich für den langzeitigen Erhalt der Zähne sein kann. Manchmal ist eine Überweisung der Patienten mit Code 3 und 4 an den Spezialisten für Parodontologie empfehlenswert.

Untersuchung von PA-Patienten

Der Periodontal Screening Index (PSI) Code 3–4 und * erfordert eine umfassende parodontale Untersuchung. Eine detaillierte Untersuchung des PA-Patienten ist zeitaufwendig, aber für die Behandlungsplanung entscheidend. Der Parodontalstatus beinhaltet die Bestimmung der Sondierungstiefen und das Aufzeichnen des Attachmentniveaus an 6 Stellen des Zahnes sowie die Registrierung des Blutens auf Sondieren (BOP), des Furkationsbefalls und des Zahnbeweglichkeitsgrades. Für die radiologische Untersuchung steht ein Orthopantomogramm oder besser ein Röntgenstatus (14 Aufnahmen) zur Verfügung. Letztere liefern detaillierte Informationen über den Verlauf und das Ausmaß von Knochenverlust, besonders im Frontzahn- oder Furkationsbereich, deswegen sind sie hilfreicher bei der Wahl der Behandlungsstrategien.

Die Bestimmung der Taschentiefe ist eine sehr empfindliche Untersuchungsmethode mit einigen falschpositiven und wenigen falsch-negativen Messfehlern. Im Gegensatz dazu ist die radiologische Untersuchung eine sehr spezifische Methode mit wenigen falsch-positiven Ergebnissen. Daher ergibt eine Kombination von beiden Untersuchungsmethoden eine hohe diagnostische Präzision und sollte für die Untersuchung der PA-Patienten verwendet werden.

Diagnosestellung

Anhand der vorhandenen Unterlagen (Parodontalstatus und Röntgenstatus) wird eine Diagnose gestellt. Es gilt die Klassifizierung der American Academy of Periodontology, die im Jahr 1999 akzeptiert worden ist. Die Diskussion über die Diagnosestellung ist nicht Ziel dieses Beitrages und ist anderweitig

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. Giedre Matuliene

Bilder soweit nicht anders deklariert: Dr. Giedre Matuliene



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