Teil 1: Parodontitis und Periimplantitis – rechtzeitig erkennen und erfolgreich therapieren

Die Parodontitis gilt als multifaktorielle Erkrankung, die durch eine Reihe verschiedener Faktoren ausgelöst und getriggert wird [23]. Für eine langfristig erfolgreiche Therapie von Parodontitis und Periimplantitis ist das Verständnis der zugrunde liegenden mikrobiologischen und genetischen Aspekte sowie deren Verzahnung untereinander deshalb eine wichtige Voraussetzung. Der vorliegende Artikel soll einen Überblick über das Ökosystem Zahnfleischtasche geben und erläutern, warum die Verschiebung des subgingivalen Keimspektrums als Auslöser für die Zerstörung des parodontalen Weich- und Knochengewebes gilt.
Bereits Leeuwenhoek (1632–1723) war von der Komplexität der subgingivalen Mikroflora beeindruckt, als er seine ersten mikroskopischen Studien am dentalen Biofilm durchführte. Zu Recht, denn tatsächlich gleicht die menschliche Mundhöhle einem wahren Bakterienzoo: Etwa eine Billion (1012) Bakterien, aus mehr als 500 verschiedenen Spezies können diesen Ort besiedeln und ein komplexes Ökosystem ausbilden.
Ökosystem Zahnfleischtasche
Der weitaus größte Teil der Bakterien dieses „Zoos“ lebt dabei in Einklang mit dem Wirt oder ist sogar ein wichtiger Bestandteil der Oralflora, da er zur Aufrechterhaltung der physiologischen Bedingungen in der Mundhöhle beiträgt [25]. Diese auch als „benefizielle Flora“ bezeichneten Mikroorganismen dominieren das gesunde Parodont und rekrutieren sich vorwiegend aus den Reihen der grampositiven, aeroben Bakterien [33]. Auch Parodontitis verursachende Bakterien finden sich im gesunden Parodont, allerdings in solch geringen Konzentrationen, dass sie vom Immunsystem des Wirtes unter Kontrolle gehalten werden können [33].
Die sogenannten parodontopathogenen Markerkeime sind – im Unterschied zur Flora des gesunden Parodonts – gramnegativ und anaerob. Sie bevorzugen demnach Standorte, die einen möglichst geringen Sauerstoffpartialdruck aufweisen. Akkumuliert Plaque am marginalen Gingivasaum, beispielsweise aufgrund mangelnder oder ineffizienter Mundhygiene, so reizt sie hier das empfindliche Zahnfleisch. Die Folge ist eine entzündliche Wirtsantwort, die neben den klinischen Symptomen einer Gingivitis, wie z. B. der Rötung und Schwellung der Gingiva oder einer erhöhten Blutungsneigung, auch zur Bildung flacher Zahnfleischtaschen führt. Diese pathologischen Vertiefungen des Sulkus bieten anaeroben Keimen erheblich bessere Lebensbedingungen, da der Sauerstoffpartialdruck mit zunehmender Taschentiefe abnimmt und eine entzündlich gesteigerte Sulkusflussrate die Nährstoffversorgung signifikant verbessert [19]. Die PA-Bakterien scheiden im Zuge ihres Stoffwechsels zudem eine Reihe zytotoxischer Substanzen und proteolytischer Enzyme aus, welche das parodontale Weich- und Knochengewebe aktiv zerstören und die Destruktion des parodontalen Halteapparates weiter vorantreiben [1]. In der Konsequenz verschiebt sich die Zusammensetzung der Subgingivalflora beim parodontal erkrankten Patienten zunehmend in Richtung der gramnegativen, anaeroben Bakterien. Es hat sich ein Teufelskreislauf manifestiert, den es therapeutisch zu durchbrechen gilt (Abb. 1 u. 2). Als wichtigstes Ziel einer erfolgreichen Parodontalbehandlung gelten deshalb die Reduktion der pathogenen Keime und die Wiederherstellung des physiologischen Gleichgewichtes innerhalb der subgingivalen Mikroflora (Abb. 3).
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Abb. 1: Verschiebung des subgingivalen Keimspektrums im Verlauf parodontaler Erkrankungen.
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Abb. 2: Modell zur ökologischen Plaquehypothese nach Marsh [19].
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Abb. 3: Zusammensetzung des subgingivalen Keimspektrums im gesunden Parodont (links) bei Parodontitis (rechts) (mod. nach [32]).
Die entzündliche Immunantwort
Die Zerstörung des parodontalen Halteapparates geht einerseits direkt auf die Aktivität der subgingivalen Mikroflora zurück, weil die Bakterien aktiv katabolische Enzyme wie Kollagenasen, Proteasen etc. in ihre Umgebung freisetzen. Anderseits wird die Destruktion des Parodonts aber auch durch die inflammatorische Immunantwort des Wirtes verstärkt. Gramnegative Bakterien exprimieren Lipopolysaccharidketten (LPS) auf ihrer Oberfläche, die vom Immunsystem des Patienten als Antigen erkannt werden und auf diese Weise die primäre Immunantwort initiieren.
Die Zellen des gingivalen Saumepithels reagieren auf diese „Feindberührung“ mit einer verstärkten Freisetzung von Zytokinen (z. B. Interleukin- 1, Interleukin-6, Interleukin-8, TNF-?), in deren Folge eine Zunahme der polymorphkerniger Granulozyten (PMN) in der Sulkusflüssigkeit zu verzeichnen ist. Die Granulozyten wandern entlang eines ansteigenden IL-8-Konzentrationsgradienten auf das Zentrum der Entzündung zu und phagozytieren die dort anwesenden Erreger. Kann der mikrobielle Angriff durch diese initiale Immunabwehr eingedämmt werden, so bleibt die Entzündung auf die marginale Gingiva beschränkt. Gelingt die Abwehr durch die PMN jedoch nicht, so kann sich die parodontopathogene Subgingivalflora weiter ausbreiten und differenzieren – eine Parodontitis etabliert sich [1,5,9,18] (Abb. 4).Auch die genetische Veranlagung eines Patienten hat einen deutlichen Einfluss auf den Verlauf von parodontalen Erkrankungen [20]. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Zytokine Interleukin-1A (IL-1A) und Interleukin-1B (IL-1B) sowie deren Gegenspieler, der Interleukin-1-Rezeptorantagonist (IL-1-RN) [13]. Als wichtiger Entzündungsmediator ist IL-1 an der Bekämpfung bakterieller Erreger oder defekter Zellen beteiligt.
Auch beim Knochenauf- oder -umbau besetzt IL-1 eine Schlüsselposition, indem es einerseits die Osteoklasten aktiviert und andererseits die Osteoblasten inaktiviert, das Gleichgewicht aus Knochenaufbau und -abbau also in Richtung Abbau verschiebt [9]. Die genetische Information für die Interleukine IL-1A, IL-B und IL- 1RN sind auf den Genen IL-1?, IL-1? und IL-1rn hinterlegt. Ende der 90er Jahre konnte gezeigt werden, dass Patienten mit bestimmten Veränderungen in den Genen IL-1? und IL-1? auf einen exogenen Entzündungsreiz (z. B. parodontopathogene Bakterien) mit einer überschießenden Produktion von IL-1 reagieren. Sie zeigen daher einen signifikant erhöhten Knochenverlust sowie eine allgemein erhöhte, erblich bedingte Entzündungsneigung [12] (Abb. 5). Heute weiß man, dass in Europa etwa ein Drittel der Bevölkerung Träger dieser veränderten IL-1-Gene ist [12] und damit ein erhöhtes Risiko für parodontale Erkrankungen aufweist.Eine Veränderung in den Strukturgenen IL-1? und IL-1? führt also zu einer Überproduktion von IL-1. Entzündliche Prozesse werden somit angeregt und der Knochenabbau vorangetrieben. Liegt hingegen eine Veränderung im Gen des IL-1-Rezeptorantagonisten vor, kann die Bindung von IL-1 an den IL-1-Rezeptor nicht mehr optimal blockiert werden. Dies führt zu einer abgeschwächten Hemmung entzündlicher Prozesse (Abb. 6a), da die Weiterleitung des Entzündungssignals nicht beendet wird. Treten diese genetischen Veränderungen, die zu einer Überproduktion von IL-1 durch Veränderungen in den IL-1A- und IL-1B-Genen sowie einer abgeschwächten Hemmung der Entzündung aufgrund der Veränderung im IL-1-RN-Gen führen, gleichzeitig auf, ist eine stark erhöhte Entzündungsneigung beim Patienten die Folge. Das übermäßige Vorhandensein von IL-1 kann durch die geringen IL-1-RN-Konzentrationen nicht kompensiert werden und die entzündliche Wirkung des IL-1 wird zusätzlich verstärkt (Abb. 6b). Die IL-1-vermittelte, genetisch bedingte Entzündungsneigung eines Patienten kann heute einfach und schnell durch molekulargenetische Testsysteme bestimmt werden (GenoType® IL-1, Hain Lifescience GmbH, Nehren). Patienten mit dieser genetischen Prädisposition reagieren äußerst empfindlich auf parodontopathogene Bakterien oder andere exogene Reize und haben ein erhöhtes Risiko für einen frühen Krankheitsbeginn bzw. einen schwerwiegenden Verlauf [12]. Sie benötigen somit eine besonders sorgfältige und intensive zahnärztliche Betreuung und sollten sich in regelmäßigen Abständen in der Praxis vorstellen.
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Abb. 6a: Klinische Auswirkung von Veränderungen in den Strukturgenen IL-1? und IL-1? oder im Gen des IL-1-Rezeptor-Antagonisten.
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Abb. 6b: Klinische Auswirkung von gleichzeitig vorliegenden Veränderungen in den Strukturgenen IL-1? und IL-1? sowie im Gen des IL-1-Rezeptor-Antagonisten.
Die Komplextheorie
Ausgehend von der unspezifischen Plaquehypothese [17], betrachtete man lange Zeit allein die Menge der Plaque als entscheidenden, die Parodontitis auslösenden Faktor. Untersuchungen von Löe, Theilade und Slots [16,27] konnten jedoch zeigen, dass insbesondere eine spezifische Gruppe von Bakterien innerhalb der subgingivalen Plaque, die sog. parodontopathogenen Keime, als primäre Ursache für die Entstehung und das Voranschreiten parodontaler Erkrankungen verantwortlich sind. Gemäß den Arbeiten zur Komplextheorie von Socransky und Haffajee [29] werden das klinische Bild und die Verlaufsform von Parodontalerkrankungen dabei aber nicht allein durch das Vorhandensein und die Konzentrationen einzelner Keime bestimmt.
Vielmehr ist das gemeinsame Vorkommen verschiedener Bakterienspezies, die demgemäß zu sogenannten „Bakterienkomplexen“ zusammengeführt werden (Abb. 7), sowie deren Interaktionen von maßgeblicher Bedeutung für den Krankheitsverlauf. Durch die Ausbildung physikalischer Wechselwirkungen und Nahrungsketten mit unterschiedlichen, überlappenden Enzymmustern finden die einzelnen Bakterienspezies innerhalb des „Standortes Zahnfleischtasche“ ihre spezifische ökologische Nische und vermögen selbst komplexe Wirtsmoleküle zu degradieren und effizient zu nutzen [19]. So können auch Keime, deren einzelne Konzentrationen für sich betrachtet als harmlos eingestuft werden, durch synergistische Effekte mit anderen Spezies eine behandlungsbedürftige Situation ergeben.Die Zusammensetzung und der Aufbau des subgingivalen Biofims sind individuell verschieden und variieren gemäß der Komplextheorie in den verschiedenen Phasen der Entwicklung von Parodontalerkrankungen. Man geht davon aus, dass die Besiedlung des Sulkus im Verlauf einer Parodontitis schrittweise verläuft [28,29].
Die Vertreter des violetten bzw. orange-assoziierten Komplexes (Veilonella parvula, Actinomyces odontolyticus, C. rectus, E. nodatum, C. showae, C. gracilis, S. constellatus) gelten als sogenannte Frühkolonisierer, die per se zwar nur ein relativ geringes pathogenes Potenzial aufweisen, für die Ätiologie der Parodontitis aber dennoch von großer Bedeutung sind. Durch Ausbildung rezeptorähnlicher Moleküle besitzen die Vertreter dieser Komplexe die Fähigkeit, den Sulkus als Erstes zu besiedeln; es entsteht eine primäre Biofilmschicht. Sie liefern damit die notwendige Grundlage für eine weitere Kolonisierung der Zahnfleischtasche durch Bakterienspezies mit höherer Pathogenität. Als therapeutische Maßnahme ist in diesem Anfangsstadium der Besiedlung eine rein instrumentelle Behandlung (SRP, Scaling & Root Planing) für eine Reduktion der Bakterien ausreichend. Eine antibiotische Begleittherapie ist nur bei sehr hohen Keimzahlen und einer entsprechend ausgeprägten Klinik indiziert [29].
Der orange Komplex (Prevotella intermedia, Peptostreptococcus micros, Fusobacterium nucleatum) umfasst moderat bis stark pathogene Bakterien, die als sogenannte „Brückenkeime“ zwischen den Frühkolonisierern und den stark pathogenen Keimen des roten Komplexes dienen. Das pathogene Potenzial dieser Markerkeime ist, bedingt durch die Produktion verschiedener Toxine und Enzyme, bereits deutlich erhöht. So sind zwar auch die Keime des orangen Komplexes verantwortlich für einen fortschreitenden Attachmentverlust und eine Zunahme der Taschentiefe, ihre wichtigste Aufgabe innerhalb des Ökosystems ist aber eine andere: Durch ihren Stoffwechsel schaffen diese Bakterien eine Lebensgrundlage für die strikt anaeroben Keime des roten Komplexes und deren Besiedlung des Sulkus. So ist z. B. Prevotella intermedia in der Lage, den Sauerstoffgehalt des umgebenden Milieus durch den aeroben Metabolismus von Zuckern derart zu reduzieren, dass nun auch obligat anaerobe Vertreter des roten Komplexes Fuß fassen können. Als besonders interessanter Keim gilt auch Fusobacterium nucleatum, da er durch starker Ausbildung zahlreicher Koaggregationsbrücken eine wichtige Andockstelle für Sekundärbesiedler darstellt [11]. Zur Therapie der Bakterien des orangen Komplexes ist bei niedrigen Keimzahlen eine rein mechanische Reinigung meist ausreichend. Bei Vorliegen einer ausgeprägten klinischen Symptomatik und hohem Bakterientiter kann eine adjuvante Applikation von Metronidazol oder Clindamycin sinnvoll sein [28]. Der rote Komplex beinhaltet mit den gramnegativen, obligaten Anaerobiern Porphyromonas gingivalis, Treponema denticola und Tannerella forsythia die ursächlich mit der Destruktion des Parodonts assoziierten Markerkeime. Die extrem sauerstoffempfindlichen Bakterien des roten Komplexes verfügen über eine breite Ausstattung an proteolytischen Enzymen wie Phosphatasen oder Kollagenasen, die neben dem Abbau des parodontalen Weich- und Knochengewebes auch für die gewebsinvasiven Eigenschaften dieser Bakterien verantwortlich zeichnen. Der Nachweis dieser Bakterien ist daher auch eng mit den klinischen Parametern wie Taschentiefe, Attachmentverlust und Sondierungsblutung assoziiert. Da sich die Vertreter des roten Komplexes im parodontalen Gewebe, ja sogar in den Epithelzellen verschanzen und sich so dem Zugriff der zahnärztlichen Instrumente entziehen können, ist eine rein instrumentelle Behandlung zur Reduktion dieser Bakterien häufig zum Scheitern verurteilt und muss durch eine antibiotische Begleittherapie mit Metronidazol oder Clindamycin unterstützt werden. Insbesondere der zu den schwarzpigmentierten Bacteroides-Arten zählende Porphyromonas gingivalis (Pg) verfügt über eine ausgeprägte Pathogenität, die auf der Expression spezifischer Proteasen (Gingipaine), Hämagglutinine sowie Fimbrien beruht [1,8,29].
(Diese Tabelle ist als Download verfügbar).
Als fakultativ anaerobe Bakterien reagieren die Keime des grünen Komplexes weniger empfindlich auf vorhandenen Sauerstoff und sind aufgrund ihres daraus resultierenden alternativen Metabolismus weniger eng mit den anderen Komplexen verbunden. Vor allem Eikenella corrodens und Capnocytophaga sp. gelten als moderat pathogen und lassen sich durch ein SRP in der Regel gut reduzieren. Eine zusätzliche antibiotische Begleittherapie ist bei Anwesenheit dieser Keime nur bei Vorliegen eines massiven klinischen Bildes und hohen Keimzahlen erforderlich. In diesen Fällen wird die Applikation von Amoxicillin oder alternativ Ciprofloxacin empfohlen [29].
Wichtigster Vertreter des grünen Komplexes und der parodontalen Markerkeime mit der höchsten Pathogenität ist der als Leitkeim für juvenile und aggressive Parodontitiden geltende Aggregatibacter actinomycetemcomitans (Aa). Das hohe pathogene Potenzial dieses Bakteriums ist – neben der umfangreichen Exkretion proteolytischer Enzyme – im Wesentlichen auf die Produktion des Immunsuppressionsfaktors sowie von Leuktoxinen zuzuführen. Diese Proteine sind nicht nur in der Lage, die zelluläre Immunabwehr des Wirtes durch die Zerstörung von Neutrophilen und Makrophagen bzw. eine Inhibition der Lymphozytenaktivierung zu unterwandern, sondern sie fördern gleichzeitig den entzündlich bedingten Gewebsabbau, indem sie die Interleukin-Ausschüttung aktivieren [1]. Ähnlich Pg vermag auch Aa die epitheliale Barriere zu durchdringen, sodass eine rein instrumentelle Behandlung auch zur Bekämpfung dieses Markerkeimes in der Regel nicht ausreicht. Analog zu anderen Vertretern des grünen Komplexes muss eine potenziell erforderliche antibiotische Begleitbehandlung mit Amoxicillin oder Ciprofloxacin erfolgen [29].
Der Komplextheorie entsprechend, erfolgt die Kolonisierung der Mundhöhle mit parodontopathogenen Markerkeimen also in verschiedenen Phasen, die jeweils durch das Auftreten bestimmter Spezies und einer damit assoziierten Symptomatik charakterisiert sind. Was mit der initialen Besiedlung durch moderat pathogene Keime beginnt, kann sich rasch zu einem fulminanten Entzündungsgeschehen entwickeln, bei dem stark pathogene Spezies das klinische Bild bestimmen. Insbesondere das Auftreten von Keimen des roten Komplexes und/oder von Aa gilt demnach als charakteristisch für eine spätere Kolonisierungsphase [5,11,28,29].
Infektionskrankheit Parodontitis
Zahlreiche wissenschaftliche Studien konnten zeigen, dass die Parodontitis eine klassische Infektionskrankheit ist [2,7,10,32]. Sie wird ursächlich durch eine bestimmte Gruppe von Infektionserregern ausgelöst, die sich in ihrem Wirt vermehren und dort ein charakteristisches Krankheitsbild hervorrufen. Vor allem für Aa und Pg gilt als gesichert, dass sie sowohl horizontal, also zwischen Partnern, als auch vertikal, d. h. von Eltern auf ihre Kinder, übertragen werden [2,7]. Beispielsweise konnte eine finnische Arbeitsgruppe [10] zeigen, dass bei Kindern im Alter von 2 bis 3 Jahren weder Aa noch Pg nachweisbar waren. Ist die Mutter allerdings mit Aa kolonisiert, tragen schon Kinder unter 3 Jahren ein 26-fach erhöhtes Risiko, ebenfalls zu Trägern dieses Markerkeimes zu werden [7]. Auch für Pg konnte belegt werden, dass ein Kontakt mit infizierten Familienmitgliedern das Risiko für eine Kolonisierung mit Pg signifikant steigert [2]. Durch Restriktionsanalysen konnte zudem gezeigt werden, dass Partner von Patienten mit schweren PA-Formen häufig identische Bakterienmuster aufweisen, die Keime also vom Partner übertragen wurden [30]. Als therapeutische Konsequenz ergibt sich aus diesen Erkenntnissen, dass Kinder von Patienten mit schweren PA-Formen möglichst frühzeitig in ein prophylaktisches Recallsystem eingebunden werden sollten. Eine langfristig erfolgreiche Parodontitisbehandlung ist in einigen Fällen außerdem nur bei einer gleichzeitig stattfindenden Behandlung des Lebenspartners möglich.
Situation bei Periimplantitis
Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass klinisch unauffällige Implantate eine ähnliche Besiedelung mit grampositiven Keimen aufweisen, wie sie auch im gesunden Parodont anzutreffen ist.
Das Keimspektrum periimplantärer Infektionen hingegen ist analog zu dem der Parodontitis (Abb. 8) [14,15]. So wurden parodontopathogene Bakterienspezies wie P. gingivalis, T. forsythia, T. denticola, P. intermedia sowie F. nucleatum, E. corrodens, C. rectus, P. micros und nicht zuletzt A. actinomycetemcomitans auch bei Patienten mit Implantationsmisserfolgen in signifikant erhöhten Konzentrationen gefunden [14,15]. Da die parodontale Tasche der natürlichen Zähne als primäre Quelle der Periimplantitis- auslösenden Bakterien gilt [26], sollte gemäß dem ersten implantologischen Imperativ „Kein Implantat bei bestehender Parodontitis!“ eine implantologische Versorgung nur bei nachgewiesener Keimfreiheit durchgeführt werden. Nur wenn die Implantation in ein mikrobiologisch gesundes Gewebe erfolgt, können auch langfristig erfolgreiche Ergebnisse erzielt werden.Aufgrund ihrer Vergleichbarkeit mit der Parodontitis versprechen Ansätze aus der Parodontaltherapie auch bei der Behandlung der Periimplantitis Erfolg. Während eine alleinige mechanische Reinigung zur effizienten Keimreduktion in der Regel nicht ausreicht, kann bei gleichzeitiger Reduktion der Anzahl pathogener Erreger durch eine spezifische Antibiotikatherapie der Verlust des Implantats häufig verhindert werden [21]. Die Kenntnis des Erregerspektrums kann also auch bei periimplantären Infektionen hilfreiche Informationen für eine optimale Behandlungsplanung liefern.
Konsequenzen für Diagnostik und Therapie
Das Wissen um die Zusammensetzung der subgingivalen Keimflora und der genetischen Prädisposition des Patienten vermittelt dem behandelnden Zahnarzt wichtige Voraussetzungen für eine langfristig erfolgreiche, individuelle Parodontalbehandlung. Basierend auf einer mikrobiologischen Analyse (z. B. mithilfe des micro-IDent®-Test, Hain Lifescience GmbH, Nehren) kann er eine diagnostisch fundierte Entscheidung darüber treffen, ob eine zusätzliche antibiotische Therapie notwendig ist oder nicht. Mit dem Ziel die autochthone, benefizielle Mundflora möglichst unbehelligt zu lassen, kann bei Kenntnis des Erregerspektrums eine Therapie nach der Maxime „so viel wie nötig und so wenig wie möglich“ angestrebt werden [31]. Von außerordentlicher Wichtigkeit bei der Analyse der individuellen Risikofaktoren eines Patienten ist es, das Zusammenspiel der bakteriellen Keimlast und der immunologischen Kompetenz des Patienten zu berücksichtigen [5]. Nicht immer muss eine hohe Konzentration von PA-Bakterien mit einer manifesten parodontalen Erkrankung einhergehen. In Abhängigkeit vom Immunstatus können einige Patienten trotz hoher Belastung mit parodontopathogenen Bakterien ein klinisch unauffälliges Bild zeigen, während bei anderen selbst geringe Konzentrationen von Markerkeimen bereits zu behandlungsbedürftigen Situationen führen. Ausschlaggebend für eine mikrobiologische Analyse der Subgingivalflora und somit auch für die sich daraus ergebenden therapeutischen Konsequenzen sollte also immer das klinische Bild sein. So hat auch die Ermittlung einer Gesamtkeimzahl im Grunde wenig Sinn, da diese zum einen mit der Taschentiefe variiert und es zum anderen nicht der prozentuale Anteil der einzelnen Paro-Pathogene ist, welcher das klinische Bild bestimmt, sondern die Reaktion des Immunsystems auf die Anwesenheit der zum gegebenen Zeitpunkt vorhandenen Erreger.
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Der zweite und dritte Teil dieses Beitrages wird sich mit den Konsequenzen beschäftigen, die sich aus dem multifaktoriellen Charakter der genannten Erkrankungen für deren Therapie ergeben.