Indikationsgerechte Parodontologie – Teil 2

Fortsetzung
1. Grunderkrankungen:
Klinische Relevanz für den Behandlungsverlauf haben:
- Diabetes mellitus Typ I (Abb. 5) und II.
- Stressbewältigung (Achtung: Relaxierungsschiene).
- Großes Blutbild (wichtig: Linksverschiebung der Leukozyten bei schwerer Parodontalerkrankung). Man sollte natürlich die wesentlichen Laborwerte wie Leukozytenzahl, Blutglukosestatus, HDL/ LDL-Cholesterin, Gesamttriglyceride und Leberwerte kennen und den Laborbefund auch mit dem Patienten besprechen. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfallrisiko, Übergewicht gehören noch nicht in die Routine, runden allerdings die Anamnese ab und machen den Zahn„Arzt“ interessant nach dem Motto: „Das hat mich ja noch nie ein Zahnarzt gefragt“ (Tab. 1)10.
Große klinische Bedeutung im Hinblick auf die Vermeidung einer Bakteriämie während der Behandlung (auch Zahnreinigung) haben Patienten mit: - Endokarditis. Leistungsschwächen durch verminderte Durchblutung, meist aus Narbengewebe.
- Knie- und Hüftgelenkendoprothesen. Gelenkspalträume, Fettgewebe wie beispielsweise das Gehirn und Gefäßengpässe mit erhöhten Strömungswiderständen sind bevorzugte Anlagerungspunkte für Erreger aus dem Mund.
- Organtransplantationen. Die Immunabwehr ist medikamentös heruntergeregelt.
2. Medikamente:
Nur wenige Medikamente stören tatsächlich die Behandlung, indem sie die Gefäßdurchlässigkeit oder das Fibroblastenwachstum in der Gingiva erhöhen. Dazu zählen
- Cortison über einer täglichen Grenzdosis von 1 g (häufig bei Systemerkrankungen wie Lupus, Morbus Crohn etc.), z. B. Prednisolon
- Immunsuppressiva (Achtung: HIV-Patienten), z. B. Cyclosporin A
- Antihypertensiva, z. B. Nifedipin, Adalat etc.
3. Allergische Disposition:
Nach Penicillin-, Jodallergie und allergischen Reaktionen gegenüber Lokalanästhetika (Konservierungsmittel) fragen. Alle anderen Angaben sind unwesentlich. Bis zu 11,4 Prozent aller Patienten reagieren auf die orale Gabe von Penicillin empfindlich11.
Die Kenntnis und transparente Aufklärung über die voraussichtlichen Behandlungskosten, sowohl über den Eigenanteil (schriftliche Vergütungsvereinbarung gemäß § 2 GOZ Absatz 3) als auch über die Höhe des Zuschusses der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), ist heute genauso wichtig wie die eigentliche Therapieinformation. Der Zahnarzt lenkt die Wahl des Patienten im Erstgespräch durch Einfühlungsvermögen für die Wünsche des Patienten (Empathie), Sicherheit in der Indikationsstellung (Fachkenntnis) und das Urteil, ob die Behandlung betriebswirtschaftlich sinnvoll ist (Mischkalkulation). Ärztliches Engagement – s. Punkt C – verstärkt die Behandlungsmotivation. Ist die Entscheidung gefallen, dem Patienten die bestmögliche Behandlung aus praktischer und wissenschaftlicher Evidenz anzubieten, haben sich folgende „Indikationspakete“ als Behandlungsbausteine klinisch bestens bewährt.
Sie beziehen sich auf wissenschaftlich fundamentierte Basisuntersuchungen, die auch in absehbarer Zukunft Geltung haben12,13.
1. Initialtherapie (Vorbehandlung)
Die parodontale Initialtherapie ist immer Privatleistung. Im Gegensatz zur reinen Prophylaxe (PZR) ist die Initialtherapie bei Parodontalpatienten medizinisch orientiert, umfasst den supraund subgingivalen Bereich und ist daher teurer. Neben der Mundhygieneinstruktion und Verminderung der Keimbelastung beinhaltet sie alle aus ärztlicher Sicht bekannten Risikofaktoren: „Parodontitis-Stopp-Programm“.
Als Muss-Leistungen gelten:
- Aufklärungsgespräch zur Patientenmotivation und Behandlungsinstruktion
- Anamnese zu Grunderkrankungen, Medikamenten und Allergien
- professionelle supra- und subgingivale Zahnreinigung plus Vermittlung einer effektiven Mundhygiene
Kann-Leistungen sind:
4. Information über die Schädlichkeit des Rauchens
5. erweiterte Anamnese plus regelmäßiges Update zur Reduktion der Stressfaktoren
6. Erregertest und Antibiose: 120 bis 140 € zusätzlich, nur bei aggressiver Parodontitis (Abb. 6)
Kurzinformation und Beratung sind kostenlos, ein individuelles Check-up mit
Zahnreinigung liegt regional unterschiedlich zwischen 60 und 180 € pro Sitzung (1 Std.). Manche Patienten hoppen zum preiswertesten „Anbieter“ in der Umgebung. Sinnvoll ist es, spezielle Zeiten (nach 19 Uhr) oder Angebote (Rabatte) zu offerieren. Falls besonders informierte Patienten Aufklärung über eine frühzeitige Vermeidung chronischer Erkrankungen, präventionsorientierte Lebensführung und Stärkung der eigenen Konstitution wünschen, sollte man auf Hausärzte, Homöopathen oder speziell ausgebildete Präventivmediziner (z. B. Preveo-Kliniken) verweisen, die privat nach Aufwand berechnen.2. Nichtchirurgische Therapie
Im Regelfall ist die geschlossene Parodontalbehandlung GKV-Leistung und wird über die Positionen P 200/201 abgerechnet. Man sollte keine Therapieergänzung durchführen, da die Kosten-Zeit-Relation nicht stimmt und sie zusätzlich das PAR-Budget schrumpfen lässt. Bei schwerer Parodontitis (> 6 mm) eine Taschendesinfektion mit 0,1- prozentigem Chlorhexidin (CHX) durchführen (völlig ausreichend) zur Keimzahlverminderung bis 1,5 m um den Behandlungsplatz. Handinstrumente sollte man nur bei restaurationsfreien Zähnen anwenden, sonst droht früher Schärfenverlust oder Bruch. Für tiefe Bereiche bieten sich Schall-Scaler (KaVo, Biberach) an aufgrund der sehr grazilen Arbeitsenden. Die Indikationen zur nichtchirurgischen Therapie sind:
- gleichmäßiger horizontaler Knochenabbau
- Sondiertiefen ??6 mm, Furkationsbefall Grad I
- nicht vorhandene oder funktionstüchtige prothetische Versorgung (Abb. 8).
Lupenbrillen sind sehr hilfreich, auch als Marketinginstrument. Man sollte sich darauf einstellen, dass Patienten nach speziellen Behandlungsverfahren wie Laser oder niedrigabrasivem Air-Polishing (Clinpro Prophypuder, 3M ESPE, Seefeld) fragen. Bei sehr tiefen Taschen kann nach 6 Wochen ein Nachscaling erforderlich werden, das immer privat abzurechen ist (ca. 80 € pro Quadrant, meist betrifft es nur die Prämolaren und Molaren). Mit Scaling und Root Planing erreicht man im Regelfall eine klinisch akzeptable Situation. Bei engen Knochentaschen tritt häufig sogar eine Regeneration ein (Abb. 7, 9)5,6,14,15. Die nichtchirurgische Therapie wird heute vielerorts schon von geschulten Mitarbeiterinnen unter Anleitung und in Präsenz des Praxisinhabers durchgeführt, um eine weitere Abwertung der P-200/201-Positionen betriebswirtschaftlich kompensieren zu können. Die Industrie steht bereits mit dem „nadelfreien“ Parodontalgel Oraqix (Anästhesiegel bei leichter Parodontitis) in den Startlöchern.
Langfristig führt die nichtchirurgische Behandlung nur dann zur Stabilisierung, wenn die Praxis ein konsequent durchorganisiertes Recallsystem anbietet und dies tatsächlich auch als Profi(t)-Center organisiert. Eine dauerhafte Kundenbindung entwickelt sich, wenn durch das Engagement des PARO-Teams bei den Patienten eine medizinisch motivierte Verhaltensumstellung zur Gesundheitsvorsorge (= Prävention) entsteht.