Parodontologie

Ernährung, orthomolekulare Medizin und komplementärmedizinische Verfahren als ergänzender Schlüssel zum Behandlungserfolg

Ganzheitliche statt symptomatischer Parodontitistherapie?


Die Wissenschaft ist ständig im Fluss, Paradigmenwechsel nicht unüblich und ein steter Fortbildungswille die berühmte Conditio sine qua non. In diesem Zusammenhang ist es auch bedeutsam, ab und an über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, Bewährtes zu hinterfragen und nach alternativen Antworten Ausschau zu halten. Der vorliegende Beitrag wird sicherlich kontroverse Diskussionen über den Inhalt und das Dignose- und Therapiekonzept provozieren. Er stellt aber geschickte Fragen, die wir oftmals auch schon an uns gerichtet haben, ohne Antworten zu bekommen. Eine mögliche Herangehensweise für einzelne Patienten mit therapieresistenten Parodontalerkrankungen? Jeder Leser wird sicherlich einen kleinen Teilaspekt in dem Beitrag wiederfinden, den er nicht völlig ablehnen kann – damit wäre schon mal ein Ziel eines solchen Beitrages erfüllt – auch mal auf schmale Pfade abseits der bekannten Wege zu achten – man muss sie ja nicht gleich gehen; aber manchmal ist es wertvoll zu wissen, das es sie gibt.

Die Zahlen der Mundgesundheitsstudien in der westlichen Welt sprechen für sich: Parodontitis ist zu einer Volkskrankheit geworden, die mittlerweile mit hohen Prozentzahlen alle Altersgruppen betrifft. Auch in den wirtschaftlich aufstrebenden Ländern der dritten Welt nehmen bei der wohlhabenden Bevölkerungsschicht die Erkrankungen des Zahnhalteapparates zu – bei reduzierter Kariesfrequenz durch bessere orale Pflege.

Die weitgehend immer noch vorherrschende Behandlungsstrategie, diese Erkrankung durch optimale Mundhygiene und instrumentelles sowie medikamentöses „Bakterienmanagement“ in parodontalen Taschen in den Griff zu bekommen, scheint nach den Untersuchungsergebnissen und den täglichen Erfahrungen in der Praxis als alleinige Therapie nicht immer erfolgversprechend. Der folgende Beitrag stellt Möglichkeiten vor, durch Ernährungsumstellung, orthomolekulare Substitution und zusätzliche komplementärmedizinische Maßnahmen die Behandlungserfolge bei Parodontitis langfristig zu vergrößern.

Nach den Ergebnissen der IV. Mundgesundheitsstudie in Deutschland (2005) sind 30 Millionen Bundesbürger an Parodontitis erkrankt. Im letzten Gesundheitsbericht der BRD von 2005 findet sich Parodontitis bei 60 % bei aller über 35-Jährigen sowie 90 % aller über 60-Jährigen. Neben diesen erschreckenden Zahlen zeigen Befragungen und Untersuchungen in der Mundgesundheitsstudie mit 40 % eine hohe Misserfolgsquote bei der Behandlung von aggressiver Parodontitis.

In diesen Untersuchungen wurde aber auch gleichzeitig festgestellt, dass die Kariesfrequenz aufgrund von besserer und umfangreicherer oraler Pflege kontinuierlich abnimmt, während die Anzahl parodontaler Erkrankungen gleichzeitig extrem zunimmt [1]. Somit kann die Ursache einer Parodontalerkrankung nicht allein ursächlich in Pflegedefiziten zu suchen sein.

Fachübergreifende Datenauswertungen der letzten Jahre haben ergeben, dass viele allgemeinmedizinische Erkrankungen wie Diabetes, chronische Erkrankungen der Atemwege, Osteoporose, Schlaganfall, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und auch erhöhte Schwangerschaftsrisiken oft zusammen mit Parodontitis auftreten [11].

Viele zu diesem Thema durchgeführte Studien [11] der Mainstream-Wissenschaft versuchen derzeit die alte, unlösbare Frage nach „Henne und Ei“ zu klären, d.h. herauszufinden, ob Parodontitis diese Erkrankungen auslöst oder umgekehrt. Sinnvoll erscheint hier allerdings eher die Suche nach gemeinsamen biochemischen Grundlagen dieser Krankheitsbilder.

Die Gesundheit ist im großen Maße davon abhängig, ob in unserem Körper genügend Energie erzeugt werden kann, damit alle Regelkreisläufe und das Immunsystem optimal funktionieren. Für eine fehlerfrei ablaufende Biochemie ist die Zufuhr gesunder „Lebensmittel“ notwendig. Das ist keine neue Erkenntnis – bereits der Urvater unserer westlichen Medizin, Hippokrates von Kos, sagte um 400 v. Chr. [4,22]: „Was auch immer der Vater einer Krankheit ist, die Mutter war mit Sicherheit eine falsche Ernährung.“ Aus dem Bereich Ernährung haben folgende biochemische Abläufe im menschlichen Körper einen umfassenden Einfluss auf parodontale und allgemeinmedizinische Erkrankungen:

  1. Säure-Basen-Haushalt
  2. freie Radikale und oxidativer Stress
  3. Dysbiose und Immunabwehr

Der Säure-Basen-Haushalt

Der Säure-Basen-Haushalt stellt ein sehr wichtiges Regulativ des Stoffwechsels dar. Jede Entzündung – und ebenso Krebs – läuft in einer sauren Stoffwechsellage ab. Der pH-Wert ist je nach Organ und Körpergewebe sehr unterschiedlich (Speichel 6,8–7,3; Blut 7,3–7,4; Urin 5,9–6,5; Magen 1,2–3; Pankreas 8,3) [23].

  • Abb. 1: Krankheitsbilder aufgrund einer Gewebsübersäuerung.

  • Abb. 1: Krankheitsbilder aufgrund einer Gewebsübersäuerung.
Ursächlich für viele Krankheiten ist eine Gewebsübersäuerung (Abb. 1). Es ist erkennbar, dass hier die meisten Erkrankungen aufgeführt sind, die auch im Zusammenhang mit Parodontitis genannt werden. Bei beständiger saurer Stoffwechsellage ist die Funktion des Immunsystems und der gesamten Verdauung (z. B. die Produktion von Pankreasenzymen) stark eingeschränkt [17], auch das orale Bakterienmillieu verändert sich negativ.

Aus Statistiken in unserer Praxis über 20 Jahre ersehen wir, dass ca. 90 % all unserer Parodontitispatienten eine Übersäuerung bzw. eine Störung im Säure-Basen-Haushalt zeigten. Zur Abklärung des Säure-Basen-Status hat sich folgendes Vorgehen bei Parodontitispatienten bewährt:

1. Ausführliche Anamnese

Hinweise auf Säure-Basen- Störungen sind Muskelschmerzen schon bei leichter Belastung, Kurzatmigkeit, Reflux oder Blähungen, schlechter Hautturgor, Cellulitis und vieles mehr.

2. Ernährungsplan und Messung mit pH-Indikatorpapier

Der Patient wird aufgefordert, in einem vorgefertigten Formblatt über 14 Tage seine Ernährung und Getränke mit Zeitangabe zu erfassen und dabei mit pHIndikatorpapier vor der Nahrungsaufnahme dreimal täglich den pH-Wert im Speichel und Urin zu messen. Die Auswertung ergibt einen schnellen Überblick über das Essverhalten des Patienten und die daraus folgende Körperreaktion.

3. Labor

Labormedizinisch kann mittels einer Säure-Basen-Titration nach Sander der Aziditätsquotient des Patienten überprüft werden. Bei der meisten Parodontitispatienten oder auch Diabetikern findet sich eine typische Übersäuerungskurve mit einem hohen Aziditätsquotienten (Abb. 2). Der gesunde Mensch zeigt ein ausgeglichenes Säure-Basen-Fluten über den Tag verteilt mit einem funktionierenden Säure-Basen-Haushalt.

  • Abb. 2: Säure-Basen-Titration nach Sander.
  • Abb. 3: Zunge mit Säurerissen und Pankreasrinnen.
  • Abb. 2: Säure-Basen-Titration nach Sander.
  • Abb. 3: Zunge mit Säurerissen und Pankreasrinnen.

4. Zungendiagnostik

Eine weitere Möglichkeit – und dem Zahnarzt schnell zugänglich –, die Übersäuerung festzustellen, ist die Zungendiagnostik. Die Zunge ist vor allem im Mittelteil ein Spiegel des Verdauungstraktes. Deutliche Hinweise auf körperliche Übersäuerung sind Einrisse, die über die ganze Zunge verteilt sind. Eine tiefe evtl. bereits klaffende Mittelrinne in der Zunge ist Hinweis darauf, dass die Funktion der stark basischen Bauchspeicheldrüse bereits eingeschränkt ist [2] (Abb. 3). Beläge in der Zungenmitte geben zusätzlich Hinweise auf vorhandene Dysbiosen.

Die Blickdiagnostik an Zunge und Mundschleimhaut stellt ein einfaches, schnell zu erlernendes Diagnostikum für Dysfunktionen im Körper dar, die einen starken Einfluss auf das parodontale Geschehen haben.

Die Therapie bei einem Säureüberschuss besteht initial aus der Gabe von spezifischen Basenpulvern wie Bullrichs Vital, Alkala N, Pascoe Basentabs usw. Besonders wichtig ist jedoch die Ernährungsumstellung, wobei sich neben der persönlichen Beratung vor allem patientenverständliche Literatur zu diesem Thema bewährt hat [3,4,6,22,23]. Des Weiteren soll der Patient angeregt werden, ausreichend zu trinken und sich regelmäßig im aeroben Bereich sportlich zu betätigen, um Säuren abzubauen.

Freie Radikale und das „antioxidative Orchester“

  • Abb. 4: Einfluss von ROS auf das parodontale Gewebe.

  • Abb. 4: Einfluss von ROS auf das parodontale Gewebe.
Im immunologischen Abwehrkampf des Körpers gegen die bakterielle Infektion des parodontalen Gewebes entstehen beständig freie Radikale (ROS). Damit diese ROS nicht zu einer weiteren Gewebszerstörung führen, ist im gesunden Gewebe ein umfangreicher oxidativer Schutz vorgesehen. Fehlt durch Fehlernährung dieses „antioxidative Orchester“, kommt es zu einer weiteren unaufhaltsamen Gewebszerstörung [3,8,14,21] (Abb. 4, modifiziert nach Plagmann).

Unser Körper ist nicht nur bei der immunologischen Abwehr der Makrophagen, sondern auch aus der Umwelt durch freie Radikale belastet (Schwermetalle, Stickoxide, Mykotoxine, Medikamente uvm.). Deshalb besteht in jedem Organismus ein vitales Interesse an oxidativen Schutzmaßnahmen. Diese erfolgen enzymatisch durch die Superoxiddismutase (SOD), die Katalase (KAT) und Glutathionperoxitase (GPT). Diese schnell wirkenden Enzyme funktionieren jedoch nicht bei einem Mangel an Zink, Mangan und Kupfer (SOD), Eisen (KAT) oder Selen (GPT). Zusätzlich zu diesen Enzymen stehen mit den Vitaminen C, Beta-Carotin, E sowie Selen, Bioflavonoiden und sekundären Pflanzenstoffen vielfältige Schutzmaßnahmen zur Verfügung, die jedoch vor allem als Gruppe und abhängig von ausreichender Zufuhr über die Ernährung oder einer Substitution optimal wirken können [3,21,22].

Knochenaufbau ohne „Baumaterialen“

  • Abb. 5: Vollblutmineralanalyse einer Parodontitis-Patientin.

  • Abb. 5: Vollblutmineralanalyse einer Parodontitis-Patientin.
Ziel jeder Parodontitisbehandlung ist es, nach optimaler Reinigung der parodontalen Taschen neues Attachment zu gewinnen. Jedem Bauarbeiter ist klar, dass ohne Steine kein Haus gebaut werden kann. In der Zahnmedizin wird die Behandlung jedoch meist ohne Wissen über die orthomolekulare Situation des erkrankten Patienten durchgeführt. Aus vielen Laboruntersuchungen wissen wir, dass bei Parodontitispatienten die für den Knochenaufbau wichtigen Mineralien Calcium, Magnesium, Zink sowie die unerlässlichen Vitamine D, K und B6 nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind. Die in Abbildung 5 dargestellte Vollblutmineralanalyse zeigt einen typischen defizitären Mineralhaushalt bei aggressiver Parodontitis. Das Verhältnis von Natrium, Kalium, Kalzium und Magnesium weist auf eine Übersäuerung im Bindegewebe hin. Der extrem hohe Kupferspiegel im Vollblut zeigt die weit fortgeschrittene Entzündung bei gleichzeitigem Eisenmangel und somit schlechter Sauerstoffversorgung im gesamten Körper. Gravierend ist der Zinkmangel, wodurch jeder Knochenaufbau blockiert ist. Dass ohne Vitamin D kein Knochenaufbau erfolgen kann, ist biochemisches Grundwissen [3]. Alle Untersuchungen der letzen Jahre zeigen, dass der Vitamin-D-Mangel in unserer Bevölkerung weit verbreitet ist [14]. Schon den alten Seefahrern war bekannt, dass eine Unterversorgung von Vitamin C extreme Auswirkung auf das parodontale Gewebe hat. Dennoch gehört die Substitution dieser wichtigen Substanzen nicht zum Standard bei Parodontitisbehandlungen – was durchaus eine Erklärung für die hohe Misserfolgsquote (s. Mundgesundheitsstudie) bei Parodontitisbehandlungen sein könnte [1].

Der Darm als Zentrale des Immunsystems

80 % der immunkompetenten Zellen sind in der Darmschleimhaut lokalisiert. Das darmassoziierte Immunsystem (GALT) ist direkt vernetzt mit dem schleimhautassoziierten Immunsystem (MALT) [5,20].

  • Abb. 6: Stuhlfora einer Parodontitits-Patientin.

  • Abb. 6: Stuhlfora einer Parodontitits-Patientin.
Bei einer Dysbiose, d. h. einer Fehlbesiedelung im Darm, ist die Funktion des Immunsystems eingeschränkt und Parodontitis sowie viele andere Erkrankungen sind die Folge. Nachdem jede Antibiotikagabe auch die gesunde Darmflora schädigt und die praktische Erfahrung wie auch Stuhlproben zeigen, dass nach mehr als dreimaliger Antibiotikagabe die natürliche Regeneration der Darmflora nicht mehr erfolgen kann, ist nach dem Antibiotikamissbrauch in der Medizin in den letzten 50 Jahren zu befürchten, dass viele Menschen eine defizitäre Darmflora und damit eine gestörte Immunabwehr haben. Dies hat direkte Auswirkungen über das GALT/MALT-System im oralen Bereich [5,20].

Die Abbildung 6 zeigt eine typische Stuhlflora bei Patienten mit aggressiver Parodontitis. Ohne „Wiederaufforstung“ dieses gestörten Systems ist auch nach optimaler schulmedizinischer Parodontalbehandlung kein Erfolg zu erwarten.

Zusammenfassung

Aufgrund der vernetzten biochemischen Abläufe im menschlichen Körper benötigt eine erfolgreiche Parodontitisbehandlung weit mehr als eine Zahnreinigung als Vorbehandlung, eine geschlossene oder offene Kürettage und die Nachsorge. Die Progression einer Parodontitis ist abhängig von der individuellen Immunabwehrlage [16]. Diese wiederum steht in direkter Beziehung zur Immunonutrition, die sich im orthomolekularen Status des Patienten widerspiegelt. Hier sind jedoch Mängel in unserer Bevölkerung weit verbreitet. Eine ganzheitliche Parodontaltherapie berücksichtigt dies mit folgendem Ablauf:

  • ausführliche Parodontitisanamnese mit Berücksichtigung von „Folgeerkrankungen“,
  • Schleimhaut- und Zungendiagnostik
  • supragingivale Zahnreinigung mit Pflegeanleitungen und Kontrollen
  • Ernährungsplan/Beratung/Umstellung
  • sinnvolle Labormedizin wie Vollblutmineralanalyse, Säure-Basen-Titration nach Sander, Vitamin-D-Status, evtl. Stuhlflora, Entzündungsgenetik, MMP-8
  • gezielte Substitution reiner orthomolekularer Substanzen
  • parodontalchirurgische Eingriffe
  • Heilungsunterstützung mit komplementärmedizinischen Methoden, wie Lymphdrainage und Lymphtropfen, Ozon oder fotodynamische Desinfektion, Phytotherapie, Ölziehen uvm.
  • regelmäßige Nachkontrollen mit Auffrischung der gegebenen Ernährungsrichtlinien

Hinweis

In den vergangenen Jahren haben Firmen wie HypoA, Biogena, Nahani oder MSE nach umfangreichen Studien Komplexmittel (Mineralien, Vitamine) für die generelle Substitution in der Parodontologie entwickelt, die die Erfolgsquote bei Parodontitis nachweisbar erhöhen können [13]. Der starre Blick nur auf die parodontale Destruktion ohne Sicht auf den ganzen Menschen ist für den Erfolg einer Parodontalbehandlung nicht ausreichend.

„Wer den Ast betrachtet und nicht den Baum, geht in die Irre.“ (Mahatma Gandhi)


Weitere Informationen:

Termine zu Fortbildungskursen über die Themen Ernährung und Parodontitis sowie Zungendiagnostik finden Sie unter www.ak-zahnmedizin.de.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. Rudolf Meierhöfer

Bilder soweit nicht anders deklariert: Dr. Rudolf Meierhöfer


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