Depuration der Wurzeloberfläche – Teil 1

Gerade bei bereits lange etablierten Behandlungsmethoden lohnt sich oft ein kritischer frischer Blick auf lieb gewonnene Gewohnheiten. Auch die an Praxismitarbeiter delegierten Aufgaben und Arbeitsschritte sollten von Zeit zu Zeit einer Prozess- und Ergebnisevaluation unterzogen werden. In Zeiten der Ressourcenknappheit ist es unabdingbar, im Sinne von Qualitätsmanagement klinische Erfolgsparameter zu definieren, die bei der Evaluation der Behandlungsergebnisse überprüft werden. Um zu wissen, mit welchen Arbeitsmethoden in der parodontologischen Therapie diese Ziele erreicht werden können, ist eine laufende Aktualisierung des evidenzbasierten Wissensstandes erforderlich. Im folgenden Artikel werden die derzeit gängigen und durch fundierte Studien abgesicherten Methoden der Depuration dargestellt und die bei ihrer Anwendung besonders zu beachtenden Parameter beschrieben.
Dabei zeigt sich, dass einige der zurzeit sehr stark beworbenen Technologien keinen wesentlichen Vorteil gegenüber den traditionellen Methoden bieten.
Aus heutiger Sicht ist die Parodontitis ein multifaktorielles Geschehen, bei dem neben pathogenen Mikroorganismen verschiedene Faktoren wie genetische Prädisposition, inflammatorische Immunantwort und persönliche Verhaltensmuster (Rauchen, Stress, Mundhygienegewohnheiten) die Anfälligkeit des Wirts beeinflussen. Die Prävalenz der chronischen Parodontitis in Deutschland beträgt laut „Vierter Deutscher Mundgesundheitsstudie“1 zwischen 20 und 50 % und ist in der zweiten Lebenshälfte die häufigste Ursache für Zahnverlust. Ziel der Parodontitistherapie ist es, jene Risikofaktoren, die das Entstehen oder Wiederaufflammen einer Parodontitis begünstigen, zu kontrollieren oder zu minimieren. Am unmittelbarsten zu beeinflussen sind für das zahnärztliche Team natürlich der Faktor Mundhygiene und die bakterielle Besiedlung der parodontalen Taschen.
Terminologie
Leider gibt es, vor allem durch Verwendung der englischen Terminologie, die noch aus der Zeit der allein mit Handinstrumenten durchgeführten Behandlung stammt, immer wieder Begriffsverwirrungen. Hier werden noch einmal Definitionen (sofern nicht anders vermerkt, laut „Glossary of Periodontal Terms“2) für häufig verwendete Begriffe aufgeführt, wobei nur dann auf die verwendeten Instrumente eingegangen wird, wenn diese Maßnahme anders nicht durchzuführen ist (Tab. 1).
Initialtherapie oder „ursachengerichtete Parodontaltherapie“
Sie stellt das Kernstück der Parodontaltherapie dar und umfasst die in Tabelle 2 angeführten Arbeitschritte. Un- ter gleichzeitiger Substanzschonung werden an der Zahn- und Wurzeloberfläche vorhandener Biofilm und Konkrement auf ein für die individuelle Wirtsabwehr tolerierbares Maß minimiert und durch entsprechende Begleitmaßnahmen erneute Plaqueakkumulation verhindert5.
Erfolgsparameter nach Ende der aktiven Phase
Die initiale Therapie soll – bei richtiger Diagnosestellung und exakter Durchführung – durch Verbesserung der Mundhygienegewohnheiten des Patienten, die Veränderung der subgingivalen Mikroflora und Sanierung von bakteriellen Schlupfwinkeln in der Mundhöhle eine deutlich sichtbare Verbesserung gegenüber der Ausgangssituation bewirken. Die folgenden Parameter werden bewertet:
- Reduktion der Sondierungstiefen (ST): Ziel sind ST von weniger als 4 mm, da das Risiko für Zahnverlust bei Vorhandensein von ST > 5 mm beträchtlich ansteigt (von 7,7 auf 64)6 Faustregel für einwurzelige Zähne: Neue Sondierungstiefe ist die Hälfte der alten ST plus 1 mm (Beispiel: ST alt = 7 mm, ST neu = 7/2 + 1 = 4,5 mm)
- Attachmentgewinn (AL): Die Verringerung der anfänglichen Sondierungstiefe kommt sowohl durch Schrumpfung (Rezession) als auch durch „New-“ und „Re-Attachment“ zustande
- Abwesenheit von Blutung auf Sondieren (BoP): Reduktion unter einen „Full-Mouth-Bleeding-Score“ von 20 % (Risiko für Zahnverlust bis 46x höher)6
- Ästhetik: minimale Rezessionen (vor allem im Fronzahnbereich!)
- Kosten-Nutzen-Effizienz
Werden diese Ziele nicht erreicht, muss überprüft werden, ob entweder die Diagnose nicht richtig gestellt wurde, die eingesetzten Mittel nicht adäquat waren, die Behandlung nicht in der nötigen Qualität durchgeführt wurde, die Compliance des Patienten (häusliche Mundhygiene, Rauchen) nicht entsprechend oder ob lokale Probleme vorliegen.
Warum ist eine nichtchirurgische Therapie überhaupt effektiv?
Die aus der Zellmembran der gramnegativen Bakterien stammenden Lipopolysaccharide sind nur schwach an Zement gebunden und könnten sogar durch Politur entfernt werden7. Die im Biofilm der Plaque organisierten Mikroorganismen (Bakterien, Pilze, Viren, Protozoen) zeigen ein gänzlich anderes Verhalten als im planktonischen Zustand: Durch Gen-Transfer und Quorum-Sensing und eine Glykokalix zeigen sie einen um ein Vielfaches erhöhten Widerstand gegen die Wirtsabwehr. Ein Versuch der Abtötung z. B. durch Antibiotika würde eine mit der systemischen Gesundheit kaum verträgliche hohe Konzentration erfordern (Abb. 1).
Durch die subgingivale Instrumentation und mechanische Zerreißung des Biofilms kommt es jedoch zu einer transienten Veränderung der mikrobiellen Flora, zur Reduktion der gramnegativen Flora und der Spirochäten sowie zu einem Anstieg der grampositiven Kokken und Stäbchen; somit zu einer Wiederherstellung des physiologischen Keimspektrums und in der Folge zum Sistieren der Entzündung8. Potenziell gewebsinvasive Mikroorganismen – z. B. Aggregatibacter actinomycetemcomitans (A.a.) und Porphyromonas gingivalis (P. g.) – können jedoch oft durch alleinige mechanische Therapie nicht eliminiert werden9. In diesen Fällen wird das klinische Ergebnis bei der Reevaluation nicht den gewünschten Erfolg zeigen und eine zusätzliche Antibiotikagabe ist indiziert. Um eine Wiederbesiedlung der Taschen zu verhindern, ist immer eine unterstützende Langzeitbetreuung nötig.
Wie viel Depuration ist eigentlich nötig?
Aus zahlreichen Studien ist bekannt, dass eine komplette Belagsentfernung bei geschlossenem, nichtchirurgischen Zugang nicht möglich ist, sogar wenn die Therapie von erfahrenen DHs oder Parodontologen durchgeführt wird. Abhängig vom Können der Behandler, der Zahnmorphologie und der Zahnposition bleiben 20–40 % des Konkrements zurück, in Taschen ab 6 mm sogar bis zu 78 %10. Die häufig zur Ergebniskontrolle benutzte taktile Rückmeldung ist nicht aussagekräftig, da eine „ganz saubere“ Wurzeloberfläche nur bei kompletter Zemententfernung und Ausdünnung des Dentins zu erzielen wäre. Einerseits bedeutet „glatt“ nicht zwangsläufig „sauber“, da in Vertiefungen der Wurzeloberfläche, ja sogar bis in die Dentinkanälchen hinein Bakterien angesiedelt sind11.
Andererseits ist dringend darauf zu achten, unbeabsichtigten Substanzabtrag zu vermeiden, wie es vor allen bei Ungeübten und bei Anwendung zu hoher Kräfte und zu wenigen Arbeitsbewegungen dokumentiert ist (Tab. 3)12. Die Eröffnung von Dentinkanälchen führt zu postoperati- ver Dentinüberempfindlichkeit. Diese wird in der Literatur mit bis zu 55 % (vs. 9–23 % vor Therapie) angegeben. Auch das Risiko für Wurzelkaries steigt dadurch an. Bei Verwendung von Handinstrumenten ist auch an die Instrumentenaufbreitung (Schärfen und Schleifen) zu denken, die zum einen zweitaufwendig ist, zum anderen zu Materialverschleiß führt.