Parodontologie


Chronische (parodontale) Entzündungen und Tumorerkrankungen

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Chronische Entzündungen erhöhen das Risiko für eine Vielzahl von Krebsarten; je länger die Entzündung persistiert, desto höher ist das Krebsrisiko. Verschiedene Mechanismen zellulärer Prozesse lassen eine Verbindung zwischen entzündlichem Geschehen und der Tumorentwicklung erkennen. Aktuell wird erforscht, ob auch parodontale Entzündungen einen Einfluss auf die Krebsentstehung und -progression haben könnten. Aktuelle Forschungsergebnisse erscheinen vielversprechend. 

Entzündungen sind eine physiologische Antwort des Organismus, die aktiviert wird, um Gewebsverletzungen und pathogene Einflüsse rückgängig zu machen [1]. Wenn Entzündungen keiner Regulation mehr unterliegen, werden sie chronisch und können eine maligne Entartung in den Zellen des umliegenden Gewebes induzieren [2] (Abb. 1). Der Entzündungsprozess hat verschiedene molekulare Ziele und Signalwege mit dem Prozess der Karzinogenese gemeinsam, wie z.B. Apoptose, eine erhöhte Proliferationsrate und Angiogenese.

  • Abb. 1: Etablierung und Ausheilung einer Entzündung, hervorgerufen durch eine Irritation bzw. Infektion:
Bei nur moderater Immunaktivierung bzw. Immunsuppression kommt es zur Chronifizierung des Erkrankungsprozesses
und damit zum Risiko der Krebsentstehung bzw. -progression.
  • Abb. 1: Etablierung und Ausheilung einer Entzündung, hervorgerufen durch eine Irritation bzw. Infektion: Bei nur moderater Immunaktivierung bzw. Immunsuppression kommt es zur Chronifizierung des Erkrankungsprozesses und damit zum Risiko der Krebsentstehung bzw. -progression.
    © Prof. Dr. Meyle

Zudem wurde gezeigt, dass die Verwendung von nichtsteroidalen anti-entzündlichen Medikamenten die Inzidenz und Mortalität einiger Kanzerosen senken kann [3]. Die Entzündungsprozessen zugrunde liegende Immunantwort besteht aus einer Serie von Reaktionen, die bei Erkennung von Pathogenen oder Gewebeschäden angestoßen werden. Dabei sind Zellen sowie lösliche Mediatoren, wie z.B. Zytokine, an der angeborenen und adaptiven Immunantwort beteiligt.

Das Ziel der Entzündungsreaktion besteht darin, die Erreger und fremden Agenzien, die die Gewebshomöostase stören, zu entfernen [4]. Im normalen physiologischen Kontext ist die Entzündung nach der Reparatur der Gewebeschäden und der Eliminierung der Pathogene aufgelöst und die Homöostase wiederhergestellt [5] (Abb. 1).

Es ist weitgehend akzeptiert, dass chronische Entzündungen das Risiko für Krebs erhöhen. Verschiedene Erkrankungen verdeutlichen diese Verbindung, wie z.B. die Endometriose, die chronische Prostatitis, die chronische durch Helicobacter pylori (H. pylori) ausgelöste Gastritis, entzündliche Darmerkrankungen und die primäre sklerosierende Cholangitis. Entzündungen können das Krebsrisiko erhöhen, indem sie der Tumor-Mikroumgebung bioaktive Moleküle bereitstellen, die von den infiltrierenden Zellen stammen.

Dazu gehören Zytokine, Wachstumsfaktoren und Chemokine, die eine andauernde Proliferationsrate aufrechterhalten, wie auch Signale, die durch die Apoptose gehemmt werden, proangiogene Faktoren und Metalloproteinasen, die die extrazelluläre Matrix modifizieren. Matrix-Metalloproteinasen können die Epithelial-mesenchymale Transition (EMT) vorantreiben und andere karzinogene Programme unterstützen, wie Genom-Instabilität, Reprogrammierung des Energiestoffwechsels und Immunevasion [6]. 

Chronische Entzündungen sind für eine Vielzahl von Krebsarten von kausaler Bedeutung. Im Allgemeinen gilt, je länger die Entzündung persistiert, desto höher ist das Krebsrisiko (Abb. 1). Daher wird eine akute Entzündung, die als Antwort auf eine vorübergehende Infektion entsteht, nicht als Risikofaktor für die Entwicklung einer Neoplasie betrachtet, obwohl eine Reihe identischer molekularer Mediatoren sowohl bei akuten als auch bei chronischen Entzündungen vorkommt. Üblicherweise stellen infiltrierende Leukozyten, wie neutrophile Granulozyten, Monozyten, Makrophagen und eosinophile Granulozyten, die löslichen Faktoren bereit, die als Mediatoren für die Entwicklung entzündungsassoziierter Kanzerosen gelten, obwohl andere Zellen, darunter auch die Tumorzellen selbst, ebenfalls daran beteiligt sind.

Entzündliche Mediatoren schließen neben den bereits genannten Zytokinen und Chemokinen auch Metaboliten der Arachidonsäure und freie Radikale ein. Eine chronische Exposition mit diesen Substanzen führt zu erhöhter Zellproliferation, Mutagenese, onkogener Aktivierung und Angiogenese.

Letzten Endes resultiert das in einer Proliferation der Zellen, welche die normale Wachstumskontrolle verloren haben. Tiermodelle bieten die Möglichkeit, experimentell nachzuweisen, dass chronische Entzündungen die Entstehung von Malignomen fördern [7]. Durch den Einsatz von transgenen Tieren konnte die Bedeutung einzelner Faktoren experimentell nachgewiesen werden.

Krebsfördernde Mechanismen bei chronischen Entzündungen

Man schätzt, dass Infektionskrankheiten und chronische Entzündungen bei 25% der Krebserkrankungen der ursächliche Faktor sind [8,9]. Dabei spielen Bakterien und Viren als Auslöser bzw. Erreger der Entzündung bei einer Reihe von Tumorerkrankungen eine entscheidende Rolle [9] (Abb. 2).

  • Abb. 2: Rolle der Bakterien und Viren bei Tumorerkrankungen. A. actinomycetemcomitans:
Aggregatibacter actinomycetemcomitans; B. fragilis: Bacteroides
fragilis; C. trachomatis: Chlamydia trachomatis; F. nucleatum: Fusobacterium
nucleatum; HPV: humanes Papillomavirus; HBV: Hepatitis-B-Virus; HCV:
Hepatitis-C-Virus; H. hepaticus: Helicobacter hepaticus; H. pylori: Helicobacter
pylori; N. elongate: Neisseria elongate; P. gingivalis: Porphyromonas gingivalis; S.
mitis: Streptococcus mitis; S. typhi: Salmonella typhi.
(Grafik modifiziert nach Armstrong et al. 2018 [9]).
  • Abb. 2: Rolle der Bakterien und Viren bei Tumorerkrankungen. A. actinomycetemcomitans: Aggregatibacter actinomycetemcomitans; B. fragilis: Bacteroides fragilis; C. trachomatis: Chlamydia trachomatis; F. nucleatum: Fusobacterium nucleatum; HPV: humanes Papillomavirus; HBV: Hepatitis-B-Virus; HCV: Hepatitis-C-Virus; H. hepaticus: Helicobacter hepaticus; H. pylori: Helicobacter pylori; N. elongate: Neisseria elongate; P. gingivalis: Porphyromonas gingivalis; S. mitis: Streptococcus mitis; S. typhi: Salmonella typhi. (Grafik modifiziert nach Armstrong et al. 2018 [9]).
    © Prof. Dr. Meyle

Eine chronische Infektion mit Helicobacter pylori z.B. ist mit Magenkarzinomen assoziiert, chronische Infektionen mit Hepatitis B und C mit hepatozellulären Karzinomen und chronische Prostatitis bzw. Pankreatitis jeweils mit Prostatakarzinom und Pankreaskarzinom [10,11] (Abb. 2). Auch durch Autoimmunreaktionen und persistierende oder rezidivierende Weichgewebstraumen hervorgerufene dysregulierte inflammatorische Prozesse können das Risiko für eine Karzinomentwicklung erhöhen [12]. 

Chronische Entzündungen verursachen unterschiedliche Arten von Schäden an Nukleinsäuren, Proteinen und Lipiden durch die Produktion reaktiver Sauerstoff/Stickstoff-Spezies, welche in Gewebeschäden mündet. So werden während einer chronischen Entzündung reaktive Sauerstoff/Stickstoff-Spezies (ROS/RNS) nicht nur von inflammatorischen, sondern auch von epithelialen Zellen produziert [13].

Diese Substanzen verursachen DNA-Schäden in den Organen, was im weiteren Verlauf zur Entwicklung von Malignomen führen kann. Die Gewebsverletzungen können Progenitor- oder Stammzellen für die Gewebsregeneration aktivieren und die daraus entstehenden Mutationen akkumulieren. Das kann zur Ausbildung von Krebsstammzellen führen [14].

Chronische Entzündungen fördern genetische und epigenetische Veränderungen bei einer Reihe von Erkrankungen. Dies beinhaltet DNA-Methylierungen und microRNAs. Diese Veränderungen können Biomarker für lebensstilbedingte Krankheiten darstellen [15].

Während einer Entzündung werden Zytokine von Immun- und Bindegewebszellen per Zell-zu-Zell-Signalen gebildet. Zytokine regulieren die entzündliche Antwort, aber bei Vorliegen einer chronischen Entzündung fördern einige Zytokine die Karzinogenese [16].

In chronisch infizierten Geweben sind Tumorzellen vermehrt inflammatorischen Zytokinen ausgesetzt (Abb. 3). Dabei erhalten einige von ihnen die Fähigkeit, auf diese Signale zu antworten, was ihnen einen Wachstumsvorteil verschafft.

  • Abb. 3: Einfluss von Zytokinen, Chemokinen und Proteasen auf die Tumorentstehung,
Progression und Metastasierung. (Modifiziert nach Chakraborty et al.,
2020 [16]).
IL-1, -6, -17, -23 = proinflammatorische Zytokine, TNF-? = Tumor-Nekrose-Faktor
alpha, TGF-? = transforming growth factor beta, NF-?B = Transkriptionsfaktor,
STAT3 = signal transducer and activator of transcription 3, HIF1? = hypoxiainducible
factor-1?, iNOS= inducible Nitric Oxide Synthase.
  • Abb. 3: Einfluss von Zytokinen, Chemokinen und Proteasen auf die Tumorentstehung, Progression und Metastasierung. (Modifiziert nach Chakraborty et al., 2020 [16]). IL-1, -6, -17, -23 = proinflammatorische Zytokine, TNF-? = Tumor-Nekrose-Faktor alpha, TGF-? = transforming growth factor beta, NF-?B = Transkriptionsfaktor, STAT3 = signal transducer and activator of transcription 3, HIF1? = hypoxiainducible factor-1?, iNOS= inducible Nitric Oxide Synthase.
    © Prof. Dr. Meyle

Transforming Growth Factor (TGF)-? ist ein immunsuppressives Zytokin, welches bei Gewebsverletzungen freigesetzt wird, um einer unkontrollierten Ausbreitung der Entzündung vorzubeugen. TGF-? ist ebenfalls in der Tumor-Mikroumgebung vorhanden, Krebszellen können es für die Tumorprogression nutzen [17]. Zu Tumoren gehöriges TGF-? kann aus verschiedenen Quellen, wie den Tumorzellen selbst, den Bindegewebszellen und infiltrierenden Immunzellen stammen [18]. 

Tumor Necrosis Factor (TNF)-? ist ein proinflammatorisches Zytokin, welches in Entzündung, Apoptose und Angiogenese involviert ist [19]. Nachdem ihm zunächst Anti-Tumor-Aktivität zugeschrieben wurde, zeigen aktuelle Daten, dass TNF-?-Aktivität die Karzinogenese fördern kann [20]. Obwohl TGF-? und TNF-? sehr oft im Kontext von entzündungsinduzierter Karzinogenese untersucht wurden, zeigen Evidenzen, dass weitere Zytokine zu diesem Prozess beitragen.

Tumor-infiltrierende Makrophagen sind verantwortlich für die Produktion verschiedener Zytokine. Zwei Zytokine, welche von aktivierten Makrophagen produziert werden, TNF-? und Interleukin (IL)-1?, stimulieren die Bildung von IL-8, Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) und Basic Fibroblast Growth Factor (bFGF) in Melanomzellen [21]. Alle drei Zytokine stimulieren die Angiogenese in Melanomen, was zu einer besseren Vaskularisierung des Tumors beiträgt.

IL-6 ist ein weiteres gut charakterisiertes Pro-Tumor-Zytokin, welches in verschiedenen Stadien der Krebsentwicklung, von der Initiation bis zur Metastasierung, nachgewiesen werden kann [22]. Erhöhte Level von IL-6 im Blut korrelieren mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von kolorektalem Krebs und einer insgesamt verschlechterten Prognose [23,24]. Bei Parodontitis sind verschiedene Zytokinspiegel im Blut erhöht [25,26].

Tumoren müssen die Fähigkeit entwickeln, die Immunantwort zu umgehen oder zu unterdrücken, da diese ihr Wachstum und Überleben beeinträchtigt. Einer der vielen Wege, der Immunattacke zu entgehen oder sie zu hemmen, besteht darin, sich die natürlichen supprimierenden T-Zell-Eigenschaften der Immun-Checkpoint-Proteine zunutze zu machen. Dazu gehört der an der Zelloberfläche lokalisierte Ligand (PD-L1, früher B7-H1) des Programmed Death Receptor (PD)-1 (Abb. 4).

  • Abb. 4: Kommt eine T-Zelle mit einer Tumorzelle in Kontakt, die an ihrer Oberfläche PD-L1-Rezeptoren
(PD-L= Programmed Death Ligand) exprimiert, verändert sich ihr Phänotyp entweder in eine regulatorische
T-Zelle oder es wird bei ihr die Apoptose ausgelöst. Die Tumorzelle kann auf diese Art und Weise dem
Angriff von zytotoxischen T-Zellen entkommen.
  • Abb. 4: Kommt eine T-Zelle mit einer Tumorzelle in Kontakt, die an ihrer Oberfläche PD-L1-Rezeptoren (PD-L= Programmed Death Ligand) exprimiert, verändert sich ihr Phänotyp entweder in eine regulatorische T-Zelle oder es wird bei ihr die Apoptose ausgelöst. Die Tumorzelle kann auf diese Art und Weise dem Angriff von zytotoxischen T-Zellen entkommen.
    © Prof. Dr. Meyle

Die Balance zwischen positiver und negativer T-Zell-Regulation ist entscheidend, um Immuntoleranz zu vermitteln, Autoimmunität vorzubeugen und exzessive Immunantworten zu vermeiden, was ebenfalls Schutz vor Infektion und die Voraussetzung für Geweberegeneration bietet [27]. Unter physiologischen Bedingungen und während einer Infektion ist die PD-1/PD-L1-Achse essenziell, um die T-Zell-Antwort herunterzuregulieren [28].

Die Bindung von PD-1 durch PD-L1 übermittelt hemmende Signale, die die Aktivierung verschiedener Zellarten verändern oder unterdrücken (Abb. 5) [29]. PD-1-induzierte Signale können die T-Zell-vermittelten Effektoren dämpfen durch Blockade der IL-2-Produktion, eines Zytokins, das notwendig für das T-Zell-Überleben und die Proliferation ist [30,31]. Zukünftige Forschung in diese Richtung könnte Therapieansätze zeitigen, die sich dieses Wissen über das Wechselspiel zwischen Entzündung und Malignomen zunutze machen.

  • Abb. 5: Molekularer Schutzschild durch PD-L1-Rezeptoren. APC = Antigen-präsentierende Zelle. (Modifiziert
nach Zou, 2008 [29]).
  • Abb. 5: Molekularer Schutzschild durch PD-L1-Rezeptoren. APC = Antigen-präsentierende Zelle. (Modifiziert nach Zou, 2008 [29]).
    © Prof. Dr. Meyle

Assoziation zwischen Parodontitis und Karzinomen

Eine Assoziation zwischen oralen Plattenepithelkarzinomen und Parodontitis wurde von Tezal et al. beschrieben [32,33]. Es ist bekannt, dass Patienten mit oralen Karzinomen häufig eine schlechte allgemeine Mundgesundheit aufweisen, d.h. sie haben kariöse Zähne und leiden häufig an Parodontitis. Der daraus resultierende Zahnverlust wurde mit Karzinomen assoziiert, allerdings steht Mundgesundheit ebenso in Verbindung mit Alkohol- und Tabakkonsum, was einen schwer zu kontrollierenden Faktor in epidemiologischen Studien darstellt [34].

In den nationalen epidemiologischen Studien der USA (NHANES) wurde aber gezeigt, dass parodontale Erkrankungen das Risiko für Kopf-Hals-Karzinome mit einer Odds Ratio von 4,36% (95% KI 6,01–93,16) erhöhen und diese Assoziation auch bei Patienten ohne Alkohol- und Tabakkonsum bestehen bleibt [35]. Parodontitispatienten erkranken zudem häufiger an niedrig differenzierten Plattenepithelkarzinomen als parodontal Gesunde [33]. 

Die Ergebnisse einer Metaanalyse, in der die Assoziation von Parodontitis mit der Tumorentstehung analysiert wurde, zeigen eine geringe, aber statistisch signifikante Assoziation zwischen Parodontitis und verschiedenen Krebsarten, wie Karzinome des Verdauungstraktes, der Brust, der Lunge, der Prostata und der Bauchspeicheldrüse [36]. Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss, dass mehr Studien mit standardisierten Methoden der parodontalen Untersuchung und Klassifikation sowie repräsentative Stichproben notwendig sind, um die Existenz und Stärke der Assoziation zwischen malignen Tumoren und Parodontitis zu verstehen [36].

Zytokine, Chemokine, Prostaglandine und reaktive Sauerstoff- und Stickstoffspezies akkumulieren in der Umgebung von chronisch infizierten Geweben und sind, wenn sie persistieren, in der Lage, Zellproliferation und verlängerte Ãœberlebenszeiten von Zellen über die Aktivierung von Onkogenen und die Deaktivierung von Tumor-Suppressor-Genen zu induzieren, was zu einer genetischen Instabilität mit erhöhtem Tumorrisiko führt [37,38]. 

Wie in Abbildung 2 dargestellt, bestehen Zusammenhänge zwischen Keimen, die im oralen Biofilm gefunden werden, und Tumorerkrankungen verschiedener Organe. Entscheidend ist die Frage, ob es dafür ein mechanistisches Modell gibt, durch das diese Assoziationen erklärt werden können ? ja, dass es sich um Kausalzusammenhänge handelt.

Immunsuppressive Wirkung von P. gingivalis auf Tumorzellen 

In einer Reihe von In-vitro-Studien wurde der Einfluss bakterieller Reize auf die Expression des PD-L1-Liganden untersucht. Der Einfluss verschiedener P.-gingivalis-Stämme auf die PD-L1-Expression in humanen gingivalen Keratinozyten (PHGK) und zwei Zelllinien aus oralen Plattenepithelkarzinomen (SCC-25- und BHY-Zellen) wurde mit dem kommensalen Bakterium Streptococcus salivarius (S. salivarius) K12 verglichen.

Die Ergebnisse dieser Studie ergaben zusammenfassend, dass P. gingivalis die PD-L1-Rezeptor-Hochregulation in Tumor-Zelllinien und primären, nichttransformierten Zellen auslöst. Die Hochregulation konnte nach Stimulation mit verschiedenen P.-gingivalis-Stämmen nachgewiesen werden, während dieser Effekt bei Infektion mit dem grampositiven, nicht virulenten S. salivarius K12 ausblieb [39].

In zahlreichen weiteren Experimenten konnte gezeigt werden, dass die Membran von P. gingivalis für diesen Effekt und die Reaktion der Tumorzellen verantwortlich ist und dass es sich bei dem biologisch aktiven Molekül entgegen allen Erwartungen nicht um das Lipopolysaccharid (LPS), sondern um das Peptidoglycan aus dem periplasmatischen Spalt handelt, der beim gramnegativen Bakterium zwischen äußerer und innerer Membran liegt [40,41]. Nach den weiteren Experimenten steht fest, dass dieses bakterielle Molekül an intrazelluläre Rezeptoren (NOD-1 und NOD-2) der Tumorzellen bindet und dadurch die Bildung der immunsupprimierenden Rezeptoren (PD-L1) induziert wird (Abb. 6).

  • Abb. 6: Zusammenhänge zwischen bakteriellen Molekülen und den zellulären Rezeptoren, die in Tumorzellen zur Hochregulation des immunsupprimierenden
Rezeptors (PD-L1) führen. Im Gegensatz zu anderen bakteriellen Komponenten (z.B. LPS) wird das Peptidoglycan in die Tumorzelle aufgenommen und bindet
intrazellulär an die dort vorhandenen intrazellulären Toll-like-Rezeptoren NOD-1 und NOD-2. Von da aus wandert das Signal über verschiedene Zwischenstufen in den
Zellkern und führt zur mRNA-Hochregulation und anschließenden Proteinproduktion neuer PD-L1-Rezeptoren, die nach ca. 24 Stunden auf der Zelloberfläche
erscheinen.
  • Abb. 6: Zusammenhänge zwischen bakteriellen Molekülen und den zellulären Rezeptoren, die in Tumorzellen zur Hochregulation des immunsupprimierenden Rezeptors (PD-L1) führen. Im Gegensatz zu anderen bakteriellen Komponenten (z.B. LPS) wird das Peptidoglycan in die Tumorzelle aufgenommen und bindet intrazellulär an die dort vorhandenen intrazellulären Toll-like-Rezeptoren NOD-1 und NOD-2. Von da aus wandert das Signal über verschiedene Zwischenstufen in den Zellkern und führt zur mRNA-Hochregulation und anschließenden Proteinproduktion neuer PD-L1-Rezeptoren, die nach ca. 24 Stunden auf der Zelloberfläche erscheinen.
    © Prof. Dr. Meyle

Zusammenfassend führen diese Ergebnisse zu dem Schluss, dass die Hochregulation von PD-L1 in Tumorzellen zu den Mechanismen gehört, die diese Zellen vor der wirtseigenen Immunantwort schützen. Dies ist möglicherweise von großer klinischer Relevanz für die Progression von Tumorerkrankungen, da es sich bei Peptidoglycan um ein sehr hitzestabiles Molekül handelt.

Diese Eigenschaften von P. gingivalis sind vergleichbar mit der Pathogenität von Helicobacter pylori, der in gastrischen Epithelzellen ebenfalls eine PD-L1-Hochregulation induziert. In den weiteren Experimenten konnte gezeigt werden, dass eine Reihe von Tumor-Zelllinien (Prostata-, Kolon-, Mamma-, Lungenkarzinom) auf P.-gingivalis-Peptidoglycan mit PD-L1-Hochregulation antwortet. 

Fazit

Es gibt also Hinweise darauf, dass orale Biofilme, in denen P. gingivalis häufig gefunden wird, einen direkten Einfluss auf immunevasive Eigenschaften von Malignomen haben können. Damit kommt der parodontalen Therapie, d.h. der Reduktion des oralen Biofilms durch Zahnarzt und Patient, eine präventive gesundheitsfördernde Rolle zu, deren volle Bedeutung heute noch nicht absehbar ist.


Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Prof. Dr. Jörg Meyle - Dr. Sabine Groeger


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