„Back to the Roots“ – die klassische Deckung parodontaler Rezessionen mit autologen subepithelialen Bindegewebstransplantaten

Bei den mukogingivalen Defekten spielen parodontale Rezessionen eine wichtige Rolle. Sie sind nicht nur im sichtbaren Bereich ein ästhetischer Makel, sondern auch ein medizinischer Risikofaktor, denn freiliegende Zahnhälse sind empfänglich für Karies und abrasive Defekte. Für den Patienten bedeuten sie aufgrund einer gesteigerten Sensibilität oftmals eine Einschränkung bei der Nahrungsaufnahme. Im Fokus der folgenden Ausführungen steht die Deckung von Rezessionen mit autologen subepithelialen Bindegewebstransplantaten. Die Anwendung dieser Transplantate wird von den Autoren ausführlich beschrieben und mit Fallbeispielen illustriert. Neben dem chirurgischen Vorgehen werden auch die weiteren Glieder einer erfolgreichen Behandlungskette vorgestellt, zu der beispielsweise die Einübung einer rezessionsangepassten Putztechnik gehört.
Die plastische Parodontalchirurgie, früher eher unter dem Begriff der Mukogingivalchirurgie bekannt, hat in den vergangenen Jahrzehnten einen enormen Aufschwung erfahren und erheblich an Bedeutung gewonnen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Zum einen wurde durch die Entwicklung entsprechender Operationstechniken die Hinwendung zu mikrochirurgischen Verfahren deutlich gesteigert und durch die Verfügbarkeit von entsprechenden Medizinprodukten die Prognose einer erfolgreichen Behandlung wesentlich verbessert. Zum anderen ist das chirurgische Vorgehen aber auch der Ausdruck eines Paradigmenwechsels: Lange Zeit stand die Reparation im Vordergrund der Behandlung, verloren gegangene Gingiva wurde einfach durch Keramik ersetzt (Abb. 1). Anstelle der Reparation rückt nun zunehmend die Wiederherstellung der ursprünglichen Gewebsstrukturen in den Vordergrund. Hinzu kommt, dass vor dem Hintergrund eines sich stetig weiterentwickelnden Körperbewusstseins im Jahr 2013 der Wunsch nach schönen Zähnen mit einem schönen Zahnfleisch für viele Menschen ein selbstverständliches Anliegen ist. Letztlich geht es bei den Maßnahmen der plastischen Parodontalchirurgie darum, das Erscheinungsbild und die Morphologie gingivaler Strukturen zu verändern. Das Behandlungsziel ist dabei in den allermeisten Fällen jedoch weitaus mehr als nur eine ästhetische Verbesserung. Der „World Workshop in Periodontics“ hat bereits 1996 die noch heute gültige Definition der plastischen Parodontalchirurgie erarbeitet [3]. Sie lautet: „Die plastische Parodontalchirurgie ist ein Mittel zur Verhütung oder Korrektur von Defekten der Gingiva oder Alveolarmukosa, die anatomisch, traumatisch oder plaquebedingt entstanden sind.“
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Abb. 1: Ausgedehnte Keramikversorgung bei singulärer parodontaler Rezession und Stillman-Cleft an Zahn 23.
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Abb. 2: Singuläre parodontale Rezession an Zahn 31 mit gingivaler Entzündung.
Aus dieser Definition ergibt sich, dass in den allermeisten Fällen bei Durchführung von plastisch-parodontalchirurgischen Maßnahmen eine medizinische Indikation vorliegt; es geht um die Behandlung von Defekten. Defekte der Gingiva und Alveolarmukosa können in vielfältiger Weise auftreten und zu gingivalen Entzündungen oder zu Empfindlichkeiten der betroffenen Zähne führen [24] (Abb. 2). Zudem stellen diese Defekte in vielen Fällen Prädilektionsstellen für eine Plaqueakkumulation dar. Dadurch kann die Entwicklung von kariösen Läsionen der freiliegenden Wurzelanteile möglicherweise begünstigt werden.
Die plastische Parodontalchirurgie umfasst eine Vielzahl von Maßnahmen. Sie haben das Ziel der Verbesserung der Gingivakontur und der Kronenverlängerung, der Reduktion von Gingivarezessionen, der Erhaltung des Alveolarkamms, der Rekonstruktion des zahnlosen Kiefers und der Verbesserung der periimplantären Ästhetik. Auf alle möglichen Maßnahmen im Einzelnen einzugehen, würde das Ausmaß dieses Artikels sprengen. Bei den mukogingivalen Defekten spielen parodontale Rezessionen eine wichtige Rolle. Sie weisen eine hohe Prävalenz auf und die Patienten fühlen sich durch die daraus resultierenden Folgen, wie z. B. eine erhöhte Sensitivität auf Temperaturreize, oftmals beeinträchtigt. Maßnahmen zur Rezessionsdeckung sollen daher auch im Fokus der folgenden Ausführungen stehen. Die Deckung von Rezessionen mittels autologer subepithelialer Bindegewebstransplantate wurde Mitte der 1980er Jahre erstmals fast zeitgleich von Langer und Langer [13] sowie in Deutschland von Raetzke [25] beschrieben. Wenngleich dieses Verfahren vielfach modifiziert wurde, so findet es doch nach wie vor Anwendung. Auch in der Kombination mit Verschiebelappen kommen subepitheliale Bindegewebstransplantate erfolgreich zur Anwendung [18,23,34].
Parodontale Rezessionen
Unter parodontalen Rezessionen versteht man den nicht entzündlichen Rückgang von Gingiva und Alveolarknochen, der bei bukkaler Knochendehiszenz fast immer zu einer bukkalen Denudation der Wurzeloberfläche führt. Parodontale Rezessionen können singulär und generalisiert auftreten. Am weitaus häufigsten sind dabei die Eckzähne des Oberkiefers betroffen [15,16] (Abb. 3). Zu einem Rückgang von Gingiva mit daraus resultierenden freiliegenden Wurzeloberflächen kann es auch postoperativ nach parodontalchirurgischen Maßnahmen bei Behandlung einer Parodontitis kommen. Für diesen Zustand wird auch der Begriff Rezession verwendet, streng genommen sind dies jedoch Retraktionen. Parodontale Rezessionen im klassischen Sinne treten häufig bei Patienten auf, die sich parodontal sonst völlig unauffällig mit entzündungsfreien parodontalen Verhältnissen zeigen. Ätiologisch lassen sich prädisponierende und auslösende Faktoren unterscheiden. Als pathogenetisch prädisponierende Faktoren kommen hoch inserierende Lippen- oder Wangenbändchen [31] und knöcherne Dehiszenzen mit einem filigranen Gingivaphänotypus in Betracht [19]. Parodontale Rezessionen können dann entstehen, wenn zu den genannten prädisponierenden Faktoren auslösende pathogenetische Faktoren hinzukommen. Hier ist in erster Linie eine traumatisierende Putztechnik mit zu hohem Anpressdruck zu nennen [10,12]. Gerade Patienten mit einer hohen Motivation zu einer sehr guten Mundhygiene entwickeln häufig parodontale Rezessionen. Hier gilt im übertragenen Sinne das Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“. Weitere auslösende Faktoren können eine Plaqueakkumulation, eine kieferorthopädische Behandlung [26,33] oder subgingival liegende Restaurationsränder sein [8,20,29,32].
Ob eine Fehlbelastung durch Bruxismus als auslösender ätiologischer Faktor gesehen werden kann, wird kontrovers diskutiert. Der Einfluss von Bruxismus ist nach wie vor strittig und noch nicht eindeutig belegt. Da die Entwicklung parodontaler Rezessionen jedoch in vielen Fällen ein multikausales Geschehen ist, erscheint die Mitbeteiligung von Fehlbelastungen als einer der verschiedenen möglichen auslösenden Faktoren plausibel.
Indikation zur Deckung parodontaler Rezessionen
Nicht jede parodontale Rezession bedarf einer Deckung. Die Rezession allein stellt in vielen Fällen noch keine hinreichende Indikation zu einem operativen Eingriff dar. Dieser ist erst dann indiziert, wenn weitere Befunde vorliegen bzw. sich aus der Rezession ergeben. Der Entscheidung über eine mögliche plastisch-chirurgische Deckung muss daher eine umfassende Diagnostik und Dokumentation der Befunde vorausgehen. Als einer der Pioniere der plastischen Parodontalchirurgie hat PD Miller im Jahr 1985 eine Klassifikation zur Einteilung von parodontalen Rezessionen in vier Stufen entwickelt und vorgestellt, die allgemein anerkannt ist und bis heute gilt [17] (Tab. 1).
Zunächst sollte die Bestimmung der parodontalen Rezession gemäß dieser Klassifikation vorgenommen werden. Der Vorteil der Klassifikation nach Miller liegt darin, dass daraus auch eine Prognose hinsichtlich des Erfolgs einer Rezessionsdeckung abgeleitet werden kann. Eine sehr gute Prognose zur dauerhaften vollständigen Deckung ist bei den Miller-Klassen I und II gegeben. Bei der Miller-Klasse III ist die Prognose zur vollständigen Deckung eingeschränkt, bei der Klasse IV ist eine Deckung nicht möglich.
Die Indikation zur Deckung parodontaler Rezessionen mittels plastischer parodontalchirurgischer Verfahren kann dann gegeben sein, wenn neben einer Rezession der Miller-Klasse I oder II folgende weitere Befunde vorliegen:
- Zahnhalskaries, Zahnhalsfüllungen
- Zahnhalssensibilität
- Abrasionen/keilförmige Defekte im Zahnhalsbereich
- rezidivierende mukogingivale Defekte, wie z. B. Stillmann- Spalten
- ästhetische Beeinträchtigung
Das die Wurzeloberfläche bedeckende Wurzelzement ist weniger gut mineralisiert als der Zahnschmelz der Krone. Es ist damit im Vergleich zum Zahnschmelz anfälliger für die Entwicklung von kariösen Läsionen. Wenn hierüber auch keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen, so erscheint es doch plausibel, dass durch Maßnahmen zur Rezessionsdeckung auch eine kariesprophylaktische Wirkung erzielt werden kann (Abb. 4). Bei der Entscheidung über eine Deckung sollte zudem eine mögliche Progredienz der Rezession mit berücksichtigt werden. Diese zu beurteilen fällt sowohl dem Behandler als auch dem Patienten mitunter schwer, weshalb eine genaue Dokumentation über das Ausmaß der Rezession von großer Bedeutung ist (s. a. Behandlungsablauf).
Behandlungsablauf
Wie vor jeder zahnärztlichen Behandlungsmaßnahme, müssen auch bei Rezessionspatienten zunächst eine umfassende Anamnese und eine eingehende zahnärztliche Untersuchung erfolgen. Auf deren Inhalt und Umgang soll in diesem Zusammenhang nur im Hinblick auf die Beurteilung und die Behandlung der Rezessionen näher eingegangen werden.
Klinische Untersuchung und Anamnese
Bei den meisten Rezessionspatienten liegen entzündungsfreie parodontale Verhältnisse vor. Um jedoch eine marginale Parodontitis auszuschließen, ist zunächst ein Parodontalbefund zu erheben. Liegen Rezessionen vor, ist mit dem Patienten ein entsprechendes Aufklärungsgespräch zu führen. In dessen Verlauf ist nach möglichen Beschwerden, nach Putzgewohnheiten und nach erfolgten oder geplanten kieferorthopädischen Behandlungsmaßnahmen zu fragen. In diesem Zusammenhang sei erwähnt: Wenn Patienten Rezessionen bemerken, konsultieren sie ihren Zahnarzt in der meist fälschlichen Annahme, an einer entzündlichen Parodontalerkrankung in Form einer Parodontitis erkrankt zu sein. Hier gilt es, durch eine entsprechende Aufklärung den Patienten zu beruhigen. Im Zuge der weiteren Behandlung wird dann zunächst ein Termin für eine Initialtherapie mit professioneller Zahnreinigung und für weitere diagnostische Maßnahmen vereinbart.
Initialtherapie bei Rezessionspatienten
Wie in den vorherigen Ausführungen schon beschrieben, ist das Putztrauma durch exzessives oder falsches Zähneputzen ein wichtiger auslösender Faktor bei der Entstehung von Rezessionen. Unabhängig davon, ob später plastisch-parodontalchirurgische Maßnahmen geplant sind, sollte daher bei allen Patienten mit Rezessionen eine professionelle Zahnreinigung mit Anleitung zu einer rezessionsangepassten Putztechnik durchgeführt werden. In dieser Sitzung können individuelle Putztechniken und Mundhygienehilfsmittel besprochen und demonstriert werden. In diesem Zusammenhang sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine rezessionsanpasste Putztechnik als ein entscheidender Faktor für einen langfristigen Behandlungserfolg bei der chirurgischen Deckung von Rezessionen gilt [37].
Rezessionsbefund
Ein konventioneller Parodontalbefund mit der Erhebung von Sondierungstiefen vermag keine Aussagen über die Ausdehnung von Rezessionen und die mukogingivale Situation zu geben. Deshalb ist eine metrische Bestimmung der Rezessionen erforderlich, auch im Hinblick auf die spätere Beurteilung einer möglichen Progredienz durch einen Referenzstatus. Die Ausdehnung kann mittels einer Parodontalsonde bestimmt werden. Eine genauere Alternative stellt die Vermessung der Rezession mittels einer Schieblehre dar (Abb. 5), wobei verschiedene Punkte als Referenzpunkte dienen. Dies sind die Schneidekante/Kaufläche, die Schmelz-Zement-Grenze, die tiefste Stelle der Rezession und die mukogingivale Grenzlinie. Das Anfärben der Mukosa mit 3%iger Schiller’scher Jodlösung kann die Bestimmung der mukogingivalen Grenzlinie erleichtern. Es kommt zu einer typischen Braunverfärbung der glykogenreichen Alveolarmukosa. Die glykogenfreie keratinisierte Gingiva zeigt hingegen keine Verfärbung. Der Vollständigkeit halber sei hier erwähnt, dass sich das Anfärben mit der Schiller’schen Jodlösung natürlich bei einer vorliegenden Jodallergie verbietet.
Der Wert für die Längenausdehnung der Rezession sollte ebenso wie die vorliegende Miller-Klassifikation notiert werden, auch um Vergleiche zu einem späteren Zeitpunkt vornehmen zu können. Zur Dokumentation der Situation werden Situationsmodelle aus Gips hergestellt, klinische Fotos der Rezessionen komplettieren die Dokumentation. Diese Befunde und Unterlagen sollten bei allen Rezessionspatienten erhoben bzw. erstellt werden. Selbst wenn zum Zeitpunkt der Initialsitzung möglicherweise keine operative Deckung der Rezession indiziert ist, kann anhand der Dokumentation über die Jahre eine Verlaufskontrolle erstellt und eine mögliche Progression der Rezession beurteilt werden. Liegt eine Indikation für eine operative Deckung der Rezession vor und soll dabei ein Transplantat (s. a. Operationsverfahren) aus dem Gaumen entnommen werden, ist die Anfertigung einer Verbandplatte sinnvoll. Hierfür kann ebenfalls das Situationsmodell genutzt werden. Eine gesonderte Röntgendiagnostik ist bei Rezessionspatienten im Regelfall nicht erforderlich. Sind jedoch plastisch-parodontalchirurgische Maßnahmen im Bereich der unteren Eckzähne bzw. Prämolaren geplant, ist eine Panoramaaufnahme zur Lagebestimmung des Foramen mentale sinnvoll, um operative Nervläsionen zu vermeiden. Im Regelfall liegen bei Rezessionen sonst entzündungsfreie parodontale Verhältnisse vor. Sollten Anteile der marginalen Gingiva im Bereich der Rezession entzündlich sein, ist zunächst durch ein subgingivales Scaling und Root Planing ein entzündungsfreier Zustand herzustellen. Nach Festlegung des Operationsverfahrens ist mit dem Patienten ein entsprechendes Aufklärungsgespräch zu führen und zu dokumentieren. Zur Übersicht sind die Leistungsinhalte der Initialtherapie bei Rezessionspatienten in Tabelle 2 zusammengefasst.
Plastisch-parodontalchirurgische Therapie
Dem Praktiker steht zur Deckung von Rezessionen eine Vielzahl von Operationsverfahren zur Verfügung. Grob eingeteilt kann die Deckung mittels aus dem Gaumen entnommener freier subepithelialer Bindegewebstransplantate (BGT) oder über gestielte Lappen erfolgen. Auch eine Kombination beider Verfahren ist möglich. Darüber hinaus hat in den vergangenen Jahren die Rezessionsdeckung mittels Schmelz-Matrix-Proteinen im Sinne einer gesteuerten Geweberegeneration zunehmend an Bedeutung gewonnen.
Mögliche Operationsverfahren zur Rezessionsdeckung sind:
- die Verwendung freier subepithelialer Bindegewebstransplantate (BGT) mit gestielten Spaltlappen, wie z. B. koronal oder lateral verschobenem Spaltlappen, oder ein BGT in Kombination mit einem Spaltlappen im Sinne der Envelope-Technik
- gestielte Mukoperiostlappen wie der koronale Verschiebelappen oder der Rotationslappen
- Anwendung der gesteuerten Geweberegeneration mit Schmelz-Matrix-Proteinen oder resorbierbaren und nicht resorbierbaren Membranen
- Verwendung von Kollagen-Matrizes
Auf alle Operationsverfahren einzugehen, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Welches Verfahren letztlich gewählt wird, hängt von den anatomischen Gegebenheiten und den Wünschen des Patienten, aber auch von den Fertigkeiten des Operateurs und seiner Favorisierung eines Verfahrens ab. Wie bereits erwähnt, soll in diesem Artikel ausführlich auf die Rezessionsdeckung mittels freier autologer subepithelialer Bindegewebstransplantate eingegangen werden.
Autologe subepitheliale Bindegewebstransplantate
Das subepitheliale Bindegewebstransplantat (BGT) wird vielfach mit dem freien Schleimhauttransplantat (FST) verwechselt. Dieses unterscheidet sich jedoch sowohl in der Spenderregion und Entnahmetechnik als auch hinsichtlich der Indikation deutlich von dem subepithelialen Bindegewebstransplantat. Beide Transplantate müssen daher deutlich voneinander abgegrenzt werden. Das FST wird mitsamt dem bedeckenden Epithel in Höhe der Molaren am seitlichen Gaumendach entnommen. Es eignet sich jedoch in nur sehr geringem Maße zur Deckung von parodontalen Rezessionen. Seine Indikation liegt vielmehr in der Verbreiterung der keratinisierten Gingiva, wo es mit sehr guter Prognose zur Anwendung kommen kann [4,30]. Zur Deckung von Rezessionen mittels freier Transplantate stellt das autologe subepitheliale BGT eine bewährte Behandlungsoption dar. Bei der Gestaltung des Transplantatbetts bieten verschiedene Tunneltechniken hervorragende Voraussetzungen für einen dauerhaften Behandlungserfolg. Der Vorteil der Tunneltechniken liegt darin, dass auf vertikale Entlastunginzisionen verzichtet werden kann.
Den Klassiker der inzisionsfreien Techniken stellt die „Envelope-Technik“ dar, die von Raetzke 1985 erstmals beschrieben und seitdem von verschiedenen Autoren modifiziert wurde [25]. Entscheidend für den Behandlungserfolg ist bei diesem Verfahren die gute Blutversorgung des aus dem Gaumen entnommenen Transplantats. Diese wird durch die Bildung eines Spaltlappens gewährleistet. So erfolgt die Blutversorgung zum einen über das auf dem Knochen belassene Periost, zum anderen durch den Spaltlappen, der das Transplantat zu einem großen Teil bedeckt. Durch dieses Verfahren können – eine entsprechende Tunnelierung vorausgesetzt – auch mehrere nebeneinander liegende Rezessionen gleichzeitig gedeckt werden [28,35]. Die Verwendung des subepithelialen BGT ist bei den Miller-Klassen I und II indiziert. Hier kann eine komplette Deckung der Rezession erwartet werden. Die Rezessionsdeckung durch autologe subepitheliale BGT bietet einige Vorteile:
- auch langfristig dauerhafte Deckung
- gute Farbharmonie des eingeheilten Transplantats
- deutliche Zunahme der keratinisierten Gingiva in Dicke und Breite
- einzeitiges Verfahren, keine Folgeoperation erforderlich
- Kombination mit anderen Verfahren ist möglich
- Deckung mehrerer Rezessionen ist möglich
- geringe Kosten
Diesen Vorteilen stehen als Nachteile gegenüber:
- zwei Wundbereiche (Entnahmeregion und Empfängerregion)
- Limitierung der Transplantatgröße
- operationstechnisch schwierig
Operationsschritte
Gestaltung des Transplantatbettes
Bei der Gestaltung des Transplantatbettes können verschiedene Techniken zur Anwendung kommen. Die Envelope- Technik als das klassische Verfahren wurde seinerzeit in Deutschland von Raetzke 1985 erstmals beschrieben [25]. Bei diesem Verfahren wird über eine von der Rezession ausgehende sulkuläre Inzision eine unterminierende supraperiostale Präparation durchgeführt. Dadurch entsteht zwischen der Schleimhaut und dem Periost eine Schleimhauttasche, in die das BGT eingebracht werden kann. Die Ernährung des Transplantats erfolgt über das Periost und die Lappeninnenseite. Da die rezessionsdeckenden Anteile des Transplantats bei diesem Verfahren freiliegen, ist eine entsprechend weite Ausdehnung der Schleimhauttasche wichtig, um ein günstiges Verhältnis zu den ernährenden Gewebsanteilen zu gewährleisten. Zur Vermeidung von Nekrosen sollte eine Deckung von 7/8 des Transplantats angestrebt werden [9].
Die Envelope-Technik wurde durch verschiedene Autoren modifiziert. Bruno stellte 1994 eine Technik vor, bei der die Weichgewebstasche durch horizontale Inzisionen in Höhe der Schmelz-Zement-Grenze nach mesial und distal erweitert wird [5]. Mit dieser Modifikation werden sowohl die Platzierung des Transplantats als auch die Spaltlappenbildung erleichtert. Durch eine Präparation des Spaltlappens über die mukogingivale Grenzlinie hinaus lässt sich zudem eine erhöhte Mobilität des Spaltlappens nach koronal erreichen. Dieses Verfahren ist daher besonders für ausgedehntere Rezessionen geeignet. Durch die Anwendung der Envelope-Technik an mehreren benachbarten Rezessionen mit unterminierender Spaltlappenpräparation auch unterhalb der Papillen kann ein tunnelförmiges Transplantatbett für ein entsprechend langes BGT gebildet werden (Abb. 6) [28,35]. Eine ausreichend weite Präparation über die mukogingivale Grenze hinaus und die Verwendung von Aufhängenähten mit Koronalverlagerung der Gewebe minimieren freiliegende BGT-Anteile und die damit verbundene Gefahr von Transplantatnekrosen [38,39]. Idealerweise werden die beschrieben Techniken mit einem mikrochirurgischen Instrumentarium durchgeführt.
Entnahme des Transplantats
Als Entnahmestellen für subepitheliale Bindegewebstransplantate kommen grundsätzlich der seitliche Gaumen, der Tuber maxillae und der retromolare Bereich des Unterkiefers in Betracht. Bei der Entnahme am Gaumen müssen die arteriellen und nervalen Strukturen am Foramen palatinum und Foramen inzisivum unbedingt berücksichtigt und entsprechend geschont werden. Die Entnahme sollte daher auf den Bereich zwischen den seitlichen Schneidezähnen und der Region mesial von 16 und 26 beschränkt werden. Eine Extension nach distal ist aufgrund der Schwere der Komplikation bei Verletzung der Arteria palatina unbedingt zu vermeiden.
Zur Entnahme des subepithelialen Bindegewebstransplantats gibt es verschiedene Techniken, die sich grob in die Verfahren mit einer und mit zwei Inzisionen unterscheiden lassen. Eine elegante Methode zur Transplantatentnahme ist die Single-Incision-Technik, mit der die Entnahmemorbidität verringert werden soll. Dieses 1999 von Hürzeler und Wenig vorgestellte Verfahren bietet den Vorteil [11], dass im Regelfall eine Heilung der Gaumenwunde per primam möglich ist. Dabei wird in einer Distanz von ca. 2 Millimeter von der Schmelz-Zement-Grenze ein Schnitt vom seitlichen Schneidezahn bis mesial von den Zähnen 16/26 geführt, auf eine Skalpellführung senkrecht zur Oberfläche ist zu achten. Anschließend wird durch die unterminierende Präparation der Gaumenschleimhaut ein Spaltlappen gebildet. Dabei hat sich für das Skalpell die Verwendung der Klingenform Nr. 15 (geballt) bewährt. Bei ausreichender Ausdehnung der Horizontalinzision nach mesial ist es dann problemlos möglich, den äußeren Anteil abzuklappen, sodass sich eine direkte Einsicht auf das zu entnehmende Transplantat ergibt. Mittels eines Raspatoriums kann dann das Transplantat mitsamt dem Periost abgehoben (Abb. 7) und scharf mit dem Skalpell herausgelöst werden. Eine etwa 1 Millimeter nach apikal verlagerte Umschneidung zur Transplantatentnahme fördert das Ziel einer primär heilenden Wunde im Spenderareal [11,40].
Platzierung des Transplantats bei der Envelope-Technik
Bevor das Transplantat platziert werden kann, müssen zervikale Füllungen oder kariöse Läsionen im Bereich der Rezession entfernt und Kanten geglättet werden. Dazu sind die Wurzelanteile einem sorgfältigen Scaling und Root Planing zu unterziehen. Das Transplantat kann nach der bereits beschriebenen Entnahme auf einer sterilen Glasplatte beschnitten werden (Abb. 8, 9). Es sollte eine Dicke von ca. 1,5 Millimeter haben. Anteile von Drüsen- oder Fettgewebe werden vor der Transplantation entfernt. Bei der Platzierung scheint es für das Behandlungsergebnis unbedeutend zu sein, ob das Transplantat mit der Periostseite dem Weichgewebe oder der Wurzeloberfläche zugewandt eingebracht wird [2]. Das Transplantat sollte nach der Platzierung in Höhe der Schmelz-Zement-Grenze abschließen und entsprechend fixiert werden, wobei die Fixierung durch monofile Nähte (Stärke 6-0 oder 7-0) oder Gewebekleber möglich ist. Bei der Anwendung des Gewebeklebers ist unbedingt darauf zu achten, dass dieser nicht zwischen das Transplantat und den Spaltlappen gelangt. Dazu empfiehlt es sich, vor der Anwendung des Gewebeklebers das Transplantat mittels eines angefeuchteten Tupfers im Transplantatbett eng an den Spaltlappen und die Unterseite zu adaptieren und den Gewebekleber stets in nur sehr geringen Mengen anzuwenden. Bei der Anwendung des Gewebeklebers müssen Mitarbeiter und Patient unbedingt einen Augenschutz in Form einer Schutzbrille tragen. Wird mit der Modifikation nach Bruno eine leicht koronale Fixierung des Spaltlappens angestrebt, ist die Fixierung über eine Nahtversorgung dem Kleben vorzuziehen (Abb. 10).
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Abb. 8: Subepitheliales Bindegewebstransplantat auf einer Glasplatte nach Entnahme.
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Abb. 9: Zurechtschneiden des Transplantats auf einer sterilen Glasplatte.
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Abb. 10: BGT an 22, 23 in situ; Haltenähte zum Verschluss der Gaumenwunde an den Zähnen 24, 25.
Bindegewebstransplantat in Kombination mit koronalem Verschiebelappen
Die Rezessionsdeckung ist grundsätzlich auch mit einem koronalen Verschiebelappen allein – ohne subepitheliales BGT – möglich. Dieses Verfahren zeigt jedoch eine höhere Rezidivierungsquote [7,14]. Sehr gute Behandlungsresultate zeigt hingegen der koronale Verschiebelappen in Kombination mit der Platzierung von subepithelialen BGT [18,23]. In Gegensatz zum originären koronalen Verschiebelappen wird bei der Kombinationstechnik eine reine Spaltlappenbildung angestrebt, um eine optimale Ernährung des Transplantats zu gewährleisten. Aufgrund der zu erwartenden postoperativen Schrumpfung empfiehlt sich vor der Fixierung des Verschiebelappens die Platzierung des Transplantats etwa 1 Millimeter koronal der angestrebten Deckung [22]. Für ein optimales Behandlungsresultat sollte der Lappen spannungsfrei in der gewünschten Position fixiert werden [1,21].
Wundversorgung und Nachsorge
Der Nahtverschluss am Gaumen erfolgt mit komprimierenden Nähten. So wird die Blutstillung und die primäre Heilung der Gaumenwunde unterstützt. Darüber hinaus empfiehlt sich die regelhafte Anfertigung einer Verbandplatte in Form einer Tiefziehschiene, die vom Patienten bei Bedarf getragen werden kann. Vor allem bei verspätet eintretenden postoperativen Nachblutungen stellt sie ein wirksames Hilfsmittel zur Blutstillung dar. Zudem schützt die Verbandplatte die Gaumenwunde vor mechanischen Irritationen und reduziert so die postoperativen Beschwerden. Wichtig ist zudem eine umfassende Information des Patienten über postoperative Verhaltensweisen. Der Patient wird angewiesen, im Bereich des Transplantats für drei Wochen keine Mundhygienemaßnahmen mittels Zahnbürste oder anderer Hilfsmittel durchzuführen. Während dieser Zeit soll der Patient zweimal täglich mit einer Chlorhexidindigluconat-haltigen Mundspüllösung spülen, wobei besonders auf eine ausreichend lange Dauer der Mundspülung von mindestens einer Minute hingewiesen werden sollte. Darüber hinaus sollte dem Patienten ein Analgetikum zur Linderung der postoperativen Beschwerden mitgegeben bzw. verordnet werden.
Langzeitprognose
Die Langzeitergebnisse der hier beschriebenen Techniken wurden in einer Vielzahl von Studien untersucht. Wenngleich die Ergebnisse der einzelnen Studien variieren, so kann auch die langfristige Deckung mit einer Deckungsrate zwischen 70 und 99 % als sicher beurteilt und vorhergesagt werden [6,18,23,27]. Dieses stimmt überein mit den Erfahrungen der Autoren, die diese Verfahren seit Jahren erfolgreich anwenden. Hier sei beispielhaft auf die Abbildungen 11 und 12 verwiesen – die dort gezeigte parodontale Rezession wurde mittels eines autologen subepithelialen BGT gedeckt.
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Abb. 11: Ausgeprägte Rezession an Zahn 23 mit Stillman-Cleft, Zustand vor der Behandlung.
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Abb. 12: Behandlungsergebnis 6 Jahre post op nach Deckung mit Bindegewebstransplantat und neuer prothetischer Versorgung.
Zusammenfassung
Nicht jede parodontale Rezession bedarf einer plastisch-parodontalchirurgischen Deckung. Den Maßnahmen der plastischen Parodontalchirurgie hat daher eine entsprechende Diagnostik und Dokumentation vorauszugehen. Ist eine Deckung jedoch indiziert, steht eine Vielzahl von bewährten Operationsverfahren zur Verfügung. Die Verwendung von autologen subepithelialen BGT hat sich dabei bewährt. Modifizierte Verfahren erlauben zudem die simultane Deckung multipler benachbarter Rezessionen mit einem Eingriff. In diesem Zusammenhang muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass noch eine Vielzahl weiterer Verfahren, wie z. B. die regenerativen Verfahren, zur Verfügung stehen. Dem interessierten Leser sei zur weiteren Vertiefung daher die einschlägige Fachliteratur empfohlen.

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