Auswirkungen einer Parodontitis auf Schwangerschaft und Geburt

Die ständig wachsende wissenschaftliche Evidenz über die engen Beziehungen der medizinischen Teildisziplinen spart auch die Zahnheilkunde nicht aus. Immer mehr wird das wahre Ausmaß der systemischen Wechselwirkungen der pathogenen Prozesse der Mundhöhle erkannt und damit deren medizinischer Stellenwert erhöht, wie der folgende Beitrag anhand eines Überblicks erläutert. Aufgrund der hohen systemischen Auswirkung parodontaler Geschehnisse plädieren die Autoren gleichzeitig für eine Ausweitung des Behandlungsumfanges bereits in der Schwangerschaft u. a. auch durch die erhöhte Zusammenarbeit von Gynäkologen und Zahnärzten in der Form, wie sie beispielhaft bei ihnen gestaltet wird.
Vielfach wird heute noch die Bedeutung der Mundgesundheit unterschätzt. Über die lokalen Probleme mangelhaften Zahnbestandes und entzündlicher Erscheinungen hinaus, wie die Beeinträchtigung der Kaufunktion und die Beeinflussung der Sprach- und Sprechweise sowie des Aussehens, muss an die diversen gesamtgesundheitlichen Nachteile und die daraus oft folgenden psychischen Beeinträchtigungen bis hin zum Verlust von sozialer Akzeptanz gedacht werden. Insbesondere die systemischen Auswirkungen einer unbehandelten Parodontitis marginalis wurden vielfach untersucht. So wurden Zahnbetterkrankungen als mit auslösend erkannt bei Diabetes mellitus1 und Schwangerschaftsdiabetes9, Atherosklerose2, Herzinfarkt3, Schlaganfall4, Lungenentzündung5, Präeklampsie11, untergewichtigen Frühgeburten6,37,38,39,40,41 sowie rheumatoider Arthritis7,8.
Die lange bekannten Einflussfaktoren auf die Mundgesundheit10 erhalten angesichts der zunehmenden Erkenntnisse über die systemischen Zusammenhänge sowie im Zuge neuer Möglichkeiten der Zusammenarbeit verschiedener Fachdisziplinen ein sehr viel größeres Gewicht. Da die Rolle der Eltern bei der Gesundheitserziehung ihrer Kinder und speziell die der Mutter als Hauptquelle der Keimübertragung auf das Kind bekannt ist42,43,44,45,46,47, fällt bereits dem Gynäkologen während der Schwangerschaft eine gesundheitsfördernde Aufgabe außerhalb seines Fachgebietes zu. Die zahnärztliche Aufklärungsmöglichkeit ist bereits deshalb sehr eingeschränkt, weil 38 % der Frauen während der gesamten Schwangerschaft nicht zum Zahnarzt gehen (1985 waren das sogar noch 51 %)12.
Systemische Bedeutung der Parodontitis
Durch eine unbehandelte Parodontitis kommt es zur Streuung sowohl von Bakterien und bakteriellen Stoffwechselprodukten16 als auch von körpereigenen entzündungsfördernden Botenstoffen in die Blutbahn13,14,15. Das hochempfindliche Creaktive Protein (CRP) ist als systemischer Entzündungsmarker bei einer aktiven Parodontitis erhöht17,18,19, wobei der CRP-Spiegel mit dem Schweregrad der Parodontitis korreliert20. Nach einer systematischen Parodontalbehandlung fallen der CRP-Spiegel24,21,25 wie auch die Serumspiegel verschiedener anderer Entzündungsmediatoren wieder ab13,21,22,23,14.
Speziell während der Schwangerschaft können Bakterien oder die unter einer Entzündung entstehenden Botenstoffe unerwünschte Effekte hervorrufen. So sind das Prostaglandin E2 (PGE2) und der Tumornekrosefaktor alpha (TNF-?) als Botenstoffe einer Entzündung auch wesentlich am Verlauf der Schwangerschaft, der Wehentätigkeit und dem Geburtsablauf beteiligt26. Ein denkbarer Pathomechanismus, ausgelöst durch die bakterielle Präsenz im Uterus, ist die Freisetzung von Matrixmetalloprothease (MMP, als Kollagenase für das Lösen der Plazenta verantwortlich) sowie PGE2 und TNF-? mit der Folge der Kontraktion der glatten Uterusmuskulatur und damit der vorzeitigen Wehentätigkeit26. Schon länger war bekannt, dass parodontalpathogene Keime plazentagängig sind und so die fetale Membran infizieren können28. Bereits bei Frühgeborenen konnte ein signifikant höherer Wert von anti-IgM gegen Prevotella intermedia nachgewiesen werden. Ebenso wurde das Fusobakterium nucleatum als Auslöser für Frühgeburten ausgemacht28. Aber auch die im Blut zirkulierenden Entzündungsmediatoren für sich allein können Kontraktionen der Uterusmuskulatur auslösen27.
Die hämatogene Translokation oraler Mikroorganismen konnte im Tierversuch nachgewiesen werden: Trächtigen Mäusen wurde Speichel von Parodontitispatienten oder mit subgingivaler Plaque versetzte Kochsalzlösung in die Schwanzvene gespritzt. Nach 24 Stunden fand sich in den entnommenen Plazenten exakt das gleiche Keimspektrum wie im infektiösen Agens. Bestimmte Bakterienarten hatten sich sogar aufgrund der Immunsuppression in der Plazenta enorm angereichert29.
Andere Forschungen ergaben, dass orale Keime über die parodontalen Blutgefäße in die systemische Zirkulation gelangen, wobei das Ausmaß dieser Bakteriämie mit dem Schweregrad der Parodontitis korreliert. In der Blutbahn und in der Leber wird dann die Synthese weiterer Entzündungsmediatoren stimuliert30,16. So verursacht die Parodontitis einen chronischen unterschwelligen systemischen Entzündungszustand. Eine mittelschwere Parodontitis im voll bezahnten Gebiss entspricht tatsächlich einer handtellergroßen Wunde.
Mundhöhle als Quelle intrauteriner Infektionen
Nicht nur für die Zahnmediziner, gerade für die Frauenheilkundler sind die gefundenen Zusammenhänge zwischen den entzündlichen Vorgängen in der Mundhöhle und den intrauterinen Infektionen von großer Bedeutung und enorm hilfreich, geben sie doch teilweise Erklärungen für die unkalkulierbaren Gestosen (Schwangerschaftskomplikationen unbekannter Genese). Bislang wurden aufsteigende Infektionen des unteren Genitaltraktes als einzige Ursache von intrauterinen Infektionen mit der Folge von Frühgeburten angesehen. Seitdem aber orale Bakterienarten bei intrauterinen Infektionen gefunden wurden und selbst Vaginosen häufiger bei Frauen mit Parodontitis als bei Frauen ohne diese gefunden wurden, ist die Mundhöhlenpathologie ernsthaft ins Blickfeld der Gynäkologen gerückt.
Der Zusammenhang zwischen Parodontitiden und zu geringem Geburtsgewicht (unter 2.500g) wurde durch vielfältige Studien nahegelegt. So wurde in einigen Fallkontrollstudien und einer prospektiven Untersuchung herausgefunden, dass schwere Parodontalerkrankungen der werdenden Mutter das Risiko für zu geringes Geburtsgewicht bis um das 7-Fache erhöhen53,54,55,6.
Parodontale Intervention vermindert Frühgeburtsrisiko
Vorläufige Interventionsstudien belegen weiterhin, dass das Frühgeburtsrisiko nach parodontaler Sanierung abnehmen kann56,57. Bei 74 Schwangeren, deren Parodontalerkrankung behandelt wurde, nahm die Frühgeburtenrate signifikant um das 3,8-fache ab und die klinischen parodontalen Erscheinungen verbesserten sich ebenso signifikant (geringere Taschentiefen, geringere Belagbildung, geringere Blutungsneigung, Abnahme bestimmter Leitkeime). Die parodontale Intervention in der Schwangerschaft erwies sich zudem jeweils als sicher. In einer Kontrollgruppe parodontal erkrankter Schwangerer, die nicht parodontal behandelt wurden, konnten hingegen als Folge der schwangerschaftsbedingten hormonellen Umstellung signifikant zunehmende Taschentiefen, eine vermehrte Belagbildung und eine insgesamt beschleunigte Progredienz der Parodontitis beobachtet werden56.
Eine weitere Studie57 untersuchte 872 parodontal erkrankte wie parodontal gesunde Schwangere in der 6. bis zur 20. Schwangerschaftswoche. Die Frühgeburtenrate bei den parodontal Erkrankten lag mit 23,4 % erheblich über der Rate der parodontal Gesunden, die bei nur 7,2 % lag. Bei 160 dieser Schwangeren mit Parodontalerkrankung wurde eine parodontale Intervention durchgeführt und nachuntersucht, ob diese erfolgreich war oder nicht. Von 111 erfolglos parodontalbehandelten Schwangeren hatten 62,2 % eine Frühgeburt, während bei 49 Schwangeren mit erfolgreicher parodontaler Intervention die Frühgeburten nur noch in 8,2 aller Fälle auftraten.
Diese Studien untermauern den eindeutigen Nutzen einer frühzeitigen und sorgfältigen Parodontaltherapie, um das Frühgeburtsrisiko zu senken, geben aber auch Anlass zu weiteren Forschungsanstrengungen auf diesem Gebiet. So ist nach wie vor die Parodontitis als alleiniger Risikofaktor nicht sicher belegt. Widersprüchlichkeiten zwischen verschiedenen Studienergebnissen können durch unterschiedliche Definitionen der Parodontitis ebenso entstehen wie durch unterschiedliche Festlegung des Frühgeburtszeitpunktes.
Einfluss der Schwangerschaft auf Mundhöhle
Eine mangelhafte Mundgesundheit stellt nicht nur ein Risiko für die Schwangerschaft dar, sondern umgekehrt kann auch die Schwangerschaft negative Veränderungen in der Mundhöhle auslösen, bedeutet also selbst ein Risiko für die Mundgesundheit. Die in der Schwangerschaft deutlich erhöhten Östradiol-Spiegel fördern die Aktivität des Streptococcus mutans als Hauptkarieskeim, weil dieser das Hormon verstoffwechselt. Die Hormonumstellung führt ebenso zu einer stärkeren Durchblutung des Bindegewebes, was der Gingivitis und Parodontitis Vorschub leistet. Ein verändertes Ernährungsverhalten in der Schwangerschaft sowie das dann gehäufte morgendliche Erbrechen stellen einen erosiven Angriff auf die Zahnhartsubstanz dar32,33,34,35,36.
Ein erhöhter Streptococcus-mutans-Befall der Mutter ist wiederum die Hauptursache der frühkindlichen Karies (Early Childhood Caries, EEC). Je höher die Keimbelastung in der mütterlichen Mundhöhle ist, umso größer ist auch das Kariesrisiko des Kindes42,43,44,45,46,47. Hierüber wie auch über die massiv schädigende Wirkung kariogener sowie erosiver Getränke, die dem Säugling mit der Saugerflasche gegeben werden, besteht also intensiver Aufklärungsbedarf bereits während der Schwangerschaft12,48,49,50. Dieser sollte aus Gründen der Effizienz sowohl von Zahnärzten wie auch von Frauenärzten gedeckt werden. Der Schwerpunkt dieser Aufklärungsarbeit muss bei Familien mit niedrigem Sozialstatus und solchen mit Migrationshintergrund liegen, weil die Kariesprävalenz der Kinder dieser Schichten fast doppelt so hoch ist wie bei Kindern mit einem sozial hohen Status51. Aus der beobachteten Stagnation des Kariesrückganges im Milchgebiss in Verbindung mit einer ausgeprägten Polarisation und hoher Prävalenz früher Kariesstadien folgt die Forderung nach neuen Konzepten und der frühkindlicher Betreuung52.
Mutterschaftsrichtlinie für Gynäkologen
Die Beachtung der Mundgesundheit der Schwangeren durch die Gynäkologen findet bereits seit 1985 in der Mutterschaftsrichtlinie des damaligen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen ihren Niederschlag. Dort heißt es: „Darüber hinaus soll der Arzt im letzten Drittel der Schwangerschaft bedarfsgerecht über die Bedeutung der Mundgesundheit für Mutter und Kind aufklären.“ Selbst in der letzten Fassung dieser Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 18. Februar 2010 ist dieser Passus unverändert geblieben und auch kein weiterer zur Mundgesundheit hinzugekommen. Festzustellen ist, dass eine bedarfsgerechte Aufklärung über die Bedeutung der Mundgesundheit durch den Gynäkologen allein nicht erfolgen kann, da dieser weder die Möglichkeit der Untersuchung noch die Kenntnisse dazu hat, um den jeweiligen Bedarf seiner Schwangeren erkennen zu können. Hinzu kommt, dass eine möglicherweise notwendige Intervention bei festgestellter Parodontitis im letzten Schwangerschaftsdrittel eindeutig viel zu spät kommt, da dann die Auswirkungen einer Bakteriämie oraler Keime nicht mehr wirksam verhindert werden können. Wenn keimreduzierende Maßnahmen erforderlich sind, dann sollten sie so früh wie möglich und spätestens im zweiten Schwangerschaftsdrittel begonnen worden sein.
Es darf daher nicht verwundern, wenn sich Schwangere zum wichtigen Thema Mundgesundheit bislang nicht ausreichend informiert fühlen. Laut Umfrage werden 86,9% der Schwangeren weder vom Frauenarzt, noch vom Zahnarzt über die Notwenigkeit der Keimreduzierung informiert12. Gleichzeitig äußern 82,2% der Schwangeren einen Informationsbedarf über die Auswirkungen des eigenen Gebisszustandes auf den des Kindes. Durch die fehlende Fachkompetenz des Frauenarztes in Bezug auf die Mundhöhle und die fehlende Interventionsmöglichkeit des in der Schwangerschaft oft gemiedenen Zahnarztes oder möglicherweise auch dessen Unterschätzung der Wichtigkeit einer konsequenten Parodontitistherapie in der Schwangerschaft bleibt die hohe Motivierungssensibilität der Schwangeren31 bislang meist ungenutzt.
Zusammenarbeit der Teildisziplinen erforderlich
Unserer Erfahrung nach ist die Mutterschaftsrichtlinie wie geschildert durch die Gynäkologen allein nicht erfüllbar. Deshalb haben wir uns der seit 2008 im Rahmen des so genannten Claridentis-Programms (Vertrag zur Integrierten Versorgung) fachübergreifenden Zusammenarbeit von Frauen- und Zahnärzten angeschlossen. Im Rahmen dieses Programms regelt eine gemeinsame Leitlinie die Zusammenarbeit der beiden Fachdisziplinen in Bezug auf die gemeinsame Betreuung von Schwangeren. Danach beginnt die frauenärztliche Beratung über die Risiken unbehandelter Munderkrankungen für die Schwangere wie auch für das werdende Kind bereits im 1. Trimenon und damit weit früher als in der Mutterschaftsrichtlinie gefordert. Der Gynäkologe fragt die Schwangere nach den ihr bekannten Problemen in der Mundhöhle und weist sie sowohl auf die durch jede Schwangerschaft verstärkten negativen Auswirkungen hoher Keimzahlen in ihrem eigenen Munde als auch auf die unerwünschte frühzeitige Übertragung dieser Keime auf den Säugling hin.
Da der Gynäkologe den bedarfsgerechten Behandlungsaufwand nicht selbst beurteilen kann, überweist er die Schwangere zu einem dem Claridentis-Progamm angeschlossenen Zahnarzt. Zu diesem Zwecke gibt er der Schwangeren einen Dokumentationsbogen mit, auf dem er seine Beratungsinhalte sowie für den Zahnarzt relevante gesundheitliche Details vermerkt. Nach eigener entsprechender Befundaufnahme entscheidet der Zahnarzt danach über die bedarfsgerechten Behandlungsmaßnahmen. Je nach Zahn- und Parodontalbefund sowie Zeitpunkt der Schwangerschaft können diese Maßnahmen von der einfachen Zahnreinigung über notwendige Zahnrestaurationen zur Schaffung der Hygienefähigkeit bis hin zur systematischen Parodontitistherapie reichen. Bei allen zahnärztlichen Maßnahmen werden die medizinischen Besonderheiten während der Schwangerschaft berücksichtigt. Die frauenärztliche Beratung über den Wert der Keimreduzierung und Entzündungsbeseitigung wird vom Zahnarzt fortgesetzt und verstärkt. Der Zahnarzt vermerkt abschließend auf dem Dokumentationsbogen die gestellten zahnmedizinischen Diagnosen, die von ihm durchgeführten Beratungs- und Behandlungsleistungen und ggf. die Notwendigkeit der Wiedervorstellung der Patientin zu einem späteren Zeitpunkt während oder nach der Schwangerschaft. Durch die Rückführung des Dokumentationsbogens an den Frauenarzt hat dieser eine weitere Möglichkeit, die Patientin auch im weiteren Verlauf der Schwangerschaft zur ggf. notwendigen weiterführenden zahnärztlichen Behandlung zu motivieren.
Danksagung: Die Autoren danken Herrn Prof. Dr. Hüsamettin Günay, Klinik für Zahnerhaltung, Parodontologie und Präventive Zahnerhaltung der Medizinischen Hochschule Hannover, für seine umfangreiche wissenschaftliche Beratung und Unterstützung. |