Zahngesundheit bei Adipositas im Kindes und Jugendalter

Immer mehr Kinder und Jugendliche sind übergewichtig oder adipös. Neben den bekannten allgemeinmedizinischen Folgen – wie z. B. Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes – und psychosozialen Schwierigkeiten kann Übergewicht auch zu zahnmedizinischen Problemen führen. Nach aktueller Studienlage scheint es Zusammenhänge zwischen Adipositas und Karies bzw. Erosionen zu geben; auch scheinen sich Parodontitis und Übergewicht gegenseitig zu beeinflussen. Die Autorinnen diskutieren die Studienlage und erläutern mögliche gemeinsame Risikofaktoren für Adipositas und zahnmedizinische Erkrankungen.
Zwischen 1990 und 2010 stieg der Anteil übergewichtiger und adipöser Kinder und Jugendlicher in den Industrieländern von 4,2 % auf 6,7 % an. Weltweit entspricht dies einer Summe von 43 Millionen Kindern [35]. Die Klassifizierung des Gewichts erfolgt bei Kindern und Jugendlichen über alters- und geschlechtsabhängige Grenzwerte, den BMI (Body Mass Index)-Perzentilen: Kinder zwischen der 90. und 97. BMI-Perzentile gelten nach Definition der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter als übergewichtig, Kinder mit Werten oberhalb der 97. als adipös [23].
Ätiologisch liegt Adipositas ein Ungleichgewicht zwischen Energiezufuhr und -verbrauch zugrunde, welches in einem pathologisch erhöhten Körperfettanteil resultiert [16,19,43]. Die erhöhte Kalorienzufuhr ist dabei auf die Ernährung mit hochkalorischen Lebensmitteln mit einem hohen Zuckerund Fettanteil sowie großen Portionen zurückzuführen [9].
Übergewicht und Karies
Bei Kindern zwischen 6 und 7 Jahren sind in Deutschland durchschnittlich zwischen 1,6 und 2,9 Milchzähne kariös, gefüllt oder aufgrund von Karies bereits verloren gegangen. Der Anteil von Kindern ohne Karieserfahrung liegt zwischen 34,9 % und 59,6 %. Besonders auffällig ist in diesem Alter der hohe Anteil nicht behandelter kariöser Milchzähne (Abb. 1 a u. b): Dieser lag 2004 deutschlandweit bei circa 50 %, im Bundesland Bremen sogar bei 60 % [36].
Im bleibenden Gebiss ist der durchschnittliche DMF-T-Wert bei den 12-Jährigen mit 0,7 Zähnen deutlich niedriger. Hier haben 70,1 % der Kinder (12 Jahre) und 46,1 % der Jugendlichen (15 Jahre) ein kariesfreies Gebiss. Dabei konzentrieren sich in der Gruppe der 12-Jährigen jedoch 61,2 % der Karieserfahrung auf 10,2 % der Kinder. Die starke Polarisierung des Kariesbefalls und eine hohe Rate initialkariöser Läsionen weisen darauf hin, dass bei Kindern und Jugendlichen weiterhin ein erheblicher präventiver Interventionsbedarf besteht [13].
Da niedermolekulare Kohlenhydrate als Substrat eine essentielle Rolle in der Ätiologie und Pathogenese der Karies spielen, wundert es kaum, dass einige Studien eine erhöhte Kariesprävalenz im Milchgebiss und der bleibenden Dentition von adipösen Kindern nachweisen konnten [19,33,40, 42,43]. Insgesamt ist die Studienlage bezüglich einer direkten Korrelation von kariösen Läsionen und Adipositas hingegen ambivalent: Während viele Studien über einen signifikanten Zusammenhang berichten [2,6,17,21,43–46], konnten andere Studien keinen [1,11,15,18,21] oder einen inversen Zusammenhang feststellen [21,24,38,39]. Vergleichende Übersichtsarbeiten sehen die Ursache für diese widersprüchlichen Ergebnisse u. a. in methodologischen Unterschieden: Studien, die standardisierte Indizes zur Erfassung des Übergewichts/ der Adipositas anwandten, zeigten im Gegensatz zu Studien mit nichtstandardisierten Indizes einen signifikanten Zusammenhang zwischen Übergewicht und Karies. Studien, die einen solchen Zusammenhang bestätigen, wandten zudem meist Untersuchungen und Indizes an, die auch initiale Läsionen mit einbeziehen. Am häufigsten konnte ein Zusammenhang zwischen Übergewicht und Karies in Studien aus Europa und den USA nachgewiesen werden. Studien aus Asien und Südamerika eruierten hingegen zumeist einen inversen Zusammenhang [19,21].
Aufgrund einer z. T. stark einseitigen Ernährung können jedoch auch Kinder mit Untergewicht eine höhere Kariesprävalenz aufweisen. Einige Studienergebnisse lassen sogar vermuten, dass diese Kinder und Jugendlichen sogar noch höhere DMF-S-Werte aufweisen könnten als übergewichtige und adipöse Kinder [21].
Als mögliche gemeinsame Risikofaktoren für die multifaktoriellen Erkrankungen Karies und Adipositas sind verschiedene Ernährungsfaktoren zu nennen: Kinder, die regelmäßig zuckerhaltige Getränke wie Limonade, Säfte oder gesüßte Tees zu sich nehmen, haben ein 1,7-fach erhöhtes Risiko, übergewichtig zu sein, und ein 2,3-fach höheres Risiko, Karies zu entwickeln [34,43]. Als mögliche weitere Einflussfaktoren der Ernährung auf die Kariesprävalenz und den -schweregrad werden ein geringerer Frucht- und Gemüseanteil der Ernährung [15,21] und die Häufigkeit und Menge des Zuckerkonsums [19] diskutiert. Darüber hinaus spielen auch der sozioökonomische Status [15,17,20,21,28], die Mundhygiene des Kindes [3], die genetische Prädisposition [19,26] und die Einstellung der Eltern zur Zahn- und Allgemeingesundheit [2,21] eine Rolle. Sowohl die Ernährung als auch die Mundhygiene beruhen häufig auf erlernten Verhaltensmustern und Gewohnheiten [3,4]: So konnten verschiedene Studien feststellen, dass die Mundgesundheit von Kindern und Jugendlichen mit dem Mundhygieneverhalten der Eltern korreliert [3,5,30,31].
Adipöse Patienten weisen zudem häufig eine verringerte Speichelfließrate auf. Es wird vermutet, dass diese Beobachtung auf chronischen Entzündungen der Speicheldrüsen beruht, die durch eine vermehrte Synthese proinflammatorischer Adipokine und Zytokine im Fettgewebe ausgelöst werden [29]. Eine Reduktion der Speichelfließrate könnte wiederum das Kariesrisiko der betroffenen Patienten erhöhen.
Übergewicht und Erosionen
Dentale Erosionen sind nichtkariöse Zahnhartsubstanzdefekte, die ohne Beteiligung von Mikroorganismen durch direkte Säureeinwirkung entstehen [37]. Abhängig von der Herkunft der einwirkenden Säure wird in der Ätiologie von Erosionen zwischen intrinsischen und extrinsischen Ursachen unterschieden: Zu den häufigsten intrinsischen Ursachen zählen Reflux und chronisches Erbrechen, z. B. bei Bulimie oder Alkoholabusus. Extrinsische Ursachen sind zumeist auf den häufigen Konsum säurehaltiger Getränke oder Lebensmittel wie z. B. Gemüse, Obst, Säfte oder Limonaden zurückzuführen [7]. Viele der erosiven Limonaden und Fruchtsäfte sind aufgrund ihres Zuckeranteils gleichzeitig hochkalorisch (Tab. 1), sodass der hochfrequente Konsum erosiver, zuckerhaltiger Getränke die Entstehung von dentalen Erosionen und von Übergewicht fördern kann.
Die Prävalenz erosiver Läsionen im Milchgebiss und in der bleibenden Dentition liegt bei Kindern im Alter von 2 bis 5 Jahren bei bis zu 80 % (Abb. 2). Adipöse Kinder (> 97. BMI-Perzentile) weisen mehr und schwerere Erosionen auf als normalgewichtige Kinder [41]. Bei jungen Erwachsenen konnte nachgewiesen werden, dass Patienten mit schweren Erosionen einen höheren Konsum von zuckerhaltigen Getränken, eine höhere Kariesprävalenz und einen höheren BMI aufweisen als Patienten ohne Erosionen [22]. Insgesamt liegen allerdings noch recht wenige Daten zum Zusammenhang von dentalen Erosionen und Übergewicht bzw. Adipositas vor, sodass keine abschließende Wertung getroffen werden kann.
Weitere Risiken: Traumata, Parodontitis, KFO
Neben einem erhöhten Risiko für Karies und Erosionen gefährdet Adipositas auch die allgemeine Mundgesundheit und birgt das Risiko für Folgeerkrankungen: Basha et al. zeigten, dass adipöse Kinder und Jugendliche ein 2,3-fach erhöhtes Risiko haben, ein dentales Trauma zu erleiden. Als Ursache hierfür werden Gleichgewichtsstörungen diskutiert [8].
Des Weiteren scheint die Prävalenz von Parodontitiden bei übergewichtigen Erwachsenen erhöht zu sein. Das Risiko steigt dabei mit ansteigendem BMI vom 1,3- bis auf das 8,6-Fache an [12]. Die zugrundeliegenden ätiologischen Mechanismen sind noch nicht vollständig verstanden; es wird allerdings vermutet, dass sich die Erkrankungen Adipositas und Parodontitis gegenseitig beeinflussen. Die Synthese von proinflammatorischen Adipokinen und Zytokinen sowie die bei Adipositas vorliegende veränderte Immunantwort erhöhen das Risiko, an Parodontitis zu erkranken. Umgekehrt kann z. B. die Synthese der proinflammatorischen Adipokine und Zytokine durch parodontopathogene Bakterien und Entzündungsmediatoren gefördert werden. Ob diese Erkenntnisse zur Ätiologie der Parodontitis bei adipösen Erwachsenen auch auf Kinder und Jugendliche zutreffen, ist noch unklar, da in dieser Altersgruppe aktuell nur wenige Daten vorliegen: Adipöse Jugendliche haben ein deutlich höheres Risiko an chronischer Parodontitis zu erkranken als normalgewichtige Jugendliche. Dabei scheint fast die Hälfte der adipösen Jugendlichen maximal einmal am Tag die Zähne zu putzen, sodass die Mundhygiene häufig schlechter ist als bei normalgewichtigen Kindern. Das Risiko, an Parodontitis zu erkranken, scheint bei adipösen Jugendlichen jedoch unabhängig von der individuellen Ausprägung der Adipositas zu sein. Für Kinder unter 13 Jahren liegen noch keine Daten bezüglich eines möglichen Zusammenhangs von Parodontitis und Adipositas vor [32].
Adipöse Kinder und Jugendliche weisen außerdem einen deutlich beschleunigten Wachstumsverlauf auf. Man geht davon aus, dass ein adipöses Kind im Alter von 13 Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit das Wachstumsmaximum bereits überschritten hat, wohingegen bei einem untergewichtigen Kind noch ein signifikanter Wachstumsschub erwartet werden kann. Diese Erkenntnis ist für die kieferorthopädische Behandlung relevant, da v. a. bei stark adipösen Kindern ein deutlich früherer Therapiebeginn nötig werden kann [27]. Adipöse Kinder zeigen sich während einer kieferorthopädischen Behandlung häufig weniger kooperativ, sodass zum Erreichen des Therapieziels mit mehr Terminen und einer insgesamt längeren Behandlungsdauer gerechnet werden sollte [10].
Neben diesen Auswirkungen auf den Mund- und Kieferbereich dürfen natürlich auch die bekannten internistischen und orthopädischen Folgeerkrankungen wie Diabetes, Arthrose und kardiorespiratorische Erkrankungen sowie mögliche psychosoziale Folgen der kindlichen und juvenilen Adipositas nicht außer Acht gelassen werden.

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