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Kinderzahnheilkunde

Wie nehmen Kinder mit MIH ihre Mundgesundheit wahr?

Das Krankheitsbild der Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) hat sich zu einem hochaktuellen Thema in der Zahnmedizin entwickelt. Dabei handelt es sich um einen qualitativen Defekt des Schmelzes, der klassischerweise an einem bis zu 4 ersten bleibenden Molaren mit oder ohne Einbezug der bleibenden Inzisiven auftritt. Der folgende Beitrag gibt eine kurze Übersicht zum Krankheitsbild und zeigt auf, wie betroffene Kinder ihre Mundgesundheit wahrnehmen.

. Dirk/AdobeStock
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Die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation beschreibt einen qualitativen Defekt des Schmelzes an einem bis zu 4 bleibenden ersten Molaren mit oder ohne Beteiligung der permanenten Inzisiven (Abb. 1 und 2) [1]. Charakteristisch sind Opazitäten, ggf. fortschreitende posteruptive Schmelzeinbrüche und das Auftreten von Hypersensibilitäten. Die Opazitäten variieren in ihrer Farbe von weiß über gelb zu braun.

Abb. 1: MIH bei einem 9,5-jährigen Patienten an Zahn 11. Dieser zeigt neben
einer abgegrenzten Opazität zusätzlich einen posteruptiven Schmelzeinbruch im
inzisalen Bereich. Dr. Bekes
Abb. 1: MIH bei einem 9,5-jährigen Patienten an Zahn 11. Dieser zeigt neben
einer abgegrenzten Opazität zusätzlich einen posteruptiven Schmelzeinbruch im
inzisalen Bereich.
Abb. 2: Bei dem Patienten aus Abbildung 1 ist im Oberkiefer auch Zahn 16 von
einer Hypomineralisation (in Form einer gelb-bräunlichen Opazität) betroffen. Dr. Bekes
Abb. 2: Bei dem Patienten aus Abbildung 1 ist im Oberkiefer auch Zahn 16 von
einer Hypomineralisation (in Form einer gelb-bräunlichen Opazität) betroffen.

Milde Formen sind lediglich durch Verfärbungen gekennzeichnet, schwere Hypomineralisationsformen weisen dagegen abgesplitterte oder fehlende Schmelz- und/oder Dentinareale auf. Je dunkler die Farbe der Opazität ist, desto weicher und poröser ist der Zahnschmelz und umso höher ist die Gefahr eines posteruptiven Substanzverlustes.

Neben dem möglichen Einbruch von Opazitäten ist das Auftreten von Hypersensibilitäten ein weiteres wichtiges klinisches Merkmal der MIH. Vor allem Molaren können oft stark temperatur- und berührungsempfindlich sein, unabhängig davon, ob sie einen Substanzdefekt aufweisen oder nicht. Die MIH kommt weltweit vor.

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Derzeit wird von einer durchschnittlichen Prävalenz von 13 bis 14% ausgegangen [3]. Die aktuelle V. Deutsche Mundgesundheitsstudie zeigt für Deutschland, dass sogar knapp 30% der 12-Jährigen betroffen sind [4]. Die möglichen Ursachen konnten bisher immer noch nicht abschließend geklärt werden [2,3].

In Abhängigkeit vom vorliegenden Schweregrad einer MIH variiert die zu favorisierende Therapie. Generell umfassen die Behandlungsoptionen bei betroffenen Molaren die Intensivprophylaxe, Versiegelungen, restaurative Maßnahmen bis hin zur Extraktion [4]. Unabhängig von der Schwere des Defektes sollten jedoch alle betroffenen Kinder in einem Intensivprophylaxe-Programm betreut werden.

Das Konzept der „mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität“

Wie von einer MIH betroffene Kinder ihre Mundgesundheit wahrnehmen, kann durch die Erfassung der sogenannten mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität (MLQ) dargestellt werden. Die Erfassung der subjektiv erlebten Lebensqualität von Patienten gewinnt in der (Zahn-)Medizin zunehmend an Bedeutung und ist in Ergänzung zu objektiven Parametern zu einem wichtigen Outcome-Kriterium bei der Beurteilung von Erkrankungen geworden. Sie bezieht neben den körperlichen Dimensionen von Gesundheit und Krankheit auch deren psychische und soziale Dimensionen mit ein.

Der Philosoph Arthur Schopenhauer schrieb hierzu bereits vor über 150 Jahren treffend: „Gesundheit ist zwar nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts!” Dieser Satz definiert zwar nicht Lebensqualität, bringt aber die Beziehungen von Lebensqualität und Gesundheit prägnant zum Ausdruck: Lebensqualität schließt mehr ein als nur Gesundheit. Gesundheit ist jedoch eine wesentliche Komponente und Bedingung von Lebensqualität und fehlende Gesundheit reduziert diese entscheidend.

Abb. 3: Mundgesundheitsbezogene Lebensqualität als Teil der gesundheitsbezogenen
Lebensqualität. Dr. Bekes
Abb. 3: Mundgesundheitsbezogene Lebensqualität als Teil der gesundheitsbezogenen
Lebensqualität.

Seit einigen Jahren gibt es auch auf Seiten der Zahnmedizin ein wachsendes Interesse an der Frage, ob und inwieweit die Lebensqualität eines Menschen durch seine oralen Erkrankungen eingeschränkt wird. In diesem Zusammenhang wurde der Begriff der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität (MLQ) inauguriert [5]. Sie stellt den Bereich der gesundheitsbezogenen Lebensqualität dar, der sich auf das stomatognathe System bezieht (Abb. 3) [6].

Die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität fokussiert darauf, den Einfluss einzelner oraler Faktoren auf die Hierarchie funktioneller, psychischer und sozialer Parameter zu beschreiben [6]. Sie beschreibt die Wahrnehmung der Mundgesundheit durch den Patienten, versucht also die subjektive Seite der Mundgesundheit zu charakterisieren.

Erfassung von mundgesundheitsbezogener Lebensqualität über Fragebögen

Die MLQ ist ein multidimensionales Konstrukt, welches nicht direkt gemessen, sondern nur in seinen Teilbereichen über Indikatoren abgebildet werden kann [7,8]. Um solche Konstrukte zu erfassen, müssen der Zielperson (in der Medizin dem Patienten) geeignete Fragen gestellt werden.

Während für Erwachsene seit mehreren Jahren die Messung der MLQ mittels geeigneter Fragebögen sehr gut möglich ist [9,10], hinkte die Entwicklung adäquater Instrumente für das Kindes- und Jugendalter lange Zeit hinterher. Eine Ausweitung der Forschung zur mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität auf Kinder und Jugendliche ist jedoch nicht nur aus konzeptioneller Sicht wünschenswert. Auch diese Altersklasse berichtet nicht selten über das Auftreten von einzelnen Symptomen oraler Erkrankungen, die das orale Wohlbefinden sowie soziale und physische Funktionen im Zusammenhang mit dem orofazialen System beeinflussen können [11].

Bei Kindern und Jugendlichen sollten daher Untersuchungen, die sich – ähnlich wie bei den Erwachsenen – mit der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität befassen, durchgeführt werden. Hier ist ein ebenso großer Umfang an Einschränkungen der Lebensqualität für das Kind, aber auch für die Familie als soziale Bezugsgruppe möglich [6]. Für Kinder im Alter ab 8 Jahren hat sich als Fragebogen der sogenannte Child Perceptions Questionnaire (CPQ) etabliert, welcher für 2 Altersklassen vorliegt: der CPQ 8–10 für die 8- bis 10-Jährigen und der CPQ11–14 für die 11- bis 14-Jährigen [12,13].

Für beide Fragebögen existiert auch eine validierte deutschsprachige Version [14,15]. Der CPQ-G 8–10 umfasst 25 Fragen und gliedert sich in 4 Domänen: orale Symptome, funktionelle Einschränkungen, soziales und emotionales Wohlbefinden. Jede Frage kann auf einer Mehrstufenskala beantwortet werden, die folgende Abstufungen umfasst: „nie“ = 0, „kaum“ = 1, „ab und zu“ = 2, „oft“ = 3 und „sehr oft“ = 4.

Die Summe aller 25 Item-Antworthäufigkeiten wird als Gesamtwert des CPQ-G eingesetzt. Theoretisch sind Summenwerte von 0–100 möglich. Ein kleiner CPQ-Summenwert steht für eine subjektiv positiv erlebte MLQ mit wenigen Einschränkungen, ein großer Wert für eine stark beeinträchtigte Lebensqualität im Mundbereich.

MIH schränkt mundgesundheitsbezogene Lebensqualität stark ein

In einer kürzlich publizierten Studie wurde die MLQ von Kindern mit einer MIH der von gesunden Kindern gegenübergestellt und zusätzlich der Einfluss des Schweregrads der MIH auf die MLQ bewertet [16]. Dazu wurden 188 Kinder im Alter von 8–10 Jahren rekrutiert, von denen die Hälfte Kreidezähne aufwies. Diese wurden gebeten, den CPQ 8–10 Fragebogen auszufüllen.

Es zeigte sich, dass der mittlere Summenwert bei den MIH-Kindern signifikant höher lag als bei Kindern ohne MIH (13,87 [± 8,91] vs. 4,20 [± 3,74]; p < 0,0001). Dies legt deutlich dar, dass sich das Krankheitsbild negativ auf die subjektiv erlebte Mundgesundheit auswirkt: Die Werte sind mehr als 3-fach erhöht.

Die Scores der Einzeldimensionen des CPQ-G 8–10 folgten dem gleichen Muster. Die höchsten Werte wurden in der Kategorie „orale Symptome“ registriert, die u.a. Fragen zur Häufigkeit von Schmerzen umfasste. Im Einzelnen zeigte der Vergleich folgende Scores: Orale Symptome (6,88 [± 3,76] vs. 2,29 [± 2,60]), funktionelle Einschränkungen (2,35 [± 2,36] vs. 0,88 [± 1,35]), emotionales Wohlbefinden (2,91 [± 3,23] vs. 0,66 [± 1,24]) und soziales Wohlbefinden (1,72 [± 2,62] vs. 0,38 [± 0,96]) waren bei MIH-Patienten signifikant erhöht (p < 0,001, t-Test).

Außerdem wiesen weibliche MIH-Patienten einen höheren Gesamtwert auf als männliche (15,96 [± 9,99] vs. 11,79 [± 7,20]), was statistisch signifikant war. Was den Schweregrad anbelangt, so zeigte sich auch hier, dass sich die erlebte Mundgesundheit mit zunehmender Schwere der Erkrankung weiter verschlechtert.

Die 5 von MIH-Patienten am häufigsten angekreuzten Aussagen waren „Schmerzen oder Empfindlichkeit gegenüber kalten Getränken und Lebensmitteln“, „Mundgeruch“, „Schmerzen in den Zähnen oder im Mund“, „benötigte länger als andere, um eine Mahlzeit zu mir zu nehmen“ und „war wegen der Zähne verärgert“. Schlussfolgernd kamen die Autoren zu dem Fazit, dass die MIH einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die MLQ hat [16].

Fazit

Die Behandlung von Patienten mit einer MIH spielt in der zahnärztlichen Praxis eine zunehmend große Rolle. Die MLQ dieser Patienten ist stark eingeschränkt. Betroffene Patienten sollten deshalb nicht nur frühestmöglich erkannt, sondern auch in ein engmaschiges Recall-Programm eingebunden werden.

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