Kinderzahnärztliche Behandlung – Voraussetzungen und Herausforderungen

Zahnheilkunde an Kindern ist nicht immer Kinderzahnheilkunde. Viele kleine Patienten verbinden mit Zahnarztbesuchen ungute Gefühle bis hin zu Phobien. Dabei können, durch entsprechende Beratung und Heranführung, die Erfolgschancen einer Behandlung enorm gesteigert werden. Deshalb sind Kinderzahnärzte in Deutschland gefragter denn je. Dass Kinder keine kleinen Erwachsenen sind, spiegelt sich in vielen Praxisphilosophien wider und schafft einen Wissensvorsprung, der auch mehr von allgemeinen Zahnärzten aufgegriffen werden sollte, sofern sie die Behandlung von Kindern in ihr Behandlungsspektrum aufnehmen möchten. Ein Plädoyer.
Spezialisierung der Kinderzahnheilkunde
Der Bedarf an Fachkräften in der Kinderzahnheilkunde steigt wesentlich stärker, als entsprechend qualifizierte Ärzte nachrücken. Zwar ist die Kinderzahnheilkunde ein eigenes Fachgebiet der Zahnheilkunde, allerdings gibt es noch keinen weiterführenden Studiengang, der eine Spezialisierung, wie bei Kieferorthopäden oder Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen, zulässt. Die Universitäten Gießen und Marburg nehmen sich in einem Partnerprojekt diesem Umstand an. Der dreijährige Studiengang zum Master of Science der Kinderzahnheilkunde vereint das Fachwissen beider Universitäten und internationaler Experten als Lehrende. Dem Defizit, dass Pädiatrie bisher nur in geringem Umfang im zahnmedizinischen Studium vorgeschrieben ist, wird so Abhilfe geschaffen. Kinderzahnheilkunde wird bisher an den meisten deutschen Universitäten lediglich in theoretischen Kursen unterrichtet. Eine umfangreichere Ausbildung und Spezialisierung würde bedeuten, dass Kinder sehr viel besser als beim allgemeinen Zahnarzt zahnmedizinisch und psychologisch betreut werden könnten. Die Anerkennung der Kinderzahnheilkunde als eigenes Fachgebiet hätte außerdem den Vorteil einer gerechteren Abrechnungsmöglichkeit. Bisher werden Kinderzahnärzte mit allgemeinen Zahnärzten verglichen, obwohl das Behandlungsspektrum um ein Vielfaches eingeschränkter ist. Hauptziel eines jeden Zahnarztes, der Kinder behandeln möchte, sollte neben erfolgreicher Prophylaxe und Behandlung ein psychologischer Anspruch sein: Zahnarztbesuche können für Kinder zum positiven Erlebnis werden. Phobien durch Missachtung altersentsprechender Behandlung sind verbreitet und haben teilweise weitreichende Konsequenzen im Erwachsenenalter. Dem kann durch Beachtung einiger folgender Grundregeln vorgebeugt werden. In vielen Praxen allgemeiner Zahnärzte ist diese Umsetzung schwierig, denn an das Konzept der Kinderzahnarztpraxis (KZP) richten sich besondere Anforderungen.
Anforderungen an die kinderzahnärztliche Behandlung
In den Räumlichkeiten einer auf Kinder spezialisierten Praxis zeigen sich die ersten Unterschiede bereits an der Anmeldung und in einem großzügigen Wartebereich. Kinder lieben es, zu erkunden, zu spielen und zu entdecken. Dieser explorative Charakter kann vor der Behandlung wahre Wunder im Bereich des Stressabbaus bewirken und so den anstehenden ärztlichen Kontakt bestens einleiten. Hierzu sollte die Praxis über eine ausladende Spielfläche verfügen, die alle Sinne anspricht. Möglichkeiten, Dinge zu entdecken, sollten sich genauso finden wie ruhigere Rückzugsorte und ausreichend Spielsachen für alle kleinen Patienten. Für das Zeitmanagement gelten in der kinderzahnärztlichen Behandlung eigene Richtlinien. Die durchschnittliche Behandlungsdauer bei Erwachsenen ist länger als bei Kindern. Bei allgemeinen Zahnärzten sind die Wartezimmer daher häufig kleiner, da die Termine präziser einbestellt werden können. Verhalten und Kooperationsbereitschaft können von Kind zu Kind stark variieren. Flexibilität muss also auch die Zeitplanung bestimmen. Die durchschnittliche Behandlungsdauer liegt je nach Alter und Behandlungsumfang zwischen 10 und 30 Minuten. Folglich sind mehr Patienten gleichzeitig in der Praxis, mitunter auch Geschwisterkinder. Um sich die bei Kindern im Laufe des Tages abnehmende Aufmerksamkeit für die Behandlung zunutze zu machen, ist es sinnvoll, Kleinkinder am Vormittag zu behandeln, da die Kooperationsbereitschaft zu dieser Zeit am größten ist. Schulkinder können und sollten nachmittags behandelt werden. Ihre Aufnahmefähigkeit ist auch dann noch gut. Strenge Regeln sorgen hier zwar für sehr gute Behandlungserfolge, stoßen aber auch häufig auf Unverständnis, wenn es um die Terminabsprache mit den Eltern geht.
Im Behandlungszimmer begünstigt eine spezielle kindgerechte Ausstattung den Erfolg eines Termins. Als sehr gelungenes Modell haben sich die aus Amerika stammenden Pedoliegen (Abb. 1) erwiesen. Die flachen Liegen, die an bunte Turnmatten erinnern, kennen Kinder bereits vom Kinderarzt. Die Tatsache, dass die Behandlungsliege nicht ergonomisch verstellt werden kann, bedeutet für den Behandler zwar, nicht rückenschonend arbeiten zu können, jedoch gibt es den kleinen Patienten ein sicheres Gefühl, wenn sie nicht plötzlich passiv bewegt werden. Normale zahnärztliche Behandlungsstühle haben die rotierenden Geräte gut greifund sichtbar neben dem Stuhl installiert. Ängstliche Kinder werden bei diesem Anblick eingeschüchtert, neugierige Kinder hingegen werden direkt viele Fragen bezüglich des Instrumentariums haben, was den Beginn der Behandlung hinauszögert. Schwenkbare Einheiten bieten hier die Möglichkeit, die Fläche unter der Liege als Stauraum zu nutzen, der für Kinder außer Sicht bleibt. Die Wahrnehmung des Kindes zu lenken, ist eine nützliche Methode. Während der Behandlung werden ausgewählte Instrumente und Materialien kindgerecht erklärt. Das schafft die Beruhigung, nicht übergangen zu werden, und bezieht das Kind aktiv in den Behandlungsprozess mit ein.
Oft auch im Bereich der Erwachsenenbehandlung unterschätzt ist der Faktor der Ablenkung. So ist die Gestaltung der Decke über dem Behandlungsplatz wichtig. Finden sich dort ein Bildschirm für Filme, glitzernde Kristalle, ein Sternenhimmel oder ein großes Suchbild, sind Kinder so interessiert, dass die Behandlung im Mund zur Nebensache wird.
Zahnarzt und Assistenz müssen in dieser Situation enger zusammenarbeiten, als dies bei Erwachsenen der Fall ist. Sie wechseln sich während des Geschichtenerzählens ab und spielen Ratespiele, in die das Kind dann gerne einsteigt. Um die so erreichte Ablenkung nicht zu stören, wird das Instrumentarium immer über die Brust des Kindes oder hinter dem Kopf angereicht, was jedoch auch einen zeitlichen Mehraufwand bedeutet.
Den Abschluss jedes erfolgreichen Termins bildet eine Belohnung vom Zahnarzt. Generell wird Eltern davon abgeraten, dem Kind ein großes Geschenk zu versprechen. Kinder fühlen sich leicht unter Druck gesetzt, da sie mit der Belohnung eine vorherige Leistung oder etwas Unangenehmes assoziieren. Viele Kinderzahnärzte arbeiten sehr erfolgreich mit ganz kleinen Geschenken. So darf sich ein Kind aus einer Schatzkiste eine Überraschung wählen oder erhält eine Münze, die gegen ein Geschenk im Wartebereich, wo andere Kinder es sehen können, eingetauscht werden kann. Letztere Variante hat den Vorteil, dass das mitunter lang dauernde Aussuchen entfällt und das Behandlungszimmer schneller wieder genutzt werden kann. Der oft unbewusst ausgeübte Druck der Eltern wird entschärft und die positive Bindung zwischen Zahnarzt und Kind gefördert.
Psychologie und Pädagogik werden weder im zahnärztlichen Studium noch in der Ausbildung zum ZFA gelehrt. Der Umgang mit Kindern muss daher erst erlernt und stetig gefördert werden, um Kinder erfolgreich behandeln zu können. Der Schwerpunkt soll während des gesamten Praxisaufenthalts auf dem Kind liegen, nicht zuletzt, um sein Selbstbewusstsein zu stärken. Dies beginnt mit der Begrüßung auf Augenhöhe, sei es durch einen speziellen Kindertresen oder eine Treppe zum Empfangsschalter (Abb. 2). Die Kinder werden zuerst begrüßt, dann die Eltern. Persönliche und unmittelbare Erfahrung ist für Kinder besonders wichtig, weshalb kein Patient über Lautsprecher oder Bildschirm ausgerufen, sondern persönlich aus dem Wartezimmer abgeholt und zum Behandlungszimmer begleitet wird.
Dort vereinfachen besondere Kommunikationsmuster die Behandlung. Ein kindgerechtes praxiseigenes Vokabular klärt auf und knüpft gleichzeitig am Spiel- und Entdeckungstrieb vieler Kinder an. Die „Tell-Show-Do“-Methode schlägt hier eine kommunikative Brücke zwischen Sprache und Behandlung. So gibt es beim Kinderzahnarzt keinen Bohrer, sondern eine „Bürste“, um Karius & Baktus zu Leibe zu rücken. Es wird nicht betäubt, sondern man lässt einen Zahn „einschlafen“, bevor er „rausgewackelt“ und nicht gezogen wird. Besonders wichtig ist die Tatsache, dass das menschliche Unterbewusstsein keine Verneinung kennt. So, wie jeder Kindergärtner lernt, zu auf Bäumen herumkletternden Kindern „halt dich gut fest“ statt „fall nicht runter“ zu sagen, sollte auch das Praxispersonal sprachlich geschult sein. Das Kind darauf hinzuweisen, dass etwas nicht schlimm ist und man deshalb keine Angst haben muss, bewirkt oft die gegenteilige Assoziation, die den Aufbau von Vertrauen zwischen Zahnarzt und Kind beeinträchtigen kann. Eltern müssen sehr häufig auf diesen Umstand hingewiesen werden. Eine bildhafte und spielerische Sprache rückt die Behandlung für das Kind weg von der Medizin und sorgt für zusätzliche Ablenkung. Auch haben sich Ansätze aus der Hypnosetherapie als sehr sinnvoll erwiesen. So kann ein sprachlich geübter Behandler das Kind, vom Betreten des Zimmers an, auf eine Märchen- oder Erlebnisreise begleiten und führen. Wichtig ist, dass es einen Leitenden der Kommunikation gibt. Bestenfalls ist dies der Zahnarzt oder die Assistenz. Wenn sich die Eltern zusätzlich sprachlich zu sehr einmischen, kann es zu Verwirrung des Kindes kommen, da es im Zweifelsfall immer auf die vertraute Stimme der Eltern hören wird. Kinderzahnärzte stehen also vor der Herausforderung, während der Behandlung nicht nur den Patienten, sondern auch die Begleitpersonen, in aller Regel die Eltern, zu betreuen. Erfolg kann nur verzeichnet werden, wenn Patienten und Zahnarzt ein enges Vertrauensverhältnis aufbauen können. Erleichtert wird das, wenn Eltern in das vom Zahnarzt vorgegebene Konzept, wie z. B. das Erzählen eines Märchens, einsteigen. Vielen Eltern fällt es schwer, sich während der Behandlung, v. a. wenn ihr Kind unruhig wird, zurückzuhalten oder das vorgegebene Praxisvokabular zu übernehmen. In diesem Fall sollte den Eltern ganz klar signalisiert werden, dass sich dies nachteilig auf die Behandlung ihres Kindes auswirken kann. Im Mittelpunkt steht immer das Kind und nicht die Eltern. Hier soll der Zahnarzt auch die Eltern entschieden zur Zurückhaltung auffordern, wenn eine Einmischung überhandnimmt. Kinderzahnarztpraxen entwickeln dabei ihr eigenes pädagogisches Konzept, das für viele Eltern zum Entscheidungskriterium wird und auch auf Ablehnung stoßen kann. Dies zu akzeptieren und dennoch an der Praxisphilosophie festzuhalten, ist für die Glaubwürdigkeit der Praxis und ihrer Mitarbeiter extrem wichtig. Oft bedeutet das Vermitteln der Praxisleitlinien einen erhöhten Beratungsaufwand gegenüber Eltern, die andere Behandlungs- und Arbeitskonzepte gewohnt sind.
Behandlungsspektrum in der Kinderzahnheilkunde
Milchzähne sind wichtige Platzhalter für die bleibenden Zähne. Daher ist es ideal, so viele wie möglich bis zur natürlichen Exfoliation zu erhalten. Immer wieder geraten Kinderzahnärzte hier in Verruf, jeden Zahn des kleinen Patienten behandeln zu wollen. Dem ist nicht so. Die Entwicklungsstufen von Kindern und folglich auch die ihrer Zähne sind viel individueller als bei Erwachsenen. Die Behandlung muss diesem Umstand gerecht werden. Abgesehen von physischen Gegebenheiten im Bereich des Kiefers, steckt die Psyche des Kindes die Rahmenbedingungen für die gesamte Behandlung. Belastbarkeit und Kooperationsbereitschaft bestimmen den Verlaufsplan. So ist es keine Seltenheit, die Extraktion eines Milchzahnes nicht durchzuführen, wenn er in absehbarer Zeit ausfallen wird.
Die Heranführung an die zahnärztliche Behandlung erfolgt in einer KZP sehr fallspezifisch und pädagogisch aufbereitet. Ein Erstberatungstermin dient einem ersten Kennenlernen, einem Einfinden in die Praxis und der Einschätzung einer möglichen Behandlung. Wichtig für die Traumaprävention ist es, beim ersten Kennenlernen keine Behandlung durchzuführen (ausgenommen hiervon sind Patienten mit akutem Behandlungsbedarf).
Den größten Unterschied zum allgemeinen Zahnarzt bildet der Desensibilisierungstermin, der von der zahnmedizinischen Prophylaxeassistenz durchgeführt wird. Dabei macht man sich die natürliche Neugier und das kindliche Entdeckerverhalten zunutze, um die Mitarbeit (Compliance) des Kindes auszutesten. Wenn eine Behandlung nötig ist, wird das Kind beim Desensibilisierungstermin schrittweise und spielerisch an einen Teil der später benötigten Instrumente herangeführt. Ebenso werden bei diesem Termin die praxiseigenen Vokabeln gelernt. Ängsten und Unsicherheiten sowie Überforderung wird so vorgebeugt. Auch für Kinder, die bereits negative Zahnarzterfahrung gesammelt haben, ist ein solcher Termin nützlich, um die Bindung zwischen Arzt und Kind neu aufzubauen. Es handelt sich um eine ganzheitliche, sinnliche und immer positive Erfahrung. Aufgrund von Zeitdruck ist es beim Hauszahnarzt in aller Regel nicht möglich, vor einer Behandlung eine derartige Einführung zu geben. Die große Zahl von Patienten, die aber vom Hauszahnarzt in die KZP wegen eines Behandlungsabbruchs überwiesen wird, spricht deutlich für den Wert dieses Zusatztermins. Genau wie eine professionelle Zahnreinigung ist dieser Termin nicht im zahnärztlichen Leistungskatalog aufgeführt und gehört daher zu den Sitzungen, die privat abgerechnet werden. Hierzu sind glücklicherweise mehr und mehr Eltern bereit – aus gutem Grund, wie sich zeigt. Bei Patienten, die den Heranführungstermin in Anspruch genommen haben, kommt es weit weniger häufig zu Behandlungsabbrüchen. Natürlich kann es auch trotz der besten Vorbereitung dazu kommen, dass ein Kind eine Behandlung nicht bis zum Ende schafft. Wichtig ist es dann, die Behandlung nicht zu erzwingen. Heute gehört es in keiner Kinderzahnarztpraxis mehr zum Standard, ein Kind festzuhalten und gegen seinen Willen weiterzuarbeiten. Einige Eltern erwarten dies hin und wieder leider immer noch. Hier müssen klare Regeln kommuniziert werden, um Zahnarzttraumata und -phobien vorzubeugen. Kinderzahnärzte dürfen mutig sein und die Eltern, wenn nötig, zurechtweisen. Zum Behandlungsspektrum einer KZP gehören auch private Zusatzleistungen, die immer wieder zum Diskussionspunkt mit den Eltern werden. Viele gehen davon aus, dass zumindest die medizinische Versorgung von Milchzähnen gänzlich abgesichert ist. Zwar stellen alle Krankenkassen eine Grundversorgung sicher, doch gibt es Zusatzleistungen im Bereich der Ästhetik wie Keramikkronen, Kunststofffüllungen etc., die genau wie bei Erwachsenen nicht von den Krankenkassen übernommen werden.
Folgen von Nichtbehandlung
Regelmäßige Kontrolle ist auch bei Kindern enorm wichtig. Von der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde (DGKiZ) wird empfohlen, die erste Kontrolluntersuchung etwa ein halbes Jahr nach dem Durchbruch des ersten Milchzahnes durchzuführen. Aufgrund der dünneren Zahnhartsubstanz bei Milchzähnen vollzieht sich die kariöse Ausbreitung schneller (Abb. 3). Große Schmerzen können die Folge sein. Den meisten Kindern ist dieses Gefühl neu, weshalb sie es selten auf die Zähne zurückführen. Eltern erkennen dann oft ein verändertes Verhalten des Kindes, das sie aber nicht präzisieren können. Ein professioneller Blick in den Mund kann Klarheit bringen. Bleibt eine Karies für längere Zeit unentdeckt oder unbehandelt, kann eine akute Nerventzündung die Folge sein (Abb. 4). Meist ist die Trepanation beim Haus- oder Notzahnarzt die gewählte Methode. Allerdings ist hier die Gefahr eines Traumas besonders groß, da das Kind unter Schmerzen und ohne vorherige Heranführung direkt vom Zahnarzt behandelt werden muss. Regelmäßige und vor allem frühzeitige Kontrollen beugen diesem Umstand vor.
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Abb. 3: Nursing bottle syndrom, ECC II.
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Abb. 4: Linguale Beherdung bei tiefer Milchzahnkaries.
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Abb. 5: Bissflügelaufnahme mit Approximalkaries bei einem 3-jährigen Kind.
Diagnostik und Hilfsmittel
Zahnärzte, die auch sonst vor der Behandlung ihrer Patienten eine umfassende Diagnostik durchführen, sollten auch bei Kindern nicht darauf verzichten. Ob vor Extraktionen, zur Diagnostik von Approximalkaries (Abb. 5), zur Sicherung der Defekttiefe sowie zur Beurteilung der Zahnanlage des bleibenden Nachfolgers ist es sinnvoll, Röntgenbilder anzufertigen. Bei Erwachsenen ist es undenkbar, eine Behandlung ohne die vorherige Absicherung durch entsprechende Aufnahmen zu beginnen. Diese Vorzüge sollten Kindern nicht vorenthalten werden. Um die Belastung durch Strahlung für Kinder so gering wie möglich zu halten, sollten OPGs nur zur Kontrolle der Zahnanlagen bzw. des Zahndurchbruchs angefertigt werden. Für alle anderen Indikationen sind in der Regel Bissflügelaufnahmen geeigneter. Gerade intraorale Röntgenbilder erweisen sich beim Hauszahnarzt oft als schwierig, weil Röntgenfilme in Kindergröße selten vorhanden sind. Die Anfertigung von Röntgenbildern mit entsprechenden Kinderfilmen gelingt jedoch mit ein wenig Übung und Geduld häufig schon bei Dreijährigen. Die gezeigte Kooperationsbereitschaft des Kindes bei dieser völlig schmerzlosen Prozedur ist für den Behandler immer ein gutes Indiz: Je besser die Mitarbeit beim Anfertigen der Aufnahmen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind bei der anschließenden Behandlung ebenso gut kooperiert.
Leider werden Patienten allzu oft zum Kinderzahnarzt überwiesen, wo sich dann die drastischen Folgen von falscher Röntgenbescheidenheit zeigen. Im ungünstigsten Fall erkennt man erst während einer Behandlung, dass eine Karies tiefer reicht als intraoral ersichtlich. Allgemeine Zahnärzte legen dann hin und wieder die Füllung zu nervnah. Letzteres birgt gerade bei Kindern das Risiko pulpitischer Zähne und späterer Entzündungen. Vorherige Röntgenaufnahmen geben über Caries-profunda- oder sogar Caries-profunda-complicata-Läsionen Aufschluss und dem Behandler Sicherheit für die notwendige Therapie.
Wer das Vertrauen seines Patienten gewinnen möchte, sollte ehrlich zu ihm sein. Dies gilt natürlich auch für die Behandlung von Kindern. Es ist essentiell, während der gesamten Zeit in der Praxis das Kind direkt anzusprechen und es so zum vollwertigen Gesprächspartner zu machen. Zusätzliche Bindung schafft es, einem Kind während der Behandlung den nächsten Schritt zu erklären. Die Patienten verstehen, dass es gleich kitzeln, drücken oder kalt werden könnte, und sind vorbereitet. Die Tatsache, dass diese Ankündigung dann auch wirklich eintrifft, festigt die Basis zwischen Patient und Behandler.
Das Arbeiten mit Kofferdam wird bei Erwachsenen erfolgreich praktiziert und sollte auch bei der Behandlung von Kindern Standard sein. Die Wange und besonders die Zunge, die die Kinder häufig noch nicht über längere Zeit ruhig halten können, müssen nicht abgehalten werden, was das Arbeiten nicht nur vereinfacht, sondern auch die Behandlungszeit verkürzt. Zusätzlich werden Verletzungen in der Mundhöhle verhindert, sollte sich das Kind doch einmal ruckartig bewegen.
Viele Zahnärzte verkennen außerdem den Wert einer Lokalanästhesie. Zum einen, weil es durchaus eine Herausforderung sein kann, die Betäubung zu setzen, und zum anderen aus der Überzeugung heraus, dass Milchzähne unempfindlicher gegenüber Schmerzen seien. Bei Kindern bietet es sich an, eine gut riechende Oberflächenanästhesie zu verwenden, die drei bis vier Minuten einwirken muss, bevor die Lokalanästhesie gesetzt werden kann. Außerdem ist die Lachgassedierung (Abb. 6) in der Kinderzahnheilkunde von unschätzbarem Wert. Das ungefährliche Lachgas-Sauerstoff-Gemisch wird über eine Nasenmaske eingeatmet und bewirkt bei ca. 85 % der Patienten ein Gefühl der Tiefenentspannung und Euphorie, was die Kooperationsbereitschaft um ein Vielfaches steigern kann. Durch diese sog. Inhalationssedierung können sehr viele Vollnarkosen vermieden werden. Bei mangelnder Compliance, zu kleinen Kindern oder zu großem Behandlungsbedarf ist es sinnvoll, Kinder in Allgemeinanästhesie zu behandeln. Entsprechende Vorbereitung sowie Anästhesisten und Räumlichkeiten sind dann Anforderungen an die Praxis. Trepanierte Milchzähne im Mund zu belassen, bildet eine stete Belastung für das kindliche Immunsystem. Außerdem sind diese Zähne idealer Nährboden für Bakterien, was die Pflege bis zur Exfoliation deutlich intensiviert. Ein über mehrere Monate im Mund belassener trepanierter Zahn kann Schäden am bleibenden Nachfolger hervorrufen. Sogenannte Turnerzähne (Abb. 7) können die Folge sein. Es gibt andere Möglichkeiten, den Platz für einen bereits angelegten bleibenden Zahn freizuhalten, z. B. festsitzende oder herausnehmbare Platzhalter (Abb. 8).
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Abb. 6: Hilfsmittel Kofferdam und Lachgas.
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Abb. 7: Turnerzahn (Zahn 44) als Folge einer länger persistierenden Milchzahnentzündung.
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Abb. 8: Herausnehmbarer ästhetischer Lückenhalter.
Häufig inzidieren Ärzte bei intraoralen Schwellungen. Der Knochen eines Kindes ist jedoch noch sehr empfänglich für Medikamente. Hier ist es besser, ein Antibiotikum für mindestens sechs Tage sowie ein Schmerzmittel zur Überbrückung der ersten zwei Tage zu geben und die kleinen Patienten an den ersten Tagen zur Verlaufskontrolle einzubestellen. Danach kann der schuldige Zahn im abgeklungenen Zustand entfernt werden. Bei massiven extraoralen Schwellungen ist eine Überweisung ins Krankenhaus oft die beste Behandlung. Milchzähne dürfen nicht unbehandelt bleiben. Die Phase vom Milchgebiss bis zur vollständigen Entwicklung des bleibenden Gebisses dauert etwa die ersten zwölf Lebensjahre an. In dieser Zeit kann aus einem kleinen, anfangs harmlosen Defekt an einem Milchzahn auch eine große, kariöse Läsion entstehen (Abb. 9), die bei dem betroffenen Kind Schmerzen auslösen, die häusliche Mundhygiene erschweren und sogar zum vorzeitigen Verlust des Milchzahnes führen kann. Gut informierte Eltern wissen, dass Milchzähne als Platzhalter wichtig sind, wir Zahnärzte sollten sie im Kampf gegen Karius & Baktus unterstützen.
Fazit
Immer noch ist es so, dass die wenigsten Kinder gerne zum Zahnarzt gehen. Traumatische Erfahrungen und abrupte Behandlungseinstiege sind einige Gründe dafür. Kinderzahnarztpraxen verfolgen mit pädagogisch geschultem Personal und einem eigenen Praxiskonzept einen ganzheitlichen Ansatz, der die Psyche der kleinen Patienten in den Vordergrund rückt. Wird frühzeitig mit zahnärztlicher Kontrolle begonnen, die dann regelmäßig fortgeführt wird, lässt sich der Behandlungsbedarf bei Milchzähnen minimieren. Kinder begreifen anders als Erwachsene. Wer es schafft, seine Behandlung kindgerecht zu gestalten, erzielt erstaunliche Behandlungserfolge.
In vielen Praxen werden sich oben genannte Grundregeln nur schwer umsetzen lassen. Sollte es dem jeweiligen Kollegen jedoch wichtig sein, gute Kinderzahnheilkunde zu betreiben, wird er es möglich machen. Denn eines sollte jedem klar sein: Kinder können und sollten nicht bloß Lücken im Terminbuch füllen oder als Spaßzeit abgetan werden. Gute Kinderzahnheilkunde erfordert psychologische Kenntnisse ebenso wie Fantasie, viel Geduld und starke Nerven. Daher ist es wünschenswert, dass mehr Kollegen Kinder zu Spezialisten überweisen, die genau darin geschult sind. Eltern werden dies genauso zu schätzen wissen wie Kinderzahnärzte, die an der bestmöglichen Behandlung kleiner Patienten gleichermaßen interessiert sind.