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Kieferorthopädische Folgetherapie nach CMD – wann und wie?

Ausgangslage: Patientin nach erfolgreicher Schienentherapie.
In dieser Position ist sie mit der Schiene beschwerdefrei in Bezug auf Kiefergelenk und Muskulatur.
Ausgangslage: Patientin nach erfolgreicher Schienentherapie. In dieser Position ist sie mit der Schiene beschwerdefrei in Bezug auf Kiefergelenk und Muskulatur.

Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) ist ein multifaktorielles Geschehen. Liegt die Ursache in einer Malokklusion, wird aus kieferorthopädischer Sicht eine nachhaltige Therapie als zielführend erachtet. Nach erfolgter Schienentherapie, die als Vorbehandlung dient, gilt es im nächsten Schritt, die Okklusion an die neue Bisslage anzupassen. Nachfolgend werden 3 mögliche Herangehensweisen beschrieben und anhand von Bildern dokumentiert.

Die Ursachen des Krankheitsbildes einer craniomandibulären Dysfunktion können vielfältig sein. Es gibt körperliche Einflüsse, wie Arthropathien, Myopathien, Okklusopathien sowie Neuropathien, die einzeln oder in Kombination vorliegen und auch vom subkranialen Bewegungsapparat ausgehen können.

Zudem gibt es Einflüsse aus den Lebensumständen (Stress), Nebenwirkungen von Medikamenten und auch genetische Dispositionen [1,2,5,7]. Wenn eine Dyskongruenz zwischen Kiefergelenkfunktion, Muskelfunktion und Zahnstellung vorliegt, kann mit einer Schienentherapie eine neue Position der Mandibula gefunden werden, mit der eine Besserung der Beschwerden einhergeht [1,4,5,7,14].

Diese therapeutische Position der Mandibula (Abb. 1a bis c) hat aber oft okklusale Interferenzen zur Folge, die deutlich werden, sobald die Schiene (Abb. 1d) herausgenommen wird. Schienen sind also eher ein Diagnostikum und nicht der Endpunkt einer Therapie.

  • Abb. 1a: Ausgangslage mit Schiene in situ.
  • Abb. 1b: Ausgangslage mit Schiene in situ.
  • Abb. 1a: Ausgangslage mit Schiene in situ.
    © Prof. Dr. Dr. R. J. Radlanski
  • Abb. 1b: Ausgangslage mit Schiene in situ.
    © Prof. Dr. Dr. R. J. Radlanski

  • Abb. 1c: Ausgangslage: Patientin nach erfolgreicher Schienentherapie. In dieser Position ist sie mit der Schiene beschwerdefrei in Bezug auf Kiefergelenk und Muskulatur.
  • Abb. 1d: Repositionierungsschiene mit adjustierter Oberfläche.
Schienenbehandlung: PD Dr. M.O. Ahlers, Hamburg.
  • Abb. 1c: Ausgangslage: Patientin nach erfolgreicher Schienentherapie. In dieser Position ist sie mit der Schiene beschwerdefrei in Bezug auf Kiefergelenk und Muskulatur.
    © Prof. Dr. Dr. R. J. Radlanski
  • Abb. 1d: Repositionierungsschiene mit adjustierter Oberfläche. Schienenbehandlung: PD Dr. M.O. Ahlers, Hamburg.
    © Prof. Dr. Dr. R. J. Radlanski

Okklusionsschienen können nicht lebenslang Tag und Nacht getragen werden, weil sie sie auf Dauer orthodontische Nebenwirkungen auslösen können; deshalb ist es notwendig, die Okklusion an die neue, beschwerdefreie Lage der Mandibula langfristig anzupassen. Dies ist mit kieferorthopädischen Maßnahmen möglich.

Möglichkeiten der kieferorthopädischen Therapie

In diesem Beitrag wird gezeigt, wie wir in der Kieferorthopädie vorgehen, wenn ein Patient oder eine Patientin nach erfolgreicher Schienentherapie zu uns überwiesen wird , um die Okklusion an die neu gefundene Bisslage anzupassen [2,7]. Weiterhin besteht die Möglichkeit, bereits während der Schienentherapie orthodontische Anpassungen vorzunehmen [11], was auch erläutert werden soll.

Der Erfolg einer Schienentherapie muss durch eine längerfristige Beschwerdefreiheit und eine Funktionsanalyse sichergestellt worden sein [1,2,5,7,14]. Eine Darstellung der Kiefergelenke im MRT gibt zusätzlich Sicherheit in Bezug auf die Lage des Kondylus in der Fossa und seine Relation zum Discus articularis [3,13]. Ohne solche Befundsicherungen ist es nicht anzuraten, dauerhafte und auch irreversible Zahnstellungsänderungen vorzunehmen [1,5,6].

Orthodontische Maßnahmen umfassen die Umstellung der Zähne mitsamt ihrem peridentalen Haltegewebe [10]. Umstellungen der Zähne und Umbau von Gewebe ist in einem Volumen von bis zu 1 cm3 möglich – günstige Gewebekonditionen vorausgesetzt. Eine parodontologische Begleitdiagnostik und -therapie ist oft notwendig.

Anwendung von Multibracketapparaturen

Eine klassische Methode zur Übertragung der Schienenposition in eine neue Okklusion besteht im Einsatz von Multibracketapparaturen. Der Oberkieferzahnbogen wird zunächst so ausgeformt, dass der untere Zahnbogen in der neuen, therapeutischen Position der Mandibula ohne spätere Interferenzen okkludieren kann.

  • Abb. 1e: Multibracketapparatur und Schiene in situ. Bögen: 0,014“ Nitinol.

  • Abb. 1e: Multibracketapparatur und Schiene in situ. Bögen: 0,014“ Nitinol.
    © Prof. Dr. Dr. R. J. Radlanski
Während der vorbereitenden, initialen Ausformung zumindest des Oberkieferzahnbogens muss die Schiene im Unterkiefer die Position der Mandibula noch sichern und die Bisslage stützen (Abb. 1e). Sobald mit der zielgerichteten Zahnbewegung begonnen werden kann, wird die Schiene nur lokal freigeschliffen.

  • Abb. 1f: Schiene bei 44 und 35 freigeschliffen, als Vorbereitung für die extrusive Zahnbewegung. Bei 16/46 und 13/43 weiterhin in Kontakt.

  • Abb. 1f: Schiene bei 44 und 35 freigeschliffen, als Vorbereitung für die extrusive Zahnbewegung. Bei 16/46 und 13/43 weiterhin in Kontakt.
    © Prof. Dr. Dr. R. J. Radlanski
Im vorliegenden Beispiel wurde zunächst nur im Bereich der Prämolaren freigeschliffen, bei den Eckzähnen und Molaren wurde die stützende Wirkung der Schiene noch beibehalten (Abb. 1f). Mit vertikalen Elastics werden die Prämolaren und dann auch die Eckzähne kontrolliert extrudiert und aufeinander zubewegt; Führung bietet hierbei die Multibracketapparatur (Abb. 1g bis h).
  • Abb. 1g: Einsatz von vertikalen Elastics 3,2 oz zur Extrusion 14, 13, 44. Schiene entsprechend weiter freigeschliffen.
  • Abb. 1h: Fortschritt der Extrusion der Seitenbezahnung. Schiene im posterioren Bereich noch in therapeutischer Position.
  • Abb. 1g: Einsatz von vertikalen Elastics 3,2 oz zur Extrusion 14, 13, 44. Schiene entsprechend weiter freigeschliffen.
    © Prof. Dr. Dr. R. J. Radlanski
  • Abb. 1h: Fortschritt der Extrusion der Seitenbezahnung. Schiene im posterioren Bereich noch in therapeutischer Position.
    © Prof. Dr. Dr. R. J. Radlanski

Zur Verbesserung und Sicherung einer neutralen sagittalen Okklusionsbeziehung kommen zeitweise Klasse-II-Elastics (4,8 oz) zum Einsatz (Abb. 1i). Schließlich haben die Zähne die von der Schienenbehandlung vorgegebene Stellung vollständig eingenommen, welche auch noch eine Zeitlang mit vertikalen Elastics (3,2 oz) gesichert wird.

  • Abb. 1i: Verbesserung der sagittalen Okklusionsbeziehung mit Klasse-II-Elastics 4,2 oz Bögen: 0,016 x 0,022“ Stahl.
  • Abb. 1j: Die Zähne haben nun vollständig die Schienenposition der Okklusion eingenommen. Sicherung mit vertikalen Elastics 3,2 oz beidseits. Behandlungsdauer seit Zustand in Abb. 1e: 6 Monate.
  • Abb. 1i: Verbesserung der sagittalen Okklusionsbeziehung mit Klasse-II-Elastics 4,2 oz Bögen: 0,016 x 0,022“ Stahl.
    © Prof. Dr. Dr. R. J. Radlanski
  • Abb. 1j: Die Zähne haben nun vollständig die Schienenposition der Okklusion eingenommen. Sicherung mit vertikalen Elastics 3,2 oz beidseits. Behandlungsdauer seit Zustand in Abb. 1e: 6 Monate.
    © Prof. Dr. Dr. R. J. Radlanski

Vorrang hat dabei eine gesicherte Seitenzahnokklusion. Hierfür müssen die Fronzähne im Oberkiefer weit genug protrudiert stehen, und Lücken im Frontzahnbereich (hier zwischen 12 und 13, Abb. 1i) werden dabei in Kauf genommen. Sie können ggf. durch Kompositaufbauten ausgeglichen werden.

Anwendung von aktiven Äquilibrierungsschienen

Wenn die Diagnose „retraler Zwangsbiss“ [9] bei der Anfangsuntersuchung bereits gestellt werden kann, kommen aktive Äquilibrierungsschienen zum Einsatz [11]. Diese Schienen haben wie üblich beidseits plane Aufbisstische, auf denen der Unterkiefer frei seine Position einnehmen kann, nur geführt durch die Muskulatur und das Gelenk, aber unbeeinflusst von einer in solchen Fällen auffällig interferierenden Zahnfehlstellung (Abb. 2a).

  • Abb. 2a: Aktive Äquilibrierungsschiene im Einsatz beim Vorliegen einer retralen Zwangbisslage.
  • Abb. 2a: Aktive Äquilibrierungsschiene im Einsatz beim Vorliegen einer retralen Zwangbisslage.
    © Prof. Dr. Dr. R. J. Radlanski

Bei einer Rücklage des Unterkiefers ist der Oberkiefer meist zu schmal, und falls die Frontzahngruppe aufgrund fehlender Abstützung retroinkliniert oder gar extrudiert steht, hat es sich bewährt, bereits zu Anfang kieferorthopädische Schraubsegmente einzusetzen (Abb. 2b). Üblicherweise werden die Schrauben 1-mal pro Woche aktiviert (das entspricht 250 ?m), was die fehlstehenden Zähne von Anfang an aus ihrem interferierenden Bereich herausbewegt.

  • Abb. 2b: Die aktive Äquilibrierungsschiene trägt beidseits plane Aufbisse und ermöglicht mit der eingearbeiteten Bertonie-Schraube bereits von Anfang an sagittale und transversale orthodontische Korrekturen der Zahnstellung.
  • Abb. 2b: Die aktive Äquilibrierungsschiene trägt beidseits plane Aufbisse und ermöglicht mit der eingearbeiteten Bertonie-Schraube bereits von Anfang an sagittale und transversale orthodontische Korrekturen der Zahnstellung.
    © Prof. Dr. Dr. R. J. Radlanski

Wenn die Schiene auch nur zeitweise herausgenommen wird, verspüren die Patienten von Beginn an eine Reduktion der Zwangsführung. Hierdurch wird der Unterkiefer schrittweise neu positioniert, meist nach anterior. Je nach Okklusion und Gelenklage kann auf diese Weise eine funktionelle Vorverlagerung des Unterkiefers um bis zu einer halben Prämolarenbreite stattfinden, wobei auf längere Sicht auch Gewebeumbauvorgänge nachweisbar sind [8,13].

Auch hier versteht es sich von selbst, dass eine gründliche Funktionsdiagnostik – einschließlich MRT-Bildgebung der Kiefergelenke – am Anfang stehen muss, weil grundlegende Veränderungen im Kauorgan vorgenommen werden [1,2,5,6,7,14]. Zur Feineinstellung der Okklusion sind oft orthodontische Nachbehandlungen mit Multibracketapparaturen oder mit Alignerschienen notwendig.

Anwendung von Alignerschienen zur Bissumstellung 

  • Abb. 3a: Behandlung einer retralen Zwangsbisslage mit Alignerschienen. Simultane Aufrichtung der Frontzahngruppe und Ausformung der Zahnbögen...

  • Abb. 3a: Behandlung einer retralen Zwangsbisslage mit Alignerschienen. Simultane Aufrichtung der Frontzahngruppe und Ausformung der Zahnbögen...
    © Prof. Dr. Dr. R. J. Radlanski
Bei der Anwendung von Alignerschienen besteht die Möglichkeit, gleich 2 Behandlungsaufgaben gleichzeitig zu lösen: Bei fast allen Bisslageumstellungen müssen einzelne Zähne oder ganze Zahngruppen, die an die vorige, funktionell ungünstige Situation angepasst waren, in eine störungsfreie Position gebracht werden, damit die neue funktionsgünstigere Lage der Mandibula überhaupt eingenommen werden kann. Mit Alignerschienen können heute Zahnbewegungen nahezu jeglicher Art sehr effektiv durchgeführt werden (Abb. 3a und b), wobei fundiertes kieferorthopädisches Wissen und Erfahrung auch hierfür die Grundvoraussetzungen sind [12]. Da die Schienen aufgrund ihrer Materialstärke auch für eine Disklusion sorgen, gelingen Bissumstellungen günstiger, wenn zusätzlich mit Klasse-II-Elastics (Abb. 3c) oder mit geeigneten propulsiven Elementen, die in die Schienen eingearbeitet werden können (Abb. 3a und b), die Richtung vorgegeben wird.
  • Abb. 3b: ... sowie sagittale Positionierung der Mandibula mit Mandibular Advancement Precision Wings (Invisalign).
  • Abb. 3c: Sicherung der Bisslage und Vertikalkontrolle im Seitenzahnbereich mit Klasse-II-Elastics 4,8 oz. Behandlungsdauer seit Zustand in Abb. 3a: 10 Monate.
  • Abb. 3b: ... sowie sagittale Positionierung der Mandibula mit Mandibular Advancement Precision Wings (Invisalign).
    © Prof. Dr. Dr. R. J. Radlanski
  • Abb. 3c: Sicherung der Bisslage und Vertikalkontrolle im Seitenzahnbereich mit Klasse-II-Elastics 4,8 oz. Behandlungsdauer seit Zustand in Abb. 3a: 10 Monate.
    © Prof. Dr. Dr. R. J. Radlanski

Diskussion

Es gibt durchaus Fälle, in denen durch eine Schienentherapie eine Arthropathie oder eine Myopathie geheilt werden kann. Sobald aber eine Malokklusion zu einer Fehlposition der Mandibula führt, kann dies individuell noch unterschiedlich lange kompensiert werden. Wenn Arthro- und/oder Myopathien überschwellig werden, kann eine Schienentherapie allenfalls zeitweise Linderung verschaffen [7,14].

Sobald die Schiene vom Patienten abgesetzt wird, ist die Ursache nicht behoben und die Beschwerden können immer wieder auftreten. Deshalb ist es aus kieferorthopädischer Sicht sinnvoll, angemessen und zielführend, die Malokklusion, die als Ursache der craniomandibulären Dysfunktion identifiziert worden ist, auch nachhaltig zu therapieren. Drei mögliche Herangehensweisen wurden in diesem Beitrag vorgestellt.

Wie bei jeder kieferorthopädischen Therapie muss eine lebenslange Retention erfolgen. Es kann auch möglich sein, eventuell bestehende Restaurationen nach einer kieferorthopädischen Korrektur zu revidieren, wenn sie den neuen Okklusionsverhältnissen nicht entsprechen.

Alternativ können die neuen okklusalen Verhältnisse durch festsitzend teilprothetische Augmentationen (Tabletops) angepasst werden [4]. Bei unversehrten Zähnen sollte aber einer orthodontischen Korrektur der Vorzug gegeben werden.

Fazit

Wenn eine Malokklusion als Ursache für eine craniomandibuläre Dysfunktion identifiziert ist, besteht die kausale Therapie in der kieferorthopädischen Korrektur. Als Vorbehandlung dient eine Schienentherapie, mit der die individuelle, funktionell richtige Lage der Mandibula ermittelt wird. Werden in dieser neuen Position der Mandibula Zahnfehlstellungen offenbar, können sie mit den Methoden, wie in diesem Beitrag gezeigt, ursächlich beseitigt werden.


Danksagung

Die Schienenvorbehandlung für die Falldarstellung in Abb. 1a bis j wurde von Herrn PD Dr. M. Oliver Ahlers, Hamburg, durchgeführt.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Prof. Dr. Dr. Ralf J. Radlanski


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