Periimplantitis – die neue Erkrankung wird übersehen oder unterschätzt? – Teil 1

Im vorliegenden Beitrag werden die morphologischen Besonderheiten der periimplantären Gewebe erläutert und dem natürlichen Zahn gegenübergestellt, wobei sowohl der gesunde Zustand als auch die bakteriell verursachten Entzündungsprozesse Berücksichtigung finden. Basierend auf den strukturellen Unterschieden werden Empfehlungen für die Diagnostik periimplantärer Erkrankungen gegeben sowie die Risikofaktoren und Therapiemöglichkeiten der Periimplantitis diskutiert.
Das dentale Implantat ist von Hart- und Weichgeweben umgeben, welche sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede gegenüber dem Parodont des natürlichen Zahnes aufweisen. Wenn Entzündungsprozesse der periimplantären Weichgewebe auftreten, spielen sich diese zunächst analog zur Gingivitis bei natürlichen Zähnen ab. Diese Form der reversiblen periimplantären Weichgewebsentzündung wird als periimplantäre Mukositis bezeichnet. Bei Ausdehnung der Entzündung auf den umliegenden Knochen muss die Diagnose Periimplantitis gestellt werden, welche wiederum analog zur Parodontitis mit einer Resorption des umgebenden Knochens verbunden ist2,19.
Morphologie der parodontalen und periimplantären Hart- und Weichgewebe
Wie beim natürlichen Zahn existiert auch beim Implantat der Begriff der biologischen Breite4. Diese beschreibt die Kontaktzone des Weichgewebes zum Implantat, bestehend aus einem epithelialen und einem bindegewebigen Anteil (Abb. 1a u. b) 4,39. Die Epithelbarriere haftet der Titanoberfläche durch eine Basallamina und Hemidesmosomen an. Unter dem durchschnittlich 2 mm langen epithelialen Gewebe liegt die 1 bis 1,5 mm lange bindegewebige Zone. Sie unterscheidet sich vom supraalveolären Bindegewebe der Gingiva durch einen höheren Anteil an Kollagenfasern, weist aber weniger Fibroblasten und Gefäße auf. Die Kollagenfasern verlaufen mehrheitlich parallel zur Implantatoberfläche. Vereinzelt sind auch Fasern zirkulär um das Implantat herum angeordnet. Beim natürlichen Zahn ist der Faserapparat hingegen deutlich subtiler strukturiert. So inserieren die Fasern direkt im Wurzelzement und bilden unterschiedlich orientierte Fasergruppen aus (Abb. 2a)39. Dabei zeigt sich nach der Zahnextraktion ein Orientierungsverlust von zahngebundenen Faserstrukturen (Abb. 2b)39. Durch die übergreifenden Anteile des Faserapparates der Nachbarzähne bleiben jedoch nach Einzelzahnverlust jene Strukturen erhalten, welche die typische Stippelung der Gingiva und die interdentalen Papillen umfassen (Abb. 3a–c). Wenn jedoch mehrere Nachbarzähne fehlen, resultiert dies in einer strukturlosen narbigen Mukosa (Abb. 3d–f). Im Gegensatz zur funktionellen Verankerung natürlicher Zähne durch den desmodontalen Faserapparat besteht beim Implantat ein direkter Kontakt zwischen Implantatoberfläche und Knochen (Abb. 1a u. b)5,39.
Ätiologie der periimplantären Mukositis und der Periimplantitis
Die mikrobielle Kolonisation um Implantate folgt dem gleichen Muster wie beim natürlichen Zahn15,16. Koloniebildende Bakterien binden an das Pellikel, bestehend aus Komponenten des Speichels und der Sulkusflüssigkeit. Dabei entsteht insbesondere subgingival (beim Implantat: submukosal) ein stabiler Biofilm. Einzelne pathogene Keime siedeln sich aber auch ungebunden an als sog. „Swimmers“. In dieser submukosalen Region sind die Bakterienkolonien geschützt vor mechanischer Zerstörung. Sie befinden sich dabei noch außerhalb des Gewebes und sind somit nahezu unerreichbar für die Immunabwehr und systemische antibakterielle Therapien. Die fortbestehende Plaqueakkumulation im Bereich des Gingivalsaums hält die Entzündungsreaktion in Gang; dabei kommt es zu einer Zunahme der Vaskularisierung im Bindegewebe, zur Ausbildung eines entzündlichen Zellinfiltrates lateral des Saumepithels (beim Implantat: Barrierenepithel) und zur Reduktion des Kollagenfaseranteils.
Risikofaktoren für die Erkrankungen Parodontitis und Periimplantitis
Für das Fortschreiten der Gingivitis zur Parodontitis sind individuelle Faktoren mit entscheidend. Voraussetzung ist vor allem die Präsenz eines pathogenen Biofilms, insbesondere bestehend aus gramnegativen, strikt oder fakultativ anaeroben Keimen, wie z. B. den potenziellen Parodontalpathogenen Aggregatibacter actinomycetemcomitans, Porphyromonas gingivalis, Treponema denticola und Tannerella forsythensis. Hinzu kommen möglicherweise erworbene Risikofaktoren wie Immunsuppression, Diabetes mellitus, HIVInfektion, Tabakkonsum, Alkohol oder Stress. Darüber
hinaus wird die Prädisposition des Patienten durch genetische Komponenten moduliert. Auch bei der Periimplantitis tragen verschiedene Faktoren zu einem erhöhten Risiko für eine Erkrankung bei10. Nachweislich sind dies eine unzureichende persönliche Mundhygiene, parodontale Vorerkrankungen und Tabakkonsum34. Hinweise bestehen zudem bezüglich einer Korrelation mit Diabetes mellitus sowie mit starkem Alkoholkonsum. Sekundär assoziiert mit einer eingeschränkten Mundhygienefähigkeit sind iatrogen verursachte Faktoren wie enge periimplantäre Zwischenräume oder überkonturierte Suprakonstruktionen sowie submukosale Zementüberschüsse.Beim anfälligen Wirtsorganismus schreitet die entzündliche Gewebedestruktion fort; es kommt zum Epitheltiefenwachstum und zur Knochenresorption, welche die Grenze zwischen Gingivitis und Parodontitis bzw. zwischen Mukositis und Periimplantitis darstellt. Diese Zerstörung ist zwar bakteriell induziert, aber primär durch die körpereigene lokale Immunabwehr verursacht. In tierexperimentellen Studien konnte gezeigt werden, dass eine unbehandelte Periimplantitis über einen längeren Zeitraum (1 Jahr Plaqueakkumulation) ein Fortschreiten des Knochenverlusts bewirkt, wobei regionale Faktoren die Aktivität der Gewebsdestruktion mitbestimmen38. Die submukosale Plaqueetablierung, das Epitheltiefenwachstum und die Ausbreitung des entzündlichen Infiltrates werden bei Implantaten durch das Fehlen der in der Zementoberfläche inserierenden Fasern begünstigt. Dies zeigt sich besonders in der zirkulären Defektbildung (schüsselförmig) um Implantate (Abb. 4a–d), während parodontale Knocheneinbrüche überwiegend an den interdentalen Prädilektionsstellen zu finden sind und häufig an diesen Stellen lokalisiert bleiben (kraterförmige Defekte).
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Periimplantitis – die neue Erkrankung wird übersehen oder unterschätzt? – Teil 2
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