Implantologie

Teil 1

Implantate im wachsenden Kiefer nach traumatischem Zahnverlust oder bei Nichtanlagen - Teil 1

23.01.2020
aktualisiert am: 26.02.2020

Bei Nichtanlagen oder nach einem Zahnverlust bei Kindern und Jugendlichen haben zum Teil konventionelle Versorgungen Nachteile und mögliche negative Folgen für die dentale und psychosoziale Entwicklung der jungen Patienten. Ein Problem stellt unter anderem ein Knochenverlust in der betroffenen Region dar. Mit einer frühzeitigen Implantation kann zwar Knochen erhalten werden, es bestehen aber ebenfalls Risiken. Anhand von zahlreichen Studien zeigt der Autor in zwei Teilen ein Therapiekonzept auf, mit dem ein gutes Behandlungsergebnis erzielt werden kann.

Primäre oder sekundäre traumatische Zahnverluste (Abb. 1 und 2) sind bei Kindern und Jugendlichen neben Zahnaplasien und kariösen Läsionen die häufigsten Ursachen für fehlende Zähne [2]. 5,5% der Bevölkerung sind von Zahnaplasien betroffen, die solitär (Abb. 3a–b) oder multipel (Abb. 4a–b), asymmetrisch oder symmetrisch, mit oder ohne Persistenz von Milchzähnen ausfallen können (Abb. 4c–f). Die morphologischen Voraussetzungen bei Nichtanlagen sind meistens monokortikale, gratartige, knöcherne Strukturen mit dünner Gingiva, da der Alveolarfortsatz durch das Wachsen der bleibenden Zähne zur Okklusionsebene ausgeprägt wird und dieser Wachstumsreiz fehlt (Abb. 4g–h).

  • Abb. 1: Primärer Zahnverlust nach Frontzahntrauma.
  • Abb. 2: Sekundärer Zahnverlust nach früherem Frontzahntrauma und interner Resorption.
  • Abb. 1: Primärer Zahnverlust nach Frontzahntrauma.
    © Dr. Tetsch
  • Abb. 2: Sekundärer Zahnverlust nach früherem Frontzahntrauma und interner Resorption.
    © Dr. Tetsch

  • Abb. 3a u. b: Solitäre Nichtanlagen der oberen seitlichen Schneidezähne.
  • Abb. 4a u. b: Multiple Nichtanlagen mit persistierenden, nicht erhaltungswürdigen Milchzähnen.
  • Abb. 3a u. b: Solitäre Nichtanlagen der oberen seitlichen Schneidezähne.
    © Dr. Tetsch
  • Abb. 4a u. b: Multiple Nichtanlagen mit persistierenden, nicht erhaltungswürdigen Milchzähnen.
    © Dr. Tetsch

  • Abb. 4c–f: Multiple asymmetrische Nichtanlagen mit persistierenden Nichtanlagen in regulärer Okklusion (45) und Infraokklusion (35).
  • Abb. 4g u. h: Monokortikale gratartige Ausprägung des Alveolarfortsatzes.
  • Abb. 4c–f: Multiple asymmetrische Nichtanlagen mit persistierenden Nichtanlagen in regulärer Okklusion (45) und Infraokklusion (35).
    © Dr. Tetsch
  • Abb. 4g u. h: Monokortikale gratartige Ausprägung des Alveolarfortsatzes.
    © Dr. Tetsch

Von einem Frontzahntrauma sind 20% der Mädchen und 30% der Jungen im Alter von 7 bis 14 Jahren betroffen [9]. Entsprechend dem Grad der Fraktur führt nicht jedes Trauma zu einem Zahnverlust und die Zähne können entsprechend den Empfehlungen und Leitlinien durch geeignete Therapiemaßnahmen erhalten werden [16,29].

Kommt es durch ein Frontzahntrauma aber primär oder sekundär zu einem irreversiblen Zahnverlust, führen physiologische Prozesse zu einer Atrophie des betroffenen Areals. Der Zahnverlust hat morphologische Veränderungen des Alveolarfortsatzes zur Folge, die aus der lateralen und vertikalen Inaktivitätsatrophie bestehen und zusätzlich das Wachstum der Region negativ beeinflussen. Die physiologischen Prozesse nach Zahnverlust betreffen intra- und extraalveoläre Prozesse.

Die Atrophiestadien nach Zahnverlust

Akutueller als je zuvor sind die Atrophiestadien nach Cawood und Howell nach Zahnverlust. Sie zeigen den typischen Atrophieverlauf auf, der in den Stadien 1 bis 3 zunächst mit der lateralen Inaktivitätsatrophie und dem Alveolenkollaps und anschließend in den Stadien 4 und 5 mit der vertikalen Atrophie reagiert [14] (Abb. 5). Während die Alveole durch intraalveoläre Prozesse in den 5 Phasen der Knochenregeneration nach 120 Tagen maximal ausgeheilt ist [13] (Abb. 6a–c), beginnt zeitgleich mit dem Zahnverlust die Veränderung der Alveolarkammkontur (Abb. 7a–c). Diese umfasst die laterale Atrophie und kann in den ersten 3 Monaten 32% und in den ersten 6 Monaten bis zu 63% der Kieferkammbreite betragen.

  • Abb. 5: Einteilung der Atrophie nach Cawood/Howell (1988).
  • Abb. 6a–c: Sekundärer Zahnverlust nach Frontzahntrauma und intraalveoläre Regeneration mit Vertikalisierung des Knochens und Weichgewebes nach 6 und 12 Wochen.
  • Abb. 5: Einteilung der Atrophie nach Cawood/Howell (1988).
    © Dr. Tetsch
  • Abb. 6a–c: Sekundärer Zahnverlust nach Frontzahntrauma und intraalveoläre Regeneration mit Vertikalisierung des Knochens und Weichgewebes nach 6 und 12 Wochen.
    © Dr. Tetsch

  • Abb. 7a–c: Extraalveolärer Prozess mit lateraler Atrophie nach 6 und 12 Wochen.
  • Abb. 8: Laterale Inaktivitätsatrophie 1 Jahr nach traumatischem Zahnverlust bei einem 12-jährigen Mädchen.
  • Abb. 7a–c: Extraalveolärer Prozess mit lateraler Atrophie nach 6 und 12 Wochen.
    © Dr. Tetsch
  • Abb. 8: Laterale Inaktivitätsatrophie 1 Jahr nach traumatischem Zahnverlust bei einem 12-jährigen Mädchen.
    © Dr. Tetsch

  • Abb. 9: Laterale und vertikale Inaktivitätsatrophie bei einem 17-jährigen Mädchen 5 Jahre nach irreversiblem Frontzahntrauma der 11, 12.
  • Abb. 9: Laterale und vertikale Inaktivitätsatrophie bei einem 17-jährigen Mädchen 5 Jahre nach irreversiblem Frontzahntrauma der 11, 12.
    © Dr. Tetsch

Die vertikale Atrophie kann 11 bis 22% in den ersten 6 Monaten betragen [32] (Abb. 8 u. 9). Je früher der Zahnverlust in der Wachstumsphase eintritt, umso stärker wird das fehlende kontinuierliche Wachstum der Zähne bis zur Okklusionsebene die Entwicklung des Alveolarfortsatzes beeinträchtigen. Der fehlende Wachstumsreiz lässt die Atrophie im Vergleich zu den regulär wachsenden Nachbarzähnen noch extremer erscheinen. Zahnverluste und dadurch fehlende Zähne können neben der Atrophie in der Adoleszenz weitere Probleme mit sich bringen. Die Laut- und Sprachbildung, die Ästhetik und somit die psychosoziale Entwicklung der wachsenden Patienten kann negativ beeinflusst werden.

Die verschiedenen konservativen Versorgungsmöglichkeiten wie herausnehmbarer Zahnersatz oder Adhäsivbrücken [19] ersetzen zwar die fehlenden Zähne, sind aber häufig unbefriedigend und können das Problem der fortschreitenden Atrophie durch die Funktionslosigkeit in der betroffenen Region nicht verhindern [34] (Abb. 10 u. 11). Tegumental gelagerter Zahnersatz mit Druckbelastung auf den Kieferkamm kann die Atrophie sogar beschleunigen. Beide Versorgungsmöglichkeiten sind Wachstumshemmer der Pfeilerzähne und können durch extraaxiale Hebelwirkungen als kieferorthopädische Geräte wirken und auch zu Zahnschädigungen führen (Abb. 12).

  • Abb. 10: Modellgussprothese mit ponticartiger Gestaltung und tegumentaler Lage zum Ersatz der Zähne 11 und 21 bei einem 15-jährigen Jungen.
  • Abb. 11: Einflügelige Adhäsivbrücke zum Ersatz des Zahnes 12 bei einem 15-jährigen Mädchen. Die laterale Atrophie kann nicht verhindert werden.
  • Abb. 10: Modellgussprothese mit ponticartiger Gestaltung und tegumentaler Lage zum Ersatz der Zähne 11 und 21 bei einem 15-jährigen Jungen.
    © Dr. Tetsch
  • Abb. 11: Einflügelige Adhäsivbrücke zum Ersatz des Zahnes 12 bei einem 15-jährigen Mädchen. Die laterale Atrophie kann nicht verhindert werden.
    © Dr. Tetsch

  • Abb. 12: Iatrogene Zahnschädigung durch Schmelzabtrag zur Aufnahme der Adhäsivbrücken zur Platzgewinnung, Sekundärkaries an den Klebefugen.
  • Abb. 12: Iatrogene Zahnschädigung durch Schmelzabtrag zur Aufnahme der Adhäsivbrücken zur Platzgewinnung, Sekundärkaries an den Klebefugen.
    © Dr. Tetsch

Die prothetische Versorgungen

Konventionelle und implantatprothetische Versorgungen vor Abschluss des Kieferwachstums bergen Risiken, da die betroffenen Kieferabschnitte den komplexen dreidimensionalen Kiefer- und Alveolarfortsatzentwicklungen nicht folgen [2,26,27]. Daraus können erhebliche funktionelle und ästhetische Nachteile entstehen. Westwood und Duncan [43] sowie Bernard et al. [7] konnten in retrospektiven Studien in einem mehrjährigen Beobachtungszeitraum eine Infraokklusion implantatgetragener Kronen beobachten.

Das ankylotische Einwachsen von Implantaten führt im Wachstum nicht nur zu einer Infraokklusion, sondern gleichzeitig zu einer entsprechenden Auswirkung auf das Emergenzprofil des Implantates. Dies hat negative ästhetische Auswirkungen – auch, wenn die Funktion nicht zwingend nachteilig sein muss (Abb. 13, 14a–c). Zur Verhinderung der Inaktivitätsatrophie ist eine funktionelle Belastung durch eine implantatprothetische Rehabilitation sinnvoll. Bei der Implantation im Wachstum besteht die Schwierigkeit, das noch ausstehende individuelle Wachstum abzuschätzen. Die Risiken eines Misserfolges haben zu Empfehlungen geführt, erst nach dem 18. Lebensjahr zu implantieren. Einige Lehrmeinungen empfehlen eine Implantation sogar erst jenseits des 27. Lebensjahres [23,26,28]. Dem Risiko der Infraokklusion und der marginalen Problematik stehen positive morphologische und psychosoziale Aspekte einer frühzeitigen Implantation gegenüber.

  • Abb. 13: Infraokklusion nach Implantation im ortständigen Restknochen bei einer weiblichen Patientin alio loco im Alter von 13 Jahren – 24-Jahreskontrolle.
  • Abb. 14a–c: Extreme Infraokklusion nach Implantation im ortsständigen Restknochen bei einem männlichen Patienten im Alter von 12 Jahren alio loco – 16-Jahreskontrolle.
  • Abb. 13: Infraokklusion nach Implantation im ortständigen Restknochen bei einer weiblichen Patientin alio loco im Alter von 13 Jahren – 24-Jahreskontrolle.
    © Dr. Tetsch
  • Abb. 14a–c: Extreme Infraokklusion nach Implantation im ortsständigen Restknochen bei einem männlichen Patienten im Alter von 12 Jahren alio loco – 16-Jahreskontrolle.
    © Dr. Tetsch

Implantationszeitpunkt

Nach Untersuchungen von Björk und Skieller [8] beginnt in der frühen Kindheit das transversale Wachstum des Oberkiefers mit der Verbreiterung der Schädelbasis und dem Wachstum im Bereich der Sutura medialis. Dieser Prozess ist mit der Pubertät weitgehend abgeschlossen. Implantationen vor dem 9. Lebensjahr können zu einem Diastema führen [10,22]. Das sagittale Wachstum führt zu einer Abwärts- und Vorwärtsentwicklung des Oberkiefers und kann Fehlpositionen bereits gesetzter Implantate zur Folge haben. Das vertikale Wachstum umfasst Veränderungen der Orbita, der Kiefer- und Nasenhöhle und ist als Letztes abgeschlossen [15]. Es wird stark beeinflusst durch den genetisch festgelegten Gesichtstyp (lang oder kurz). Implantate, die vor dem Abschluss des vertikalen Wachstums inseriert werden, können sich später in der Kiefer- oder Nasenhöhle befinden [43].

Ein weiteres Problem besteht darin, dass das Wachstum in individuell sehr unterschiedlichen Phasen abläuft und durch eine kieferorthopädische Behandlung oder durch Muskelaktivitäten (z.B. Musculus masseter) beeinflusst werden kann. Während der Pubertät sind besonders starke Wachstumsschübe, die auch als Wachstumssprünge bezeichnet werden, zu erwarten. Das Alter der Patienten sollte also nicht das alleinige Kriterium für den Implantationszeitpunkt, sondern Teil einer individuellen Diagnostik sein, die das chronologische und biologische Alter, die Körpergröße des Patienten, der Eltern und Geschwister, das Wachstumspotenzial durch Wirbelkörperanalyse und Handröntgenaufnahmen sowie den Wachstumstyp und das Wachstumsmuster beinhaltet. Es bedarf einer intensiven Planung und einer interdisziplinären Zusammenarbeit, um den richtigen Implantationszeitpunkt festzulegen [24,42]. Die interdisziplinäre Therapie sollte individuell dem Patienten angepasst sein und entsprechend seinem Wachstum und biologischen Alter auch der Implantationszeitpunkt. Für die Planung und Erstellung eines Konzeptes stehen Leitlinien zur Verfügung, die die Erarbeitung des individuellen Konzeptes unterstützen.

Die implantatprothetische Versorgung bei fehlenden Zähnen nach Trauma im Wachstum ist aufgrund vieler ästhetischer Misserfolge umstritten. Durch langjährige Unwissenheit, wie das Wachstum des Mittelgesichtes abläuft und wie die beiden Parameter desmale Ossifikation der Kieferbasis und das Wachstum des Alveolarfortsatzes sich auf ein gesetztes Implantat auswirken, kam es in der Vergangenheit zu vielen Einzelfällen mit unbefriedigendem Ergebnis, die heute immer wieder als Negativbeispiel für die frühzeitige Therapie dienen. Besonders bei traumatischem Zahnverlust anders als bei multiplen Zahnaplasien [34] wird die implantatprothetische Versorgung daher meist auf das Wachstumsende verschoben.

Zur Verhinderung der Atrophie ist eine funktionelle Belastung des Knochens sinnvoll. Gleichzeitig muss aber das ausstehende Wachstum antizipiert werden, damit eine Infraokklusion und ein zu weit kraniales Durchtrittsprofil nach Wachstumsende vermieden werden können.

Bei einer frühzeitigen Implantation im Wachstum sollten verschiedene Punkte besprochen werden. Nach einer Übersichtsarbeit von Terheyden [33] wurde die Datenlage zur Wachstumsprognose des Alveolarfortsatzes in den verschiedenen Alterskategorien und die damit entstehende Infraokklusion berechnet. Während in der Alterskategorie bis zum 12. Lebensjahr das noch zu erwartende Wachstum des Alveolarfortsatzes bei Jungen zwischen 17 bis maximal 24 mm und bei Mädchen zwischen 14 und 20 mm betragen kann, reduziert sich der Wert in der Alterskategorie der Adoleszenten nach dem pubertären Wachstumsschub auf 3,1 mm im Mittelwert und 5,9 mm im Maximum.

Da das Wachstum des Alveolarfortsatzes nicht synchron zum Körperwachstum verläuft, ist auch noch Restwachstum in der Kategorie junge Erwachsene von 1,7 mm durchschnittlich und in Ausnahmefällen bei vertikalen Wachstumsmustern von bis zu 5,8 mm sogar bis zum 30. Lebensjahr möglich.

Für eine frühzeitige Therapie scheint nach einem Frontzahntrauma die Alterskategorie bis zum 12. Lebensjahr nicht empfehlenswert, da es unmöglich ist, mit einem definitiven Implantat bis zu 24 mm die vertikale Implantatposition zu antizipieren. Die Alterskategorie der Adoleszenten nach dem pubertären Wachstumsschub ist aber mit einem durchschnittlichen Restwachstum von 3,1 mm nach umfangreicher Diagnostik implantatprothetisch zur Verhinderung der Inaktivitätsatrophie zu versorgen.

Bei der Diagnostik sollten folgende Punkte berücksichtigt werden:

  • Das Alter der Patienten
  • Die Region des fehlenden Zahnes
  • Die Körpergröße
  • Das Wachstumspotenzial
  • Das Wachstumsmuster und der Wachstumstyp

Ausschlaggebend sind das biologische Alter …

Bei dem Alter des Patienten differenzieren wir heute das chronologische und das biologische Alter. Beide sind in verschiedenen Phasen des Lebens häufig nicht kongruent zueinander. Das chronologische Alter wird in der Zeit bis zum 12. Lebensjahr als Kind, in der Zeit vom 12. bis 18. Lebensjahr als Adoleszenz und in der Zeit vom 18. bis 31. Lebensjahr als junger Erwachsener bezeichnet. In der Adoleszenz ist durch immer früher einsetzende Pubertät, teilweise iatrogen hormonell gesteuert, das biologische Alter dem chronologischen Alter voraus, verläuft im Erwachsenenalter kongruent und kann je nach Genen, Gesundheit, Lebenswandel, Ernährung und sportlichen Aktivitäten wieder in die eine oder andere Richtung differieren.

  • Abb. 15: Körperwachstumskurven nach WHO, pubertärer Wachstumsschub bei Mädchen zwischen 12 und 13 Jahren und bei Jungen zwischen 14 und 15 Jahren.

  • Abb. 15: Körperwachstumskurven nach WHO, pubertärer Wachstumsschub bei Mädchen zwischen 12 und 13 Jahren und bei Jungen zwischen 14 und 15 Jahren.
    © Dr. Tetsch
Für die Implantatplanung in der Adoleszenz sollte das biologische Alter ein wichtiges Entscheidungskriterium sein. Das frühzeitige Einsetzen der Pubertät sorgt ebenfalls für den frühzeitigen pubertären Wachstumsschub, der bei Mädchen heute durchschnittlich nach WHO zwischen 12 und 13 und bei Jungen zwischen 14 und 15,5 Jahren liegt (Abb. 15). Die positiven Folgen sind nur geringes körperliches Wachstum und ein geringes Restwachstum im Alveolarfortsatz, das durchschnittlich bei 3 mm liegt [33].

Das ausstehende enchondrale Längenwachstum des Körpers kann mithilfe der Handwurzelaufnahme diagnostisch beurteilt werden. Favorisiert wird heute allerdings die Reife der Wirbelkörper im FRS. Das Wachstumsmuster und der Wachstumstyp spielen eine entscheidende Rolle bei der frühzeitigen Implantation. Es existieren 3 skelettale Wachstumsmuster: der vertikale oder dolichofaziale Typ, der horizontale oder brachiofaziale Typ und der mesiofaziale Typ als Mischform von Typ 1 und 2.

… und der Wachstumstyp

Der vertikale oder dolichofaziale Wachstumstyp ist für eine frühzeitige Implantation weniger geeignet, während der horizontale oder brachiofaziale Typ günstige Voraussetzungen bietet. Beide Typen liegen in 12,5% der europäischen Bevölkerung zugrunde und in je 2,5% in extremer Ausprägung. 75% der Bevölkerung zeigen mit dem mesiofazialen Wachstum eine Mischung aus beiden Wachstumsmustern. Zusätzlich ist das sagittale Wachstum von Bedeutung für die vestibulo-orale Implantat-Positionierung und den Implantatinsertionswinkel. Er ist selten nonsyndromal als hervorstechender Typ vorhanden, sondern ein Teil der beiden vorgenannten Wachstumstypen und bedeutet die ventrodorsale Entwicklung.

Die Wachstumstypen spielen eine wichtige Rolle bei der Modifizierung der Implantatposition im Raum. Neben den Wachstumsmustern ist die Rotation von großer Bedeutung. Die Rotation im oder gegen den Uhrzeigersinn (clockwise [cw]; counterclockwise [ccw]) bestimmt ebenfalls die vestibulo-orale Position des Implantats und den Implantatinsertionswinkel. Clockwise bedeutet eine palatinale, steile Stellung und counter-clockwise eine vestibuläre und flache Position des Implantats.

Nach einem traumatischen Zahnverlust ist bei erwachsenen Patienten im Vergleich zu adoleszenten Patienten ein absolut konträres Behandlungsprozedere als Standard festzustellen. Frühzeitige Maßnahmen wie Socket Preservation mit autologem Knochen oder Knochenersatzmaterialien, Weichgewebsmanagement mit freien oder gestielten Transplantaten sind ebenso Standardkonzepte wie Sofortimplantationen. Alle Maßnahmen dienen dazu, die Atrophie des Hart- und Weichgewebes zu vermeiden, Strukturen zu erhalten oder nach Verlust schnell zu ersetzen. Bei der Sofortimplantation steht der Strukturerhalt im Vordergrund. Durch die Sofortimplantation wird der Alveolenkollaps vermieden und die Papillen, die bei Zahnverlust noch vorhanden sind, werden über die Implantatschulter und eine intakte Knochenunterlage frühzeitig gestützt.

In derselben Indikation wird bei adoleszenten Patienten je nach Alter auf das Wachstumsende verwiesen. Ungünstige Provisorien und der funktionell nicht belastete Knochen führen in kurzer Zeit zu einem Wachstumsstillstand und einer Inaktivitätsatrophie, die immer in analoger Weise abläuft. Nach dem Zahnverlust ohne weitere Therapie erfolgt zunächst ein Wachstumsstillstand, danach der Alveolenkollaps (vgl. Abb. 7a–c, 8) in Form von lateraler Atrophie und zum Schluss die vertikale Atrophie (vgl. Abb. 9) mit Verlust von Weichgewebe und Attachment an den benachbarten Zähnen. Unbehandelt kippen die Nachbarzähne in die Lücke, Antagonisten elongieren und je nach Alter oder Wachstumsschub der durchbrechenden bleibenden Zähne erfolgt ein Mesialschub der gesamten distalen Zähne. Hieraus entstehen Asymmetrien und eventuell später funktionelle Probleme. Besonders die Eckzähne haben in der Front-Eckzahnführung eine besondere Position und Stellung und sollten nicht nur aus ästhetischer Sicht ihre genetisch festgelegte Position nicht verlassen.

Entwicklung eines Therapiekonzeptes

Mit den beschriebenen Punkten und den für die adulten Patienten geltenden Regeln nach Buser, Martin und Belser [11] wurde ein Konzept entwickelt und versucht, diese auf den adoleszenten Patienten modifiziert zu übertragen. Eine Checkliste zur Überprüfung ist geeignet.

Checkliste

  • Differenzierung zu Behandlungsbeginn – Kind/Adoleszent/Adult
  • Alter (chronologisches – biologisches)
  • Pubertät/Körpergröße/Wachstumspotenzial/Handwurzelaufnahme/ Wirbelkörperanalyse
  • Dentale Entwicklung (Wechselgebiss, abgeschlossene Dentition)
  • Skelettales Wachstumsmuster des Viscerocraniums (FRS-Analyse) o vertikales Wachstumsmuster – dolichofazial o horizontales Wachstumsmuster – brachiofazial o mesiofaziales Wachstumsmuster o sagittale Wachstumstendenz
  • Wachstumstyp o clockwise (cw) o counter-clockwise (ccw)
  • Wachstum des Alveolarfortsatzes
  • Phänotypisches Abgleichen mit Eltern/Geschwistern/Verwandten (Fotografie/metrische Analyse der Körperlänge) 
Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. Jan Tetsch