Effektive Reduktion des Spraynebel-Rückpralls – Möglichkeiten und Grenzen – Teil 1

Durch in Aerosol und Spraynebel enthaltene infektiöse Tröpfchen ist das Praxisteam bei der täglichen Arbeit einer erhöhten Infektionsgefährdung ausgesetzt. Dabei kann der sogenannte Spraynebel-Rückprall, der dies verursacht, durch die entsprechenden Maßnahmen bis zu zwei Dritteln in seiner Ausbreitung reduziert werden. Deshalb steht neben der Definition und Risikodarlegung von Aerosol und Spraynebelrückprall die Erläuterung der Maßnahmen, die zu dieser Reduktion führen, im Vordergrund der folgenden Ausführungen – nämlich der Einsatz eines leistungsstarken Absaugaggregates sowie ergonomisch gestaltete zahnärztliche Arbeitsplätze als Voraussetzung einer korrekten Absaugmethodik. Auch die darüber hinaus ergänzenden Maßnahmen zur Infektionsprophylaxe werden dargestellt.
Belastung und Beanspruchung bei zahnärztlicher Tätigkeit werden von vielen Faktoren beinflusst26. Ein Faktor stellt die ergonomisch gestaltete Ausrüstung, deren sinnvolle Anordnung und Nutzung dar. Hierzu zählt die sogenannte Absaugtechnik und -methodik. Die nachfolgenden beispielhaften Darstellungen sind vor allem auf Präparationen – als sehr häufige zahnärztliche Tätigkeit – orientiert.
Definition Aerosol und Spraynebel
Mit der Einführung hoch- und höchsttouriger Präparationsinstrumente ergaben sich effektivere Präparationsmöglichkeiten und Arbeitserleichterungen. Daraus leitet sich die Notwendigkeit einer effektiven Kühlung des Arbeitsgebietes ab, um Schäden im Bereich des Pulpa-Dentin-Systems zu vermeiden. Die dafür notwendige Flüssigkeitsmenge beträgt 50 ml pro Minute17. Der entstehende Spray wird an verschiedenen intraoralen Strukturen und Arbeitsmitteln reflektiert bzw. verwirbelt, sodass ein sogenanntes „Aerosol“ entsteht. Der Begriff „Aerosol“ wird in der Zahnmedizin häufig auch zur Bezeichnung des Spraynebel-Rückpralls benutzt. Dies ist nur anteilig zutreffend, weil ein Aerosol physikalisch als Suspension von flüssigen bzw. festen Teilchen mit einem Radius von 10-9 bis 10-3 m in einem gasförmigen Medium beschrieben wird42. Der Spraynebel-Rückprall enthält jedoch vor allem größere Partikel. In der zahnärztlichen Praxis treten sowohl Aerosole als auch Spraynebel-Rückprall auf. Aerosole sedimentieren über einen Zeitraum von Stunden im Behandlungsraum. Demgegenüber tritt der mit Keimen und Schleifsubstanz beladene und mit Speichel vermischte Spraynebel-Rückprall unmittelbar bei der Tätigkeit aus der Mundhöhle des Patienten in Form einer Glocke bzw. eines Kegels aus und trifft direkt den zentralen Arbeitsbereich, z. B. das Behandlungsteam17,38,41.
Risiken durch Aerosol und Spraynebel
Für Zahnarzt und Assistenz resultiert aus der Exposition gegenüber potenziell infektiösen Tröpfchen eine erhöhte Infektionsgefährdung1,2,6,37,38. Beispielsweise wurden in der Zeit von 1973 bis 1981 (Tab. 1) Berufskrankheiten ausgewertet27, die nach fachärztlichen Begutachtungen für Zahnärzte, Assistenzen und Zahntechniker anerkannt wurden. Häufungen wurden für Arbeitsdermatosen und Infektionskrankheiten festgestellt. Bei den Zahnärzten traten damals die beruflich bedingten Infektionskrankheiten und dabei v. a. die Hepatitis B häufig auf. Aber auch beruflich bedingte Erkrankungen in Form der Lungentuberkulose wurden beobachtet. Bedeutsam ist die unterschiedliche Verlaufsform der durchschnittlichen Körperschäden bei diesen beiden Erkrankungsgruppen (Abb. 1). Während bei den Hepatitis-B-Erkrankten nach mehr als sechs Jahren der durchschnittliche Körperschaden ansteigt, fällt der prozentuale Anteil des Körperschadens bei den an Tuberkulose Erkrankten ab dem vierten Jahr nach der Anerkennung ab.
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Tab. 1
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Tab. 2
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Tab. 3
Der Begriff Körperschaden muss aber auch im Sinne des Wortes als „Minderung der Leistungsfähigkeit“ beschrieben werden. Dies kann z. B. bei einer chronischen Hepatitis oder einer Lungentuberkulose und möglichen weiteren schwerwiegenden Folgeerkrankungen zur erzwungenen Praxisaufgabe führen.
Aktuelle Daten stellte die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege für die Jahre 2000 bis 200923 zur Verfügung (Tab. 2 u. 3). Dabei zeigte sich, dass die Arbeitsdermatosen einen großen Anteil einnehmen. Auch die beruflich bedingten Infektionserkrankungen spielen noch immer eine große Rolle. Dabei sind die Hepatitis C und B sowie die Tuberkulose zu nennen.
Auch wenn die Verletzung mit einem kontaminierten Instrument der wesentliche Übertragungsweg parenteral infektiöser Viren ist, kann die Exposition der Schleimhäute des Respirationstraktes bzw. der Augen zur Infektion führen.
Dank der von der Ständigen Impfkommission initiierten22 und seit mittlerweile 25 Jahren andauernden Hepatitis-Impfkampagne ist die Hepatitis-B-Inzidenz bei den Beschäftigten im Gesundheitsdienst gesunken11,12,18. Die für die Hepatitis B zur Verfügung stehende Schutzimpfung bietet auch Schutz vor der Hepatitis D39. Für die Hepatitis C sowie für AIDS gibt es keine Schutzimpfungen. Trotzdem ist die Inzidenz der HCV-Infektionen in Deutschland seit 6 Jahren rückläufig21.
In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Studien durchgeführt, die ein signifikant erhöhtes HCV-Infektionsrisiko bei Angehörigen verschiedener medizinischer und zahnmedizinischer Berufe ergaben19. In einer Untersuchung an 245 Beschäftigten, bei denen ein pathologischer Serumtransaminasenwert gefunden wurde, zeigte sich (im Vergleich mit Beschäftigten im nichtmedizinischen Bereich) bei Beschäftigten im medizinischen Bereich ein relatives Risiko für eine HCV-Infektion von 3,22 (p < 0,05)10. Die Infektionsgefährdung ist für das Behandlungsteam nach wie vor aktuell9,36. Nach Schätzungen des Robert-Koch-Institutes lebten in Deutschland im Jahre 2009 etwa eine Million Menschen mit einer chronischen Hepatitis-B- oder -C-Infektion sowie 67.000 HIV-Infizierte (davon 11.000 mit AIDS). Während die Hepatitis B in weniger als 10 % der Fälle einen chronischen Verlauf nimmt, sind es bei der Hepatitis C etwa 50 bis 80 %9. Da die chronische Hepatitis die Entstehung eines Leberzellkarzinoms begünstigt, muss langfristig bei etwa 0,1 % der Hepatitis-B-Infizierten sowie bei 10 bis 20 % der Hepatitis-C-Infizierten mit einem Leberzellkarzinom gerechnet werden. Die hohe Rate von Leberzirrhosen und Leberzellkarzinomen führt dazu, dass die Hepatitis C gegenwärtig die häufigste Ursache für eine Lebertransplantation ist13.
Außerdem ändern sich die von uns zu betreuenden Patientengruppen. Dazu tragen z. B. die Globalisierung der Arbeitswelt und die Zunahme der Zahl von Fernreisenden bei. In Deutschland ist die Inzidenz der Tuberkulose bei den in Deutschland lebenden Ausländern um etwa das Vierfache höher als bei der einheimischen Bevölkerung40. Hinzu kommen epidemisch bzw. pandemisch verlaufende Infektionen wie z. B. die aviäre Influenza und die sogenannte Schweinegrippe. Völlig unklar ist die Bedeutung ambulanter medizinischer und zahnmedizinischer Einrichtungen bei der Übertragung antibiotikaresistenter Erreger wie z. B. des Methicillinresistenten Staphylococcus aureus, der ebenfalls im Respirationstrakt persistieren kann. Keime der beispielhaft genannten Krankheiten können mit dem „Spraynebel“ aus der Mundhöhle des Patienten austreten (Abb. 2a u. b). Unter diesen Aspekten besitzen eine leistungsfähige Absaugtechnik und eine systematische Spraynebel-Absaugmethodik besondere Bedeutung.
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Abb. 2a: Durch die mit Erythrosin gefärbte Kühlflüssigkeit kann der Spraynebel-Rückprall dargestellt werden. Das Beispiel zeigt die Situation am Beginn einer Präparation am Zahn 16 (ohne Absaugung).
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Abb. 2b: Dieses Beispiel zeigt die Kontamination im Hand- und Unterarmbereich.
Einflussfaktoren für die Spraynebel-Ausbreitung
Die Absauganlagen weisen unterschiedliche Saugleistungen auf. Als notwendige Absaugleistung werden 300 l pro Minute angesehen5. Eigene Untersuchungen ergaben bei 20 Messungen in zahnärztlichen Praxen Absaugleistungswerte zwischen 390 und 150 l pro Minute20. Dies lässt sich mit dem Durchflussmessgerät der Fa. Dürr (Dürr Dental, Bietigheim-Bissingen) unter den Bedingungen der Praxis messen. Derartige Hilfsmittel gehören zur Ausrüstung des Dentaltechnik-Services. Die Messungen sind mit minimalem Aufwand durchzuführen. Aus klinischer Sicht wird die Spraynebel-Absaugung dann als ausreichend eingeschätzt, wenn sie neben Flüssigkeiten, Schleifprodukten und Zahnstein vor allem den Spraynebel „vollständig“ aus der Mundhöhle in unmittelbarer Nähe des Präparationsgebietes nach Kühlung am Zahn eliminiert. Die Absaugleistung des Saugaggregates kann durch verschiedene Situationen gewollt oder ungewollt reduziert werden. Einige Beispiele dafür sollen angeführt werden. Zum einen sind Abflussbehinderungen v. a. im Bereich des Feststofffängers zu nennen. Ein praxisübliches Beispiel sind Silikon-Abformmassen dünner Konsistenz, die aus der Mundhöhle abgesaugt wurden und bei denen im Bereich des Feststofffängers der Abbindeprozess stattfand.
Eine andere Möglichkeit sind drosselbare Absaugleistungen im Bereich von Absaugkanülen bzw. bei Zusatzkupplungen, die im Bereich der Absaugkanülenhalterung zwischengeschaltet sind. Hierbei sind Absenkungen der Absaugleistung nur bewusst durch den Nutzer möglich. Außerdem tritt eine reduzierte Absaugleistung ein, wenn durch eine falsche Absaugmethodik Weichteile der Mundhöhle die Öffnung der Kanüle ganz oder teilweise verlegen. Auf die Ausbreitung des Spraynebel-Rückpralls nimmt auch die Art des genutzten Präparationsantriebes und die Anzahl der Spraydüsen Einfluss. Bei Mikromotornutzung ist die Ausbreitung des Spraynebel-Rückpralls geringer als bei Dentalturbinen. Beim Vergleich der Düsenanzahl resultiert bei 4-Düsen-Systemen im Vergleich zu 3-Düsen-Systemen ebenfalls eine geringere Ausbreitung16.
Einfluss nimmt auch die Richtung der Spraystrahlen. Wenn diese z. B. auf die Spitze des Schleifers gerichtet sind, so erfolgt eine geringere Verwirbelung. In diesem Zusammenhang muss auf unterschiedliche Schleifer Schleiferformen hingewiesen werden. Die Richtung des Spraystrahls kann in der zahnärztlichen Praxis nicht verstellt werden. Dies bedeutet, dass bei Nutzung von Schleifern, die ausgeprägte Wölbungen bzw. große Arbeitsteildurchmesser besitzen (wie z. B. die sogenannten reifenförmigen FG-Schleifer), der Spraystrahl erheblich mehr abgelenkt und verwirbelt wird. Die Ausbreitungsstrecken des Spraynebel-Rückpralls werden nachfolgend bezogen auf die durchschnittliche Arbeitshöhe in der Horizontalen dargestellt. Dabei dient das bekannte Uhrzeitschema mit der
- 3.00 Uhr-Position („links vom Patientenkopf“ – „Assistenzposition“)
- 6.00 Uhr-Position („vor dem Patientenkopf“)
- 9.00 Uhr-Position („rechts vom Patientenkopf“ – „Zahnarztposition“)
- 12.00 Uhr-Position („hinter dem Patientenkopf“)
zur leichteren Vergleichbarkeit der Ergebnisse und gleichzeitig zur besseren Verständigung28. Die Ausbreitung des Spraynebel-Rückpralls ist auch vom Behandlungsort abhängig. Bei Präparationen im Frontzahngebiet ist die Ausbreitung umfangreicher als bei Behandlungen im Seitenzahnbereich (Abb. 3). Dies wird am Beispiel eines liegenden Patienten gezeigt.
Die Ausbreitung des Spraynebel-Rückpralls ist bei Frontzahnpräparation auch in Richtung 12.00 Uhr zu ermitteln. Die Mundspalte wirkt als Blende. Dieser Effekt tritt auch beim Rotieren des Patientenkopfes ein, wenn dies zur besseren Einblicksmöglichkeit für den Zahnarzt und die unmittelbare Assistenz realisiert wird. Bei Präparationen im 2. und 3. Quadranten wird der Spraynebel – durch die Kopfrotation (z. B. 20°) bedingt – bevorzugt in Richtung 9.00 Uhr gelenkt. Bei Präparationen im 1. und 4. Quadranten erfolgt der Spraynebel-Rückprall demgegenüber bevorzugt in Richtung 3.00 Uhr. Der Blendencharakter der Mundspalte kann also auch bei Präparationen im Bereich der linken und rechten Kieferhälfte differenziert werden16.