Digitale Praxis


Röntgendiagnostik im Spannungsfeld von Informationsgewinn, Strahlenhygiene und Kostenerstattung


Ja, die schlimme Nachricht vorneweg: Röntgenbilder werden auch im Jahre 2013 mit Röntgenstrahlen erzeugt – Punkt. Und dass Anwender von röntgen-diagnostischen Anlagen auf einer Stufe mit Betreibern von Kernkraftwerken in katastrophengefährdeten Gebieten stehen, ist 27 Jahre nach Tschernobyl und 2 Jahr nach Fukushima für den umfassend informierten Patienten mehr als naheliegend.

Gern wird hier auch die Statistik bemüht, die besagt, dass 37 % aller Röntgenuntersuchungen auf die Zahnmedizin entfallen (Abb. 1 links). Und dass die Hälfte aller Röntgenbilder sowieso überflüssig ist, hat im Bewusstsein der Allgemeinheit einen festen Platz. Nur ergibt sich diese Erkenntnis meist erst nach der Bilderstellung und der Feststellung der Freiheit von pathologischen Befunden, was ja für sich betrachtet auch einen nicht unerheblichen Informationsgewinn darstellt. So steht in anderen medizinischen Disziplinen die Vorsorgeuntersuchung und gerade die dokumentierte Feststellung der Befundfreiheit im medialen und öffentlichen Bewusstsein – so selbstverständlich wie die tägliche Zahnpflege.

  • Abb. 1: Prozentualer Anteil der verschiedenen Untersuchungsarten an der Gesamthäufigkeit (links) und an der kollektiven effektiven Dosis (rechts) für das Jahr 2006 (Quelle: Bundesamt für Strahlenschutz).

  • Abb. 1: Prozentualer Anteil der verschiedenen Untersuchungsarten an der Gesamthäufigkeit (links) und an der kollektiven effektiven Dosis (rechts) für das Jahr 2006 (Quelle: Bundesamt für Strahlenschutz).
 Gerade die Frage der rechtfertigenden Indikation, die laut Gesetz jeder Anwendung ionisierender Strahlung am Patienten vorausgehen muss, ist stets zu stellen. Der gesamte Vorsorgebereich kehrt dies gewissermaßen um. So reicht bereits die Inzidenz von Mammakarzinomen (102 auf 100.000) zur Rechtfertigung der gängigen Screeningpraxis. Allein bei der einseitigen Mammographie wird laut Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) das Fünffache der kollektiven Effektivdosis der gesamten Zahnmedizin erreicht. Hier wird es also für medizinisch sinnvoll und strahlenhygienisch vertretbar angesehen, 999 gesunde Frauen ionisierender Strahlung auszusetzen, um eine Patientin frühzeitig als erkrankt zu diagnostizieren. Falschpositive und falschnegative Ergebnisse sowie deren Folgen sollen hier gar nicht diskutiert werden. Dass hier neben der Palpation auch Ultraschall und andere nicht ionisierende bildgebende Verfahren sinnvoll angewandt werden können, steht außer Frage, trägt aber nicht zur Einschränkung der rechtfertigenden Indikation bei.

Wozu also dieser Ausflug in die Vorsorgeuntersuchung mittels Röntgendiagnostik? Wird das ein billiges Ablenkungsmanöver nach dem Motto: „Die sind alle viel schlimmer als wir?“ Keineswegs. Was wäre, wenn von heute auf morgen kein einziges Röntgenbild mehr im Bereich der Zahnmedizin angefertigt werden würde? Die 37 % aller medizinisch indizierten Aufnahmen der Zahnmedizin würden entfallen, alle anderen medizinischen Bereiche würden, ohne eine einzige Aufnahme mehr, ihre prozentualen Anteile an der Aufnahmentorte schlagartig nahezu verdoppeln, da eine prozentuale Verteilung in der Summe immer die 100 % erreichen muss.

Diagnostik ohne Röntgen undenkbar

Nur was wird aus der kollektiven Effektivdosis? Da hier die gesamte Strahlendiagnostik der Zahnmedizin nur 0,2 % ausmacht, wäre kein spürbarer Effekt zur Strahlendosisreduktion erkennbar. Doch was wäre die Zahnmedizin ohne Röntgendiagnostik – die Kieferorthopädie ohne Handaufnahmen, FRS und PSA, Zahnerhaltung, die Parodontologie und Prothetik ohne verantwortungsvolle Diagnostik und Prognosen von Zähnen, Wurzeln und künstlichen Pfeilern? Die meisten Eingriffe in der Chirurgie sind ohne Röntgendiagnostik ohnehin sträflich. Ist es doch gerade die fundierte Diagnostik, die die Grundlage der Zahnmedizin als seriöser Wissenschaft bildet.

  • Abb. 2: Mittlere effektive Dosis (in mSv) pro Einwohner und Jahr durch Röntgenuntersuchungen in Deutschland (Quelle: Bundesamt für Strahlenschutz).

  • Abb. 2: Mittlere effektive Dosis (in mSv) pro Einwohner und Jahr durch Röntgenuntersuchungen in Deutschland (Quelle: Bundesamt für Strahlenschutz).
 Deshalb sind die beiden gezeigten Grafiken der beste Beleg für erfolgreiche Forschung und verantwortungsvollen Einsatz ionisierender Strahlung in der Zahnmedizin. Die rechtfertigende Indikation jeder einzelnen Aufnahme vorausgesetzt, sind sich die Zahnmediziner des Informationsgewinns durch Röntgenbilder bewusst, setzen diese verantwortungsvoll ein und tragen nur zu einem fünfhundertstel (0,2 %) der kollektiven Effektivdosis bei. Die hochentwickelten Produkte, die den Zahnmedizinern hierfür bereitgestellt werden, suchen auf anderen medizinischen Gebieten Vergleichbares. Allein die 3D-Bildgebung mittels DVT stellt hier einen wertvollen Innovationsmotor dar. So finden nicht nur deutlich reduzierte Strahlendosen Anwendung, sondern auch Bildqualitäten, die im CT nicht erreichbar sind. Sind beispielsweise röntgendichte Strukturen, wie Metalle in der Bildebene, kommt es im CT zu deutlich ausgeprägten Artefakten, die häufig die unmittelbare Umgebung als nicht befundbar darstellen. Moderne DVT-Geräte gehen hier in der Bildqualität deutlich weiter, sodass nicht nur Artefakte vermieden, sondern sogar Strukturen innerhalb metallischer Gegenstände sichtbar werden (Abb. 2). Die wachsende Anwendung von DVT im HNO-Bereich stellt diese Innovationen der Zahnmedizin weiteren Fachgebieten zur Verfügung und kann auf diese Weise viel mehr zur Strahlenhygiene beitragen, wenn Erkenntnisse und Entwicklungen von DVT auf CT, das immerhin 60 % der kollektiven Effektivdosis ausmacht, übertragen werden.

Die Anwendung des ALARA-Prinzips („As Low As Reasonably Achievable“ englisch für „so niedrig wie vernünftigerweise erreichbar“) in Bezug auf die Strahlenhygiene stellt gerade für Zahnmediziner traditionell ein Grundprinzip dar. Unterschiedliche Fragestellungen bedürfen eines flexiblen Aufnahmever fahrens und einer entsprechend umfangreichen Geräteausstattung. So kommen neben Einzelzahnaufnahmen mit Kleinröntgeneinrichtungen Panorama- und Fernröntgengeräte zum Einsatz. Aber auch in der Gerätewahl bei der DVT-Technologie wird zunehmend Wert gelegt auf die Fokussierbarkeit auf das Untersuchungsgebiet. Sollten größere Volumen von Interesse sein, bietet sich die Anpassung des FOV („Field of view“ englisch für „dargestelltes Volumen“) auch Flexi-FOV genannt, an. Ein starres FOV von beispielsweise 8 x 8 cm kann hier langfristig nicht dem ALARA-Prinzip und dem Selbstverständnis der Zahnmediziner gerecht werden. Zur Einordnung der absoluten in der medizinischen Diagnostik anfallenden Dosis von etwa 1,8 mSv pro Jahr und Einwohner (Abb. 2) sollen diese der laut BfS anfallenden natürlich vorkommenden Dosis gegenübergestellt werden.

Da der Anteil der Zahnmedizin aber nur 0,2 % der medizinisch diagnostisch anfallenden 1,8 mSv ausmacht, sind dies effektiv 0,0036 mSv pro Jahr und Einwohner, also beispielsweise etwa 2 % der durch das Kaliumisotop Kalium-40 bei Erwachsenen verursachten Dosis. Daher sollte der Sinn mancher strahlendosisreduzierender Maßnahmen, wie Teilumläufe bei DVT, die nicht selten zu Qualitätsverlusten führen, hinterfragt werden. Die Bildqualität, die ausschlaggebend für den diagnostischen Wert jeder Aufnahme ist, sollte hier im Vordergrund der Entwicklung stehen.

 

Eine große Verantwortung für die Strahlenhygiene liegt aber auch bei den Kostenträgern und der dringend überfälligen Überarbeitung von Leistungskatalogen und beschreibungen. Kann beispielsweise die Wurzelkanallängenbestimmung alternativ zum Röntgenbild mittels elektronischer Messmethoden erfolgen, sollte dies entsprechend honoriert und akzeptiert werden und nicht die Messaufnahme als zwingend erforderlich für die Abrechenbarkeit einer endodontischen Behandlung betrachtet werden. Der vollständige Verzicht auf die zum Zeitpunkt der BEMA- und GOZ-Erarbeitung noch nicht verfügbare DVT-Technologie führt nicht selten zur Erstellung von ein Vielfaches der Strahlendosis erfordernden CT-Aufnahmen, nur weil diese im Vertragsrecht bei entsprechenden Indikationen abrechenbar sind. Auch die besondere Honorierung strahlendosisreduzierter digitaler Aufnahmeverfahren könnte einen zusätzlichen Investitionsanreiz schaffen.

Aber auch die Frage der Befundung stellt sich im Zeitalter digitaler Bildgebungsverfahren neu. Eine generelle schriftliche Feststellung der Abwesenheit oder konkret vorhandener pathologischer Befunde ist nach wie vor möglich, doch enthalten gerade hochaufl ösende Aufnahmen insbesondere metrische Informationen, die nicht vollumfänglich verbal beschrieben werden können, sondern vielmehr ihren Niederschlag in nachfolgenden Prozessen finden. Diese reichen von Scrollen durch Ebenen vor und während der Behandlung, über die Herstellung von Schablonen hin zur Informationsüberlagerung mit digitalen Abformsystemen und der computergestützten Herstellung von Medizinprodukten, wie Zahnersatz und Endoprothesen.

Somit stellt die Röntgendiagnostik einen wertvollen und in Kombination mit weiteren bildgebenden Verfahren einen integralen Bestandteil moderner Zahnheilkunde dar. Die Verflechtung dieser Systeme, z. B. durch Übernahme der tatsächlichen patienteneigenen Gelenkbahnen in virtuelle Artikulatoren zur Herstellung optimalen Zahnersatzes mittels CNC-Fräsen oder Sinterverfahren, sollte in naher Zukunft möglich werden. Herstellerübergreifende offene Bildformate mit echter DICOM-Kompatibilität sollten hierbei selbstverständlich sein. Aktuell verfügbare röntgenbasierte Technologien sollten insbesondere in Hinblick auf Bildqualität und Auflösung völlig ausreichen. So fokussieren Hersteller heute in erster Linie nicht mehr auf Auflösungssteigerungen, sondern mehr auf Komfortfragen, wie einfachere Positionierungshilfen, patientenbezogene Speicherfolienidentifikationssysteme, variable Aufnahmegrößen (FOV) und MAC-Anbindungen. 

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. Sigmar Kopp

Bilder soweit nicht anders deklariert: Dr. Sigmar Kopp


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