Die Digitalisierung wird das Handeln bestimmen

Mehrere Praxisumfragen bei niedergelassenen Zahnärzten, durchgeführt von der AG Keramik im Zeitraum 2015 bis 2017, ergaben, dass bereits 50% der Restaurationen computergestützt hergestellt werden.
Damit gleicht diese Entwicklung einer „stillen Revolution“ und zeichnet ein Bild, das weitgehend auch der gesamten Medizin entspricht; digitale Technologien für Diagnostik und Therapie sind bereits in allen Bereichen in Klinik, Praxis und Labor eingezogen. Auch die Zahnmedizin ist inzwischen ohne moderne computergestützte Verfahren nicht mehr vorstellbar. Die intraoral und extraoral optische Messaufnahme, die virtuelle okklusale Zuordnung von Ober- zu Unterkiefer mit verschiedenen Registriertechniken, die Berücksichtigung funktioneller Artikulationsbewegungen, das dreidimensionale Konstruieren auf dem Bildschirm, die Nutzung unzähliger Zahnformen aus der Zahndatenbank, die wissensbasierte Gestaltung anatomischer Kauflächen nach den Methoden des Maschinenlernens, die subtraktive Bearbeitung von Hochleistungskeramiken – all das befindet sich heute mit den parallelen Entwicklungen in der Digitaltechnik in einem sehr ausgereiften und automatisierten Zustand. Der Quantensprung hierzu wurde schon 1985 vorbereitet.
Die CAD/CAM-Technik – ein Meilenstein
Mithilfe einer optischen Messkamera konnte damals erstmalig eine Präparation intraoral dreidimensional vermessen und digitalisiert auf einem Computer gespeichert werden. Mittels einer bildgebenden Software und einer angekoppelten CNC-Schleifeinheit wurde das erste Chairside-Inlay aus Silikatkeramik an der Universität Zürich ausgeschliffen. Seitdem sind weltweit über 40 Millionen vollkeramische Restaurationen mit der CAD/CAM-Technik hergestellt worden. Durch computergesteuerte Fräs- und Schleifmaschinen ist die subtraktive Bearbeitung von Silikat- und Oxidkeramiken sowie einer Bandbreite von weiteren Materialien für ästhetisch und funktionell hochwertige Restaurationen mit einer reproduzierbaren, konstanten Werkstoffqualität bei gleichzeitiger Kostenoptimierung möglich geworden.
Den Impetus bezog diese Entwicklung ursprünglich aus zwei Quellen: Die Protagonisten der computergestützten Chairside- Versorgung wollten eine industriell hergestellte Keramik mit definierten physikalischen Eigenschaften unmittelbar an der Behandlungseinheit bearbeiten und den Patienten in einer Sitzung ohne weiteres Provisorium versorgen. Der andere Ansatz war, hochfeste Oxidkeramiken – z.B. Zirkoniumdioxid (ZrO2) - mithilfe der CAD/CAM-gesteuerten Fräs- und Schleiftechnik für Kronen- und Brückengerüste nutzbar zu machen. Hinzugekommen ist, dass durch die intraorale digitale Abformung und die virtuelle Registrierung, zusammen mit dem Online-Versand des Datensatzes, die zahntechnische Werkbank näher an die Behandlungseinheit gerückt ist.
Ein wichtiger Baustein in der computergestützten Zahnmedizin sind die intraoralen Scanner. Diese speisen nicht nur die Daten der unterschiedlichsten Präparationen in die Konstruktionssoftware ein, sondern auch die gesamte klinische intraorale Situation, wie Gesamtkiefer und Weichgewebsanteile, können erfasst werden, um Informationen für viele weitere Anwendungsgebiete in den Bereichen der Diagnostik, Therapieplanung oder zur Dokumentation zur Verfügung zu stellen. Für die intraorale Messaufnahme haben sich inzwischen verschiedene Messmethoden qualifiziert, die optisch und berührungsfrei ohne weitere Konditionierung der Oberflächen intraorale Strukturen mit hoher Genauigkeit erfassen lassen. Extraorale Scanner erfassen Abformungen oder Gipsmodelle optisch in einem meist vollautomatisierten Messprozess aus Einzelaufnahmen aus unterschiedlichen Winkeln. Hierbei werden die Aufnahmen von der Software zu einem virtuellen CAD/CAM-Modell zusammengerechnet.
In der Zahntechnik gehört es heute zum Standard, dass komplexe prothetische Restaurationen mittels CAD-Konstruktionssoftware erstellt werden, z.B. Designvorschläge für Brückenkonnektoren, prothetische Hilfsteile für Kombiarbeiten, Primärteile für Teleskopkronen, Geschiebe mit Schubverteiler, Suprastrukturen für die Implantatprothetik und auch Modellgerüste bis hin zu Totalprothesen. Nach wie vor werden weiterhin Anstrengungen unternommen, diese Konstruktionsprozesse noch weiter zu optimieren und zu automatisieren.
Im Digitalen steckt die Zukunft
Worauf wird sich der aktuelle Trend der weiteren Digitalisierung konzentrieren? Wer sich mit der Thematik eingehend beschäftigt, konnte schon früh voraussehen, dass die rasante Software- und Hardwareentwicklung in anderen technologischen und medizinischen Bereichen den Computereinsatz auch in der Zahnmedizin für viele Indikationsbereiche ermöglicht. So wird heute die bildgebende, digitale Volumentomografie (DVT) mit der prothetischen Planung von Implantatversorgungen verknüpft, wobei Bohrschablonen sowie Suprastrukturen digital mit hoher Präzision gefertigt werden können.
Die patientenspezifische, dynamische Okklusion kann im virtuellen Artikulator original wiedergegeben und analysiert werden, mit dem Ergebnis, dass die Funktion bereits in der restaurativen Konstruktion berücksichtigt wird und keine weitere Adjustierung nach Eingliederung erforderlich ist. Ganzkieferaufnahmen ermöglichen für die Kieferorthopädie, 3D-Modelle auszudrucken, Analysen durchzuführen und Schienen für Aligner computergestützt zu fertigen. Ferner können Zahnabrasionen/Erosionen, Zahnwanderungen und Gingivaveränderungen im Zeitvergleich detektiert und diagnostisch ausgewertet werden.
Die rasante Entwicklung der Digitaltechnik hat sich auch auf dem Cerec-Masterkurs 2019 der DGCZ gezeigt. Hier wurde der aktuelle Stand der verschiedensten Einsatzmöglichkeiten im klinischen Behandlungsalltag vorgetragen, der von der Einzelzahnrestauration bis zur vollumfänglichen Einbeziehung funktioneller Aspekte und zu Therapielösungen mit Bisslageänderungen bei Parafunktionen reicht (S. 14 ZMK). Dadurch wurde erkennbar, dass computergestützte Behandlungsmethoden und Fertigungsverfahren einen immer größeren Raum einnehmen und damit das Handeln in der Praxis und im zahntechnischen Labor bestimmen.
Die Digitalisierung prägt aber auch die Unternehmensabläufe der Dentalindustrie, in Vertrieb, Service und Logistik, in der Entwicklung neuer Produkte und Programme sowie der Bereitstellung und Verfügbarkeit von Geräten und Materialien.
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Prof. Dr. Dr. Albert Mehl, Universität Zürich
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Manfred Kern, Wiesbaden, AG Keramik
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