Allgemeine Zahnheilkunde


Zeitgemäße dentale Versorgungskonzepte: Erfahrungen mit dem Aufbau eines mobilen zahnärztlichen Dienstes

Sinkende Geburtenzahlen, eine steigende Lebenserwartung und in der Folge ein stetig zunehmender Anteil an Senioren in der Bevölkerung [1]: Auf die damit verbundenen, teilweise bereits spürbaren Veränderungen müssen sich Politik und Gesellschaft gleichermaßen einstellen. Auch Praxisinhaber sollten sich mit den Auswirkungen dieser Entwicklung auf den Alltag in der Zahnarztpraxis befassen, um entsprechende Vorkehrungen treffen zu können.

Umdenken gefragt

Dass eine sorgfältige Vorbereitung notwendig ist, ist sicher: Es werden Behandlungskonzepte benötigt, welche auf die Bedürfnisse von Senioren zugeschnitten sind. Diese wünschen nicht nur kostengünstige Versorgungen, sondern auch speziell wenig invasive Eingriffe, die zu einer gesteigerten Lebensqualität beitragen. Umzusetzen ist dies beispielsweise durch die Tendenz zur Reparatur anstelle einer vollständigen Erneuerung von Zahnersatz [2]. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass immer mehr Senioren mit sehr komplexen, implantatgetragenen prothetischen Restaurationen versorgt sind. Diese erfordern eine regelmäßige Kontrolle und Reinigung durch einen Zahnarzt, da sie – speziell für Senioren mit eingeschränkten motorischen Fähigkeiten – nicht immer leicht zu pflegen sind. Die Kontrollen dienen dazu, einer Entstehung von Entzündungen des Weichgewebes vorzubeugen.

Maßnahmen außerhalb der Praxis

Doch mit der Implementierung geeigneter Therapieoptionen in der eigenen Praxis ist es noch nicht getan: Die Anzahl der Patienten, die aufgrund verschiedener Erkrankungen immobil sind und eine Zahnarztpraxis zeitweise oder permanent nicht mehr aufsuchen können, wird ebenfalls ansteigen. Somit sind Konzepte zu entwickeln, die eine adäquate zahnmedizinische Versorgung dieser Patientengruppe ermöglichen. Krankentransporte in eine barrierefreie Praxis sind nicht nur kostspielig, sondern auch mit hohem logistischem Aufwand und zusätzlichem Stress für die Patienten verbunden. Demnach liegt die Forderung nach einem flächendeckenden mobilen zahnärztlichen Dienst nahe, der Senioren und andere immobile Patienten (z. B. solche mit körperlichen Behinderungen) in Pflegeeinrichtungen sowie zu Hause versorgt.

Eigene Erfahrungen

Die Einrichtung eines solchen mobilen zahnärztlichen Dienstes erfolgte in der Praxis „Schwabinger Zähne“, Dr. Helmut Prager und Kollegen, im Jahre 2010. Seitdem bieten wir mit „MoZart“ insbesondere älteren, aber auch immobilen Patienten mit einem körperlichen oder geistigen Handicap in München und Umgebung zahnärztliche Behandlungen außerhalb der Zahnarztpraxis an. Für den Schritt, diesen Service weiter auszubauen, entschieden wir uns nach umfassenden Recherchen und einer Umfrage, die in Zusammenarbeit mit der Universität Ravensburg, Weingarten, im Jahre 2012 durchgeführt wurde. Dabei wurden 300 Patienten nach ihrer Einstellung gegenüber einem mobilen zahnärztlichen Dienst befragt. Bei den Befragten fand das Angebot großen Anklang – 85 % von ihnen hielten den Dienst für sinnvoll und gaben an, ihn bei Bedarf für sich in Anspruch nehmen zu wollen. Allerdings lehnte die Hälfte dieser Patienten eine Zuzahlung für die angebotene Dienstleistung ab. 90 % legten Wert darauf, das Angebot von ihrem eigenen, vertrauten Zahnarzt nutzen zu können.

Hohe Anforderungen

Bei der Umsetzung eines solchen Konzeptes sind zahlreiche Faktoren zu beachten; gesetzliche Vorgaben zur notwendigen Ausrüstung und deren entsprechendem Einsatz am Patienten fehlen jedoch bis heute. Im Gegensatz zu herkömmlichen stationären Betreuungskonzepten besteht die große Herausforderung des mobilen Dienstes darin, eine gleichbleibende Qualität in Bezug auf Einhaltung der RKI-Leitlinien und des Qualitätsmanagements zu gewährleisten. Hinzu kommt, dass besondere Anforderungen an das Personal gestellt werden: Dieses benötigt zwingend Erfahrung im Umgang mit älteren, häufig multimorbiden Patienten, die wenig belastbar sind und einen speziellen Umgang erfordern. Meines Erachtens sollte deren Behandlung deshalb geriatrisch erfahrenen Kollegen vorbehalten sein.

Implementierung von „MoZart“

Um den mobilen zahnärztlichen Dienst „MoZart“ anbieten zu können, erbaten wir wissenschaftliche Unterstützung von einer Universität sowie der bayerischen Landeszahnärztekammer. Wir investierten zunächst in einen speziell aus- und umgerüsteten Pkw (Abb. 1). Er wurde mit einem übersichtlichen und platzsparend angebrachten Boxensystem ausgestattet, in dem sämtliche in der Zahnarztpraxis zur Verfügung stehende Materialien so gelagert werden können, dass sie schnell einsatzbereit sind (Abb. 2). Eine mobile Behandlungseinheit mit Kompressor und Absaugung sowie ein mobiles Röntgengerät finden in dem Pkw Platz. Zudem wird stets eine Bodenabdeckung aus PVC mitgeführt, die als Fundament für den Aufbau des temporären Behandlungszimmers dient (Abb. 3). Ein eingebautes Kühlaggregat sorgt zudem für die ununterbrochene Kühlung temperaturempfindlicher Stoffe (dazu gehören Lokalanästhetika, einige Füllungsmaterialien, Adhäsive und Arzneimittel). Schließlich wird ein leistungsfähiges Notebook samt Zubehör für die Kartenlesung, die Dokumentation, das Qualitätsmanagement und den Rezeptdruck eingesetzt. Eine große Herausforderung stellt die Sicherstellung einer lückenlosen Desinfektions- und Hygienekette dar: Hierfür wurde der Pkw so ausgestattet, dass die Unterbringung von sterilen und später kontaminierten Materialien und Gerätschaften, insbesondere auch eines Gammastrahlers, möglich ist. An dieser Stelle findet eine wichtige Abgrenzung zu den schon auf dem Markt bestehenden mobilen zahnärztlichen Betreuungskonzepten statt, die bis heute einen Transport der behandlungsbedürftigen Patienten zu barrierefreien Praxen präferieren.

  • Abb. 1: Unterwegs zum Patienten: das „MoZart“-Team mit Spezial-Pkw.
  • Abb. 2: Blick in den Pkw: Materialien und Geräte für die Behandlung sind gut strukturiert in einem Boxensystem untergebracht.
  • Abb. 1: Unterwegs zum Patienten: das „MoZart“-Team mit Spezial-Pkw.
  • Abb. 2: Blick in den Pkw: Materialien und Geräte für die Behandlung sind gut strukturiert in einem Boxensystem untergebracht.

  • Abb. 3: Aufbau des Equipments bei einem Patienten zu Hause.
  • Abb. 4: Vorbereitungen für eine Kontrolluntersuchung bei einem immobilen älteren Patienten.
  • Abb. 3: Aufbau des Equipments bei einem Patienten zu Hause.
  • Abb. 4: Vorbereitungen für eine Kontrolluntersuchung bei einem immobilen älteren Patienten.

Breites Leistungsspektrum

Mit der beschriebenen Ausstattung ist es uns möglich, nahezu das gesamte zahnärztliche Leistungsspektrum bei Patienten zu Hause oder im betreuten Wohnen abzudecken. Zu den angebotenen Leistungen zählen vor allem prothetische, aber auch konservierende, chirurgische und parodontologische Maßnahmen. Behandlungen werden sowohl bei akuten Notfallsituationen angeboten als auch als Routinemaßnahmen inklusive regelmäßiger Kontrollen (Abb. 4). Wichtig ist, dass insbesondere im Vorfeld einer möglichen prothetischen Behandlung unter Berücksichtigung ethischer, moralischer und fachlicher Gesichtspunkte beurteilt wird, ob die Notwenigkeit für die Eingliederung einer neu angefertigten prothetischen Arbeit besteht. Denn in der Regel wird neuer Zahnersatz mit zunehmendem Alter der Patienten aufgrund ihrer eingeschränkten kognitiven Flexibilität immer schlechter akzeptiert. Wenn dennoch eine prothetische Behandlung notwendig wird, so wählen wir eine Vorgehensweise, die von der in der Praxis leicht abweicht: Anstelle von Materialien, die im elektrisch betriebenen automatischen Mischgerät (Pentamix-System) angemischt werden, verwenden wir die im Garant Dispenser erhältlichen 3M ESPE Imprint II Garant Light und Heavy Body Abformmaterialien. So ist es möglich, automatisch anzumischen und damit eine konstante Mischqualität sicherzustellen, ohne zusätzliches schweres und sperriges Equipment mitführen zu müssen, das einen weiteren Stromanschluss benötigt. Abgeformt werden in den meisten Fällen vollständig zahnlose Kiefer zur Herstellung von Totalprothesen oder teilbezahnte Kiefer zur Fertigung von Teleskoparbeiten. Voraussetzung für einen reibungslosen Produktionsprozess und hochwertige Ergebnisse ist die enge Abstimmung mit dem verantwortlichen, gut ausgebildeten Kunststoffprothetiker.

Organisation

Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Implementierung eines mobilen zahnärztlichen Dienstes ist die Einsatzplanung und Organisation. In unserer Praxis erfolgt die Terminabsprache über eine speziell für diesen Dienst angelegte Rufnummer, die während der normalen Sprechzeiten der Praxis freigeschaltet ist. Die Eingänge der Notrufe oder Terminanfragen für Routineuntersuchungen werden zentral von einer Rezeptionistin der Praxis angenommen und die Einsätze strategisch geplant. Dies ermöglicht die Minimierung von Anfahrtswegen und -zeiten und damit die Einhaltung einer hohen Wirtschaftlichkeit. Betreut werden die Patienten durch einen erfahrenen Zahnarzt und eine zahnmedizinische Fachangestellte, die je nach Dringlichkeit auch am Wochenende den Dienst ausführen.

Zukunftsperspektiven

Mit einem Konzept wie „MoZart“ ist es möglich, immobilen Patienten eine adäquate zahnmedizinische Betreuung zu bieten. Durch die Behandlung vor Ort werden aufwendige und teure Patiententransporte vermieden, was auch für die Kostenerstatter in Zukunft von immer größerer Bedeutung werden dürfte. Was derzeit fehlt, sind Qualitäts- und Hygienestandards sowie eine Zertifizierung der mobilen zahnärztlichen Behandlung. Dies würde sicherstellen, dass die Betroffenen eine dem heutigen Wissensstand angemessene lebenslange zahnärztliche Betreuung erhalten. Einheitliche Standards sind gefordert, da die Anzahl immobiler Patienten kontinuierlich steigt und prothetische Versorgungen zunehmend komplexer werden. Aufgrund der hohen Komplexität ist es besonders wichtig, dass es auch in Zukunft Fachpersonal vorbehalten bleibt, zahnärztliche Kontrollen durchzuführen und Therapieentscheidungen zu treffen. Dabei unterstützen, die Behandlungskosten zu senken und gleichzeitig eine hohe Behandlungsqualität sicherzustellen, könnten in Zukunft digitale Technologien: Mit einem Intraoralscanner, der sich an das vorhandene Notebook anschließen lässt und in der Lage ist, große Anteile an Weichgewebe mit hoher Genauigkeit aufzunehmen, ließen sich zahlreiche Arbeitsschritte bei der Abformung sowie der Herstellung der Prothetik einsparen. Um den derzeitigen Entwicklungen Rechnung zu tragen, werden in Zusammenarbeit mit dem bayerischen Gesundheitsamt und dem Gewerbeaufsichtsamt entsprechende Kriterien erarbeitet. In Kürze soll auf Grundlage dieser ein Zertifizierungssystem für mobile zahnärztliche Dienste entwickelt werden. Um eine flächendeckende und dem tatsächlichen Bedarf angepasste mobile zahnärztliche Betreuung in Deutschland zu etablieren, ist es allerdings zusätzlich notwendig, eine leistungsgerechte Vergütung der sehr anspruchsvollen, zeitaufwendigen, aber elementar notwendigen medizinischen Dienstleistung sicherzustellen. Diesbezüglich ist eine Mitarbeit von Seiten der Standesvertretungen, der Kostenträger und der Politik gefragt. 


Literatur:
  1. Die Generation 65+ in Deutschland. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden (2015).
  2. Hickel R, Brüshaver K, Ilie N: Repair of restorations – criteria for decision making and clinical recommendations. Dent Mater 29 (1), 28–50 (2013).
Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. Helmut Prager

Bilder soweit nicht anders deklariert: Dr. Helmut Prager


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