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Allgemeine Zahnheilkunde

Was ist eigentlich Bioaktivität?

Fallen Ihnen auch immer mehr „bioaktive“ Dentalprodukte auf? Eines der bekanntesten davon, Bioglass, hat Frau Dr. Barbara Müller in einem Artikel thematisiert.

Prof. Dr. Claus-Peter Ernst
Prof. Dr. Claus-Peter Ernst
Prof. Dr. Claus-Peter Ernst

Sie beschreibt in ihrem Beitrag "Obturationsmaterialien im Wandel"  Bioaktivität als eine „Förderung der körpereigenen Regenerationsmöglichkeiten“. Hier wird bewusst der Begriff der Regeneration verwendet und nicht der Reparation – zwei ähnliche Begriffe, die sich aber inhaltlich gewaltig unterscheiden. Eine Regeneration ist eine tatsächliche restitutio ad integrum, also keine Defektauffüllung, keine Narbe – somit die komplette biologische Wiederherstellung.
Auch darüber hinaus kann Regeneration wirken: Dies in der Weiterführung unterbrochener biologischer Vorgänge wie z. B. bei der Apexifikation, der Revitalisierung o. ä. Somit scheint klar, dass bei der Bioaktivität die Regeneration im Vordergrund steht und nicht die wesentlich einfachere und öfter durch Medizinprodukte erzielbare Reparation. Was aber, wenn über den Begriff der Regeneration eine Bioaktivität vorgegaukelt wird, es sich aber lediglich um eine Reparation handelt? Gerade bei Implantaten, Zahnpasten oder Überkappungsmaterialien könnte der Begriff der Bioaktivität schnell missbräuchlich verwendet werden.

Da macht es Sinn, zu eruieren, was unter dem Begriff Bioaktivität nun tatsächlich zu verstehen ist. Grundsätzlich sind sowohl der Begriff „bio“ als auch der Begriff„aktiv“ schon mal positiv besetzt – die Kombination muss also quasi gut sein (anders als bei „radioaktiv“, was ja auch nicht subsumiert, dass Sie gerade bei einer Aktivität Radio hören).

Bevor man sich dem Begriff der Bioaktivität widmet, sollte man sich erst einmal mit dem Begriff der „Biokompatibilität“ beschäftigen. Bemüht man hier zunächst Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Biokompatibilit), so gelangt man schnell zu folgender Definition: „Als biokompatibel (gr. bios = Leben + kompatibel = verträglich) bezeichnet man Werkstoffe oder Baugruppen, die keinen negativen Einfluss auf Lebewesen in ihrer Umgebung haben.“

Die Erklärung in der englischsprachigen Ausgabe (https://en.wikipedia.org/wiki/Biocompatibility) ist hingegen etwas präziser: Biokompatibilität wird hier als eine „angemessene“ Wirts-Reaktion in einer spezifischen Situation beschrieben („ … the ability of a material to perform with an appropriate host response in a specific situation”). Um eine missbräuchliche oder „fehlinterpretierbare“, da falsche Erwartungen suggerierende Verwendung des Begriffes Bioaktivität einzudämmen, hat eine 11-köpfige Hochschullehrergruppe aus Belgien, Deutschland, Österreich und der Schweiz Anfang Mai folgende Definition vorgeschlagen:

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Bioaktive Restaurations- und Befestigungsmaterialien sind interaktive Substanzen, die eine positive zelluläre Reaktion bewirken und/oder Zahnstrukturen bzw. orale Gewebe reparieren. Dies kann entweder durch

  • einen positiven Einfluss auf die pulpale Heilung,
  • durch oberflächliche Auf- oder Einlagerung von Mineralbzw. Apatit-Bestandteilen,
  • durch einen antibakteriellen Effekt oder
  • über eine Beeinflussung des Biofilms geschehen.

Gleichzeitig muss eine nebenwirkungsfreie Adhärenz an Zahnstrukturen sichergestellt sein.

Zu betonen ist hier der Terminus der „positiven“ zellulären Reaktion; ansonsten könnte auch eine negative zelluläre Reaktion als Bioaktivität missverstanden werden – Toxavit, Formokressol und Endometasone wären ansonsten auch bioaktiv …

Wenn wir gerade bei Definitionen sind; hier sind auch die Begriffe „bioinert“ und „biotolerant“ interessant: Auch hier liefert dieselbe Wikipedia-Seite (https://de.wikipedia.org/wiki/Biokompatibilit) verständliche Informationen: „Biotolerante“ Medizinprodukte lassen demnach „eine Verweildauer des Medizinproduktes im Körper von Monaten bis hin zu mehreren Jahren zu. Es treten geringfügige Mängel in der Gewebereaktion auf. Diese Art ist nicht bioaktiv und nicht langfristig bioinert.“ Der Begriff ‚bioinert‘ hingegen besagt, dass es zu keiner chemischen und/oder biologischen Wechselwirkung mit dem Gewebe kommt und dass keine toxischen Substanzen freigesetzt werden“.

Mit dem Definitionsversuch zur Bioaktivität soll eine Diskussion zur Definition bioaktiver Materialien angeregt werden – auch um eine übertriebene, missbräuchliche Benutzung im Marketing zu verhindern. Schreiben Sie uns doch Ihre persönliche Einschätzung zu bioaktiven Medizinprodukten oder Ihre persönlichen Erwartungen an solche Materialien an unsere E-Mail-Adresse: Redaktion@spitta.de.

Ich freue mich auf Ihre Kommentare! Ihr Prof. Dr. Claus-Peter Ernst, Chefredakteur der ZMK

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