Allgemeine Zahnheilkunde


Therapie des dentalen Traumas im bleibenden Gebiss

Zur Behandlung des dentalen Traumas gibt es die Internationalen Guidelines der IADT (www.iadt-dentaltrauma.org) und seit 2015 unter der Federführung der DGZMK sowie der DGMKG in Zusammenarbeit mit 19 Fachgesellschaften eine deutsche Leitlinie zur Therapie des dentalen Traumas bleibender Zähne. Dieser Artikel soll die wesentlichen Aspekte der Versorgung des dentalen Traumas aufzeigen. Weitere detaillierte Ausführungen sind der Leitlinie auf der Homepage www.awmf.org der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) zu entnehmen.

Die Prävalenz unfallbedingter Zahnverletzungen weltweit wird mit ca. 25–30 % angegeben. Die Inzidenz von Patienten im Alter bis 35 Jahre wird auf etwa 20 % geschätzt. Mit einem Anteil von 5 % der zahnärztlichen Behandlungen kommt den dentalen Traumata ein nicht unerheblicher Anteil zu. Die Folgen einer unsachgemäßen Therapie sind irreversibel und führen häufig zu vorzeitigen Zahnverlusten [1–3]. International gibt es nur die Richtlinien der IADT (International Association of Dental Traumatology) [4–6]. Weiter existiert eine britische Leitlinie zur Therapie der Avulsion permanenter Zähne bei Kindern, die jedoch von nur zwei Autoren entwickelt wurde [7]. Die 2015 von der DGZMK und DGMKG in Zusammenarbeit mit 19 Fachgesellschaften erstellte Leitlinie ist die erste dieser Art. Die Evidenz aus klinischen Studien zur Versorgung des dentalen Traumas ist niedrig bis sehr niedrig, sodass die Empfehlungen der Leitlinie als Behandlungsoptionen zu verstehen sind [8]. Mit der Leitlinie soll eine bestmögliche und zeitnahe Versorgung des dentalen Traumas gewährleistet werden. Ein standardisiertes Vorgehen soll Komplikationen und Folgeschäden minimieren [8]. Leitlinien sind rechtlich nicht bindend, Abweichungen müssen jedoch medizinisch gut begründet und dokumentiert werden.

Definition

  • Abb. 1: Klassifikation der Zahnverletzungen, modifiziert nach WHO.

  • Abb. 1: Klassifikation der Zahnverletzungen, modifiziert nach WHO.
Als Zahntrauma (dentales Trauma) wird die akute mechanische Verletzung von Zähnen und deren benachbarten Strukturen bezeichnet. Die aktuelle WHO-Klassifikation unterteilt die Traumata in Frakturen und Dislokationsverletzungen (Abb. 1). Zahnfrakturen werden entsprechend ihrer Lokalisation eingeteilt und Dislokationsverletzungen nach Ausmaß und Richtung der traumatisch bedingten Auslenkung des Zahnes aus seiner ursprünglichen Position. Häufig kommt es zu Kombinationsverletzungen [1,9]. Der alte Begriff der Subluxation/Luxation wurde durch die Dislokation ersetzt. Die geläufige Kronenfraktur (1. bis 3. Grades) wird nun als Schmelzfraktur, unkomplizierte oder komplizierte Kronenfraktur bezeichnet. Auch Wurzelfrakturen werden nicht mehr nach ihrer Höhe (oberes/mittleres/ unteres Drittel) eingeteilt, sondern nur mit oder ohne Kommunikation zur Mundhöhle beschrieben. Dislokationsverletzungen treten dabei bevorzugt im Milchgebiss auf, während Zahnfrakturen, v. a. Kronenfrakturen, bevorzugt im bleibenden Gebiss auftreten. Betroffen sind überwiegend die mittleren Schneidezähne im Oberkiefer, gefolgt von den oberen lateralen Inzisivi und den Unterkieferschneidezähnen [1,10,11].

Diagnostik

Anamnestisch sollten immer neben der allgemeinen Anamnese behandlungsrelevante Grunderkrankungen wie z. B. hämorrhagische Diathesen oder Allergien erhoben werden. Weitere traumarelevante Aspekte wie die Sturzursache, Hinweise auf ein Schädel-Hirn-Trauma, Tetanusschutz, Unfallhergang und versicherungstechnische Daten (Schulunfall, Arbeitsunfall, Wegeunfall) müssen erfasst werden [8]. Weiter, vor allem in Hinblick auf die Langzeitprognose des Zahnes, sind bei avulsierten Zähnen die extraorale Verweildauer und Lagerungsform relevant. Die klinische Untersuchung sollte nach dem Grundprinzip Hartgewebe vor Weichgewebe und von innen nach außen jeweils mit Inspektion, Palpation und Funktionsprüfung erfolgen. Intraoral sollten Weichgewebe, Zähne (Zahnhartsubstanz, Endodont, Parodont), Alveolarfortsatz und Zahnersatz inspiziert und extraoral Weichgewebe, Hartgewebe und Funktion untersucht werden [8]. Zur Gesamtbeurteilung des Verletzungsausmaßes muss immer eine Untersuchung bezüglich folgender Aspekte erfolgen: Zahnlockerung, Dislokation, zirkuläre Sondierungstiefen, Verletzungen von Weichgewebe, Sensibilität und Perkussion des Zahnes [12]. Bei anamnestischem und/oder klinischem Verdacht auf ein dentales Trauma soll eine bildgebende Diagnostik erfolgen (Zahnfilm, Aufbissaufnahme, OPG ggf. DVT oder CT). Aus forensischen Gründen kann ergänzend eine Fotodokumentation sinnvoll sein [8]. Die wesentlichen Befunde sollten aus Gründen der Sorgfalts- und Dokumentationspflicht in strukturierter Form, z. B. im Erfassungsformular Frontzahntrauma der DGZMK, dokumentiert werden (hppt://www.dgzmk.de). Der Patient sollte immer auf mögliche Folgen eines Zahntraumas (Notwendigkeit einer Wurzelkanalbehandlung, Wachstumshemmung des Alveolarfortsatzes, Resorptionen, prothetische Weiterbehandlungen, Zahnverlust und Zahnersatz) hingewiesen werden. Alle Therapiemaßnahmen sind ein Versuch des Zahnerhalts. Die Aufklärung des Patienten sollte zu hohen Erwartungen von Beginn an vorbeugen.

Therapie

Es gelten entsprechend der Leitlinie folgende Grundsätze:

  • minimalinvasives Vorgehen mit Reposition und Ruhigstellung sowie Weichteilversorgung in der Akutsituation, invasives Vorgehen (z. B. Extraktion, Enttrümmerung, Sofortimplantation etc.) in der Akutsituation vermeiden
  • Sofortmaßnahme: Avulsierte Zähne vorzugsweise zellphysiologisch lagern (Zahnrettungsbox), bis der Patient (wieder) zahnmedizinisch versorgt werden kann

Nachsorge

Um endodontischen oder parodontalen Komplikationen vorzubeugen, ist eine konsequente Nachsorge entscheidend. Die Früherkennung von periradikulären Entzündungen, Resorptionen oder Ankylosen ist für deren Therapie und den langfristigen Zahnerhalt entscheidend. Für die meisten Verletzungsarten nach Zahntrauma sind Kontrollen nach 4 Wochen, 3, 6 und 12 Monaten empfehlenswert. Anschließend erscheinen jährliche Kontrollen, zumindest in den ersten 5 Jahren, sinnvoll. Kombinationsverletzungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit von Komplikationen. Bei Vorliegen einer Pulpanekrose oder bei Auftreten von infektionsbedingten Resorptionen sollten frühzeitig endodontische Maßnahmen eingeleitet werden [8,13,14].

Dislokationsverletzungen

Die Sofortmaßnahmen (Reposition/ Replantation u. Schienung) zielen auf eine Regeneration parodontaler Strukturen und eine Optimierung des Heilungsverlaufs aller verletzten Gewebe mit einem möglichst langfristigen Zahnerhalt ab. Schienungsart und Schienungsdauer sind von Berthold 2005 in „Schienentherapie nach dentoalveolären Traumata“ beschrieben (Tab. 1) [15]. Die Titan-Trauma-Schiene hat sich mittlerweile als Standard etabliert. Sie ermöglicht eine minimale Beweglichkeit des Zahnes, sodass sich die Fasern des Zahnhalteapparates funktionell ausrichten können. Eine starre Schiene erhöht die Gefahr von Wurzelresorptionen. Dazu sollte die Schiene mit einem selbstkonditionierenden Adhäsivsystem und einem fließfähigen Komposit in einer Fehlfarbe (erleichtert die spätere Schienenentfernung) angebracht werden. Es empfiehlt sich, pro Seite 2 nicht gelockerte Nachbarzähne in die Schienung einzubeziehen, um Überlastungen zu vermeiden [14,15] (Abb. 2).

  • Tab. 1: Empfohlene Rigiditätsparameter und Schienungszeiten.
  • Abb. 2: Schienung mittels TTS-Schiene (Medartis, Basel, CH).
  • Tab. 1: Empfohlene Rigiditätsparameter und Schienungszeiten.
  • Abb. 2: Schienung mittels TTS-Schiene (Medartis, Basel, CH).

Konkussion

Per Definition handelt es sich um eine Verletzung des Zahnhalteapparates ohne Lockerung und Verlagerung des verletzten Zahnes, jedoch mit erhöhter Perkussionsempfindlichkeit [16]. Klinisch ist der Sensibilitätstest positiv und röntgenologisch finden sich keine pathologischen Befunde. Therapeutisch sollte der Zahn bis zur Schmerzfreiheit geschont werden. Zur Komfortverbesserung kann eine flexible Schienung für 1–3 Wochen erfolgen. Bei Hinweisen auf eine infizierte Pulpanekrose sollte eine endodontische Therapie in Abhängigkeit vom Wurzelwachstum erfolgen [8,15].

Lockerung

Zahnlockerung bezeichnet eine Verletzung des Zahnhalteapparates mit erhöhter Mobilität des Zahnes, aber ohne erkennbare röntgenologische Anzeichen oder Verlagerung des Zahnes [16]. Klinisch kann es zu einer geringgradigen Blutung aus dem Sulkus kommen. Röntgenologisch kann bei starker Lockerung ein erweiterter Parodontalspalt sichtbar sein. Der verletzte Zahn sollte 2 Wochen geschont werden. Auch hier kann zur Komfortverbesserung eine flexible Schienung für 1–3 Wochen erfolgen [8,15]. Dehnung, Quetschung oder Abriss der Parodontalfasern können zu einem parodontalen Ödem führen, was eine erhöhte Aufbissempfindlichkeit hervorrufen kann [17]. Selten kann es zu einer Pulpanekrose oder Resorptionserscheinungen kommen [18,19].

Laterale Dislokation

Der verletzte Zahn ist nicht gelockert und in nicht axialer Richtung verlagert [16]. Die Zahnkrone ist nach palatinal/lingual oder vestibulär disloziert, häufig mit einer Fraktur der vestibulären Alveolenwand. Bei palatinaler Dislokation ist der Zahn fixiert und der Aufbiss kann gestört sein. Das parodontale Ligament ist einerseits abgerissen und andererseits komprimiert. Am Apex kann die Pulpa abreißen. Klinisch ist die Perkussionsempfindlichkeit erhöht, der Perkussionsschall ist metallisch, es kann zur Sulkusblutung kommen und der Zahn ist häufig nicht sensibel. Röntgenologisch ist der PA-Spalt apikal verbreitert und bei starker Verlagerung erscheint der Zahn verkürzt oder verlängert [8]. Für die Therapie sollte ein exakt reponierter Zahn in Abhängigkeit vom Ausmaß der Knochenverletzung für 1 bis 4 Wochen flexibel geschient werden [4,15]. Bei einer Dislokation von > 2 mm kann bei wurzelreifen Zähnen die endodontische Therapie in der Schienungsphase eingeleitet werden, da eine Pulparegeneration unwahrscheinlich und eine Infektion des endodontischen Systems zu erwarten ist [20]. Spätestens beim Auftreten von infektionsbedingten Wurzelresorptionen oder bei einer infizierten Pulpanekrose sollte eine endodontische Behandlung in Abhängigkeit vom Entwicklungsstand des Zahnes begonnen werden [8].

Extrusion

Der Zahn ist in Achsrichtung partiell aus der Alveole verlagert. Es kommt zur Dehnung oder zum Abriss des Gefäß-Nervenbündels und des parodontalen Ligaments. Klinisch ist der Zahn stark mobil, blutet aus dem Gingivasulkus und es kann eine Okklusionsstörung vorliegen. Der Perkussionsschall ist dumpf und die Sensibilität negativ. Radiologisch ist der PA-Spalt verbreitert [8]. Bei der Schienung sollte der Zahn langsam mittels axial gerichteten Fingerdrucks auf die Schneidekante reponiert werden. Anschließend erfolgt eine flexible Schienung für 1–3 Wochen [15]. Häufig kommt es zu Pulpanekrosen [18,21]. Beträgt die traumatische Auslenkung eines Zahnes mehr als 1–2 mm, ist bei abgeschlossenem Wurzelwachstum eine Regeneration der Pulpa eher unwahrscheinlich und die Infektion des endodontischen Systems ist zu erwarten. Ohne eine konsequente Wurzelkanalbehandlung sind infektionsbedingte Resorptionen wahrscheinlich [13,18,21].

Intrusion

Bei der axialen Verlagerung in das Alveolenfach hinein kommt es häufig zu umfangreichen Verletzungen des Parodonts. Zusätzlich kann der Alveolarknochen frakturiert sein und das Gefäß-Nervenbündel am Apex abreißen [8,22]. Klinisch steht der Zahn in Infraposition, ist nicht beweglich und hat einen metallischen Perkussionsschall [8,23]. Röntgenologisch ist der Parodontalspalt v. a. apikal unterbrochen [8]. Bei Fraktur des Alveolarfortsatzes sollte eine sofortige Reposition des Fragmentes und Zahnes mit rigider Schienung über 4–6 Wochen erfolgen [15,24]. Ohne Alveolarfortsatzfraktur richtet sich die Therapie nach dem Ausmaß der Intrusion: < 3 mm eher Spontaneruption abwarten [23,25], 3–6 mm ggf. chirurgisch oder kieferorthopädisch reponieren [26–28] und > 6 mm sofort chirurgisch oder kieferorthopädisch reponieren [22,25,29]. Chirurgisch reponierte Zähne können für 1–3 Wochen flexibel geschient werden [15] und nach kieferorthopädischer Reposition kann eine flexible Schienung für 4–6 Wochen erfolgen [8]. Bei abgeschlossenem Wurzelwachstum ist nicht mit einem Überleben der Pulpa zu rechnen. Aufgrund des hohen Resorptionsrisikos durch die ausgedehnte Zementschädigung sollte frühzeitig die endodontische Therapie eingeleitet werden [22,23,28,29]. Daher ist die chirurgische Reposition des intrudierten Zahnes zu bevorzugen [13]. Nach ausgeprägter Intrusion kann es zu einer Ankylose kommen. Bei fortschreitender Resorption, Ankylose oder Entzündungszeichen kommt es zeitnah zum Zahnverlust [23,25].

Avulsion

Bei der vollständigen Verlagerung des Zahnes aus der Alveole ist für die Prognose der Zustand der desmodontalen Zellen entscheidend (Abb. 3). Bei einer extraoralen Verweildauer von < 15 Minuten sind die parodontalen Ligament-( PDL-)Zellen sehr wahrscheinlich vital. Bei einer Trockenlagerungszeit von 15–60 Minuten sind die PDL-Zellen sehr wahrscheinlich noch vital, jedoch aufgrund der extraoralen Lagerungszeit zum Teil geschädigt. Ist der Zahn > 60 Minuten trocken gelagert, sind die PDL-Zellen nicht mehr vital [5]. Wenn die PDL-Zellen zugrunde gegangen sind, sinken die Erfolgsaussichten in Hinblick auf die Möglichkeiten der Revaskularisation als auch auf die Überlebenswahrscheinlichkeit des Zahnes [30].

  • Abb. 3: Vollständige Verlagerung des Zahnes aus der Alveole (Avulsion).
  • Abb. 4: Dentosafe Zahnrettungsbox (Fa MEDICE, Iserlohn).
  • Abb. 3: Vollständige Verlagerung des Zahnes aus der Alveole (Avulsion).
  • Abb. 4: Dentosafe Zahnrettungsbox (Fa MEDICE, Iserlohn).

Als Sofortmaßnahmen sind folgende Punkte zu beachten:

  • Austrocknung der Zahnwurzeloberfläche unbedingt vermeiden
  • möglichst zeitnahe Replantation des Zahnes
  • vorzugsweise zellphysiologische Lagerung (Zahnrettungsbox, z. B. Dentosafe, Abb. 4)
  • Tetanusschutz abklären [8]

Zellkulturmedien wie die Zahnrettungsbox erhalten die desmodontalen Zellen über etwa 24 Stunden und lassen somit eine geplante Versorgung zu. Nach 24 Stunden besteht sogar die Möglichkeit der Umlagerung in eine zweite Rettungsbox, um das Versorgungszeitfenster noch weiter zu vergrößern. Ein Farbindikator zeigt den Zeitpunkt zum Wechseln an. Die Zahnrettungsbox enthält ein RPMI-Nährmedium sowie anorganische Salze, Aminosäuren, Glukose, Vitamine und Puffer [14]. Eine alternative Lagerung in H-Milch ist nur für wenige Stunden möglich [31]. Kochsalz ist aufgrund der fehlenden Nährstoffe kritisch einzuschätzen [8]. Ebenso ist die Lagerung im Speichel aufgrund der hohen bakteriellen Kontamination kritisch. Eine Lagerung in Leitungswasser ist aufgrund der hypotonen Eigenschaften ebenso ungeeignet wie eine trockene Lagerung. Die Lagerung des Zahnes im Alveolenfach birgt die Gefahr der Aspiration [8]. Jeder avulsierte Zahn sollte vor Replantation in eine neue Zahnrettungsbox umgelagert werden. Vor der Replantation sollte die Wurzeloberfläche mit isotoner Kochsalzlösung gespült, die Alveole inspiziert und Hindernisse, wie verschobene Alveolenwände, repositioniert werden. Das verfestigte Koagulum wird unter Spülung mit physiologischer Kochsalzlösung entfernt. Der Zahn sollte dann langsam und mit wenig Druck replantiert werden. Anschließend erfolgt eine flexible Schienung für mindestens 7–10 Tage [15]. Danach wird die Schiene zunächst einseitig gelöst und je nach Lockerungsgrad des Zahnes ggf. noch ein paar Tage belassen [8].

Für die weitere Therapie ist zum einen entscheidend, ob es sich um einen Zahn mit offenem oder geschlossenem Apex handelt, und zum anderen, wie die Prognose aufgrund des Zustandes der desmodontalen Zellen zu bewerten ist. Die Wurzelkanalbehandlung von replantierten avulsierten Zähnen mit geschlossenem Apex sollte unmittelbar vor der Schienenentfernung 7–10 Tage nach dem Trauma eingeleitet werden [8], so lautet die Empfehlung in den IADT-Guidelines. Im Gegensatz zu den Guidelines empfiehlt das Baseler Zahnunfallzentrum (www.zahnunfallzentrum.ch), welches europaweit als das Zentrum mit der größten Erfahrung mit der Behandlung avulsierter Zähne bezeichnet werden kann, die unbedingte Einleitung der Wurzelkanalbehandlung innerhalb von 48 Stunden nach der Zahnreplantation. Alternative Therapiekonzepte empfehlen bei wurzelreifen Zähnen die Trepanation am Unfalltag (nach Schienung) mit Ledermixeinlage für 1–2 Wochen und anschließender Kalziumhydroxideinlage für weitere 1–2 Wochen [13]. Extraoral durchgeführte Wurzelkanalbehandlungen führten nicht zu weniger radiologisch erkennbaren Resorptionen und sind daher nicht zu empfehlen [14]. Bei einer Trockenlagerungszeit von < 60 Minuten sind noch vitale PDL-Zellen auf der Wurzeloberfläche. Die definitive Wurzelkanalbehandlung kann nach 3 Monaten bzw. nach Ausschluss von resorptiven Veränderungen an der Zahnwurzel erfolgen. Bei einer Trockenlagerungszeit von > 60 Minuten sind die PDL-Zellen devital. Da hier von einer Resorption der Zahnwurzel auszugehen ist, sollte die Wurzelkanalbehandlung mit bioresorbierbaren Materialien wie z. B. Kalziumhydroxid erfolgen. Dadurch kann das Risiko bei der meist traumatischen Entfernung der fast immer ankylosierten Zahnwurzel für einen Verbleib von Wurzelfüllmaterialresten im Knochen verringert werden [8]. Bei ungünstiger Prognose für die PDL-Zellen liegt die 5-JahresÜberlebensrate für replantierte Zähne bei ca. 50 % [18]. Bei avulsierten Zähnen mit noch offenem Apex sollte bei einer Trockenlagerungszeit von < 60 Minuten keine primäre Wurzelkanalbehandlung erfolgen. Es muss ein engmaschiges Recall durchgeführt werden und bei pathologischen Befunden eine Apexifikation oder ein Verschluss mit MTA vorgenommen werden [8,32]. Bei einer Trockenlagerungszeit von > 60 Minuten sollte die Wurzelkanalbehandlung wie beim Erwachsenen erfolgen [8].

Begleitende Maßnahmen

Für den Nutzen einer systemischen antibiotischen Therapie gibt es keine wissenschaftliche Evidenz [33, 34]. Die Indikation zur Antibiose sollte zurückhaltend gestellt werden. Bei umfangreicher Begleitverletzung der umgebenden Weichgewebe kann die Indikation großzügiger gestellt werden und sollte immer nach der individuellen klinischen Situation erfolgen [8]. Präparat der Wahl wäre, aufgrund seiner antiresorptiven Eigenschaften, Tetracyclin (1. Tag 200 mg, 2. bis 7. Tag 100 mg). Bei Kindern unter 12 Jahren ist Tetracyclin kontraindiziert, alternativ kann Amoxicillin gewichtsadaptiert verwendet werden. Auch für die Anwendung einer antiresorptiven antiinflammatorischen regenerationsfördernden Therapie gibt es keine einheitliche Empfehlung.

Zahnfrakturen

Bei der Therapie von Zahnfrakturen steht der Vitalerhalt des Zahnes im Vordergrund.

Schmelzinfrakturen/Kronenfrakturen

Bei Frakturen, die ausschließlich den Zahnschmelz betreffen, sind in der Regel keine speziellen Therapiemaßnahmen der Pulpa erforderlich [8]. Bei Schmelz-Dentin-Frakturen ohne Pulpabeteiligung (unkomplizierte Kronenfraktur) besteht aufgrund der Dentinwunde eine Infektionsgefahr des Endodonts. Bei einer Restdentinstärke von < 0,3–0,5 mm sollte eine Schutzschicht mit biokompatiblen Materialien wie z. B. Kalziumhydroxid appliziert werden [35]. Wenn die Pulpa mitbeteiligt ist (komplizierte Kronenfraktur), sollten weiterführende endodontische Maßnahmen je nach Expositionsdauer, Expositionsgröße und Stand des Wurzelwachstums begonnen werden. Je länger die Dauer bis zur Erstversorgung ist, desto eher ist mit einer Infektion der Pulpa zu rechnen. Frakturierte Zahnfragmente können adhäsiv wiederbefestigt werden. Nach einer trockenen Fragmentlagerung ist das Fragment dehydriert, was die Komposithaftung und das ästhetische Ergebnis verschlechtert. Daher kann das Reattachment ggf. erst am Folgetag erfolgen und das Fragment zwischenzeitlich in Wasser gelagert werden. Eine Lagerung in speziellen Nährlösungen ist nicht erforderlich, da keine vitalen Zellen erhalten werden müssen [13].

Kronen-Wurzel-Fraktur

Grundsätzlich sollte ein minimalinvasives Vorgehen mit Reposition, Ruhigstellung und Weichteilversorgung erfolgen. Nicht refixierbare, gelockerte koronale Fragmente müssen entfernt werden und anschließend erfolgt, wie bereits beschrieben, die Versorgung der unkomplizierten oder komplizierten Kronenfraktur, wenn der Zahnerhalt möglich ist [8]. Zur Etablierung der biologischen Breite von ca. 2 mm [36] kann ggf. eine chirurgische Kronenverlängerung oder orthodontische oder chirurgische Extrusionstherapie vor der definitiven Restauration nötig werden. Wenn der Zahnerhalt nicht möglich ist, beispielsweise bei sehr weit apikal liegenden Kronen-Wurzel-Frakturen, muss über Versorgungsmöglichkeiten diskutiert werden. Neben der Implantation sollten die Zahntransposition, ein prothetischer Lückenschluss mit einer Adhäsivbrücke oder ein orthodontischer Lückenschluss in Erwägung gezogen werden [8]. Die Prognose nach Kronen-Wurzel-Frakturen ist schwierig, da der langfristige Zahnerhalt aus restaurativen und parodontalen Gründen nicht immer sichergestellt werden kann. Häufig muss die Pulpa zur intrakanalären Verankerung geopfert werden [37].

Wurzelfrakturen

Intraalveoläre Frakturen: Zuerst sollte bei intraalveolären Frakturen, die weitgehend quer zur Wurzelachse verlaufen, durch zirkuläres Sondieren eine Korrespondenz zum Bruchspalt/zur Mundhöhle via Sulcus/Tasche ausgeschlossen werden. Liegt hier eine Verbindung vor, muss das koronale Fragment entfernt werden [8]. Exzentrische Röntgenaufnahmen können schräge Frakturen der Oberkieferfrontzähne besser darstellen [38]. Kann das koronale Fragment erhalten werden, erfolgen die Reposition des dislozierten koronalen Fragments und eine Schienung über 4 Wochen, bei ausgeprägten Dislokationen bis zu 12 Wochen [4,15]. Die Versorgung der Pulpa erfolgt wie unter Kronenfrakturen beschrieben. Die Prognose für den Zahnerhalt ist hier mit 80 % günstig [39,40]. Ziel ist die pulpane Regeneration und die Einlagerung von osteoidem Hartgewebe in den Frakturspalt. Auch häufig auftretende Pulpaobliterationen im koronalen oder apikalen Fragment sind als Leistung der vitalen Pulpa zu interpretieren und stellen keine Indikation zur endodontischen Behandlung dar [13,28]. Kann das koronale Fragment nicht erhalten werden und ist der restliche Wurzelanteil erhaltungswürdig, wird dieser aufbereitet. Im Anschluss erfolgt eine chirurgische Extrusion/Schienung für 1–2 Wochen oder eine kieferorthopädische Extrusion und Retention für 3 Monate. Erst danach erfolgt die definitive Wurzelkanalfüllung und prothetische Versorgung [8].

Wurzellängsfraktur: Intraalveoläre und/oder supraalveoläre weitgehend längs zur Wurzelachse verlaufende Frakturen ohne oder mit Eröffnung der Pulpa stellen eine absolute Extraktionsindikation dar [8].

  • Abb. 5 a u. b: Alveolarfortsatzfraktur des Oberkiefers.

  • Abb. 5 a u. b: Alveolarfortsatzfraktur des Oberkiefers.
Alveolarfortsatzfraktur: Bei Frakturen des zahntragenden Anteils des Kieferknochens, oftmals in Kombination mit einer Dislokation von Zähnen, werden partielle Frakturen (Bruch der vestibulären oder oralen Alveolenwand) und vollständige Frakturen (Bruch der vestibulären und oralen Alveolenwand) mit und ohne Dislokation unterschieden (Abb. 5a u. b). Je nach Schwere der Dislokation ist eine Stufe tastbar und es können Okklusionsstörungen auftreten. Es liegt häufig ein vertikaler Entlastungsriss an der Gingiva vor und die Zähne sind meist avital. Zur Therapie sollte eine zeitnahe manuelle Reposition erfolgen und im Anschluss eine Immobilisation des betroffenen Kieferabschnittes für 4–6 Wochen über eine rigide Schienung. Ist keine geschlossene manuelle Reposition möglich, sollte diese offen und ggf. mit Fixation mittels Mikroplattenosteosynthese erfolgen [15,24]. Bei kombinierten Zahn-/Alveolarfortsatz-Verletzungen sollte ein Kompromiss in der Schienungszeit (Zähne 2 Wochen, Alveolarfortsatz 4–6 Wochen) und Schienungsart (Zähne flexibel; Knochen rigide) nach der individuellen Situation gefunden werden [8]. Zur Vermeidung einer Bruchspaltinfektion kann eine Antibiose sinnvoll sein.

Fazit

Um dentale Traumata bestmöglich zu versorgen, ist jeder Zahnarzt verpflichtet, eine adäquate Diagnostik und Primärtherapie bereitzuhalten. Eine Zahnrettungsbox sollte aus medizinischer und auch aus juristischer Sicht in jeder Zahnarztpraxis vorhanden sein. Idealerweise sollte sie überall dort, wo Zahnunfälle passieren und erstversorgt werden (Unfallchirurgie, Notarztwagen, Sporthalle, Schwimmbad, Schule), griffbereit sein. Jeder avulsierte Zahn sollte in eine neue Zahnrettungsbox umgelagert werden, unabhängig davon, in welchem Lagermedium sich der Zahn davor befand. Grundsätzlich erfolgt die Therapie stets individuell abgestimmt und richtet sich immer nach dem Ausmaß und Umfang der Verletzung, der Lagerung und der extraoralen Verweildauer des Zahnes. Im Anschluss an die Therapie müssen vor allem im 1. Jahr regelmäßige klinische und radiologische Kontrollen erfolgen.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. Linda Daume

Bilder soweit nicht anders deklariert: Dr. Linda Daume


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