Allgemeine Zahnheilkunde


Schmerzausschaltung vor chirurgischen Eingriffen: intraligamentäre Anästhesie

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Vor einer geplanten Extraktion und/oder Osteotomie sind die Patienten/-innen über die Risiken und die Alternativen, auch der angezeigten Lokalanästhesie, aufzuklären. Anschließend müssen sie entscheiden, ob die Behandlung unter Leitungs- respektive Infiltrations- oder intraligamentärer Anästhesie erfolgen soll.

  • Abb.1 - Dosierrad-Spritze DIN 13989.

  • Abb.1 - Dosierrad-Spritze DIN 13989.
    © Taubenheim
Vor dem Hintergrund der juristisch erforderlichen Thematisierung der Risiken und der Alternativen – auch der angezeigten Lokalanästhesie – mit den Patienten/-innen ist die Frage zu beantworten, ob die intraligamentäre Anästhesie (ILA) als primäre Methode der Lokalanästhesie alle Anforderungen an eine weitgehend vollständige und patientenschonende zahnärztliche Lokalanästhesiemethode erfüllen kann [11,12]. Die dokumentierten und ausgewerteten Ergebnisse zeigen, dass die ILA mit Blick auf Anästhesieerfolg, Latenzzeit, Anästhetikamenge, Dauer der Anästhesie, generierte Effekte und Beurteilung durch die Patienten/-innen die Anforderungen an eine primäre Methode der zahnärztlichen Lokalanästhesie – auch vor angezeigten dentalchirurgischen Maßnahmen – sehr weitgehend erfüllt.

Material und Methode

  • Abb.2 - ILA Zeichnung.

  • Abb.2 - ILA Zeichnung.
    © Taubenheim
Injektionssysteme ohne integrierte mehrstufige Hebelsysteme ermöglichen eine minimalinvasive Anpassung des von den Behandelnden aufzubauenden Injektionsdrucks an die individuellen Gegebenheiten der Patienten – zur Überwindung des interstitiellen Gegendruckes. Für intraligamentale Injektionen stehen heute mechanische Spritzensysteme ohne integrierte mehrstufige Hebelsysteme zur Verfügung, mit denen die Anwender den bei der Applikation des Anästhetikums zu überwindenden interstitiellen Gegendruck direkt im Daumen (oder Zeigefinger) spüren. Dieses „Feedback“ ermöglicht es ihnen, den eigenen Injektionsdruck sensibel an die individuellen anatomischen Gegebenheiten der Patienten/-innen anzupassen.

In den letzten 25 Jahren wurden zahlreiche klinische Studien durchgeführt, um die praktische Anwendung der intraligamentären Anästhesie sicher reproduzierbar zu machen. Die Ergebnisse wurden international publiziert und stehen als Vergleichswerte zur Leitungs- und Infiltrationsanästhesie zur Verfügung [2,5,6,8,9,10,12,14,16,17,18].

Im Rahmen der definierten Studie wurde die Hypothese aufgestellt, dass es mittels intraligamentaler Injektionen möglich ist, eine sichere Schmerzausschaltung auch vor indizierten dentoalveolären chirurgischen Maßnahmen, z.B. Extraktionen und Osteotomien, zu erreichen. Als Anästhetikum wurde dieselbe – seit mehr als 40 Jahren bewährte – Substanz appliziert, die auch für die Leitungs- und Infiltrationsanästhesie zur Anwendung kommt: 4%ige Articainhydrochlorid-Lösung mit Adrenalin 1:200.000.

  • Abb.3 - Dosierrad.

  • Abb.3 - Dosierrad.
    © Taubenheim
Lege artis wird die Kanüle intraligamental in Kontakt mit dem zu extrahierenden Zahn bzw. der zu osteotomierenden Substanz in den Desmodontalspalt geführt, bis Knochenkontakt spürbar wird, etwa 2 bis 3 mm. Bei der Vorwärtsdrehung des Dosierrades spüren die Behandelnden unverzüglich in ihren Daumen den interstitiellen Gegendruck, der durch minimalinvasiven eigenen Druck zu überwinden ist, damit das Anästhetikum in das Desmodontalgewebe und den Alveolarknochen diffundieren kann; das applizierte Anästhetikum wird resorbiert und löst unverzüglich – ohne Latenz – die gewünschte anästhetische Wirkung aus. Die intraligamentäre Anästhesie ist tief ausgeprägt und eng begrenzt.

Ergebnisse

In allen Fällen wurde mit den Patienten/-innen vor der angezeigten Behandlung auch die Frage thematisiert, ob die Behandlung unter Schmerzausschaltung erfolgen solle und welche Methode ggf. anzuwenden sei. Die intraligamentalen Injektionen wurden mit mechanischen Dosierradspritzen – ohne mehrstufige integrierte Hebelsysteme zur Kraftverstärkung – durchgeführt (Stand der Technik seit 2000) [17].

Extraktionen einzelner Zähne sind die älteste publizierte Indikation für die intraligamentäre Anästhesie [3,4]. Für diese Anwendung wird die ILA uneingeschränkt empfohlen [15]. Im Dokumentationszeitraum wurden in 29 Behandlungen insgesamt 37 Extraktionen bzw. Osteotomien durchgeführt, davon 29 unter intraligamentärer und – auf Wunsch der Patienten/-innen – 8 unter Infiltrationsanästhesie (Tab. 1).

SchmerzausschaltungZähneMethode der Schmerzausschaltung: Intraligamentäre AnästhesieMethode der Schmerzausschaltung: InfiltrationsanästhesieAnästhesieerfolg
Reihenextraktion34, 35, 36, 374 Zähne100%
Extraktionen in 3 Quadranten27, 32, 423 Zähne100%
Retinierte Weisheitszähne18, 28, 38, 484 Zähne100%
Osteotomien4 Zähne3 Zähne1 Zahn100%
Extraktionen22 Zähne15 Zähne7 Zähne100%
Gesamt37 Zähne29 Zähne8 Zähne100%

Tab. 1: Die intraligamentäre Anästhesie ist eine sichere Methode der Schmerzausschaltung vor indizierten Extraktionen und Osteotomien.

Bei einer anstehenden Reihenextraktion im Unterkiefer (Zähne 34, 35, 36, 37) wurden alle 4 Zähne sukzessive intraligamental anästhesiert. Alle 4 Zähne konnten schmerzfrei extrahiert werden.

Die applizierte Anästhetikummenge betrug 0,9 ml. Beim Patienten 4821 erfolgte die Extraktion von 3 Zähnen in 3 Quadranten (Zähne 27, 32, 42) unter ILA. Die Lokalanästhesie verursachte keinerlei Beeinträchtigungen.

Bei Patientin 6121 konnten alle 4 retinierten Weisheitszähne in einer Sitzung komplikationslos entfernt werden. Dazu wurde – unter Verwendung der Dosierradspritze – initial Anästhetikum subgingival appliziert, um durch Aufklappung Zugang zum jeweiligen Zahn zu erhalten. Sodann wurden im Kontakt mit dem Zahn je etwa 0,5 ml Anästhetikum intraligamental injiziert.

Für die 4 zu extrahierenden Zähne wurden insgesamt 3,9 ml Anästhetikum appliziert. Nach Aussage der Patientin nach Abschluss der Behandlung war die Beeinträchtigung gering. Von den weiteren angezeigten 4 Osteotomien konnten – in Abstimmung mit den Patienten/-innen – 3 unter ILA durchgeführt werden, d.h., das Anästhetikum wurde in direktem Kontakt mit dem freigelegten Zahn appliziert; bei der 4. Osteotomie (Ost 2) wurde diese auf Wunsch des Patienten unter konventioneller Infiltrationsanästhesie durchgeführt.

Von prioritärer Bedeutung ist die intraligamentäre Anästhesie bei der Behandlung von Phobiepatienten/-innen. Aktuell beschreiben Adubae et al. (2016) – Uni Rostock – den Fall einer Patientin mit ausgeprägter Zahnarztphobie. Die klinische und radiologische Untersuchung zeigten einen desolaten Gebisszustand.

In Zusammenarbeit mit den Kollegen/-innen der konservierenden und der prothetischen Abteilung wurde die Indikation zur Extraktion von multiplen Zähnen im Ober- und Unterkiefer, zu einer konservierenden Behandlung der zu erhaltenden Restzähne, zur Verbesserung der Mundhygiene/Patientenmotivation sowie schlussendlich zu einer prothetischen Versorgung gestellt [1]. Aufgrund der manifesten Angststörung und des Therapieumfangs wurde die initiale chirurgische Sanierung unter Intubationsnarkose geplant; die Patientin bat nach Aufklärung über ein bestehendes erhöhtes Narkoserisiko um Behandlung in lokaler Betäubung. Die 1. Behandlung – Entfernung der Wurzelreste 27 und 28 – musste wegen einer Panikattacke frühzeitig abgebrochen werden.

Die Patientin lehnte alle weiteren Versuche der Extraktion unter lokaler konventioneller Anästhesie ab. 3 Monate später stellte sich die Patientin mit akuten Schmerzen und multiplen submukösen Abszessen im Ober- und im Unterkiefer erneut vor. Nach weiteren intensiven Gesprächen mit der Patientin wurde ein erneuter Versuch der Sanierung in Intubationsnarkose unternommen.

Dieser fand jedoch mit der Flucht der Patientin vom OP-Tisch kurz vor der Narkoseeinleitung ein jähes Ende. Mitte 2015 wurde die Patientin erneut mit akuten Schmerzen vorstellig. Nach mehreren psychologisch betreuten Beratungsgesprächen wurde ein finaler Behandlungsversuch unternommen.

Als Anästhesieform wurde die „intraligamentäre Anästhesie“ gewählt, die sich als eine gute und verlässliche Alternative zur Leitungs- und Infiltrationsanästhesie bei der Zahnextraktion bewährt hat. Als Lokalanästhetikum wurde eine 4%ige Articain-Lösung mit Adrenalinzusatz 1:200.000 appliziert.

Die Extraktion der Zähne erfolgte quadrantenweise. Innerhalb von 3 Wochen konnten alle nicht erhaltungswürdigen – insgesamt 25 – Zähne entfernt werden.

Speziell die schmerzlose Injektion des Lokalanästhetikums, die zeitliche und räumliche Begrenzung der lokalen Anästhesie und die schmerzlose Extraktion der Zähne unter intraligamentärer Anästhesie wurden von der Patientin als sehr positiv bewertet. Während und nach der Behandlung konnten keine lokalen bzw. systemischen Komplikationen beobachtet werden [1]. Die aufgestellte Hypothese, dass es mittels intraligamentaler Injektionen möglich ist, eine sichere Schmerzausschaltung auch vor indizierten dentoalveolären chirurgischen Maßnahmen, z.B. Extraktionen und Osteotomien, zu erreichen, konnte bestätigt werden.

Diskussion

Da die bei der intraligamentären Anästhesie (ILA) applizierten Lokalanästhetikum-Mengen deutlich geringer sind als die bei den konventionellen Lokalanästhesiemethoden – etwa 25% –, gibt es hinsichtlich der verwendeten Anästhetika keine Einschränkung für die Anwendung im Rahmen der ILA; infolge der geringen Dosierung können auch Lösungen mit hohem Adrenalinzusatz verwendet werden, schrieben Heizmann und Gabka schon 1994 [9]. Die sowohl von Langbein et al. (2012) und auch von Adubae et al. (2016) dokumentierten Fälle von Extraktionen und Osteotomien unter intraligamentärer Anästhesie (ILA) zeigen, dass die ILA eine minimalinvasive, komplikations- und schmerzarme Alternative zu den nach wie vor weltweit gelehrten und angewandten konventionellen Methoden der Lokalanästhesie – Infiltrations- und Leitungsanästhesie – ist. Mit Blick auf die Schmerzausschaltung vor indizierten Extraktionen und/oder Osteotomien ist sie als primäre Methode der Schmerzausschaltung mit den Patienten/-innen zu thematisieren.

Bei einer Umstellung der Leitungs- und der Infiltrationsanästhesie auf die „primäre Lokalanästhesiemethode ILA“ profitieren vor allem die Behandelnden: stark reduzierter Aufklärungsaufwand über die Risiken der – konventionellen – Methoden, deutlich geringere Anästhesieversagerrate, sofortige Überprüfung des Anästhesieeintritts, keine zu überbrückende Latenzzeit, kein Risiko von Gefäß- und/oder Nervkontakten/-läsionen bei der Insertion der Kanüle. Von den Patienten/-innen wird vor allem die geringere Belastung durch die Injektion sowie die Betäubungsausbreitung und -dauer sehr geschätzt: Die lokale Betäubung ist nur – sehr eng – auf den Therapieraum begrenzt und endet kurze Zeit nach Ende der Behandlung.

Schlussfolgerung

Die ILA ist eine sichere und zuverlässige Methode der Lokalanästhesie, die praktisch zu keinen unerwünschten Effekten führt, wenn die Methode von den Behandelnden sicher beherrscht wird, adäquate Instrumentarien angewandt und bewährte Anästhetika mit Adrenalin appliziert werden. Der Adrenalinzusatz zur Lokalanästhetikum-Lösung verdoppelte den Anästhesieerfolg, ohne eine Erhöhung postoperativen Unbehagens oder der Komplikationen. Es wird daher empfohlen, bei der Anwendung der intraligamentären Anästhesie eine Anästhetikumlösung mit Adrenalin zu wählen [7].

Mit den Dosierradspritzen steht ein Instrumentarium zur Verfügung, das es den Behandelnden ermöglicht, unter präzise zu kontrollierenden Bedingungen schonend, sicher und weitgehend ohne Anästhesieversager für nahezu alle zahnärztlichen Behandlungen eine ausreichende Schmerzausschaltung zu erreichen, ausgenommen lang dauernde und großflächige dentoalveoläre chirurgische Maßnahmen, bei denen die ILA die Anforderungen nur bedingt erfüllen kann [8]. Bei lang dauernden und großflächigen dentoalveolären chirurgischen Eingriffen empfiehlt sich die primäre Anwendung der Infiltrations- oder der Leitungsanästhesie; bei Fällen profunder Parodontitis sind intraligamentale Injektionen nur bedingt möglich, was jedoch nicht zum Ausschluss der ILA für die systematische Behandlung von Parodontopathien (geschlossenes Vorgehen) führt [13].

Die juristisch vorgegebene Thematisierung der Risiken auch der angezeigten Lokalanästhesie und deren Alternativen mit den Patienten/-innen kann bei einer intraligamentären Anästhesie (ILA) minimiert werden: Die ILA erfüllt alle Anforderungen an eine weitgehend vollständige und patientenschonende zahnärztliche Lokalanästhesiemethode ohne das Risiko eines Nerv- und/oder Gefäßkontakts und/oder einer Läsion. Mit Blick auf die Risiken und die methodenimmanenten Einschränkungen für die Patienten/-innen sollten die konventionellen Lokalanästhesiemethoden nur noch angewandt werden, wenn die intraligamentäre Anästhesie nicht indiziert ist oder diese nicht zum Erfolg geführt hat.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Lothar Taubenheim


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