Osteotomie eines Unterkiefermolaren
Vasokonstriktoren wie Adrenalin können häufiger zu Komplikationen führen als die Lokalanästhetika selbst [1]. Während Adrenalin bei der Infiltrationsanästhesie zumindest in geringer Konzentration unerlässlich ist [2], ist es bei der Leitungsanästhesie im Unterkiefer nicht zwingend Voraussetzung, um vergleichbare Ergebnisse hinsichtlich Wirkungseintritt und Anästhesietiefe zu erzielen [3]. Bei der Leitungsanästhesie sind besonders die Schwierigkeit des Injektionsortes und die damit verbundene Gefahr einer intravenösen Injektion zu berücksichtigen. Daher muss bei der Verwendung von Adrenalin bei der Leitungsanästhesie des Nervus alveolaris inferior immer mit erheblichen systemischen Nebenwirkungen im Sinne einer Toxizitätssteigerung gerechnet werden. Für diese Indikation stellen adrenalinfreie Präparate eine adäquate Alternative dar, wie die Osteotomie eines kariös destruierten Molaren im Unterkiefer zeigt.
Ein 30-jähriger, männlicher Patient wurde zur Extraktion des Zahnes 47 und zur weiteren Versorgung von einem niedergelassenen Zahnarzt an die Zahnklinik der Universitätsmedizin Rostock überwiesen. Klinisch zeigte sich ein kariös geschädigtes Lückengebiss bei einem kariös destruierten, nicht erhaltungswürdigen Zahn 47 und einem kariös destruierten, aber konservierend erhaltungswürdigen Zahn 48 (Abb. 1). Der Molar 47 reagierte negativ auf den Vitalitätstest und hatte den Lockerungsgrad 0 bei einer nach vestibulär bereits auf Gingivaniveau frakturierten Krone. Die Taschentiefen waren distal 5 mm und mesial 4 mm bei starker Blutung unter Sondierung. Am Gingivasaum befand sich eine nicht wegwischbare weiße Effloreszenz im Sinne einer planen Leukoplakie (Abb. 2). Anamnestisch lagen keine Vorerkrankungen vor. Der Patient gab lediglich einen Nikotinabusus mit 10 Packungsjahren an. Er hatte das letzte Mal vor 2 Tagen Ibuprofen 800 mg zur Analgesie bei leichten Zahnschmerzen eingenommen.
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Abb. 1: Kariös destruierter, nicht erhaltungswürdiger Zahn 47 und kariös destruierter, aber konservierend erhaltungswürdiger Zahn 48.
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Abb. 2: Tief zerstörter und frakturierter Zahn 47 mit einer am Gingivasaum befindlichen, nicht wegwischbaren weißen Effloreszenz im Sinne einer planen Leukoplakie.
Operative Extraktion unter Leitungsanästhesie
Wir trafen daher den Entschluss, den Zahn 47 unter Lokalanästhesie operativ zu extrahieren. Zusätzlich war die Entnahme einer Gewebeprobe zum Ausschluss von Malignität am Gingivasaum von 47 indiziert. Anschließend sollte die konservierende Versorgung des Zahnes 48 unternommen und abschließend die Lückensituation durch eine herausnehmbare Klammerprothese als Provisorium prothetisch versorgt werden.
Bei zu erwartender Osteotomie und einer Weichgewebsbiopsie wählten wir die Leitungsanästhesie des Nervus alveolaris inferior in Kombination mit dem Nervus buccalis mit 4%igem Articainhydrochlorid ohne Adrenalin (Ultracain D, Sanofi) (Abb. 3). Eine alternative Form der Lokalanästhesie sahen wir bei der Lokalisation im Unterkieferseitenzahnbereich bei massiver parodontaler Entzündung und zusätzlichem Eingriff am Weichgewebe nicht. Bei weiter Mundöffnung von der Prämolarenregion der Gegenseite kommend, wurde die Kanüle etwa einen Zentimeter oberhalb der Okklusionsebene, lateral der Plica pterygomandibularis eingestochen und circa 1,5 cm nach lateral und distal bis zum Knochenkontakt vorgeschoben. Nach negativer Aspiration in zwei Ebenen injizierten wir circa 1,5 ml des Lokalanästhetikums (Abb. 4). Anschließend anästhesierten wir die vestibuläre Gingiva der Unterkiefermolaren durch zusätzliche Ausschaltung des Nervus buccalis an der Vorderkante des aufsteigenden Unterkieferastes. Hierzu schoben wir die Kanüle 1 cm oberhalb der Okklusionsebene senkrecht bis zum Knochenkontakt vor, und nach negativer Aspiration injizierten wir ein Lokalanästhetikum-Depot von 0,5 ml. Nach einer Latenzzeit von nur einer Minute konnte eine vollständige Anästhesie im rechten posterioren Unterkiefer getestet werden. Eine Nachinjektion war nicht erforderlich.
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Abb. 3: 4%iges Articainhydrochlorid ohne Adrenalin (Ultracain D, Sanofi).
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Abb. 4: Leitungsanästhesie des Nervus alveolaris inferior in direkter Technik.
Der Zahn 47 wurde mit dem Hebel nach Bein gelockert, wobei es zu einer Fraktur der residualen Krone kam. Die fest in der Alveole befindlichen Wurzeln trennten wir mit der Lindemann-Fräse und osteotomierten sie einzeln (Abb. 5–7). Darüber hinaus entnahmen wir mit dem Skalpell eine 0,2 x 0,2 cm große Gewebeprobe aus dem Bereich der nicht fixierten Gingiva.
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Abb. 5: Lockerung des Zahnes 47 mit dem Hebel nach Bein.
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Abb. 6: Fraktur der residualen Krone.
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Abb. 7: Freigelegte Alveole nach der operativen Entfernung der Zahnwurzeln.
Vollständige Anästhesiewirkung ohne Adrenalin
In der postoperativen Befragung gab der Patient eine vollständige Anästhesiewirkung an. Auf einer Skala von 0 (keine Beschwerden) bis 10 (maximale Beschwerden) bewertete der Patient den Schmerz bei der Injektion mit 2, die als unangenehm klassifizierte Behandlung mit 2 und die als schmerzhaft klassifizierte Behandlung mit 1. An den nächsten beiden Tagen fanden Nachuntersuchungen statt. Zu diesen Zeitpunkten konnten keine Beschwerden und keine Komplikationen evaluiert werden.
Fazit
Wie auch dieser praktische Fall lässt eine randomisierte Doppelblindstudie [3] an 88 Patienten die Schlussfolgerung zu, dass eine vasokonstriktorfreie Articainlösung wie Ultracain D ohne Adrenalin (Sanofi) bei Extraktionen von Unterkiefermolaren eine adäquate Alternative zu adrenalinhaltigen Präparaten ist. Es wird die gleiche ausreichende Wirkung erzielt. Die kürzere Anästhesiedauer (2,5 vs. 3,8 Stunden) führt zu einer geringeren postoperativen Weichgewebsanästhesie, die Patienten oft als störendes Taubheitsgefühl wahrnehmen [3]. Vor allem unter Berücksichtigung toxischer Nebenwirkungen des möglicherweise intravasal injizierten Adrenalins sollte ein vasokonstriktorfreies Lokalanästhetikum bevorzugt werden. Es ist daher nicht nur für Patienten mit Vorerkrankungen oder kardiovaskulärem Risiko geeignet. Die positiven Erfahrungen bei der Extraktion lassen sich in der Praxis darüber hinaus auf weitere Eingriffe übertragen.
Autoren:
PD Dr. med. habil. Dr. med. dent. Peer Wolfgang Kämmerer,
Ahmed Adubae,
Dr. med. dent. Ingo Buttchereit
Literatur
[1] Halling F: Zahnärztliche Pharmakologie. Spitta Verlag GmbH & Co. KG. Balingen (2008).
[2] Kämmerer PW et al.: Comparative clinical evaluation of different epinephrine concentrations in 4 % articaine for dental local infiltration anesthesia. Clin Oral Invest 18, 415–421 (2014).
[3] Kämmerer PW et al.: Comparison of 4 % articaine with epinephrine (1:100,000) and without epinephrine in inferior alveolar block for tooth extraction: double-blind randomized clinical trial of anesthetic efficacy. Oral Surg Oral Med Oral Pathol Oral Radiol 113 (4), 495–4499 (2012).