Allgemeine Zahnheilkunde


Notfallmanagement in der Zahnarztpraxis (4)

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Sowie in den ersten 3 Teilen dieser Artikelserie werden auch im vorliegenden letzten Beitrag einige für die Zahnarztpraxis relevante Notfallsituationen und ihre Behandlungsmöglichkeiten in Kurzform dargestellt. Im Fokus steht das Verhalten bei Aspiration, hypertensiver Krise, epileptischem Anfall sowie vasovagaler Synkope. Dabei wurden wieder bewusst Therapieschemata und diejenigen Maßnahmen gewählt, die auch von notfallmedizinisch ungeübten Zahnärzten/-innen und deren Mitarbeitern/-innen ohne aufwendige invasive Methoden durchgeführt werden können.

Aspiration/Bolusgeschehen

Definition

Aspiration

Eindringen eines Fremdkörpers in die Atemwege, insbesondere in die Luftröhre oder die Bronchien, noch ohne diese zu verschließen.

Bolusgeschehen 

Extremste Form der Fremdkörperaspiration, wobei durch den Fremdkörper die oberen Luftwege partiell oder komplett verschlossen werden.

Symptome

Aspiration

  • plötzliche Atemnot
  • heftiger Hustenreiz

Bolusgeschehen

  • Unfähigkeit zu sprechen und zu atmen
  • zunehmende Zyanose
  • krampfhafte Atemversuche
  • evtl. sofortiger Kreislaufstillstand durch vasovagale Reflexe

Therapeutische Maßnahmen

  • sofortiges Handeln, da Erstickungsgefahr
  • Die Betroffenen zum kräftigen Husten auffordern, ggf. Versuch der manuellen Entfernung eines Fremdköpers aus dem Mund-/Rachenraum, z.B. auch mithilfe einer Magill-Zange

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    © S. Müller
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  • Schläge auf den Rücken im Stehen oder Sitzen durchführen (3 bis 4 harte, kurz hintereinander ausgeführte Schläge mit der flachen Hand zwischen die Schulterblätter), der Oberkörper der betroffenen Person sollte dabei möglichst nach unten hängen.

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Bei Erfolglosigkeit Durchführung des Heimlich-Handgriffs: Die betroffene Person im Stehen oder Sitzen von hinten umfassen und beide Hände im Bereich der Magengrube übereinanderlegen, wobei die unten liegende Hand zur Faust geballt wird:

  • mehrere kräftige Druckstöße in Richtung Zwerchfell (also nach schräg hinten und oben) durchführen
  • falls erforderlich Herz-Lungen-Wiederbelebung
  • Notruf

Bluthochdruck/hypertensive Krise

Definition

Bluthochdruck

Blutdruckwerte von systolisch > 160 mmHg und diastolisch > 95 mmHg werden als hyperton bezeichnet. Bei ca. 25% der Bevölkerung finden sich derartige Werte, die aber – abgesehen von den Langzeitschäden – meist keine Symptome hervorrufen.

Hypertone/hypertensive Krise

Hier liegt ein echter Notfall vor, und zwar in dem Moment, in dem man neben stark erhöhten Blutdruckwerten (z.B. systolisch > 200 mmHg, diastolisch > 105 mmHg) auch Zeichen einer bedrohlichen Organstörung beobachten kann.

Symptome

Zentrale Symptome

  • Kopfschmerzen, Schwindel
  • Brechreiz, Erbrechen
  • Flimmern vor den Augen, Sehstörungen
  • Müdigkeit, Apathie, Bewusstseinsverlust

Kardiale Symptome

  • Angina pectoris, Herzinfarkt
  • Ruhedyspnoe, Lungenödem

Therapeutische Maßnahmen

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    Lagerung: Oberkörper erhöht
  • beruhigender Zuspruch
  • bei Atemnot/Herzbeschwerden: Sauerstoffgabe über Sauerstoffmaske 4 bis 6 l O2/Min.

Medikamente

  • Nitroglycerin 0,8 mg sublingual (z.B. 2 Hübe Nitrolingual-Spray sublingual), ggf. nach 5 bis 10 Min. wiederholen
  • Überwachung von Puls und RR, falls keine rasche Besserung, Krankenhauseinweisung veranlassen ggf. mit Notarztbegleitung
  • Patienten/-innen ohne Herzbeschwerden und/oder diejenigen, die Nifedipin als Bedarfsmedikation haben: Nifedipin 5 (bis 10) mg p.o. (z.B. Nifedipin ratio 5 (bis 10) Trpf.)
  • Patienten/-innen, bei denen eine Angst-/Panikattacke zugrunde liegt: Lorazepam 1 mg p.o. (z.B. Tavor expidet 1 mg p.o.)

Epileptischer Anfall/Epilepsie

Definition

Epileptischer Anfall

Kommt es im Gehirn zu fehlerhaften, unkontrollierten, elektrischen Entladungen der Nervenzellen, so können dadurch Krampfanfälle hervorgerufen werden. Die Intensität von Krampfanfällen variiert und reicht von kurzfristigen, nur Sekunden anhaltenden geistigen Abwesenheitszuständen bis hin zu langanhaltender Bewusstlosigkeit mit Muskelzuckungen, die den ganzen Körper erfassen.

Epilepsie

Treten Krampfanfälle immer wieder auf, so spricht man von einer Epilepsie.

Symptome

  • plötzliche Bewusstlosigkeit
  • plötzliches Hinfallen, oft verbunden mit einem Aufschrei
  • anfänglicher Atemstillstand mit Blauverfärbung der Schleimhäute
  • anschließend Krampfphase
  • oft zunächst starre, dann aber schüttelnde, unkontrollierte Krämpfe von Armen und Beinen oder des ganzen Körpers (Dauer: Sekunden bis Minuten)
  • oftmals „Schaum vor dem Mund“, Blutung aus dem Mund durch Biss auf die Zunge
  • Abgang von Urin oder Stuhl

Der Krampfphase schließt sich meistens eine Tiefschlafphase an, aus der die Erkrankten kaum erweckbar sind. Sie können sich anschließend an das Anfallsereignis nicht erinnern.

Blutdruckwerte

  • während des Krampfes kaum messbar
  • initial in aller Regel hyperton (systolisch > 160 mmHg)

Pulsoxymetrie

  • in aller Regel Sättigung leicht erniedrigt bis normal (91 bis 99%)
  • Puls tachykard (meist deutlich über 100/Min.)

Therapeutische Maßnahmen

Ziel der Maßnahmen ist es in erster Linie, Verletzungen durch das plötzliche Hinfallen und das Umherschlagen im Krampfanfall zu vermeiden. Normalerweise endet der Krampfanfall von selbst innerhalb von wenigen Minuten (d.h. 1 bis 3, maximal 5 Min.), längere Krampfphasen oder mehrere Krampfanfälle in rascher Folge müssen als lebensbedrohlicher Zustand angesehen werden.

  • Gegenstände, an denen sich die krampfende Person verletzen könnte, entfernen oder abpolstern. Falls dies nicht möglich ist, muss die/der Krampfende aus dem Gefahrenbereich gebracht werden.
  • Die Krampfenden nicht festhalten oder „mit Gewalt“ versuchen, sie an ihren Zuckungen zu hindern.
  • So bald wie möglich stabile Seitenlage durchführen.
  • ständige Überwachung von Bewusstsein, Atmung, Puls
  • Bei erstmaligem Auftreten eines Krampfanfalls oder bei lang dauerndem Anfall (länger als 3 Minuten) Notarzt rufen.

Medikamente

  • Nur bei prolongiertem Krampfanfall, wenn die betroffene Person entsprechende Medikation als Bedarfsmedikation bei sich hat und/oder wenn keine notärztliche Hilfe in absehbarer Zeit zu erreichen ist.

Lorazepam oral/bukkal

WirkstoffHandelsnameDosierung
LorazepamTavor expidet 1 mg
Tavor expidet 2,5 mg
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  • Kleinkinder/Kinder > 15 kg: 1 mg
  • Jugendliche > 50 kg/Erwachsene: 2,5 mg

Midazolam bukkal (Kinder/Jugendliche)

WirkstoffHandelsnameDosierung
MidazolamBuccolam
2,5/5/7,5/10 mg
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Buccolam altersadaptiert
2,5–10 mg

Midazolam nasal (mit MAD-Zerstäubersystem)

WirkstoffHandelsname (Auswahl)Dosierung
MidazolamDormicum
1 Amp. = 15 mg/3 ml
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  • 0,4–0,5 mg/kg KG
  • Maximaldosis 15 mg

½ bis 1 Ampulle Midazolam15 mg/3 ml nasal

Diazepam rektal (nur Kleinkinder/Kinder)

WirkstoffHandelsnameDosierung
DiazepamDiazepam desitin rectal tube 5 mg/10 mg
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  • Kleinkinder < 15 kg: 1 Rektiole à 5 mg
  • Kleinkinder > 15 kg: 1 Rektiole à 10 mg

Synkope (vasovagale Synkope, Ohnmacht)

Bewusstseinsverluste in Form von Synkopen meist infolge von Angst, Schmerz oder Art der Lagerung sind in der Zahnarztpraxis keine Seltenheit. In aller Regel ist diese Notfallsituation aber „harmlos“, von kurzer Dauer und ohne bleibende Schäden für die Betroffenen.

Definition

Spontan reversible, nur kurz anhaltende Bewusstlosigkeit meist

  • infolge einer ungenügenden Vasokonstriktion mit Blutdruckabfall (vasovagale Reaktion, orthostatische Reaktion),
  • aber auch bei kardialen oder zerebralen Störungen.

Symptome

  • Schwindel, „Schwarzwerden“ vor den Augen
  • Kaltschweißigkeit
  • Blässe
  • Übelkeit
  • kurzfristige Bewusstlosigkeit (Ohnmacht)
  • Bradykardie

Therapeutische Maßnahmen

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    Lagerung: Schocklage
  • bei anhaltender Bewusstlosigkeit stabile Seitenlage
  • taktile Reize/Schmerzreiz/laute Ansprache/kaltes Tuch auf die Stirn
  • Ruhe bewahren: Patienten/-innen sollten normalerweise innerhalb kurzer Zeit (30 bis 60 Sek.) wieder zu sich kommen/Schutzreflexe haben.
  • Das Vitalzeichen Atmung sollte immer vorhanden sein.

Blutdruckwerte

  • initial in aller Regel hypoton (systolisch < 100 mmHg)

Pulsoxymetrie

  • in aller Regel Sättigung normal (95 bis 99%) Puls oft bradykard (oft deutlich unter 60/Min.) Medikamente
  • in aller Regel nicht erforderlich, ggf.

Etilefrin oral

WirkstoffHandelsnameDosierung
EtilefrinEffortil Trpf. 7,5 mg/ml; 10 Trpf. = 15 mg10 bis 20 Trpf. (15 bis 30 mg)
Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. med. Sönke Müller


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