Notfallmanagement in der Zahnarztpraxis (3)

Im 3. Teil der Artikelserie* zum Umgang mit Notfällen in der Zahnarztpraxis werden nachfolgend einige für den Praxisalltag relevante Notfallsituationen wie eine allergische Reaktion, Angina pectoris bzw. akuter Asthmaanfall beschrieben und ihre Behandlungsmöglichkeiten in Kurzform dargestellt. Dabei liegt der Fokus ganz bewusst auf Therapiekonzepten und denjenigen Maßnahmen, die auch von notfallmedizinisch ungeübten Zahnärzten/-innen oder ihren Mitarbeitern/-innen ohne aufwendige invasive Methoden durchgeführt werden können.
Allergische Reaktion: vom harmlosen Juckreiz bis zum anaphylaktischen Schock
Ursachen
Allergische Reaktion z.B. auf
- Medikamente
- Lokalanästhetika
- Antibiotika
- Latex
- Nahrungsmittel
- Insektengifte
Stadieneinteilung und Symptome
Stadium | Symptome |
---|---|
I | Schwindel, Kopfschmerzen, Tremor, Hautreaktion: z.B. Erythem, Juckreiz, Angioödem |
II | Zusätzlich: Übelkeit, Erbrechen, Blutdruckabfall, Tachykardie, Heiserkeit, Atemnot |
III | Zusätzlich: Larynxödem, Bronchospasmus, Zyanose, Defäkation, Schock |
IV | Zusätzlich: Atemstillstand, Herz-Kreislauf-Stillstand |
Die Anaphylaxie als lebensbedrohliche Reaktion der Patienten/-innen ist die wahrscheinlichste Diagnose, wenn es nach Exposition mit einem Allergen plötzlich und unerwartet – meist innerhalb von Minuten – zu lebensbedrohlichen Störungen der Luftwege, der Atmung und des Kreislaufs, häufig verbunden mit Veränderungen der Haut und der Schleimhäute, kommt. |
Symptome eines anaphylaktischen Schocks
- akute Verschlechterung des Allgemeinzustandes
- Veränderung der Bewusstseinslage (Unruhe, Angst, Bewusstseinseintrübung)
- Atemnot
- kühle, feuchte Haut
- Tachykardie (Frequenz > 120/Min.)
- Blutdruckabfall (systolischer Wert < 90 mmHg)
Therapeutische Maßnahmen
- Unterbindung weiterer Allergenzufuhr, Notruf
- Lagerung: Schocklage, bei Bewusstlosigkeit stabile Seitenlage
- Freimachen und Freihalten der Atemwege
- Sauerstoffgabe
- RR messen, Pulsoxymeter verwenden
- venöser Zugang (falls möglich)
Medikamentöse Maßnahmen
A. „Hautausschlag“ (Anaphylaxie Grad I)
Wenn der/die Patient/-in außer Hautausschlag keine weiteren Symptome hat, wäre die orale Gabe von Antihistaminika und Kortison zu verantworten.
Antihistaminikum zur oralen Verabreichung
Wirkstoff | Handelsname | Dosierung | |
---|---|---|---|
Dimetinden | Fenistil Tropfen |
| ½ Flasche trinken lassen |
Kortison zur oralen Verabreichung
Wirkstoff | Handelsname | Dosierung | |
---|---|---|---|
Betamethason | Celestamine 0,5 N liquidum |
| 1 Flasche = 30 ml aufschütteln und trinken |
Prednisolon | Okrido |
| 1 Flasche = 20 ml trinken |
Zeigt der/die Patient/-in neben dem Hautausschlage weitere Symptome wie allgemeines Unwohlsein ggfs. mit Hypotonie, leichter Übelkeit etc., sollte versucht werden, zusätzlich/alternativ einen intravenösen Zugang zu legen.
Notruf -> Notarzt
In der Zwischenzeit über den Zugang eine Infusion von isotoner Elekktrolytlösung zum Offenhalten sowie ein Antihstaminikum und Kortison verabreichen.
Intravenöse Volumengabe
Wirkstoff | Handelsname (Auswahl) | Dosierung |
---|---|---|
Isotone Elektroltylösung | Sterofundin Ringer-Lösung Isotone Kochsalz-Lösung | 500-1000-2000 ml |
Antihistaminikum zur intravenösen Verabreichung
Wirkstoff | Handelsname | Dosierung | |
---|---|---|---|
Dimetinden oder Clemastin | Histakut oder Tavegil | Allergische Reaktion | 1 Ampulle langsam i.v. |
Kortison zur intravenösen Verabreichung
Wirkstoff | Handelsname (Auswahl) | Dosierung | |
---|---|---|---|
Methylprednisolon oder Prednisolon | Urbason solubile forte 250 mg, Solu Decortin H 250, Prednisolut 250 u.a. | Anaphylaktischer Schock, schwere allergische Reaktion, schwerer Asthmaanfall | 1 Ampulle langsam i.v. |
B. „Bronchiale Obstruktion der oberen Atemwege“ (Anaphylaxie Grad II/III)
Notruf -> Notarzt
Hauptsymptom hierfür ist eine klinisch fassbare Schwellung im Bereich der oberen Atemwege. Dies kann an einer Zungen- oder Uvulaschwellung, an einer Dysphonie oder einem inspiratorischen Stridor erkennbar sein. Kommt es dabei zu einer Verlegung des Kehlkopfeingangs, so kann die Situation lebensbedrohlich werden.
Als Sofortmaßnahme gilt die intramuskuläre Injektion von Adrenalin und die Sauerstoffgabe oder noch effektiver die zusätzliche inhalative Applikation von Adrenalin via Verneblermaske.
Adrenalin zur intramuskulären Verabreichung
Wirkstoff | Handelsnamen (Auswahl) | Standarddosierung | |
---|---|---|---|
Adrenalin Epipen | Anapen Jext 150/300 Fastjekt/Fastjekt junior Emerade 150/300/500 |
| 150/300/500μg i.m. |
als (kostengünstige) Alternative:
Adrenalin intramuskulär als Methode der Wahl Adrenalin 1:1000 1 Amp = 1 ml = 1000 μg | 1 Amp. Adrenalin = 1 ml 15-30 kg 0,15 ml 150 μg 30-50 kg 0,3 ml 300 μg > 50 kg 0,5 ml 500 μg 1 ml Spritze benutzen |
| 0,15 - 0,3 - 0,5 ml (300-500 μg) unverdünnt intramuskulär in den Oberschenkel |
Adrenalin: inhalative Gabe über Verneblermaske
Wirkstoff | Handelsnamen (Auswahl) | Indikation | Standarddosierung |
---|---|---|---|
Adrenalin via Verneblermaske O2 Flow 4-8 l/Min. | Adrenalin Infectopharm 1:1000 1 ml = 1mg | Allergische Reaktion, Bronchospastik | 3-5 mg (3-5 Amp.) unverdünnt in Verneblermaske, Sauerstoffflow 6-8 l erforderlich |
C. „Bronchiale Obstruktion“ der gesamten/unteren Atemwege (Anaphylaxie Grad II/III)
Notruf -> Notarzt
Häufigstes Symptom einer bedrohlichen Anaphylaxie. Klinisch oft wie ein Asthmaanfall mit expiratorischem Stridor. Sofortmaßnahme ist die intramuskuläre Injektion von Adrenalin und die topische bronchodilatatorische Therapie mit kurzwirksamen 2-Adrenozeptoragonisten (z.B. Salbutamol) in Form von Dosieraerosolen oder noch effektiver als inhalative Applikation via Verneblermaske (Adrenalin zur intramuskulären Verabreichung wie unter B beschrieben).
Salbutamol: inhalative Gabe als Dosier-Aerosol/Verneblermaske
Wirkstoff | Handelsnamen (Auswahl) | Indikation | Standarddosierung |
---|---|---|---|
Salbutamol Dosier-Areosol | Sultanol/Salbutamol Spray | Bronchospastik, Asthmaanfall | 2 Hübe zur Inhalation ggfs. wiederholen |
Salbutamol Inhalat | Salbutamol 2,5 ml (1,5 mg) Fertiginhalat | Bronchospastik, Asthmaanfall | 1 Phiole in Verneblermaske |
D. „Herz-Kreislauf-Reaktion (Blutdruckabfall/Tachykardie)“ (Anaphylaxie Grad II/III)
Notruf -> Notarzt
Sofortmaßnahme ist die intramuskuläre Injektion von Adrenalin und die Sauerstoffgabe (Adrenalin zur intramuskulären Verabreichung wie unter B beschrieben). Bei nicht ausreichendem Ansprechen sollte die intramuskuläre Injektion nach circa 5 bis 10 Minuten wiederholt werden.
Sauerstoffgabe
Wirkstoff | Handelsnamen (Auswahl) | Indikation | Standarddosierung |
---|---|---|---|
Sauerstoff | Sauerstoff | Atemnot, Lungen-/ Herz-Kreislauf-Erkrankungen | 4-6-10 l O2/Min. über Sauerstoffmaske |
Für die weitere Therapie ist ein intravenöser Zugang erforderlich.
Intravenösen Volumengabe
Wirkstoff | Handelsname (Auswahl) | Dosierung | |
---|---|---|---|
Isotone Elektroltylösung | Sterofundin Ringer-Lösung Isotone Kochsalz-Lösung | Venenverweilkanüle | 500-1000-2000 ml |
Antihistaminika oder Glukokortikoide sind nach Stabilisierung der Vitalfunktionen und Applikation von Adrenalin i.m. hochdosiert einzusetzen (Antihistaminikum bzw. Kortison zur intravenösen Verabreichung wie unter A beschrieben).
E. „Herz-Kreislauf-Versagen (Blutdruckabfall/Tachykardie)“ (Anaphylaxie Grad IV)
Notruf -> Notarzt
Bei Kreislaufstillstand sofort mit Reanimation beginnen, falls vorhanden, AED-Gerät einsetzen. Für die weitere Therapie ist ein sicherer intravenöser Zugang erforderlich.
Adrenalin zur intravenösen Verabreichung
Wirkstoff | Handelsnamen (Auswahl) | Indikation | Standarddosierung |
---|---|---|---|
Adrenalin | Adrenalin 1: 1000 Suprarenin | Anaphylaxie mit Kreislaufstillstand | 1 mg = 1 Ampulle auf 10 ml verdünnt i.v. |
Wiederholung alle 3 bis 5 Minuten bis zum Wiedererlangen eines Spontankreislaufs, weitere Maßnahmen wie unter D beschrieben.
Angina pectoris – akutes Koronarsyndrom (ACS)
Definition
Schmerzbild, hervorgerufen durch Einengung oder Verschluss von Herzkranzgefäßen im Rahmen einer koronaren Herzkrankheit. Der Schmerz tritt typischerweise dann auf, wenn infolge einer körperlichen oder seelischen Belastung ein Missverhältnis zwischen Sauerstoffbedarf und Sauerstoffangebot entsteht (-> Angina pectoris), bzw. wenn es zu einem Verschluss eines Koronargefäßes gekommen ist (-> Herzinfarkt). Da präklinisch die Krankheitsbilder einer neu aufgetretenen oder sich verstärkenden Angina pectoris ohne weitere diagnostische Hilfsmittel (EKG, Labor) nicht von einem Herzinfarkt unterschieden werden können, ist es üblich, den Oberbegriff „akutes Koronarsyndrom (ACS)“ zu verwenden.
Symptome
- Druckgefühl in der Brustmitte oder unter dem Brustbein, evtl. ausstrahlend in Hals, Schultern, Arme, Unterkiefer, Oberbauch
- Angst- und Beklemmungsgefühl
- evtl. Luftnot
- Angstgefühl
- evtl. Schockzeichen: Blässe, kalter Schweiß, Blutdruckabfall
Therapeutische Maßnahmen
- Notruf
- Lagerung: Oberkörper erhöht
- Sauerstoffgabe über Nasensonde/Sauerstoffmaske 4 bis 6 l O2/Min.
- beruhigender Zuspruch
- Monitoring: Blutdruck messen, Pulsoxymeter anlegen
- bei Bewusstlosigkeit
-> stabile Seitenlage - bei Atemstillstand
-> sofortige Reanimation - schnellstmöglicher Einsatz eines AED-Gerätes
Medikamente bei Angina pectoris
- Nitroglycerin 0,8 mg sublingual (z.B. 2 Hübe Nitrolingual-Spray sublingual)
- nur wenn RR > 100 mmHg, sonst Kollapsgefahr
- ggf. nach 5 bis 10 Minuten wiederholen
Jede Angina pectoris-Symptomatik, die sich nicht unmittelbar durch o.g. Maßnahmen deutlich verbessern bzw. beseitigen lässt, muss bis zum Beweis des Gegenteils (d.h. in der Klinik durch EKG und Herzenzyme) als Herzinfarktverdacht bewertet werden! |
Asthma bronchiale – akuter Asthmaanfall
Definition
Akuter Anfall von Atemnot, hervorgerufen durch eine ganz oder teilweise reversible Atemwegsobstruktion infolge von bronchialer Übererregbarkeit mit Bronchospasmus, übermäßiger Schleimsekretion und Bronchialwandödem. Diese pathologischen Vorgänge bewirken einen massiven Anstieg des Strömungswiderstands in den Atemwegen, sodass die Lungen- und Thoraxelastizität für eine genügende Expiration nicht mehr ausreicht.
Symptome
- anfallsartig auftretende Atemnot, evtl. nach bekannten auslösenden Faktoren
- Hustenanfälle (quälender Reizhusten) mit zunehmender Atemnot
- verlängerte, keuchende (pfeifende) Ausatmung
- Unruhe, Angst, aufrechte Haltung des Oberkörpers
- Haut schweißnass, kalt, blaugrau
- schneller Puls
Therapeutische Maßnahmen
- Lagerung: Oberkörper erhöht, nach Möglichkeit sitzend
- Aufstützen der Arme ermöglichen (zum Einsatz der Atemhilfsmuskulatur)
Sauerstoffgabe
Wirkstoff | Handelsnamen (Auswahl) | Indikation | Standarddosierung |
---|---|---|---|
Sauerstoff | Sauerstoff | Atemnot, Lungen-/ Herz-Kreislauf-Erkrankungen | 2-6 l O2/Min. über Sauerstoffmaske |
- beruhigender Zuspruch
- Notruf erwägen
Medikamente
Salbutamol: inhalative Gabe als Dosier-Aerosol/Verneblermaske
Wirkstoff | Handelsnamen (Auswahl) | Indikation | Standarddosierung |
---|---|---|---|
Salbutamol Dosier-Areosol | Sultanol/Salbutamol Spray | Bronchospastik, Asthmaanfall | 2 Hübe zur Inhalation ggfs. wiederholen |
Salbutamol Inhalat | Salbutamol 2,5 ml (1,5 mg) Fertiginhalat | Bronchospastik, Asthmaanfall | 1 bis 2 Phiolen in Verneblermaske |
Jeder Asthmaanfall, der sich durch o.g. Maßnahmen nicht unmittelbar deutlich verbessern bzw. beseitigen lässt, bedarf der notärztlichen Behandlung! Alarmsymptome für einen lebensbedrohlichen Asthmaanfall sind
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