Notfallmanagement in der Zahnarztpraxis (1)

Notfallsituationen in der zahnärztlichen Praxis sind zwar selten, dann aber stellen sie die Zahnärzte/-innen und ihre Mitarbeitenden vor eine Situation, für die sie in der Regel nicht ausreichend vorbereitet sind. Organisatorisches Chaos und teilweise Hilfslosigkeit sind die Folgen, die unter medizinischen, aber auch unter juristischen Aspekten zu fatalen Konsequenzen führen können. Ein richtiges Handeln bei Notfällen ist dabei nicht schwer, wenige grundlegende Maßnahmen können entweder eine Notfallsituation schon „entschärfen“ oder zumindest einen ausreichenden Zeitgewinn verschaffen, um das Intervall zu überbrücken, bis die Profi-Retter Ihnen zur Hilfe kommen.
1. Welche Notfälle sind in einer Praxis zu erwarten?
Die Gefahr von Komplikationen bei Patienten/-innen in der Zahnarztpraxis ist zum einen bedingt durch die zahnärztlichen Eingriffe und Maßnahmen an sich und zum anderen durch die bestehenden Vorerkrankungen.
Komplikationen infolge der zahnärztlichen Maßnahmen
- Kreislaufdysregulation:
- vasovagaler Kollaps ausgelöst durch Angst, Schmerz
- orthostatischer Kollaps ausgelöst durch Lagerung, schnelles Aufsitzen - Hyperventilationstetanie, Panikattacke ausgelöst durch Angst, Schmerz
- Nebenwirkungen der Lokalanästhesie
- durch den Adrenalinzusatz
- durch die Lokalanästhetika selbst - allergische Reaktionen (aller Schweregrade) auf Lokalanästhetika oder andere Substanzen
- starke Blutung
Komplikationen aufgrund der bestehenden „allgemeinmedizinischen“ Vorerkrankungen der Patienten/-innen
- hypertone Krise bei arterieller Hypertonie
- Angina pectoris-Anfall, Herzinfarkt bei koronarer Herzkrankheit
- epileptischer Anfall
- Herzrhythmusstörungen
- Atemnot durch
- Fremdkörper in den Atemwegen:
-> Aspiration
-> Bolus
- Bronchospastik, Asthma bronchiale
- Herz-Kreislauf-Komplikationen (z.B. akutes Lungenödem bei Herzinsuffizienz) - Hypoglykämie bei Diabetes mellitus
2. Wie können Risikopatienten/-innen erkannt werden?
Die Anamneseerhebung ist die wichtigste und effektivste Maßnahme zur Erkennung von Risikofaktoren. Sie ist von den Ärzten/-innen grundsätzlich – mit dem vorab von den Patienten/-innen ausgefüllten Bogen – im direkten Gespräch durchzuführen und schriftlich zu dokumentieren. In der Anamnese muss Folgendes abgefragt werden:
Kardiologische Vorerkrankungen
- koronare Herzerkrankung
- Herzinfarkt in der Vorgeschichte
- Herzinsuffizienz
- Hypertonie
- Hypotonie
Pulmonale Vorerkrankungen
- Asthma bronchiale
- Lungenembolien
Stoffwechselerkrankungen
- Diabetes mellitus
Allergische Vorerkrankungen
Neurologische Vorerkrankungen
- Epilepsie
Infektionskrankheiten
- chronische Hepatitis B/C
- HIV-Infektion
Alkohol- oder Drogenabhängigkeit
Aktuelle Medikation
- Antikoagulantien (z.B. Marcumar, NOAKs)?
- Bedarfsmedikation für bestehende Vorerkrankungen
3. Welche Notfallausstattung sollte in der zahnärztlichen Praxis vorhanden sein?
Die effektive Versorgung von Notfallpatienten/-innen setzt eine gewisse Mindestanforderung an die Ausrüstung der Zahnärzte/-innen voraus. Sinnvollerweise sollte diese Ausrüstung in einer Notfalltasche/einem Notfallrucksack oder Notfallkoffer übersichtlich untergebracht werden. In alphabetischer Reihenfolge werden hier einige wichtige Grundelemente der Ausstattung wiedergegeben:
- AED-Gerät (optional)
- Beatmungsbeutel mit Atemmasken für Erwachsene/Kinder
- Blutdruckmessgerät (manuell oder elektronisch)
- Blutzuckermessgerät
- Einmalkanülen (z.B. blau, gelb, grün)
- Einmalspritzen (1 ml, 5 ml, 10 ml)
- Tupfer
- Guedel-Tuben (Größen ...)
- Infusionslösung (Ringer Lactat Lösung/isotonische Kochsalzlösung) 500 ml
- Infusionsbesteck
- Venenverweilkanülen (z.B. Braunülen, Vygonülen, Butterfly)
- Larynx-Tuben (optional)
- Magillzange
- Medikamentenset (s.u.)
- Pflaster (z.B. Leukosilk)
- Pulsoxymeter
- Sauerstoffflasche (z.B. 0,5 l)
- mit Sauerstoffbrille/Sauerstoffmaske/ Verneblermaske
- Schere/Kleiderschere
- Stauschlauch
- Stethoskop
-
1: Infusionslösung und Besteck.
© Dr. med. S. Müller -
2: Pulsoxymeter.
© Dr. med. S. Müller
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3: Sauerstoffflasche.
© Dr. med. S. Müller
Medikamentenempfehlungen für die zahnärztliche Praxis
Medikamente zur oralen/inhalativen Verabreichung (Beispiele)
Genereic name | Handelsname (Auswahl) | Indikation | Standarddosierung |
---|---|---|---|
Adrenalin via Verneblermaske O2 Flow; 4-8 l/min | Adrenalin Infetopharm 1:1000, 1 ml = 1 mg | Allergische Reaktion, Bronchospastik | 3 – 5 mg (3 – 5 Amp) unverdünnt in Verneblermaske Sauerstoffflow 6 – 8 l erforderlich |
Betamethason | Celestamine 0,5 N Liquidum, Okrido | Allergische Reaktion, Asthma bronchiale | 1 Fl = 30 ml/20 ml aufschütteln und trinken |
Dimetinden | Fenistil Tropfen | Allergische Reaktion | 20 – 40 Tropfen |
Lorazepam Tabletten | Tavor expidet (1 mg und 2,5 mg) | Erregungszustand Epileptischer Anfall | 1 Tab = 1 mg 1 – 2,5 mg p.o. |
Glukose | Traubenzucker oder Glukose 40% Amp. Jubin Paste | Hypoglykämien | 4 – 5 Teelöffel in Wasser auflösen |
Nitroglycerin Spray | Nitrolingual Spray | Angina perctoris Hypertonie | 2 Hub sublingual |
Salbutamol Dosier Aerosol Salbutamol Inhalat | Sultanol oder Berotec Spray Salbutamol 2,5 ml (1,5 mg) Fertiginhalat | Bronchospastik, Asthmaanfall | 2 Hub zur Inhalation ggf. wiederholen 1 Phiole in Verneblermaske |
Sauerstoff | Sauerstoff | Atemnot, Lungen-/Herz-Kreislauf-Erkrankungen | 2 – 6 l O2/min über Sauerstoffmaske |
Medikamente zur parenteralen Verabreichung (Beispiele):
Generic name | Handelsnamen (Auswahl) | Indikation | Standarddosierung |
---|---|---|---|
Adrenalin Epipen | Anapen/Jext/Fastjekt/Emerade | Aaphylaxie | 150/300/500 μg i.m. |
Als (kostengünstige) Alternative: | |||
Adrenalin intramuskuläre Methode der Wahl | 1 Ampulle Adrenalin 15 – 30 kg 0,15 ml 30 – 50 kg 0,3 ml > 50 kg 0,5 ml 1 ml Spritze benutzen | 0,15 – 0,3 – 0,5 ml (300 – 500 μg) Unverdünnt intramuskulär in den Oberschenkel | |
Adrenalin (Epinephrin) Intravenös (nur für Profis) | Adrenalin Infectopharm 1:1000 1 ml oder Suprarenin Ampulle | Anaphylaxie (2. Wahl) Herz-Kreislauf-Stillstand Inhalt der ampulle immer auf 10 ml verdünnen | Anaphylaxie 1 – 3 – 5 ml der verdünnten Lösung i.v. (2. Wahl) Herz-Kreislauf-Stillstand Initial 10 ml der verdünnten Lösung i.v. |
Clemastin oder Dimetinden | Histakut oder Tavegil | Allergische Reaktion | 1 Amp. langsam i.v. 1 Amp. langsam i.v |
Methylprednisolon oder Prednisolon | Urbason solubile forte 250 mg Solu Decortin H 250 mg Prednisolut 250 mg u. a. | Anaphylaktischer Schock, schwere allergische Reaktion, schwerer Asthmaanfall | 1 Amp. langsam i.v. |
Glucose 40% | Glucose 40% Ampulle | Hypoglykämie | 20 – 100 ml oral / i.v. |
4. Welche notfallmedizinischen Basismaßnahmen muss jeder Zahnarzt bzw. jede Zahnärztin beherrschen?
Betrachtet man die meisten Empfehlungen, Bücher oder auch Kurse zum Thema Notfallmedizin für Zahnärzte/-innen und vergleicht die dort gegebenen Empfehlungen mit der realen notfallmedizinischen Ausbildung der Zahnärzte/-innen, so stoßen hier 2 Welten aufeinander. Dort die theoretisch empfohlenen Notfallmaßnahmen – vom venösen Zugang über verschiedenste zum Teil nur in der Intensivmedizin gebräuchlichen Medikamente bis hin zur Intubation und anderem Spezialwissen –, hier die Zahnärzte/-innen, die normalerweise 1- bis 2-mal im Leben einen venösen Zugang im Studium an Kommilitonen/-innen gelegt und die empfohlenen Medikamente ebenso wie den Intubationsspatel noch niemals im Leben in der Hand gehalten haben.
Deshalb gilt der Grundsatz |
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Es gilt nur die Zeit zu überbrücken, bis Profirettung eintrifft! Niemand fordert vom Zahnarzt oder der Zahnärztin weitergehende notärztliche Maßnahmen. Venöse Zugänge, Intubation u.a. sind meist (unrealistischer) Luxus. Beherrscht werden müssen demnach in erster Linie Basismaßnahmen zur Aufrechterhaltung/Wiederherstellung der Vitalfunktionen! |
Muß-Basismaßnahmen
- Überprüfung der Vitalfunktionen und Erkennen eines Herz-Kreislauf-Stillstandes
- Bewusstsein
- Atmung
- Puls - Lagerung der Patienten/-innen
- Durchführung der stabilen Seitenlage
- Lagerung bei Atemstörungen
- Lagerung bei Herz-Kreislauf-Störungen - Freimachen und Freihalten der Atemwege
- Überstrecken des Kopfes
- Esmarch-Handgriff
- Heimlich Handgriff - Herz-Lungen-Wiederbelebung (HLW)
- ohne Hilfsmittel z.B.
-> alleinige Herzdruckmassage compressions-only CPR
- mit Hilfsmitteln, insbesondere
-> Einsatz eines AEDs
-> ggfs. Beatmung - Beatmung mit Hilfsmitteln
- Mund-zu-Hilfsmittel
- Atembeutel zu Mund/Nase
Kann-Maßnahmen
(Kenntnisse, die nicht zwingend vorgeschrieben sind, die eine gewisse Erfahrung voraussetzen und in manchen Notfallsituationen eine effektivere und weitergehende Behandlung ermöglichen)
- Venenpunktion, Anlegen einer Infusion
- parenterale Verabreichung von Medikamenten
- Anwendung von Larynxtuben
- (orotracheale Intubation)
5. Überprüfen der lebenswichtigen Funktionen
Bewusstsein
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© Dr. med. S. Müller
Atmung
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© Dr. med. S. Müller
Freimachen der Atemwege
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© Dr. med. S. Müller
Reinigen des Mund-Rachen-Raums
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© Dr. med. S. Müller
6. Stabile Seitenlage
Jeder Mensch, bei dem das Bewusstsein, nicht aber das Herz-Kreislauf-System oder die Atmung gestört ist, muß in die stabile Seitenlage gebracht werden. |
Dieser Grundsatz gilt auch für die Zahnarztpraxis, d.h. dass Patienten/-innen, die z.B. im Zahnarztstuhl bewusstlos werden, am besten auf den Boden gelegt werden! Durch das Fehlen der Schutzreflexe droht der bewusstlosen Person sonst Erstickungsgefahr! Die stabile Seitenlage bewirkt, dass durch die Überstreckung des Halses freie Atemwege geschaffen werden und Flüssigkeiten, die sich im Mund und Rachen sammeln (Schleim, Blut, Erbrochenes), nach außen abfließen können.
Vorgehen
- Neben der bewusstlosen Person hinknien.
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Schritt 1.
© Dr. med. S. Müller -
Schritt 2.
© Dr. med. S. Müller
- Den auf der Helferseite befindlichen Arm der bewusstlosen Person angewinkelt nach oben legen.
- Den anderen Arm über den Brustkorb führen und den Handrücken der Hand seitlich an die Wange der bewusstlosen Person legen und festhalten.
- Das auf der Gegenseite befindliche Bein der bewusstlosen Person im Kniegelenk beugen, anstellen und zu sich herüberziehen. Die bewusstlose Person lässt sich auf diese Weise ohne Kraftanstrengung auf die Seite rollen.
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Schritt 3.
© Dr. med. S. Müller -
Schritt 4.
© Dr. med. S. Müller
- Den Kopf der bewusstlosen Person überstrecken, indem der Kopf mit beiden Händen erfasst und vorsichtig im Nacken nach hinten gebeugt wird.
- Nochmals überprüfen, ob Atmung vorhanden ist!
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