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Einsatz von kombinierten Peptiden – gegenwärtige Forschungsergebnisse

Innovative Ansätze in der Kariestherapie

Trotz der großen Erfolge bei der Verringerung der Kariesprävalenz in industrialisierten Ländern, wie beispielsweise in Deutschland (DMS V [15]), stellen dentale kariöse Läsionen, obwohl sie primär nicht lebensgefährdend sind, ein schwerwiegendes Gesundheitsproblem dar, welches im Vergleich zu anderen Erkrankungen global auf dem Vormarsch zu sein scheint. Im Fokus der Wissenschaft steht der Einsatz gezielter antimikrobieller Peptide (STAMPS = Specifically Targeted Antimicrobial Peptides) zur selektiven Eliminierung kariespathogener und -fördernder Bakterienspezies. Der folgende Beitrag gibt einen aktuellen Überblick über den gegenwärtigen Stand der Forschung sowie bisher publizierte Studienergebnisse.

Placeholder – News shutterstock

Unbehandelte dentale kariöse Läsionen stellen ein ernst zu nehmendes weltweites Gesundheitsproblem dar. Neueste Studien zeigen, dass sich während der letzten 25 Jahre die orale Gesundheit weltweit nicht verbessert hat. Die aktuelle Marcenes-Studie [17] berichtet, dass unbehandelte dentale kariöse Läsionen in bleibenden Zähnen die häufigste Erkrankung weltweit sind. Sie betrifft global 2,5 Milliarden Menschen. Zudem sind orale Erkrankungen zwischen 1990 und 2015 im YLD (Years Lived with Disabilities)-Ranking von Platz 11 auf Platz 10 gestiegen und haben Asthma auf Platz 11 verdrängt [14].

Wie erklärt man sich heute die Kariesentstehung?

Abb. 1 u. 2: Klinisches Bild dentaler Plaque und aktiver kariöser Läsionen bei einem 18-jährigen Patienten (klinische Situation – oben; nach Färbung mit Plaquefärbelösung [Mira-2-Ton, Hager & Werken] – unten) (Quelle: A. Felten).
Abb. 1 u. 2: Klinisches Bild dentaler Plaque und aktiver kariöser Läsionen bei einem 18-jährigen Patienten (klinische Situation – oben; nach Färbung mit Plaquefärbelösung [Mira-2-Ton, Hager & Werken] – unten) (Quelle: A. Felten).

Das aktuelle Kariesmodell, welches sich in den letzten Jahren wissenschaftlich durchgesetzt hat, beruht auf der sogenannten ökologischen Plaquehypothese [20]. Dabei handelt es sich quasi um die Vereinigung der früheren Hypothesen in einem Modell, welches die Kariesentstehung als einen multifaktoriellen Prozess darstellt. Der Zustand oraler Gesundheit wird als Balance zwischen Wirt und den oralen Mikroorganismen angesehen. Gerät dieses Gleichgewicht ins Wanken, kommt es zu einer sogenannten Dysbiose, welche die Entstehung einer Karies ermöglicht (Abb. 1 u. 2). Dabei geht man heute von dem Vorhandensein von Leitkeimen aus, die eine Schlüsselrolle in der Entstehung einer kariösen Läsion spielen. Als einer dieser Leitkeime wird Streptococcus mutans beschrieben, ein grampositiver, fakultativ anaerober Keim, der häufig mit dentaler Karies assoziiert wurde [11,18, 19,24]. Patienten mit einer symbiotischen „gesunden“ dentalen Plaque zeigen hingegen ein geringes Vorkommen an S. mutans und Resistenzen gegen kariogene Pathogene sowie eine Langzeitprotektivität gegen Karies [21].

„Quorum Sensing“

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Aufgrund der Tatsache, dass S. mutans in der Kariespathogenese eine scheinbar wichtige Rolle spielt, arbeiten Forschungsgruppen weltweit an einer gezielten Ausschaltung dieses Keimes und seiner Virulenzfaktoren, um damit Kariesinitiation und -progression einzudämmen. Hierfür wird die Fähigkeit von Bakterien genutzt, mit anderen gleichartigen oder andersartigen Bakterien mittels chemischer Stoffe zu kommunizieren. S. mutans kann beispielsweise über dieses sogenannte „Quorum Sensing“ unter anderem die Zelldichte in seiner Population messen. Abhängig von der vorhandenen Zelldichte werden über spezifische Botenstoffe Gene und Virulenzfaktoren reguliert. Die Kommunikation von S. mutans untereinander erfolgt mit spezifischen Kommunikationspeptiden, den sogenannten CSPs („Competence Stimulating Peptides“) [22] (Abb. 3).

Abb. 3: Schematische Darstellung der Kommunikation zwischen S. mutans über „Competence Stimulating Peptide“ (CSP) (Quelle: A. Felten).
Abb. 3: Schematische Darstellung der Kommunikation zwischen S. mutans über „Competence Stimulating Peptide“ (CSP) (Quelle: A. Felten).
Abb. 4: Schematische Darstellung der Wirkung des „Specifically Targeted Antimicrobial Peptide“ (STAMP), in diesem Fall STAMP C16G2. Dieses ist dem Kommunikationspeptid CSP nachempfunden, knüpft an den Kommunikationsmechanismus zwischen S. mutans an und führt zu einem selektiven Abtöten (Quelle: A. Felten).
Abb. 4: Schematische Darstellung der Wirkung des „Specifically Targeted Antimicrobial Peptide“ (STAMP), in diesem Fall STAMP C16G2. Dieses ist dem Kommunikationspeptid CSP nachempfunden, knüpft an den Kommunikationsmechanismus zwischen S. mutans an und führt zu einem selektiven Abtöten (Quelle: A. Felten).

Gezielte antimikrobielle Therapie

Aufgrund seiner Schlüsselfunktion ist das Kommunikationspeptid (CSP) Angriffsort für mögliche Interventionen im Sinne von gezielter antimikrobieller Therapie. Dabei konzentrieren sich aktuelle Forschungsansätze auf die synthetische Herstellung von Peptiden, welche aus zwei Domänen bestehen. Die eine Domäne soll das natürliche Peptid nachahmen, welches spezifisch an S. mutans bindet. Die zweite, unspezifische antimikrobielle Domäne soll zur Schädigung des Bakteriums führen. Diese kombinierten Peptide nennt man STAMPs („Specifically Targeted Antimicrobial Peptides“) (Abb. 4). Inzwischen sind die Ergebnisse von mehreren In-vitro-Tests von STAMPs gegen S. mutans veröffentlicht worden [5,7,12,13].

Peptid „C16G2“ – das Killerpeptid gegen Streptococcus mutans

Abb. 5: Darstellung der Basisstruktur von C16G2 (Quelle: A. Felten).
Abb. 5: Darstellung der Basisstruktur von C16G2 (Quelle: A. Felten).

Von besonderem Interesse ist das synthetische Peptid „C16G2“. Dieses besteht aus einem von Novispirin abgeleiteten antimikrobiellen Peptid (AMP – „Antimicrobial Peptide Killer Region“ [G2]), welches sich an eine für S. mutans spezifische Peptid-Pheromon-Zielregion („Targeting Region“ [C16]) anheftet (Abb. 5). Dort wird ein Riss in der Zellmembran induziert, gefolgt von deren Beschädigung und schließlich dem Zelltod. Es zeigte sich, dass C16G2 speziell S. mutans eliminieren kann und auf andere orale Streptokokken keinen Effekt hat. Des Weiteren war nach Eradikation von S. mutans durch C16G2 eine Resistenz des Biofilms gegen Neubesiedelung durch S. mutans zu vermerken. Positiv hervorzuheben ist auch, dass das Peptid wasserlöslich ist, seine Wirkung innerhalb von einer Minute entfalten kann und zudem auch in Biofilmen wirksam ist. Daher kann es klinisch in Form von Mundspüllösungen eingesetzt werden [6,8,10,13,16,18,23].

Aktuelle Studienlage

Abb. 6: Grafisch dargestellt ist der Vergleich zwischen der Behandlung mit C16G2 (A+B) und der Kontrollgruppe ohne C16G2 (Träger A+B) hinsichtlich des Anteils der unterschiedlichen Bakteriensequenzen. Bei Behandlung mit C16G2 zeigt sich eine deutliche Verdrängung von S. mutans und eine Zunahme gesundheitsassoziierter unbenannter Streptokokken und S. mitis (modifiziert nach Guo et al. [10]).
Abb. 6: Grafisch dargestellt ist der Vergleich zwischen der Behandlung mit C16G2 (A+B) und der Kontrollgruppe ohne C16G2 (Träger A+B) hinsichtlich des Anteils der unterschiedlichen Bakteriensequenzen. Bei Behandlung mit C16G2 zeigt sich eine deutliche Verdrängung von S. mutans und eine Zunahme gesundheitsassoziierter unbenannter Streptokokken und S. mitis (modifiziert nach Guo et al. [10]).

Die aktuellste Studie zu C16G2 erschien im Jahr 2015 [10]. Nach Testung der Wirksamkeit von C16G2 gegen 20 verschiedene Bakterienspezies einschließlich oraler und extraoraler grampositiver und gramnegativer Spezies in Monokultur erweiterte man die Untersuchungen. Zur Analyse der selektiven antimikrobiellen Aktivität von C16G2 gegen S. mutans wurde ein Speichel-in-vitro-Modell mit 100 verschiedenen Spezies verwendet. Hiermit konnte die Gesamtfunktionalität des oralen menschlichen Biofilms im Ansatz nachgeahmt werden. Die Palette der getesteten Bakterien wurde im Gegensatz zu vorherigen Studien insbesondere um orale Streptokokken-Spezies in naher Verwandtschaft zu S. mutans, um nicht Streptokokken-Spezies (z. B. Fusobacterium nucleatum) und um nicht kommensale Vertreter (z. B. Escherichia coli und Pseudomonas aeruginosa) erweitert. Die Daten zeigten eine geringe Wirksamkeit von C16G2 gegen gramnegative Spezies in der Monokultur. Hinsichtlich der grampositiven Spezies war C16G2 am wirksamsten gegen S. mutans und S. salivarius. Zudem zeigte sich eine hohe Wirksamkeit in der Eliminierung zweier grampositiver Spezies aus der menschlichen Hautflora (Micrococcus luteus und Corynebacterium striatum). Im komplexen Biofilmmodell konnte die Forschungsgruppe eine hohe Effektivität von C16G2 bei der selektiven Eliminierung von S. mutans aus einer mikrobiellen Gemeinschaft nachweisen. Interessanterweise zeigte sich nach 24 Stunden eine signifikante Verschiebung in der gesamten mikrobiellen Struktur der mit C16G2 behandelten Gemeinschaft im Gegensatz zur Negativkontrolle. S. mutans und die meisten Bakterien mit metabolischer Abhängigkeit oder physikalischer Interaktion zu S. mutans verringerten sich deutlich. Analog stieg die Dominanz der natürlichen Gegner von S. mutans und mit oraler Gesundheit assoziierter Streptokokken, wie unbenannte „Streptococcus spp.“ und Mitglieder der Mitis-Gruppe (S. mitis, S. cristatus und S. sanguinis) (Abb.6). Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass C16G2 auch in Multispezies- Biofilmen durch selektives Ausschalten eines Leitpathogens einen weitreichenden „Community Effekt“ haben kann und eine Verschiebung hin zu einem eher gesundheitsassoziierten Mikrobiom möglich sein kann [10].

Anwendung von STAMPs

Abb. 7: Tabellarische Auflistung der laufenden klinischen Studien zu C16G2 in der Studiendatenbank der U.S. National Institutes of Health (https://clinicaltrials.gov/ct2/results?term=C16G2&Search=Search, Zugriff am 19.03.2017, 17:40 Uhr).
Abb. 7: Tabellarische Auflistung der laufenden klinischen Studien zu C16G2 in der Studiendatenbank der U.S. National Institutes of Health (https://clinicaltrials.gov/ct2/results?term=C16G2&Search=Search, Zugriff am 19.03.2017, 17:40 Uhr).

In einer chinesischen In-vitro- Studie wurden die biologischen Charakteristika eines STAMPs genannt C16LL-37, einem Derivat des Kommunikationspeptides CSP, getestet. Es zeigten sich eine klare Spezifität dieses STAMPs für S. mutans, eine starke antibakterielle Aktivität, eine geringe Toxizität und hohe Stabilität. Die Autoren schreiben der Anwendung von STAMP C16LL-37 ein großes Potenzial in der Kariesforschung und Klinik zu [5]. Des Weiteren wurde in einer In-vitro-Studie von He et al. [12] ein sogenanntes „Multiple-headed Specifically-targeted Antimicrobial Peptide“ (MH-STAMP) gegen S. mutans und Pseudomonas aeruginosa entwickelt. Dieses ist in der Lage, durch multiple spezifische antimikrobielle Peptide beide Bakterienstämme aus einem Biofilm zu entfernen. Allerdings zeigte sich auch ein leichter Einfluss auf andere Bakterienstämme [12]. Bisher laufen mehrere klinische Phase-2-Studien zur Evaluation der Mikrobiologie, der Sicherheit, der Pharmakokinetik sowie Tolerabilität von C16G2 in vivo. Der interessierte Leser kann sich einen Überblick über die laufenden Studien mithilfe der Studiendatenbank der U.S. National Institutes of Health machen (Abb. 7). Allerdings liegen zu diesen Studien noch keine publizierten Ergebnisse vor.

Limitationen der gezielten antimikrobiellen Therapie

Die beschriebenen Forschungsarbeiten zeigen sich vielversprechend hinsichtlich des Nutzens und der Effektivität von STAMPs in der Elimination von S. mutans. Allerdings bleibt noch ungeklärt, ob eine selektive Entfernung von S. mutans auf Biofilmebene eine sichere und verlässliche Therapieform gegen Karies darstellt. Zunehmende Evidenz zeigt, dass sich Karies auch in Abwesenheit von S. mutans entwickeln kann. Hierbei spielen komplexe mikrobielle Interaktionen in oralen Biofilmen eine Rolle, die bislang wenig erforscht sind. So ist es denkbar, dass in einem oralen Biofilm nach Entfernung von S. mutans andere Kariespathogene oder opportunistische Pathogene in die entstandene Nische springen und dann den Kariesprozess vorantreiben könnten [1–4,9]. Insofern muss eine zukunftsweisende STAMP-Therapie sicherlich nicht nur gegen einen kariespathogenen Vertreter ausgerichtet sein, sondern bestenfalls ein Konsortium vieler kariespathogener und opportunistisch pathogener Keime ausschalten können.

Fazit

Als weltweit schwerwiegendes Gesundheitsproblem stellt die unbehandelte dentale Karies ein generell unterschätztes Problem dar, welchem mittels komplexer Präventions- und Therapiestrategien begegnet werden sollte. Dazu gehört zukünftig eventuell auch der Einsatz gezielter antimikrobieller Peptide zur selektiven Eliminierung kariespathogener und -fördernder Bakterienspezies. Die Forschung speziell zu einem Peptid (C16G2) befindet sich im Stadium der klinischen Phase-2-Studien mit Mundwasser oder Mundgelen. Publizierte Ergebnisse zu den Erfolgen oder Misserfolgen des Einsatzes am Menschen liegen jedoch bislang nicht vor, sodass noch nicht abschließend beurteilt werden kann, ob das selektive Ausschalten von S. mutans aus Multispezies- Biofilmen unter In-vivo-Bedingungen funktioniert. Zudem ist nicht nachweisbar, ob der gewünschte positive Effekt auf die Zusammensetzung des oralen Biofilms (Community- Level-Effekt) und somit die gesundheitsfördernde Wirkung am Menschen funktioniert. Es bleibt mit Spannung abzuwarten, welche Forschungsergebnisse in den nächsten Jahren dazu verfügbar werden.

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